BESITZ
BRAUCHST DU DEN WIRKLICH?
I
st Besitz wirklich wichtig? Menschen häufen im Laufe ihres Lebens vieles an. Je älter wir werden, desto mehr wird das Bewegen unserer Sachen zu einer gewaltigen, mühsamen Aufgabe. Gibt es eine bessere Herangehensweise an die Eigentümerschaft?
Die Verherrlichung von Zeug
Von Kindesbeinen an verherrlichen wir den Besitz von Zeug. Wir fragen Kinder, was sie sich zum Geburtstag wünschen. Implizit fragen wir sie damit, was für Zeug sie besitzen möchten. Das positioniert alles, was man kauft, zu etwas Rarem, ermutigt Kinder, neuen Besitz als Belohnung anzusehen, die mit Geburtstagen oder besonderen Ereignissen einhergeht.
Kinder wachsen mit dieser Vorstellung auf und wenn sie älter werden, möchten sie sich selbst belohnen. Ihre Bindung an Sachen zeigt sich in der Art, wie sie reden: »Das ist MEIN Laster« oder »MEIN Fahrrad«. Wieso hängen Menschen so an ihrem Kram? Ich weiß es nicht.
Sammeln: eine Verirrung, die vermeintlich Sinn ergibt
Sammeln. Das ist ein seltsamer Zeitvertreib, oder? Wenn Menschen Gegenstände sammeln, empfinden sie Stolz beim Anlegen der Sammlung, daher bewahren und organisieren sie sie.
In meiner Jugend sammelte ich Hockeykarten. Mich hat der Wiederverkaufswert der Karten gelockt. Aber um sie zu verkaufen, braucht man einen Käufer. 25 Jahre später kann ich aus Erfahrung sagen, dass sich nur wenige Menschen für eine Karte mit Kevin Hatcher oder Joe Sakic aus deren Anfangszeit interessieren. Vor allem, weil diese alten Hockeykarten in so großer Menge gedruckt wurden, dass sie nie den Wert erreichten, mit dem sie damals angepriesen wurden
.
Dann entdeckte ich die Musik. Mit meiner Leidenschaft für Musik sammelte ich in 25 Jahren 1.800 Platten, die zusammen Tausende von Dollar kosteten. Fast alle dieser Alben sind nun über ein Monatsabo für wenige Dollar monatlich bei Google Play oder einem vergleichbaren Anbieter erhältlich.
Es war nicht mein Ziel, CDs zu sammeln. Ich wollte mir nur das anhören, was ich gern hören wollte, ohne bei einem Radiosender anrufen zu müssen, wie Carole aus Lavale, die den Moderator bat »Love is in the Air« von Martin Stevens zu spielen.
Wirtschaftlich gesehen ergibt es keinen Sinn mehr, Musik so wie früher zu besitzen. Musik ist überall und kann kostenlos gehört werden. Die Künstler mögen darüber nicht glücklich sein, aber das Geschäftsmodell hat sich nun mal verändert.
Irgendwann sind alle Sammlungen nicht mehr sinnvoll. Kannst du wirklich eine langfristige Bedeutung im Sammeln von Zeug entdecken? Das ist eine äußerst persönliche Frage.
Armut und das Sammeln von Zeug
Es ist leicht gesagt, dass du Besitz loswerden sollst, denn aus einem bestimmten Blickwinkel kann das nur schwer vernünftig begründet werden. Es ist Luxus, in einem minimalistisch eingerichteten Haus zu leben, den sich nur die Begüterten leisten können.
Wieso? Weil sie das Geld haben, wieder und wieder für den gleichen Artikel zu bezahlen und ihn loszuwerden, wenn er beschädigt ist. Menschen in Armut behalten den zusätzlichen Besitz, weil er ihnen vielleicht noch dienlich sein könnte.
GRATISTIPP!
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Die Drei-Jahres-Regel
Ich habe für mich eine Regel aufgestellt: Wenn ich einen Gegenstand drei Jahre nicht benutzt habe, habe ich ihn wahrscheinlich grundlos behalten. Also kann ich erwägen, ihn
loszuwerden.
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Umziehen
Jeder Umzug wirft Fragen auf, was man behalten soll und was weggeworfen wird. Umziehen zwingt uns, eine Bestandsaufnahme von unserem Zeug zu machen und unnötige Sachen loszuwerden.
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Leben auf begrenztem Raum
Der Platz, den du zum Leben hast, zwingt dich, über jeden Kauf nachzudenken. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, etwas Großes zu kaufen, frage dich, wo es untergebracht werden soll. Meistens wird der Kauf dann hinausgeschoben.
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Neues drängt Altes hinaus
Angenommen, du kaufst ein neues Buch – was hast du bei dir zu Hause, das du nicht länger brauchst? Indem du dir angewöhnst, dass alles systematisch kommt und geht, zwingst du dich, den Besitz eines bestimmten Gegenstands zu hinterfragen.
Mieten oder kaufen?
Die ewige Frage: mieten oder kaufen? Während der Renovierungsarbeiten an meiner Doppelhaushälfte wurde mir klar, wie sinnvoll das Mieten von Werkzeug ist. Nur ein paar Minuten von meinem Zuhause entfernt gibt es einen Verleih, der das Teilen von Ressourcen ermöglicht. Du kannst alles mieten – vom Verlängerungskabel bis zum Benzinkanister.
Wozu etwas kaufen und behalten, was du nicht oft benutzt? Wozu eine Skiausrüstung kaufen, wenn du nur einmal im Jahr auf der Piste bist, oder eine Campingausrüstung für eine Nacht unter den Sternen alle fünf Jahre? Du kannst das alles mieten, sogar einen Schlafsack. Gleiche Frage: Ergibt es wirklich Sinn, dass alle in der Nachbarschaft einen Rasenmäher oder Hochdruckreiniger haben?
Die Kosten des Zeugs
Sobald du Sachen angesammelt hast, musst du sie auch behalten, instand halten, reinigen, lagern, organisieren und so weiter. Gegenstände benötigen Regale, Lager und Platz. Wie viele Quadratmeter deines Zuhauses sind dem
Lagern und Horten von Gegenständen gewidmet? Die Antwort darauf könnte dich überraschen.
Viele der Quadratmeter eines Zuhauses dienen dem Lagern von Gegenständen. Laut einem Artikel in der
Los Angeles Times
im Jahr 2014 besitzt der durchschnittliche amerikanische Haushalt 300.000 Gegenstände.
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Das klingt vielleicht nach viel, aber wenn du erst einmal mit dem Zählen anfängst, kommt schnell einiges zusammen.
Wenn du in einem Vorort ein Haus mit Keller kaufst, kann dein Besitz außer Kontrolle geraten. Vergiss nicht: Wenn du ein Haus hauptsächlich dafür kaufst, dein Zeug unterzubringen, wirst du am Ende renovieren, heizen und Räume versichern, nur um Sachen behalten zu können.
Ist es möglich, den benötigten Platz zu reduzieren, indem wir uns von einigen unserer Besitztümer trennen? Ist unser Zuhause zu groß? Die Beschränkung des Wohnraums erfordert die Reduktion der Anzahl der Gegenstände, die gelagert werden müssen.
Wenn du außerdem die Gebrauchsanweisungen der gekauften Gegenstände befolgst, müsstest du ein ganzes Leben damit zubringen, diese instand zu halten. Da Zeit begrenzt ist, bedeutet Besitz, einen Teil des Lebens darauf zu verwenden, sich um diesen zu kümmern. Wie aber das Sprichwort schon sagt: Zeit ist Geld.
EINE LEKTION VON DEM RUHIGEN ALTEN BURSCHEN NEBENAN
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Er winkte mir jeden Morgen zu. Mein 86 Jahre alter Nachbar aß seine Suppe immer auf den Verandastufen sitzend. Er war ein netter Kerl, der mich fragte, was es Neues gäbe, während er mir beim Ausschachten meines Kellers zusah.
Irgendwie wurde er zu einem Teil meines Lebens. Ich mag alte Menschen: ihre Erfahrung, ihre Geschichten und ihre Erinnerungen. Ich finde sie inspirierend, weil sie ein anderes Leben, eine andere Realität erschaffen.
Eines Morgens sagte er zu mir, dass er sein Haus verkaufen wolle.
Er sah sich dazu gezwungen. Es war Zeit, weiterzuziehen. Ein letztes Mal umzuziehen, sich von seinem Leben zu verabschieden, weil »davon nicht mehr so viel übrig ist wie einst«, wie mein Onkel Maurice es bei seinem letzten Weihnachtsessen auch ausgedrü
ckt hatte.
Ein paar Stunden später traf ich meinen Nachbarn zufällig in der örtlichen Eisdiele. Eine Kugel Vanilleeis gehörte zu seiner wöchentlichen Routine. Er lud mich zu sich ein.
Ganz plötzlich wurde ich zurückbefördert ins Jahr 1979. In dieser Szene aus einer anderen Ära waren nur die Mikrowelle von 1998 und der Sharp-Kathodenbildfernseher die einzigen Anachronismen. Es gab keinen Krempel, keinerlei Dekoration. Ein Teppich bedeckte einen Teil des Holzfußbodens, die Wände waren alle in derselben Farbe gestrichen und fleckig vom Zigarettenrauch vieler Jahre. Irgendwo unterwegs war er aus der Zeit gestiegen.
Dieser Mann hatte nie Internet gehabt und er hatte nicht das Gefühl, dabei irgendetwas verpasst zu haben. Aber eine Sache erstaunte mich besonders: Er hatte keinen Krempel. In dem als Büro genutzten Zimmer stand ein leerer Tisch aus Holz und Metall, der schon ein paar Jahrzehnte alt sein musste. Er öffnete eine Schranktür und sagte: »Das sind meine Finanzen. Sie sind ein bisschen durcheinander.« Zwei mehrere Zentimeter dicke Aktenordner mit Unterlagen waren dieses »Durcheinander«.
Manchmal scheinen ältere Menschen zurechtzukommen, ohne nutzloses Zeug besitzen zu müssen. Wozu etwas haben, das bis zum Ende unseres Lebens keinen Nutzen haben wird? Für meinen Nachbarn war es keine Frage der Finanzen. Er verkaufte sein Haus zu einem Spottpreis: »Wozu für mehr verkaufen? Ich brauche im Grunde kein Geld. Ich habe keine Erben, wozu soll ich also mehr anhäufen?«
Er hatte recht.
Nach meinem Besuch ging ich nach Hause und war deprimiert über meinen eigenen Materialismus. Wozu all diese sinnlosen Gegenstände, all diese Sachen, die uns krank machen, die gewartet werden müssen, Stress erzeugen und unsere Zeit in Anspruch nehmen?
Wozu CD-Hüllen aufbewahren, wenn nur die Musik wichtig ist? Wozu Bücher behalten, die wir nie wieder lesen werden? Für einen Intellektuellen ist ein mit Büchern gefülltes Regal wie Muskeln für einen Fitnessfanatiker: Es ist eine greifbare Möglichkeit, das Ergebnis unserer Arbeit vorzuzeigen. Bücher wegzugeben und sie freizulassen, ist ein bisschen so, als würden wir den Beweis unserer Wissensinvestition loslassen
.
Die Kleidungsstücke wurden nur einmal getragen?
Geschenkpapier? Willst du dieses Jahr wirklich 54 Geschenke machen?
Wieso an dieser DVD festhalten The Making of Die Hard
?
Wer hat die Zeit, sich die Spezialeffekte beim Dreh eines Bruce-Willis-Films anzusehen?
Die Liste des nutzlosen Zeugs ist lang, aber unsere Zeit nur begrenzt.
Alte Menschen lehren uns mit der Einfachheit ihres Lebens stillschweigend etwas. Aber wir hören nicht richtig zu. Wenn sie ihre Unabhängigkeit verlieren, bieten wir ihnen einmal die Woche ein Vollbad, und entscheiden, dass sie nichts beitragen. Aber auf ihre eigene Weise bremsen sie das irrwitzige Tempo des heutigen Lebens.
Ja, ich mag alte Menschen, denn auf gewisse Weise sind sie ein Spiegel unserer Zukunft. Sollten wir am Ende unseres Lebens nicht als Kapital gesehen werden statt im Hinblick auf unser Kapital? Wenn ich so alt sein werde, möchte ich wenigstens ein paar existenzielle Entscheidungen treffen können, zum Beispiel ob ich lieber Wackelpudding oder Reispudding als Nachtisch haben möchte.
Wenn ich auf meine Mutter gehört hätte, hätte ich meine Legosteine von 1990 bis heute behalten. Natürlich hätte ich es geliebt, zusammen mit meinen Söhnen damit zu spielen. Aber indem ich sie zur Hochzeit der Schlaghosen weggab, konnten andere Kinder 25 Jahre lang mit den Steinen glücklich werden, statt sie Staub ansetzen zu lassen.
Wie viele Gegenstände behalten wir grundlos viel zu lange?
Sachen zu behalten, ist teuer. Wenn du sie weggibst, sie verleihst, vermietest oder verkaufst, hat das Auswirkung auf deine persönlichen Finanzen. Denn zum gesunden Management von Zeug gehört es manchmal, zu leihen, statt zu besitzen. Also, Besitz: Brauchst du den wirklich? Nicht unbedingt.