MARKEN
BRAUCHST DU DIE WIRKLICH?
W enn ich an Nike denke, sehe ich Michael Jordan vor mir, wie er zum Korb fliegt, oder wie Andre Agassi mit seinen farbenfrohen Mode-Statements (ganz zu schweigen von seiner Perücke) Wimbledon schockiert. Mit der Zeit erzeugen Marken starke Bilder in unseren Köpfen und nur wenige von uns sind dagegen wirklich immun.
Da wir unser gesamtes Leben lang Marken ausgesetzt sind, versuchen wir, sie vernünftig zu begründen und schreiben ihnen Werte zu. Es ist wie Wasserfolter und Stockholm-Syndrom in einem: Nachdem eine Marke jeden Tag auf dich einschlägt, gefällt sie dir schließlich und du legst sie dir zu, auch wenn sie eine tiefe Kerbe in dein Budget schlägt.
Marken sind mächtig – es ist, als würden wir glauben, dass es uns zu besseren Menschen macht, wenn wir Luxusmarken tragen (teure Produkte erzeugen ebenfalls diese irrige Annahme). Es handelt sich um die Folge von Konditionierung. Ein gutes Beispiel dafür sind Handtaschen.
Wozu dienen Handtaschen? Sie werden benutzt, um persönliche Gegenstände dabei zu haben und sind, im Übrigen, ein Modeaccessoire. Für manche Frauen (und Männer) beherbergen sie ein paar wesentliche Gegenstände, wie Ausweis, Portemonnaie und Schlüssel. Andere nutzen sie, um für jede Eventualität gerüstet zu sein und tragen Souvenirs von der Expo 67 bis zu Parfümproben für eine schnelle Duftauffrischung darin mit sich herum.
In dieser Tasche hat jeder Gegenstand seinen Platz, unabhängig von der Größe. Rein technisch gesehen sollen Brieftasche und Schlüssel darin mitgeführt werden, deshalb ist es so albern, jemanden mit einer 1.000 Euro teuren Handtasche zu sehen, der seit Monaten mit der Kreditkarte in den roten Zahlen steht. Große Handtasche, aber leere Taschen.
Davon habe ich lange etwas!
Dieses Argument hört man oft. Luxuswaren mögen lange halten, aber gewöhnliche Produkte auch. Der Preis mag ein Zeichen für Qualität sein, ist aber selten wirklich verhältnismäßig. Nehmen wir das Beispiel einer 1.000 Euro teuren Handtasche, die »lange hält«, verglichen mit einer für 50 Euro, die nicht ganz so lange hält.
Berechnen wir mal das Verhältnis: Euro 1.000/Euro 50 = 20 (das Verhältnis variiert je nach Wert einer gewöhnlichen Tasche). In diesem Fall muss die Designertasche mindestens 20 Mal so lange halten wie die für 50 Euro, um das Argument der langen Nutzungsdauer zu bestätigen.
Wenn also eine Tasche für 50 Euro zwei Jahre lang hält, muss die für 1.000 Euro mindestens 40 Jahre halten, um die Preisdifferenz mit Langlebigkeit zu rechtfertigen. Das kann nicht funktionieren. Selbst wenn die Tasche so lange hält, wird man sie irgendwann leid sein.
Hinzu kommt noch die Tatsache, dass der Käufer beim Erwerb 20 Mal so viel berappen muss. Wirtschaftlich gesehen ist also das Langlebigkeitsargument beim Kauf einer Marke Unsinn.
In ihrer Handtaschenvergangenheit hatte meine Frau zwei Handtaschen, die herausragten: eine Louis-Vuitton-Imitation und eine echte, die sie über eine Freundin bezogen hatte, die durch einen Mitarbeiterrabatt günstigere Preise erhielt. Die teure Tasche hatte es genauso schnell hinter sich wie die gefakte für 50 Euro.
Warum also der Preisunterschied? Die Herstellungskosten für eine 1.000-Euro-Tasche von Louis Vuitton sind nämlich mit etwa 100 Euro lächerlich gering. Alles andere entfällt auf Versand, Werbung, Marketing, Vertrieb und so weiter.
Dass Louis Vuitton auf der Champs-Élysées in Paris einen Flagship-Store unterhält, macht die Tasche nicht wertvoller. Ein solches Vorzeigeobjekt zu haben, erhöht nur Kosten, Prestige und die Gewinnspanne der Wertschöpfungskette.
Der Preis bedeutet auch, dass die Marke Jennifer Lopez und Xavier Dolan als prominente Markenbotschafter bekommen kann. Indem die Marke glorifiziert wird, erzeugt man Verlangen und Neid und es wird eine Persönlichkeit aufgebaut. Verkauft wird keine Realität, sondern ein Traum.
Es mag schön und gut sein, eine Diamantkette für 5.000 Euro von Tiffany & Co. zu tragen, aber ist diese genau genommen nützlicher als eine Kette mit Zirkonia aus dem örtlichen Juweliergeschäft? Natürlich nicht. Luxus muss für jeden sichtbar sein und jeder muss von einem Markenimage erreicht werden.
Für jedes Budget gibt es ein Luxusniveau mit bestimmten Marken. Wenn du zum Beispiel 40.000 Euro im Jahr verdienst, ist eine Kette für 500 Euro reiner Luxus. Millionäre brauchen ebenfalls Luxus, der in Relation zu ihrem Reichtum steht, weshalb es zu solchen Auswüchsen wie Halsketten für 25.000 Euro kommt.
Der Wert von Marken
Wozu also Marken kaufen? Wozu ein wandelndes Werbeplakat sein? Weil wir davon überzeugt wurden, dass wir dann Teil von etwas Größerem sind. Aber das ist eine Illusion der Zugehörigkeit ohne jeglichen Wert. Wenn wir Marken tragen, bewundern wir uns selbst vermutlich mehr, als andere es letztlich tun.
Eins steht fest: Es ist seltsam, wie sehr es uns mit Stolz erfüllt, ein Logo zu tragen. Ich versuche immer noch, die objektive Befriedigung für Menschen dabei zu verstehen. Aber was auch immer es ist: Es funktioniert. Wenn Promis Marken tragen, wollen wir sein wie sie. Aber sich gut zu fühlen, resultiert sicher nicht aus dem Tragen von Marken, sondern daraus, wir selbst zu sein.
Marketing ist der Erzfeind der Rationalität. Es entbehrt jeder Vernunft, ein T-Shirt für 100 Euro zu kaufen, wenn es verstörend einfach ist, für weniger Geld ein Qualitäts-T-Shirt zu erwerben. Marken sind Mittel gesellschaftlicher Akzeptanz, eine Art Versicherungspolice gegen Ablehnung. Dieselben Marken zu kaufen, die auch unsere Freunde tragen, zeigt unser Vertrauen in eine bestimmte Bevölkerungsgruppe. Ich erinnere mich an ein Seminar über Wirtschaftsprüfung, das ich an der Uni abgehalten habe. Um ein bisschen Schwung in das Ganze zu bringen, stellte ich den Studenten Fragen, aber statt sie mit ihrem Namen aufzurufen, nannte ich sie nach den Marken, die sie trugen.
So kann man den Stolz auf das Tragen eines teuren Shirts zunichtemachen: den Luxusgegenstand mit seinem Gegenteil in Verbindung bringen (in diesem Fall einen Händler für Heizöl). Ich genoss dabei meine Beobachtungen darüber, wie sich die Studenten über diese Niete von Professor lustig machten, der so gar keine Ahnung von den angesagtesten Marken hatte. Die Studenten, allesamt Anfang 20, waren erst überrascht, dann skeptisch. Es machte sie fassungslos, dass die Welt ihres Dozenten nicht das beinhaltete, was für sie momentan am wertvollsten war. Und es war ihnen einfach unverständlich, dass mich Logos völlig kalt ließen.
Brachten meine Scherze sie tatsächlich ins Grübeln? Wohl kaum. Aber wenn man die Saat pflanzt, muss man sie auch bewässern. Durch fleißiges Gießen, so sagte ich mir, würde der Gedanke am Ende schon irgendwann sprießen.
Mr. Apple oder Mrs. Michael Kors, können Sie die Fragen beantworten?
Manchmal tat ich so, als würde ich die Marke nicht erkennen.
Ja, Sie, junger Mann mit dem Ultramar-Shirt, können Sie die Frage beantworten?
Das ist nicht Ultramar, das ist American Eagle!
Oh. Es sieht aus wie ein Ultramar-Shirt. Die Antwort auf die Frage?
Der Wunsch von gestern ist der Müll von morgen
Im Laufe der Jahre kommen und gehen Marken, es verändert sich die Mode, aber die Prinzipien bleiben. In dem einen Jahr war es Burton, in einem anderen Tommy Hilfiger. Und dann war da natürlich noch der Parka von Canada Goose – bei uns in Kanada zwischendurch quasi eine Uniform. Auf den Fluren der renommierten Business School HEC Montréal bot sich ein seltsames Bild.
So viele Studenten mit einem Parka für 600 Dollar zu sehen, ist, als würde man George Laraque bei einem Überzahlspiel der Canadiens sehen: eine äußerst seltsame Ressourcenverteilung . Erinnerst du dich noch an die Vuarnet-T-Shirts? Sie sind praktisch aus der Modelandschaft verschwunden, abgesehen von den paar, die noch gut genug für die Altkleidersammlung waren.
Ein anderes Beispiel für dieses Phänomen sind Tablets und Computer. Wer braucht an der Uni wirklich einen Mac? Wenn du Grafikdesigner oder in einem bestimmten Bereich tätig bist, könnte das noch als Rechtfertigung dienen, aber es ist faszinierend, wie viele Menschen sich ein MacBook Pro für ihre Textverarbeitung kaufen. Ernsthaft? Abgesehen vom Zurschaustellen des kleinen Apfels im Seminarraum und dem Erzeugen von Zugehörigkeit – hilft dieser Rechner dem Studenten etwa dabei, sein Referat schneller zu schreiben? Für die meisten Studenten wäre ein preisgünstigerer Rechner völlig ausreichend, aber sie wollen mehr. Warum? Weil das attraktiver ist?
Es gab eine Zeit, da waren Computer beige und hässlich, aber das spielte keine Rolle – denn die Menschen wollten von einem Computer vor allem Leistung. Die Zeiten haben sich geändert, aber der Zweck dieser Geräte ist geblieben. Das Problem ist nur, dass uns mit dem Markendesign ein Gefühl von Zugehörigkeit verkauft wird – anhand der Logos.
Apple-Nutzer sind nicht einfach nur Konsumenten; sie sind Jünger. Jünger, die das jährliche Hochamt hören wollen, wenn die neuen Produkte herauskommen. Jünger, die gerüstet sind, die Marke zu verteidigen, und beteiligt sind an geplanter Veralterung. Eins zu null fürs Marketing.
Ein weiteres Beispiel marketing-generierten Verlangens sind Gitarren. Ich habe lange davon geträumt, eine Gretsch, Gibson oder Fender Telecaster zu besitzen. Wieso? Weil internationale Musiker wandelnde Werbeplakate für diese tonerzeugenden, gestimmten Holzkörper sind. Jedes Mal, wenn eine Kamera einen Musiker beim Spielen eines Solos einfängt, zoomt sie auf die Gitarre. Wenn ein Musiker während der Show das Instrument wechselt, lenkt das die Aufmerksamkeit auf die Gitarre und verstärkt die Markenprä senz. So bringen uns Verträge zwischen Musikern und Herstellern dazu, das Gleiche wie die großen Jungs zu wollen.
Wenn Bruce Springsteen auf einer bestimmten Gitarre spielt, wird diese zum Symbol für guten alten amerikanischen Rock ’n’ Roll.
Marken versetzen uns in die verlockende Realität einer anderen Person. Das Gehirn stellt eine Verbindung her, lässt es jedoch an kritischem Beurteilungsvermögen fehlen, wenn es darum geht, unserer Interpretation von Marken Bedeutung zu verleihen. Ergibt es Sinn, wenn ein Star mit einem Produkt assoziiert wird? Empfiehlt der Star dieses Produkt ernsthaft oder ist er nur scharf auf das Geld aus dem Werbevertrag? Schlürft Eugenie Bouchard tatsächlich Diät-Cola?
Manchmal stehen die Markenwerte nicht mehr im Einklang mit der Realität. Nehmen wir die Tennisspielerin Maria Sharapova. Sie sagt, dass sie Medikamente nimmt, um Diabetes zu verhindern, die in ihrer Familie überaus verbreitet ist. Gleichzeitig hat sie ihre eigene Süßwarenmarke, Sugar-pova. Da wundert man sich schon ein wenig …
Sportler und Personen des öffentlichen Lebens verbinden sich selbst mit Marken, auch wenn ihre Kompetenz und ihr Verhalten nichts mit dem Produkt gemein haben. Aber irgendwie akzeptiert unser Gehirn diese Form von Unvereinbarkeit. Wenn Sharapova einen Hersteller von Tennisschlägern befürworten würde, ergäbe das weitaus mehr Sinn als Süßwaren.
Sich unserer Schwächen bewusst sein
Marken hinterlassen in unserem Gehirn ihren Abdruck. Das ist nur Blendwerk. Wir wissen das; wir fühlen es. Wir können nicht erklären, warum wir zu ihren Sklaven werden. Wir leiden unter einer kognitiven Verzerrung des repräsentativen Charakters, einer fehlerhaften Neigung bei der Wahrnehmung und Einschätzung von Objekten und Ereignissen. Je mehr positive Kommentare du über eine Marke hörst, desto mehr Wert teilt dein Gehirn dieser zu. Wir müssen uns dessen also nur bewusst sein.
Andererseits sind manche Marken so tief in unserem Unterbewusstsein verwurzelt, dass sie wie Tattoos sind und zu Bestandteilen unserer gedanklichen Prozesse werden. Wir wählen ein Produkt nicht länger unter den problemlos verfügbaren Marken aus; wir verlangen nach einer bestimmten Marke, für die wir eine vorteilhafte kognitive Prädisposition aufweisen. Es ist schwierig, sich von dem Reflex loszureißen, selbst wenn der Preisunterschied erheblich ist.
Du willst einen Beweis dafür?
Warum kaufst du nicht das Generikum eines Medikaments, wenn die Bestandteile exakt denen von dem im Fernsehen beworbenen Original entsprechen?
Warum kaufst du eine bestimmte Mineralwassermarke statt einer anderen? Wieso bevorzugst du sprudelndes Wasser von der anderen Seite des Planeten statt dem aus der örtlichen Quelle?
Warum kaufst du irgendein anderes Salz als das preiswerteste? S-A-L-Z. NaCI! $?!?!$ Seit wann können zwei jeweils miteinander kombinierte Elemente aus dem Periodensystem unterscheidbar sein? Ja, aber das ist Meersalz! Verschont mich! (Meine Lektorin sagte mir, sie bevorzuge Maldon-Meersalz auf ihren Tomaten. Ich habe ihr versprochen, es auszuprobieren.)
Ein Produkt auf Grundlage der Marke zu kaufen, ist das Eingeständnis unserer Schwäche. Sicher, Verbraucher mögen bestimmte Produkte bevorzugen und kaufen eine Marke mangels Alternativen statt aus Prestigegründen. Sogar die Natur hat Marken. Geografische Gebiete haben Marken. Alles ist eine Marke. Wenn alles weiter so läuft, fängt ein bestimmter Eishockeymanager der Montréal Canadiens vielleicht an, sich selbst TradeMarc Bergevin zu nennen.
Jeder Erwachsene, der in einer Konsumentengesellschaft lebt, hat ein durch Markenwiedererkennung getrübtes Urteilsvermögen.
Eine Marke ist ein Versprechen von Qualität, Prestige, Service, Zuverlässigkeit und Vertrauen.
Eine Marke ist das, was ein Unternehmen mittels seines Rufs oder durch Werbung aufbauen möchte.
Ja, ein Markenimage kann mit Wert in Verbindung gebracht werden, aber ist das der wahre Grund, warum wir die dazugehörigen Produkte kaufen?
Brauchst du Marken wirklich? Nein. Aber falls du genügend Ersparnisse hast, dann nur los, verprasse alles. Denn das Verprassen und das volle Auskosten des Lebens bedeutet, Designerlabel zu tragen (#Sarkasmus). Außerdem verleihen sie dir ein Gütesiegel (#nochmehrSarkasmus).