Adam
»E
cht jetzt? Das war’s? Das sind deine letzten geschriebenen Worte?«, nuschle ich vor mich hin.
Es ist mitten in der Nacht und ich sitze mit dem dritten Scotch in der Hand auf der edlen Couch. Das schwarze Buch auf meinen Schoß klappe ich mit einer Hand zu.
Das ist jetzt eine Woche her.
Eine Woche ist nach der geplatzten Hochzeit und deiner Flucht nun vergangen und seither hast du keinen weiteren Eintrag geschrieben und Dean hat keinen seiner Briefe mehr reingelegt.
Es ist die vierte Nacht in Folge, dass ich mir Zugang zu eurem kleinen, vorgetäuschten Paradies verschaffe und in diesem Buch
lese, während du schläfst.
Ist das wirklich ein Tagebuch? Wer hätte das von der kleinen Kitty erwartet? Ich nicht.
Wer hätte gedacht, dass du das Buch für alle sichtbar ins Regal gestellt hast, anstatt es wie sonst im Safe zu verstecken? Ich … so hat Calvin dir das beigebracht. Den größten Schatz offensichtlich zur Schau stellen. Dumme, kleine Kitty.
Ich schwenke das Glas in meiner Hand und frage mich, wo der Rest ist. Das kann es doch nicht sein. Denn wenn es das Ende für dich wäre, warum wohnt er hier? Warum hast du dich noch immer nicht von ihm abgewendet?
Zwar warst du die letzten Tage ohne ihn unterwegs, aber das ist alles dennoch merkwürdig.
Es öffnet sich eine Tür und ich verhalte mich ruhig. Da höre ich die Krücke. Du bist da.
Ich lehne mich zur Seite, sodass ich in den Flur einsehen kann. Aus dem unteren Zimmer, das eigentlich für Gäste gedacht war, humpelst du mit einer Krücke und ohne Prothese heraus.
Nach wie vor bist du so verfickt heiß, dass ich dich sofort vernaschen würde.
Du trägst nur ein Shirt und einen Slip und gehst geradewegs in die Küche. Doch D folgt dir und hebt dich hoch in seine Arme, sodass du aufschreist.
»Lass das!«
»Nein! Wo willst du auch um diese Uhrzeit hin?«
»Was trinken, du Arsch!«
Natürlich lässt er dich nicht los und trägt dich in die Küche. Da
kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Wie kann ein Mann wie D nur so hinter einer Vagina herlaufen? Wann ist das passiert? Er macht sich sonst nichts aus Frauen.
Du bist der Hammer, aber D? Er ist ein Psychopath. Was mich an eine Zeit zurückerinnert, die gar nicht so lange her ist …
Vor uns, in Ds Keller, saß der verängstigte und zitternde Gouverneur. Er wusste bereits, was auf ihn zukam. Dabei konnte die Realität viel grausamer sein als jede noch so blutige Fiktion. So gut kannte er D nicht. Demnach ahnte er nichts von der Bestie, die ihm gerade ins Gesicht lächelte.
»Ich würde ja Gnade walten lassen. Nur bin ich nicht eine von den Personen, die keine Probleme mit Vertragsbrüchen haben.« D konnte schon immer ein einfühlsamer Psychopath sein. Dabei versuchte er noch nicht einmal, nett zu sein. Er war einfach charmant.
»Das lag nicht allein in meiner Hand.«
»Jetzt, wo du das Thema Hand ansprichst.« D wandte sich mir zu und nickte. Mit einem Lächeln legte ich den mit Sorgfalt eingepackten Geschenkkarton auf seinen Schoß. Ich müsste lügen, wenn ich mich nicht am liebsten vor Lachen wegschmeißen würde und mich freute, als der Mann vorsichtig die Schleife öffnete und das Seidenpapier umschlug. Es kostete mich meine ganze Energie, nicht ›Überraschung‹ zu brüllen, als er bei dem Anblick der modrigen Hand seiner Verlobten kreidebleich wurde. Aber ich konnte es mir nicht nehmen lassen, mich zu ihm zu beugen und auf den Verlobungsring zu zeigen.
»Wie der Klunker heraussticht. Ziemlich bleich, die Kleine, was?«
Er sah mich noch schockierter an und brachte keinen Ton raus. Herrje, der Ärmste.
»Mein Gott …«, winkte ich ab. »Das ist nur ihre Hand. Du hättest den Rest des Körpers sehen müssen. Aber der liegt ganz tief im Lake.«
»Von der Suche würde ich abraten«, meinte D trocken.
»Ja«, gab Greg noch hinzu. »Wer weiß schon, wie viele Frauen auf dem Grund ein wenig Beton umarmen und mittlerweile angenagt wurden. Also ich habe nicht mitgezählt.«
Okay, das war mein Einsatz und ich lachte los. Es lohnte sich nicht, es zurückzuhalten. Das war zu gut.
»Ihr Schweine! Ihr seid doch alle krank!«, brüllte der Ärmste. Da zog D das Wägelchen mit seinem Spielzeug heran.
»Jetzt, wo du krank sagst, fällt mir ein …« D hatte einen charmanten Sinn für Humor. Mein Blick wanderte zu dem typischen Metzgerwerkzeug und das war der Moment, in dem mein voller Magen rebellierte.
»D, ich bin weg.« Ich klopfte ihm auf die Schulter und er sah mich verwundert an. »Sorry, aber mein voller Magen macht das nicht mit.« Er nickte und nahm das erste Teil in die Hand. Beim Rausgehen hörte ich den Idioten noch: »Neeeeiiiinnnnn!«, brüllen. Mit der Tür, die ins Schloss fiel, verklangen auch seine Schreie.
D konnte ekelhaft grausam sein. Ich könnte behaupten, er hätte ein Kindheitstrauma erlitten, das ihn zum Sadisten machte. Nur kann ich mich nicht dran erinnern, dass er jemals etwas erwähnt hätte. Stattdessen ging ich davon aus, dass sein Vater ihm die nötigen Gene
mitgegeben hatte und die Welt seinen Hang zur Gewalt nur unterstützte. Sein ganzes Leben wurde zu einem Trauma, nur nicht aus seiner Sicht. Denn er war nie das Opfer. Zwar hatte ich mit seinem Vorgehen nie ein Problem gehabt, musste mir das dennoch nicht immer ansehen. Ich hatte andere Qualitäten und Methoden.
Ich setzte mich ins Wohnzimmer auf die weiße Couch und legte meine Füße hoch, während ich die Mails checkte.
Gekicher und Küsse holen mich zurück in die Nacht und belausche euch. Ihr liebt euch nach wie vor. Oder hassen, wie ihr es nennt.
»Lass das, D! Ich will etwas trinken«, du hörst dich nicht glaubwürdig an und ich schüttle den Kopf. Genau das erinnerte mich daran, wie es an diesem Tag weiterging, als D aus dem Keller kam …
Die Kellertür öffnete sich. Ich stand von der Couch auf und folgte ihm in die Küche. Trotz der schwarzen Kleidung erkannte man das viele Blut darauf. Und auf Gesicht und Händen.
Er wusch sich die Hände und ich setzte mich an die Theke.
»Na, das alleine wird nicht reichen.«
»Nein. Ich gehe jetzt duschen, aber du musst Jenny abholen.«
»Die Kleine aus der Bar? Die Kellnerin?«
»Ja.« Er trocknet sich die Hände ab und reichte mir ein Zettel mit ihrer Adresse.
»Hast du es geschafft, ihr ein Date aufzuzwingen?«, fragte ich und konnte das Lachen nicht verbergen. Dieses arme Mädchen. Die nächste auf der Liste.
»War nicht so leicht wie bei den anderen.«
»Das glaube ich dir. Sie hat etwas Freches an sich. Ich fand es
lustig, wie sie Greg im Restaurant herausgefordert hat. Sie lässt sich nicht von ihm kleinkriegen. Mit ihr wirst du viel Spaß haben.«
»Davon gehe ich aus. Ich muss hier noch aufräumen und duschen, ich schaffe das nicht rechtzeitig. Also musst du sie in die Bar bringen.«
»Meinst du nicht, dass sie eine Szene machen wird?«
Er lehnte seine Arme auf die Theke, legte den Kopf schief und ich erklärte: »Sie ist herausfordernd. Sie wird bestimmt außer sich sein, wenn du sie nicht abholst.«
»Deswegen solltest du dir keine Sorgen machen. Ich habe sie im Griff.« Das hatte er immer. Jede Frau tat, was er wollte. Das hatten D und ich gemeinsam. Frauen waren aber auch viel zu leicht zu beeinflussen.
»Soll ich irgendwas mitnehmen? Damit sie mich nicht gleich erwürgt oder so?«, fragte ich amüsiert und er schüttelt seinen Kopf.
»Majida hat ihr bereits ein Kleid zukommen lassen.« Er holte sein Handy heraus, tippte darauf herum und legte es mir hin, sodass ich die Frau mit dem roten Cocktailkleid sah. Und dafür gab es nur einen Ausdruck: »Heiß!«
»Ja.«
»Und das mit ihren Titten! Oh, du musst in der Bar auf sie aufpassen. Die Männer werden sabbern.«
»So soll es auch sein.« Er nahm das Handy wieder zurück und steckte es weg.
»Stell dir Jenny auf der Auktion vor.«
Da stand mir plötzlich der Schweiß auf der Stirn.
»Sie wird alle Rekorde brechen.«
»Ja. Wie soll es auch anders sein, sie gehört schließlich mir.«
»Da wirst du mehr springen lassen müssen als ein Kleid.«
»Wahrscheinlich. Weißt du, was sie mir verklickert hat? Dass sie nicht auf Geschenke und Überraschungen steht.«
Da lachten wir beide.
»Sagen sie das nicht alle? Und dann, wenn du ihnen etwas kaufst, springen sie dir an den Hals und lieben dich.«
»Frauen!«
Lachend trennten wir uns. Doch bevor er die Treppe nach oben ging, fragte ich, wann ich bei ihr sein sollte.
»Acht«, rief er und mit einem Blick auf die Uhr, stellte ich fest, dass ich mich beeilen musste.
***
Genau diese Erinnerung bringt mich so zum Lachen, dass mir die Tränen kommen, weil ich keinen Ton über meine Lippen dringen lassen kann, ohne bemerkt zu werden. Aber das war es. Du hast uns ganz schön an der Nase herumgeführt. Ich ahnte schon, dass du uns in die Quere kommen würdest, als du nicht in besagtem Kleid die Tür geöffnet hast, sondern in einem noch viel heißeren Teil vor mir standst. Nur, dass du jede Erwartung so übertriffst? Oh Mann. Wenn wir da schon gewusst hätten, auf was wir uns mit dieser einfachen Kellnerin einlassen. Wir hätten uns einiges erspart. ›Ich habe sie im Griff.‹ Diese Worte von D rauben mir wegen eines unterdrückten Lachflashs den Atem.
»Hör auf damit. Ich will etwas trinken«, wimmerst du lustvoll auf
und kurz darauf ein leichtes Stöhnen. So gern ich dich und D beim Vögeln beobachte und dein Stöhnen höre, ist das mein Zeichen, zu gehen, bevor ich mir vor Lachen in die Hose mache und auch nicht mehr unbemerkt verschwinden kann.
Leise stelle ich das Buch zurück ins Regal, das Glas auf den Tisch und bin schon weg, indem ich leise die Haustür hinter mir schließe. Unbemerkt natürlich. Dafür seid ihr gerade zu beschäftigt.