Prolog
Es war bereits April, doch die Wiesen waren noch weiß. Nur im Wald waren einige Stellen schon schneefrei; sumpfig, nass und weich der Boden.
Der Mann wischte ein Stück der eingeschneiten Bank am Waldrand frei, legte den Rucksack darauf und setzte sich. Der Platz befand sich etwas oberhalb der Stadt Tegernsee, auf halber Höhe des Leebergs, sodass der Mann den See gut sehen konnte. Die glatte Wasserfläche glitzerte.
Der Mann hatte noch nie in seinem Leben jemandem etwas zuleide getan, geschweige denn daran gedacht, einen anderen Menschen zu töten. Doch nun hatte seine Vernunft entschieden: Es musste sein. Dabei sagte ihm sein Bauchgefühl, dass es falsch war. Eindeutig falsch. Die Sache konnte nicht gut gehen. Konnte sie gut gehen?
Soweit er wusste, wurden Mörder fast immer erwischt. In der Zeitung hatte er einmal von einer sechsundneunzigprozentigen Aufklärungsquote gelesen. Das war natürlich niederschmetternd. Aber die Wirtschaftskrise bedrohte ihn und seine Familie, und er hatte es in der Hand, sie alle zu retten. So war es ihm gesagt worden. Und wenn er darüber nachdachte, wusste er auch, dass es ging. Letztlich musste er nur diese eine Sache erledigen: Jemanden umbringen. Wie sich das anhörte, jemanden umbringen!
Die Person, die er töten sollte, war unbedeutend, er kannte sie nur vom Sehen, da bestand keine wie auch immer geartete Verbindung. Nur, einen Menschen umzubringen, das ist etwas, das man eigentlich nicht tun will, nicht tun kann – also jedenfalls, wenn man halbwegs normal ist. Warum dieser Mann sterben musste, wusste er nicht. Dahinten hörte er ihn, wie er mit dem Traktor auf dem Weg in den Wald war, von dem aus man den auf der anderen Seite des Sees liegenden Wallberg sehen konnte. Der Mann würde heute Holz machen wollen, Birken, Buchen, Fichten in meterlange Stücke zersägen. Aber wenn alles glattlief, würde der Mann in seinem Leben keinen Baum mehr fällen.