HEIRATEN
MUSST DU DAS WIRKLICH?
M eine Eltern heirateten am 3. August 1968 in einem postreligiösen Québec, in dem man für die gesellschaftliche Akzeptanz immer noch verheiratet sein musste, um Sex zu haben, Kinder zu bekommen und seine Tage mit einem Mindestmaß an Glück zu verbringen. In den nachfolgenden Jahrzehnten änderten sich die Zeiten gehörig. Wozu sollten wir also heutzutage noch heiraten?
Laut dem Institut de la statistique du Québec (ISQ) werden fast zwei Drittel der Kinder in Québec außerehelich geboren. 15 Laut dem ISQ gab es außerdem im Jahr 2008 22.053 Eheschließungen und 13.899 Scheidungen. Wir sind eindeutig weit entfernt von der magischen Vorstellung »bis dass der Tod uns scheidet«.
Wozu ein Versprechen abgeben, das rein statistisch in Kanada mehr als die Hälfte (und in Deutschland immerhin auch noch ein Drittel) aller Paare brechen? Im Referendum des Lebens ist es die Option, die nicht gewinnen wird. Die gegnerische Partei würde die Gültigkeit der Wahl anfechten und es müsste eine neue eheliche Wahl abgehalten werden.
Wir können den üblichen Eheschwur abändern in »Ich verspreche, dich zu lieben, zu achten und zu ehren, bis dass … ich meine Meinung ändere.« Das wäre weniger romantisch, aber durchaus realistischer.
Früher, als die Menschen eine Lebenserwartung von nur etwa 30 Jahren hatten, war es einfacher, ein lebenslanges Eheversprechen einzuhalten.
Wenn sich Zynismus einstellt
Finanziell gesehen gibt es guten Grund, im Hinblick auf die Ehe zynisch zu sein. Wieso? Zunächst weil der Hochzeitstag für viele Menschen bedeutet, dass sie eine Hypothek über die nächsten 25 Jahre abschließen. Um die Kosten für eine Hochzeit an einem finanziell kritischen Punkt in unserem Leben zu rechtfertigen, beschwören wir Gefühle, den Anschein und eine trügerische Verbindung zwischen Liebe und Geld herauf.
Beginnen wir mit dem Verlobungsring, der (zumindest auf dem amerikanischen Kontinent) dem Wert von drei Monatsgehältern des zukünftigen Bräutigams entsprechen sollte. Wie bitte? Warum Tausende von Dollar für einen Stein ausgeben, der nicht mehr Freude und Nutzen bringt als reiner Modeschmuck? Was viele als Jagd nach dem Ring betrachten, ist oberflächlich und hat für die Liebe im Grunde keine Bedeutung. »Wie viel Karat hat der Ring? Ein oder zwei? Bist du dir bei dem Typen sicher?«
Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Ein Ring ist ein Symbol, keine Investition in eine Immobilie oder eine Übernachtung im 5-Sterne-Hotel. Was unterscheidet einen Diamanten wirklich von einem Zirkonia im Brillantschliff?
Nach dem Ring kommt die Kleidung, die zu den teuersten und gleichzeitig am wenigsten getragenen gehört, die sich ein Mensch jemals kauft. Nach der Hochzeit hängt das Outfit jahrelang im Schrank, als nostalgisches Zeugnis einer Zeit, in der sich das Paar noch nicht so arg hasste.
Zusätzlich gibt es dann noch das Marketing rund um die Hochzeit. Dafür existiert ein Begriff: die »Hochzeitssteuer«. Hochzeitsfotografen kosten mehr als Studiofotografen. Sie verbringen den Tag damit, Aufnahmen von inszenierten Momenten zu machen, um falsche Erinnerungen zu schaffen. Vergiss bitte an dieser Stelle nicht das Erinnerungsvideo, mit den mindestens zweimal aufgenommenen arrangierten Szenen. Die Hochzeitssteuer betrifft alles: den Saal für den Empfang, die Limousine, die Organisationsplanung, das Menü und so weiter.
Ob du nun von einer Hochzeit für 10.000, 20.000, 50.000 oder 100.000 Euro redest, das Prinzip bleibt dasselbe. Alle erdulden eine Zeremonie, bei der die einzigen Personen, die nicht die Minuten bis zum Ende zählen, vorne stehen. Die Gäste schwitzen, sind unruhig und können es kaum erwarten, bis sie mit ihren Freunden plaudern und etwas trinken können. Aber vorher kommt noch die endlose Empfangsreihe, um den frisch Vermählten zu gratulieren. Natürlich muss man dann noch der Braut sagen, wie wunderschön sie aussieht, sonst bekommt sie womöglich den Eindruck, das Geld für ihre Maniküre, Pediküre, ihren Friseur und Make-up-Stylisten, ihr Kleid und die Schuhe, auf denen sie herumstakst, wäre zum Fenster hinausgeworfen.
Endlich fängt die Party an: Cocktails, Dinner, das leichte Schlagen eines Löffels an ein Glas, die aufgesetzte Moderation eines Mö chtegern-Entertainers, der Wurf des Brautstraußes, Tanzen, Sauferei und das Verabschieden, wenn es an der Zeit ist, nach Hause zu gehen. Selbstverständlich darf während der Feier »YMCA« nicht fehlen.
Am nächsten Tag wird dann die Rechnung vom Konto abgebucht, und das glückliche Paar ist ärmer als am Vortag. Sie haben eine absurd große Party geschmissen und hätten für das gleiche Geld 200 oder 300 Abendessen mit Freunden zu Hause ausrichten oder zwei oder drei Kurzreisen unternehmen können!
Aber was soll’s, denn sie sind verheiratet. In der Liebe spielt Geld keine Rolle, sagst du nun vielleicht.
Wohl nicht, aber ist es diesen Preis wert? Ist es das wert, dafür keine Anzahlung für ein Haus zu haben? Rechtfertigt das, einen Wagen abzustottern, statt ihn auf einen Schlag zu bezahlen? Ist es das wert, die eigene Altersvorsorge zu vernachlässigen und die Ersparnisse für die Ausbildung der Kinder zu verringern? Denn nichts ist umsonst. Jede Entscheidung hat Konsequenzen. Hier kommen wieder Opportunitätskosten ins Spiel: Jeder für eine Budgetlinie ausgegebene Dollar kann nicht mehr einer anderer Budgetlinie zugeordnet werden.
Kein Problem, sagst du, denn die Gäste geben Geschenke, was einen Teil der Ausgaben aufwiegt. Möglicherweise deckt es sogar die Kosten der Hochzeit! Oh, du lässt dir also ganz ungeniert von Eltern, Freunden und Familie die Feier subventionieren?
Eine Einladung … zum Geldausgeben
Ich möchte keineswegs die Blase zukünftiger glücklicher Paare zum Platzen bringen, die sich für diese Sorte Hochzeit entscheiden, sondern möchte vielmehr der Realität ins Auge schauen.
Das Folgende ist die Reaktion deiner glücklichen Freunde, die eine Einladung zu deiner Hochzeit bekommen:
»Schatz …«
»Ja?«
»Wir haben noch eine Einladung bekommen.«
»Oh nein! Nicht noch eine! Wir sind diesen Sommer schon auf zwei Hochzeiten.«
»Sie ist am 6. August.«
»Gütiger Gott!«
»Jaaa. Ich werde zwei neue Kleider brauchen. Ich kann schlecht dasselbe Kleid noch einmal einziehen, wenn dieselben Freunde wieder dabei sind. Außerdem brauche ich eine Handtasche, vielleicht noch eine neue Kette und …«
»Du willst mich wohl auf den Arm nehmen. Das ist mitten in meinem Urlaub!«
Deine Einladung hat deinen Freunden soeben ein Event mitten in den Sommerurlaub gelegt, für dessen Finanzierung sie das ganze Jahr hart arbeiten und in dem sie ihre Beziehung pflegen wollen. Außerdem müssen sie Geld für Kleidung und Anreise ausgeben und einen Babysitter für die Kinder besorgen.
Dann wird deine Frau gebeten, die Trauzeugin zu sein. Sie muss ein pastellfarbenes Kleid tragen, in dem die Freundinnen der Braut aussehen wie die Glasur auf einer Torte. Noch ein Kleid, das nur einmal getragen wird, denn außerhalb des Hochzeitskontexts ist es nicht wirklich attraktiv (zugegeben, Geschmack ist subjektiv). Außerdem gibt es eine Probe, um sicherzustellen, dass bei der Hochzeit alles klappt. Und ich dachte immer, Ehen werden erst nach der Trauung vermasselt und nicht schon währenddessen.
Dann kommt der schicksalhafte Moment, wenn du das Geld für diese Hochzeit kalkulierst. Wie viel gibt man heutzutage für ein Hochzeitsgeschenk aus? Du versuchst, einzuschätzen, wie groß die Hochzeit sein wird und wie nah du dem zukünftigen Paar stehst, um ein Geschenk zu machen, das zumindest die Kosten der Einladung aufwiegt. Das Ganze reduziert das Budget für den Familienurlaub um 200 Dollar.
Am Ende müssen die Gäste Hunderte von Dollar für eine Feier ausgeben, die ihnen nicht das Vergnügen beschert, das sie für den gleichen Betrag an einem anderen Ort hätten. Dabei haben wir nur über die Trauung gesprochen. Oft gibt es noch einen Junggesellenabschied (was bedeutet Gokart fahren, viel Alkohol, ein Nacht- und Stripklub) und einen Junggesellinnenabschied (ein Tag im Spa, Dinner, Cocktails und ein Nachtklub), oder vielleicht eine Brautparty, auf der die Freundinnen die Braut beschenken, oder eine Stag-and-doe-Party, eine Art Geldsammelveranstaltung für die Hochzeit. Im Grunde hört es nie auf: Heiraten bedeutet, Freunde und Familie zum Zücken des Scheckbuchs zu zwingen.
Aber was ist, wenn das zukünftige Paar es exotisch mag? Auf der Einladung an einen Ort in der Sonne steht dann: »Keine Geschenke. Übernehmt nur eure Reisekosten.« Ganz zu schweigen von der Prinzessin mit Schneewittchenfantasien, die im Disney World heiraten will. Du hast die Wahl: Entweder du lehnst die Einladung ab oder du zahlst dieses Jahr nichts in deinen Rentensparplan ein. Der französische Chemiker Antoine Lavoisier sagte: »Nichts geht verloren, nichts wird neu erschaffen, alles wird nur umgewandelt.«
Die Hochzeit, die du wirklich brauchst
Es hat auch seinen Nutzen, verheiratet zu sein: Es bietet den Ehepartnern Schutz im Fall von Tod oder Trennung. Der Rechtsakt beinhaltet das Unterschreiben der Papiere, ob kirchlich geheiratet wird oder nicht.
Wozu sich schützen? Weil Ehen beim Auftreten eines Problems automatische Mechanismen auslösen. Wenn sich zum Beispiel der Mann wegen einer Frau im Alter seiner Tochter trennt, würde die Aufteilung des Familienbesitzes mit einem Ehevertrag objektiver erfolgen, als wenn sie inmitten eines Trommelfeuers von Beleidigungen und einem Krieg zwischen Anwälten stattfindet.
Ein Ehevertrag ist auch dann besonders wichtig, wenn einer der Ehepartner weniger verdient als der andere und mehr Zeit in die Betreuung der Kinder investiert. Wenn sich Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft trennen, wird keinem von ihnen Wert zugerechnet und alles muss genau ausgehandelt werden. Deshalb sollte man einen Plan zum Schutz des verwundbaren Partners haben.
Wie viel kostet eine standesamtliche Trauung? Nicht viel. In Deutschland liegen die Kosten etwa zwischen 50 und 200 Euro. Das Ganze dauert 20 Minuten, ohne viel Brimborium. Bei der Gelegenheit kannst du auch ein Testament und eine Patientenverfügung erstellen, die Zukunft deiner Familie ist somit erst einmal geklärt und die Partner sind durch die Eheschließung standardmäßig geschützt.
Bevor man heiratet, sollte man sich auch über die rechtlichen Konsequenzen informieren, die nicht zu den Turtelbildern auf Facebook passen.
Was du also wirklich brauchst, ist
GRATISTIPPS!
Musst du wirklich unbedingt heiraten? Du möchtest deine Liebe zelebrieren. Warum lädst du nicht Familie und Freunde ins Rathaus ein und feierst das Unterschreiben der Heiratsurkunde? Wenn du dich am Ende scheiden lässt, war deine Feier wenigstens nicht so teuer, stimmt’s?
Du brauchst wirklich keine Feier für 30.000 Euro.