AUSGEGLICHENHEIT
BRAUCHST DU DIE WIRKLICH?
W ir investieren sehr viel Zeit in die Suche nach der Ausgeglichenheit und es ist gleichzeitig wohl eine der klischeehaftesten Vorstellungen dessen, was ich als Geschäft mit dem Wohlbefinden bezeichne.
Die Realität ist, dass alle in ständiger Unausgeglichenheit leben, und dass diese Unausgeglichenheit ihren Teil zu allen großen Erfolgen auf dieser Welt beigetragen hat. Ein Mangel an Ausgeglichenheit hat seinen Preis. Er hat Auswirkungen auf unsere persönlichen Finanzen; er kann sich durch das Generieren von Einkünften bezahlt machen, aber er erzeugt auch eine Menge Zusatzkosten. Willkommen in der Welt der Unausgewogenheit.
Unausgeglichenheit akzeptieren
Wenn du dich bemühst, dein Leben aufzubauen, deinen Wert unter Beweis zu stellen und im Job oder bei deinen Ersparnissen voranzukommen, stellst du manchmal fest, dass du nicht ausgeglichen bist. Genau genommen stellen wir es nicht einfach fest – es erfasst uns. Ganz ohne Vorwarnung.
Möglicherweise glauben wir, dass wir besser oder stärker als andere sind. Wir sagen uns, dass wir damit fertig werden. Andere sind faul. Andere sind schwach. Das ist nicht zwangsläufig der Fall, aber wir möchten es glauben. Der Tag hat nur 24 Stunden. Wie lange können wir mit unseren Kräften Raubbau betreiben? Was sind die Konsequenzen unserer Entscheidungen? Können Verstand und Körper da Schritt halten?
Eines Tages, als Teil einer Präsentation vor Studenten an der CÉGEP Régional de Lanaudière in L’Assomption in Québec, interviewte ich eine weibliche Führungskraft einer Organisation, die die berufliche Weiterentwicklung von Frauen bewarb. Während unserer Diskussion sagte sie: »Ich habe gelernt, ein gewisses Maß an Unausgeglichenheit zu akzeptieren.«
Es ist beruhigend, wenn jemand Unausgeglichenheit anerkennt und offen darüber spricht. Wie Waffenbrüder und -schwestern in selbst verschuldetem Unbehagen gibt es ihnen das Gefühl einer gemeinsamen Mission.
In mancher Hinsicht führt Unausgeglichenheit zu großartigen Sachen und zu Errungenschaften, als würde man sich Tag und Nacht für eine Prüfung oder einen Wettkampf vorbereiten. Aber es hält auch von anderen Dingen ab, so kann ein Übermaß an Arbeit beispielsweise auf Kosten des Familienlebens gehen.
Ich bin einer der unausgeglichensten Menschen, die ich kenne (glücklicherweise im Hinblick auf mein Leben und nicht auf mein Gemüt). Es klingt seltsam, wenn ich das sage, und ich weiß auch nicht, wem ich etwas beweisen möchte, aber ich schwelge definitiv in einem ständigen Mangel an Ausgeglichenheit.
Alles begann, als ich parallel arbeitete und die Schule besuchte. Ich gab meinen Sport auf, verzichtete auf regelmäßigen Schlaf und Freizeit, um mich auf diese beiden Aspekte meines Lebens zu konzentrieren. Es war eine Art halbbewusster Akt des Vertrauens in den Aufbau einer Karriere.
Das war der Moment, an dem ich mit dem Raubbau meiner Kräfte anfing. Ich musste lernen, damit ich besser war als andere Studenten. Ich musste für die finanzielle Absicherung arbeiten. Die Pflicht kam an erster Stelle. Mein Mantra lautete: »Ich mag ja nicht der cleverste sein, aber ich werde am härtesten arbeiten.«
Mit einer zombieartigen Unbeirrbarkeit konnte ich meine Bedürfnisse einen Großteil meines Lebens ignorieren. Ich war wie eine Maschine. Eine unvollkommene Maschine, die ohne Glück auskommen konnte, um in einer grausamen Welt zu überleben. Heute könnte ich ein solches Kunststück nicht mehr vollbringen. Wieso? Weil man dieses Tempo nicht aufrechterhalten kann. Und, noch wichtiger, weil es in selbstzerstörerischen Gedanken und Verhaltensweisen mündet, die von Unausgeglichenheit erzeugtem Frust hervorgerufen werden.
Arbeit
Du musst mehr als andere liefern, um beruflich anerkannt zu werden. Du musst bessere Leistungen zeigen. Du musst andere und dich selbst übertreffen. Ohne Mühe erzeugst du keinen Wert.
Wenn du die Menschen betrachtest, die du bewunderst, siehst du oft nur die Spitze des Eisbergs, aber nicht den Rest unter Wasser: viele Stunden der Fähigkeitenentwicklung, der Fertigkeitsoptimierung, dass sie dorthin gehen, wo andere nicht hinwollen und dafür Teile ihres Privatlebens opfern.
Aber all das hat Konsequenzen. Wenn sich die Phase der Unausgeglichenheit zu lange hinzieht, kann sie ein Gefühl erzeugen, dass dir etwas fehlt, den Eindruck hinterlassen, dass ein Teil deines Lebens nicht vorhanden ist oder dass du zu schnell fährst. Während andere am Straßenrand ruhig eine Pause einlegen, rast du den Hügel so schnell hinunter, dass du nicht einmal sagen kannst, in welcher Richtung du unterwegs bist.
Exzess
Manchmal musst du in den Exzess abdrehen, um dir einer Unausgeglichenheit bewusst zu werden. Die Art des Exzesses variiert von Mensch zu Mensch: übermäßiges Geldausgeben, eine übermäßig strenge Diät, Überstunden, zu viel für eine Prüfung lernen, sich überfressen, zu viel Alkohol, Drogenkonsum, extrem viel Sex, zu viel Zeit im Internet verbringen oder zu häufiger Besuch des Fitnessstudios. Exzesse beeinträchtigen letztlich deine Fähigkeit, klar zu sehen, das zu tun, was du tun musst, in anderen Worten: deine Werte und Ziele zu respektieren . Exzesse eilen als vorübergehende Kompensation bei einer Frustration zu Hilfe, die durch Unausgeglichenheit verursacht sein kann. Das Rad dreht sich weiter.
Wir springen freiwillig in den Exzess, sagen uns, dass wir das später wieder wettmachen werden. Wir sagen uns, dass wir nur wenige Wochen brauchen, um den Kopf wieder über Wasser zu haben, dann reden wir von Monaten und am Ende sind es Jahre. Wir können durch unsere Vierziger stürmen, ohne jedwede Ruhemomente, alles wegen eines selbst auferlegten schonungslosen Tempos.
Niemand zwingt uns, uns auf diese Weise anzutreiben, aber Wünsche generieren Ehrgeiz, und Ehrgeiz generiert die nötigen Gewohnheiten, um diesem gerecht zu werden . Wir enden dann mit Scheuklappen, die wir uns selbst aufgesetzt haben.
Als Folge davon können wir weder sehen noch verstehen, was um uns herum passiert, ignorieren das, was für andere deutlich sichtbar ist.
Ein klassisches Beispiel
Nehmen wir Paul. Paul arbeitet hart, um sich seinen Platz in der Welt zu erkämpfen. Er beendet gerade die Schule. Er ist sportlich, jung, rebellisch und ein anständiger Kerl. Eine der größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften des Landes hat ihn kürzlich angeworben.
Für Paul ist diese Position die Krönung harter Jahre am Existenzminimum. Er steigt in den Job ein, und um sich zu beweisen, arbeitet er zu hart, wenn auch irgendwie widerwillig. Lagerbestand wird nach der FIFO-Methode gemanagt: »First in, first out«, was so viel bedeutet wie »der Reihe nach«. Leider gibt es auch für Mitarbeiter eine FIFO-Methode: »Fit in or fuck off« (Pass zu uns oder verpiss dich).
In diesem Beispiel hätte ich »Wirtschaftsprüfer« durch Ingenieur, Anwalt oder jeden anderen Beruf ersetzen können, der Disziplin und freiwillige Überstunden verlangt. Im Grunde jeder Job mit einem Festgehalt. Jede zusätzliche Stunde, die du investierst, ist ein Beweis des Einsatzes für deinen Arbeitgeber. Aber in Wahrheit geht es für die Partner und Anteilseigner vor allem um Profit.
Um dieses Einsatzlevel aufrechtzuerhalten, wird einigen Leuten mit einer Karotte vor der Nase herumgewedelt: Eines Tages könnten sie am meisten von den angesammelten Gewinnen profitieren. Genau diese Karotte lässt Paul kontinuierlich weiter arbeiten. Und er arbeitet hart. Mehr und mehr. So viele Stunden wie nie zuvor. Sechs oder gar sieben Tage die Woche.
Um gut dazustehen, trägt er nicht einmal alle Stunden auf den Stundenzetteln ein, auf denen die Zeiten für jeweils sechs Minuten (ein Zehntel einer Stunde) erfasst werden. Ein Hoch auf die verrechenbaren Stunden. Für andere Sachen hat Paul so gut wie keine Zeit. Die Mittagspause wird in den Hintergrund gedrängt. An seinem Computer sitzend schlingt er ein Sandwich herunter, hatte diese Woche nicht einmal zum Einkaufen Zeit. Schon bald wird er nicht mehr für das Abendessen nach Hause gehen.
Je aktiver Paul im Job ist, desto mehr sitzt er. Am Bauch legt er zu. »Das liegt daran, dass ich älter werde«, sagt er sich. Er schaltet nie ab. Seine Frau beschwert sich, dass er nur noch im Büro ist. Er sagt sich, dass er das tut, damit sie ein schöneres Leben haben.
Paul beginnt, sich schlecht zu fühlen, sowohl körperlich als auch mental. Seine Beziehung wandelt sich zunehmend von harmonisch zu konfliktreich. Um Unannehmlichkeiten zu vermeiden, geht Paul erst gar nicht nach Hause, denn das würde ihn vom Funktionieren abhalten. Schließlich ist es im Job so schon mies genug.
Inmitten all dieser Verrücktheit kommen Kinder. Familiärer Druck baut sich auf. Paul denkt, er sei belastbarer als andere, ignoriert dabei seine Bedürfnisse. Da er nicht mehr zu Hause isst, geht er mehr aus und investiert mehr Zeit in Freizeitaktivitäten als Ausgleich für das, was ihm fehlt. Er lenkt sich damit ab, dass er Sachen kauft.
Paul schafft sich die neuesten technischen Geräte an, was ihn aber nicht so glücklich macht, wie er dachte. Schließlich muss er manches von anderen übernehmen lassen, weil ihn die Überstunden wieder zurück zum Ausgangspunkt bringen: Er ist nicht wirklich reicher.
Tatsächlich lebt er auf größerem Fuß, hat aber weniger Zeit und Kapazitäten, um es auszukosten. Es ist alles eine Illusion. Wegen seiner Fehler, seinem Zeitmangel und dem Stress der ständigen Streitereien zerbricht dann die Ehe. Die Wunden reichen tief. Sein Herz ist gebrochen, Zynismus macht sich breit. Die Liebe und auch sein Herz sind tot.
An diesem Punkt erkennt Paul den Preis dafür, sich verrannt zu haben. Als der Moment kommt, den Besitz aufzuteilen und Alimente zu zahlen, leidet seine finanzielle Gesundheit beträchtlich. An der Straßenbiegung holt der Exzess ihn ein. Er starrt ihm ins Gesicht und plötzlich erkennt Paul, dass er seinen Erwartungen nicht gerecht geworden ist.
Er wird zur blassen Nachahmung eines flachen Charakters einer Seifenoper. Durch Unausgeglichenheit verursachtes Scheitern schmerzt. Mit guten Absichten beginnend – sein Leben zu verbessern – fiel Paul in eine Reihe zerstörerischer Verhaltensweisen, die schrittweise seine Seele auffraßen.
Der üble Kreislauf der Unausgeglichenheit
Wie eine Brücke, die die Resonanzkatastrophe erreicht und einstürzt, 14 kann Unausgeglichenheit eine Kettenreaktion auslösen und dich mit der Frage zurücklassen, welche Unausgeglichenheit all das ursprünglich angestoßen hat.
Die Reihenfolge, in der diese Unausgeglichenheiten auftreten, variiert von Mensch zu Mensch, aber das zugrunde liegende Prinzip ist immer gleich: Eine Unausgeglichenheit jeglicher Art kann eine ernsthafte Auswirkung auf die persönlichen Finanzen haben.
Sollten wir unsere Unausgeglichenheiten erkennen und akzeptieren oder schrittweise in ihnen versinken? Schwer zu sagen, wenn wir keine Zeit für diese Frage haben. Es geht immer weiter. Alles ist schnell und läuft auf Autopilot.
Natürlich ist es nicht immer ein Katastrophenszenario. Manchmal gibt es Nuancen: Statt zusammenzubrechen, lernen wir einfach, mit Enttäuschung und Desillusionierungen zu leben. Wir behelfen uns mit einem falschen Sättigungsgefühl. Eines Tages finden wir uns in einem Leben ohne Duft und Würze wieder.
Wie erreichen wir Ausgeglichenheit? Was ist der goldene Mittelweg? Dieses Gleichgewicht ist subjektiv und du musst mit der Unausgeglichenheit konfrontiert werden, um sie zu finden. Das ist zumindest meine Meinung.
Eine Hassliebe mit Ausgeglichenheit
Selbst wenn wir versuchen, Ausgeglichenheit zu erreichen, laufen wir gleichzeitig vor ihr davon. Einerseits wissen wir, dass wir uns ohne Unausgeglichenheit nicht dazu gedrängt hätten, bestimmte Ziele zu erreichen oder Träume zu realisieren; andererseits hat Unausgeglichenheit Konsequenzen, die wir vermeiden wollen. Also versuchen wir uns an einem Drahtseilakt der Unausgeglichenheit. Während wir dann auf dem Drahtseil spazieren, bilden wir uns ein, unsere Bewegungen unter Kontrolle zu haben, dabei braucht es lediglich eine leichte Windböe, damit die Katastrophe ihren Lauf nimmt.
Was treibt die Menschen zum Exzess, zum ständigen Wunsch nach dem Rausch des Unbekannten und dem Verfolgen der nächsten neuen Ziele? Zweifellos streben wir nach etwas anderem. Etwas ständig Neuem. Wir sind dazu verdammt, das zu wollen, was wir nicht haben.
Persönliche Finanzen im Zentrum der Ausgeglichenheit
All das bringt mich zurück zum Konzept des Spielraums (siehe »Finanzieller Spielraum« auf S. 9 ). Ohne ein bestimmtes Maß an Ausgeglichenheit werden die persönlichen Finanzen schließlich in all das einbezogen. Ausgeglichenheit ist notwendig, auch wenn du sie vermeiden willst.
Unsere Fähigkeit zum Geldverdienen und zur Finanzierung unserer Träume hängt von unserer Fähigkeit ab, innerhalb unserer akzeptablen Ungleichgewichtsgrenzen zu bleiben. Wie weit kannst du dich biegen, bevor du brichst?
Wenn es um das Management unserer persönlichen Finanzen geht, wählen nur wenige Menschen einen ganzheitlichen Ansatz, während die meisten nur reden, aber nichts tun. Ausgeglichenheit ist dieses immer in der Ferne liegende Nirwana. Sobald wir das Gefühl haben, uns ihm zu nähern, schießt es vor unseren Augen wieder von dannen.
Wir haben die ungesunde Tendenz zur Unzufriedenheit, wir spüren, dass etwas fehlt, obwohl wir nicht wissen, was es ist. Also stürzen wir uns in eine endlose Suche nach Ausgeglichenheit. Brauchst du die wirklich? Ich träume immer noch davon, dass ich sie erreiche.