W
ütend schlug ich mit der Krücke alles von den Kommoden und raufte mir die Haare.
»Dieses Arschloch!«, brüllte ich. Ich konnte nicht verstehen, dass er mich als die letzte Schlampe hinstellte! Und auch noch als eine schlechte.
Eine Leiche.
Damit hatte er recht, keine Frage, aber musste er es mir so unter die Nase reiben? War ja klar, dass er mich so lange alleine gelassen hatte. Sicher musste er einiges nachholen, seinen Trieben folgen und sich das holen, was ich ihm nicht geben konnte.
Ah! SHIT!
Tränen bildeten sich vor Schmerz, der Puls stieg ins Unermessliche an, raste durch meine Venen, und nachdem ich alles
aus den Kommoden gerissen hatte, stand ich ans Bettende gelehnt da und sah mich schweratmend im Spiegel an.
Tränen getränktes Gesicht, kaputt, zerbrochen und mit einem fehlenden Unterschenkel erkannte ich die Gestalt nicht, die ich darstellen sollte.
Was war nur aus mir geworden? Ein heulendes, unvollkommenes, undefinierbares Wesen!
Die Frau im Spiegel sah mir mit ihrer fahlen Haut, den zerzausten Haaren und der Hose mit dem umgeklappten Hosenbein wütend entgegen und noch nie hasste ich mich selbst so sehr, dass ich hätte kotzen können, wie jetzt. Wo war nur die selbstbewusste Frau? Sie war genauso weg wie der Mann, den sie liebte.
Vielleicht hatte ich auch genau das verdient. Ich war nie aus dem richtigen Holz geschnitten gewesen, weil mein Inneres noch vor einer halben Ewigkeit aus Titan bestanden hatte. Doch das Leben brach mich in scharfkantige Einzelteile, mit denen ich Menschen verletzte, die mir etwas bedeuteten. Dann waren noch die vielen neuen Informationen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich die kleinen, liebgewonnen Wesen in Gefahr brachte, weil ich kampfunfähig war und meine Feinde es ausnutzen würden. Ich war nutzlos. Mein Körper war mehr als nutzlos.
Zu allem Überfluss konnte ich meine Laune nicht heben, weil ich noch nicht einmal mehr mein Baby fahren konnte. Meinen Camaro! Zu nichts war ich gut. Und Dean sah es genauso. Er verachtete mich. Ich war nicht mehr die Frau, die sein Interesse wecken konnte.
Ich ließ die grauenhafte Gestalt nicht aus den Augen, während die vielen Bilder meines früheren Lebens in meinen Gedanken auf mich
einprügelten, bis ich es nicht mehr länger aushielt. Wütend ballte ich die Faust und schlug in den Spiegel. Die Scherben flogen und ich gleich mit, weil ich das Gleichgewicht verlor. So wollte ich nicht mehr. Ich konnte nicht mehr.
Da saß ich auf dem Boden und erkannte, wie sehr sich Dean vor mir ekelte und wie sehr ich das Ganze durch mein Verhalten gegenüber Adam verschlimmert hatte.
Mein Selbsthass kroch mir durch die Knochen und ich spürte das Blut an meinen Fingerknöcheln herunterlaufen. Wie kam ich da nur raus?
Da fiel es mir ein.
Über die Kleidung kroch ich zur Kommode, zog mich daran hoch und holte das Einzige heraus, was sich noch darin befand.
Mühelos lud ich die Glock nach und ließ mich zu Boden sinken. Am Bett gelehnt sah ich zur Knarre hinab und fragte mich, wie viele Leid ein einzelner Mensch ertragen konnte, bis er von alleine aufhörte, morgens wach zu werden.
Ich wollte es nicht mehr herausfinden und hielt mir den Lauf unters Kinn.
Mein Finger wanderte zum Abzug.
War es möglich, dass das Leben einen nur krank machte? Die Antwort kannte ich und schloss die Augen.
Auf Wiedersehen, Schmerz, Leid und Hass. Geistig verabschiedete ich mich vom heißen Mistkerl, der mir so viel bedeutete und ich hoffte, wir würden uns in der Hölle wiedersehen. Gleich darauf dachte ich an Calvin und Malcolm, die mich großgezogen hatten.
Die das Beste aus mir rausgeholt hatten und die ich schwer
enttäuscht hatte, weil ich, trotz besseren Wissens, wieder lieben gelernt und der daraus resultierende Schmerz mich in eine Gefahr gebracht hatte, vor der sie mich nicht schützen konnten. Ich verabschiedete mich von meinen Freunden, denen ich dankte, dass ich so viel Zeit mit ihnen verbringen konnte, die ich sehr schätzte. Auch dem kleinen Engel, der ohne mich besser dran war, sagte ich Lebwohl. Und Mila, mit der ich keine schönen Erinnerungen mehr sammeln konnte. Und während die Tränen und das Leid mich erdrückten, entschuldigte ich mich geistig bei Amy, für die ich nicht da sein konnte. Für die ich es einfach nicht schaffte, die Zeit zurückzudrehen, um meine Fehlentscheidung rückgängig zu machen.
Mit geschlossen Augen atmete ich tief durch.
»Gute Nacht, Kit«
Plötzlich knallte die Tür auf. »So, Kit. Du musst …« Mila stockte und ich riss die Augen auf. Sie sah erst auf die Knarre, dann in mein Gesicht. Rasch nahm ich die Glock runter. Doch nicht nur Mila erkannte, was ich vorhatte, sondern auch Dean, Greg und Riley.
Erdrückende Stille lag über dem Raum. In Milas Augen sammelten sich Tränen und ich hielt die Luft an. Für einen kleinen Augenblick bereute ich, dass ich Mila das antun würde, wo sie doch nur noch mich als Familie hatte. Auch wenn sie es sich nicht eingestand, war es so besser. Nicht nur für mich.
Dean war es, der Stille unterbrach. Er ging um Mila herum, kam auf mich zu und hockte sich vor mich. Sein zorniger Blick suchte den meinen. Als er ihn fand, schüttelte er kaum merklich den Kopf und dann holte er aus und seine Pranke knallte mir kraftvoll auf die
Wange. Das hatte gesessen.
Ich hatte glatt vergessen, was für eine Kraft er besaß, die er mich jetzt zum ersten Mal seit langem wieder hatte spüren lassen. Und wie sehr mich das auch noch zufriedenstellte. Für den Moment.
»Wag das nie wieder!«
Er nahm mir die Knarre ab, steckte sie sich in den Hosenbund und zog mich an einem Arm in den Stand.
»Du kommst jetzt mit nach unten, bevor ich mich vergesse!«, brüllte er mir ins Gesicht. Die anderen verließen mit Mila wortlos den Raum.
Als Dean begann, meine Krücken vom Boden einzusammeln, hielt ich mich an der Kommode fest.
Wir sprachen nicht, während wir gemeinsam durch die Flure gingen. Selbst als wir an der Treppe standen und ich mich mühevoll sammelte und überlegte, wie ich runterkommen sollte, wechselten wir kein Wort. Leider dauerte Dean das zu lange und er packte mich, um mich herunterzutragen.
Es kotzte mich so an, dass er mir noch nicht einmal die Chance gab, das Problem selbst zu lösen. Ich hasste es, für ihn nur die kleine Slut zu sein, die er herumtragen konnte. Kaum hatte er mich wieder abgesetzt, schrie ich los: »Was stimmt nicht mir dir?«
»Was stimmt mit dir nicht?«, schoss er zurück.
»Du sollst mich nicht herumtragen wie deine Puppe!«
»Und du sollst dich nicht abknallen! Was ist nur in dich gefahren?«
Und so stritten wir uns erneut lautstark, während wir einige Zuschauer bekamen. In Rage versuchte ich, ihn von mir wegzuschubsen, verlor den Halt, als Dean einen Schritt zurückwich,
und flog.
Ein ganzes Stück rutschte ich auf dem Bauch davon.
Mein Knie tat weh und ich hätte heulen können, weil ich so verdammt schwach war.
Adam – mit einem blauen Auge – und Riley eilten zur Hilfe, doch Dean brüllte quer durch die Villa: »Lasst sie!« Also blieben sie abrupt stehen und sahen zu ihm. Dieser heiße Mistkerl starrte mich von oben herab an und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Frag um Hilfe, wenn du sie brauchst.«
So ein Arschlochmensch, aber seine brauchte ich ohnehin nicht. Ich drehte mich, sodass ich auf dem Hintern saß.
»Das ist das, was du willst?«, blaffte ich ihm entgegen.
»Nein, dass du es dir eingestehst.«
»Oh und ich dachte, du lachst dir insgeheim schon ins Fäustchen, weil es doch das ist, was du die ganze Zeit wolltest!«
»Was meinst du?«
»Na, mich zu Fall zu bringen. Dass ich für mein Vergnügen, die Taten gegen dich und für deine durchkreuzten Pläne, von denen ich immer erst zu spät erfuhr, bezahle und unter deiner Hand zerbreche!«, knurrte ich.
Schief musterte er mich von Kopf bis Fuß, löste seine Arme und kam auf mich zu. »Wie kommst du darauf?«
»Deine Pläne, Dean, oder denkst du, ich bin so dämlich? Du planst schon das nächste Ziel, dabei bin ich schon am Boden, wie du siehst.« Um meine Worte zu verdeutlichen, breitete ich die Arme aus und er strich sich einmal komplett übers Gesicht.
»Jenny«, hauchte er, aber ich winkte ab und drehte mich wieder,
um mich mühselig erst auf mein Knie abzustützen und mich dann wackelig aufzurichten.
Zumindest lieferte ich keine allzu peinliche Show ab.
Hüpfend gelangte ich erst zu einer Krücke, dann zur anderen und machte mich, ohne weiter mit ihm zu diskutieren, auf den direkten Weg zum Fitnessraum. Dean, seine Leute und Mila ließen mir den Vortritt und schwiegen, genauso wie ich. Erst vor der Tür brach ich mein Schweigen, als ich mich umdrehte.
»Ich weiß nicht, warum ich das überhaupt mache! Riley, hast du nicht gesagt, es wäre noch zu früh für eine Prothese?«
Gerade als Riley mir antworten wollte, mischte sich Dean ein.
»Ja, hat er, aber er hat auch gesagt, dass es vielleicht eine Chance ist, deine Phantomschmerzen loszuwerden.«
»Außerdem findet der Orthopäde, dass die Wunde gut verheilt ist und du mit der Kappe schon ausreichend vorbereitet wurdest«, erklärte Riley.
»Du schaffst das, Jenny! Du bist stärker, als du es dir selbst zutraust!«, sprach mir Greg Mut zu und ich verdrehte die Augen.
»Wenn das so wäre, würde Mister verlogener Mistkerl«, ich zeigte auf Dean, »mich nicht behandeln, als wäre ich aus Porzellan.«
»Das haben wir gesehen«, knurrte Adam und ich verdrehte erneut die Augen, bloß offensichtlicher als zuvor. Damit drehte ich mich um und kämpfte mit dem Öffnen der Tür, was ich dann aber auch ohne Hilfe schaffte. Ich ging hinein, während ich mich fragte, ob Adam sein Veilchen von Dean kassiert hatte. Wegen der Sache mit mir?
Immerhin hatte er ihn nicht abgeknallt. Das war ein Anfang. Aber war es ein Zeichen dafür, dass ich ihm nicht mehr so viel bedeutete
und ich nur seinen Stolz angekratzt hatte? Oder konnte er nur einfach seinen Freund nicht abknallen?
Ich hoffte auf das Letztere, als ich im Raum stand und erkannte, wer dort auf mich wartete. Nicht nur Deans engagiertes Team, sondern auch Calvin und Saltos.
Krank. Einfach nur krank.
War es denn nicht schlimm genug, dass Deans Leute hier waren? Mussten dann auch noch meine Leute wie Schaulustige dastehen und die Scheiße miterleben?
»Habt hier nichts zu tun? Wie aus Menschen Geld herausprügeln? Oder Antworten? Scheiße, warum kokst ihr euch nicht das Hirn zu?«, schimpfte ich genervt.
»Haben wir schon. Alles erledigt.« Saltos grinste und ich schnaubte.
Solche Verräter.
Da trat der Arzt auf mich zu. »Hallo Kit, wie geht es dir?«
»Schwer zu sagen, ich tendiere zwischen Suizid und Mord.« Breitgrinsend weidete ich mich an seinem erschrockenen Blick.
»Das kommt aber natürlich darauf an, wer mir als Erstes auf die Eierstöcke geht. Meine Leute oder seine.« Ich zeigte zu Dean. »Womöglich ihr?« Damit deutete ich nun auf ihn und das scheiß Team. »Das nicht vorhandene Bein könnte gegebenenfalls ein Auslöser sein, also wird es wohl eher eine Überraschung. Für euch, nicht für mich.«
»Kitty, lass das und setz dich auf die Bank«, befahl Calvin mir mit einem liebevollen Unterton, als würde ich nur scherzen.
Ha! Von wegen! Es war mein fucking scheiß Ernst!
Dennoch tat ich, was man von mir verlangte.
Noch!