DER KEINE-GESCHENKE-PAKT
BRAUCHST DU DEN WIRKLICH?
I n unserer Gesellschaft kann jeder Vorwand für die Übergabe von Geschenken benutzt werden, aus den unterschiedlichsten Gründen und zu allen möglichen Gelegenheiten: Hochzeitsgeschenke, Gastgebermitbringsel, Geburtstagsgeschenke, zum Schuljahresende, Valentinsgeschenke – die Liste ist gefühlt unendlich. Niemand wagt es, dieses unablässige Spiel des Vor- und Zurückschiebens von Ressourcen zu beenden; soziale Konventionen lassen sich nur schwer ändern.
Weihnachten: ein Nullsummenspiel
Ich hasse Weihnachten. Nenne mich einen Grinch, aber ich hasse dieses Festival der sinnlosen Geldausgabe. Die magische Zahl ist 652 Dollar – das durchschnittliche Feiertagsbudget für kanadische Haushalte im Jahr 2015. 38 Das Wort Budget bedeutet offenkundig prognostizierte Ausgaben; das heißt nicht, dass diese Grenze eingehalten wurde oder das Geld tatsächlich verfügbar war.
Weihnachten ist eine Phase des orgiastischen Konsums, während der die moderne Gesellschaft auf lächerlichste, albernste und abstoßendste Weise ihre Dekadenz beweist. Man fragt sich, ob sich die Nordamerikaner nicht einfach nur langweilen und Geld zur Minderung dieser Langeweile ausgeben. Das Kaufen um des Kaufens willen ist anscheinend zur Gewohnheit geworden. »In letzter Zeit irgendwelches neues Spielzeug gekauft? Überlegst du, irgendetwas zu kaufen?«
Und dann sind da all diese Schenkaktionen, für die Menschen ein weiteres Ding kaufen, das nicht wirklich gebraucht wird. Eine Sache mehr, die in eine Kiste, einen Schrank oder in die Garage wandern, die alle schon zum Bersten vollgestopft sind. Und schließlich endet all das nutzlose Zeug in einem Garagenverkauf. Zusammen mit dem nur einmal getragenen Paillettenkleid und dem leuchtendroten Weihnachtspullover .
Was wäre, wenn …
… wir eine Pause machen würden? Ein Weihnachten ohne Geschenke. Ein Weihnachten, bei dem wir die bequemen alten Jeans tragen können, preiswerten Wein aus großen Flaschen trinken und vor Zufriedenheit strahlen, während wir zusehen, wie die Zeit vergeht.
Was am kostbarsten ist und wir uns selbst nicht mehr geben, ist nicht das neueste Technikspielzeug oder Handy. Was in unserem verrückten Leben knapp geworden ist, ist Zeit. Uns gegenseitig Zeit schenken.
Ich fand die Weihnachtsfeiertage immer wunderbar, wenn wir uns die Zeit nahmen, einfach nur zu sein, zusammen zu sein und die Zeit mit den uns wichtigen Menschen zu genießen. Nichts Extravagantes, keine Trips in den Süden oder Skiwochenenden. Nur die Zeit, um Familie und Freunden zu sagen: »Ich liebe dich, du bist mir wichtig und ich bin froh, mit dir zusammen zu sein.«
Sich die Zeit nehmen, innezuhalten und in einem hektischen Leben auf die Bremse zu treten.
Sich die Zeit nehmen, sich zu Hause einen Kaffee zuzubereiten, statt zu einer multinationalen Steuerhinterziehung beizutragen.
Die Freuden der Kindheit wiederentdecken.
Nimm teil an einfachen, kostenfreien Aktivitäten: Rollschuhlaufen im Park, ein Abendspaziergang, im Schnee liegen und die Sterne betrachten (ein Wunschtraum, wenn du in Montréal lebst, wo die Luftverschmutzung den Himmel vernebelt).
Dir ein Stück vom Leben der einfachsten Art zu nehmen. Uns die Zeit zum Leben zu nehmen, bevor wir sterben.
Was wäre, wenn wir jedes Jahr den Keine-Geschenke-Pakt unterschreiben? Eine gemeinsame Vereinbarung, mehr Freizeit als Familie zusammen zu verbringen, statt uns gegenseitig materielle Gegenstände zu übergeben. Lasst uns die Begrenzung der Verrücktheit beschließen – eine Familie nach der anderen. Lasst uns Schlussverkäufe meiden, lange Schlangen, mit Tüten vollgeladene Autos, den Stress, bei Schneesturm loszuziehen, die Zeit, die wir mit dem Einpacken der Geschenke verbringen. Lasst uns nein zur Verrücktheit sagen und uns Zeit für uns selbst nehmen.
Die Ironie der Feiertage
Vor ein paar Jahren arbeitete ich für eine internationale Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im Zentrum von Montréal. Es war der 23. Dezember. Ich war überwältigt von meinem Berufsleben und dem Mangel an Privatleben. Ich machte, so schnell ich konnte und kämpfte mit einer ständigen Müdigkeit. Als ich eines Abends auf dem Heimweg war, näherte sich mir unweit der U-Bahnhaltestelle Berri-UQAM ein Mann.
»Haben Sie ein bisschen Kleingeld für Essen?«
»Nein, tut mir leid.«
Ich ging weiter. Nach ein paar Schritten blieb ich stehen und kehrte um.
»Was möchten Sie denn essen?«
»Was immer Sie mir geben wollen.«
Es stellte sich heraus, dass er gern zu McDonald’s wollte. Ich ging mit ihm in das Restaurant. Die Angestellten schauten, als ich mit diesem Typen eintrat. Sie waren es gewohnt, ihn draußen zu sehen, wo er Plastiktüten statt Stiefeln an den Füßen trug. Ich kaufte ihm ein Big-Mac-Menü und einen Gutschein (dieser war sinnvoll) für seine nächste Mahlzeit. Er dankte mir und ich ging.
Inzwischen frage ich mich, wer wem an jenem Tag einen Gefallen getan hat. Ich fühlte mich in diesem Moment für den Mann nützlicher, als ich es für all die Firmenklienten war, für die ich seit meinem Karrierebeginn arbeitete.
Seit damals machte ich es zu meinem Programm, einmal im Jahr anonym jemandem zu helfen, ohne es in den sozialen Medien mitzuteilen, ganz ohne Eimer voll Eiswasser über meinem Kopf. Ich helfe, weil ich morgens den Mann im Spiegel wiedererkennen möchte. Der Spiegel zeigt nicht immer das, was wir sehen wollen. Einem Mitmenschen zu helfen, ist letztlich ein selbstsüchtiger Akt, denn er sorgt für mehr Selbstliebe.
Für Weihnachten träume ich von leeren Einkaufszentren, glücklichen Kindern, die erleben, dass ihre Eltern mit ihnen spielen, statt sich ein Stück Ruhe und Frieden zu erkaufen. Ich träume von etwas anderem. Was ist mit dir? Wieso nicht dein Weihnachten einer Suppenküche geben? Nutze die 652 Dollar, um haltbare Waren zu kaufen oder gib sie für eine andere Sache, die dir am Herzen liegt.
Gutscheine
In Geschäften gibt es sie in Hülle und Fülle. Aus rein ökonomischer Sicht sind sie ein seltsames Konzept. Was tun wir genau genommen, wenn wir einen Gutschein kaufen? Wir tauschen eine allgemeine Währung gegen eine andere, die nur, zum Beispiel, bei Hollister ausgegeben werden kann.
Wieso geben wir dem Beschenkten nicht einfach das Geld in bar? Weil das unüblich ist? Um sicherzugehen, dass der Betreffende nichts anderes damit kauft? Jemandem einen Gutschein zu geben, ist ein falsches gutes Gewissen: Es wirkt nur wie ein persönliches Geschenk.
Wir kaufen diese Gutscheine aus einem Grund: Sie verschaffen uns Ruhe. Der Geber hat nicht Stunden mit der Suche nach einem Geschenk verbracht, und der Beschenkte ist froh, dass er sich sein Geschenk selbst aussuchen kann, statt etwas umtauschen zu müssen. Finanziell gesehen ist es geradezu albern: Du gibst mir einen Gutschein für Douglas und ich gebe dir einen gleichwertigen für Amazon.
Es ist im Grunde also ein Nullsummenspiel, eine reine Zeitverschwendung.
GRATISTIPPS!
Tut euch zusammen, um jemandem als Geburtstagsgeschenk 100 Euro (oder wie viel auch immer) zu überreichen. Der Empfänger kann sich etwas Nützliches und relativ Teures kaufen, während sich reduziert, was jeder Einzelne beisteuern muss.
Überreicht essbare Geschenke – selbst gebackene Plätzchen, Chutney oder etwas Ähnliches – und legt das Rezept dazu. Das ist ein einzigartiges Geschenk mit einem stets geschätzten persönlichen Touch.
Der Raum zu Hause ist heiß begehrt. Ihn mit Gegenständen vollzustellen, macht freien Raum noch wertvoller. Wieso sich nicht unter Erwachsenen einigen, die Anzahl der Geschenke zu begrenzen? Also, wer möchte den Keine-Geschenke-Pakt unterzeichnen? Wer weiß, vielleicht magst du ihn sogar irgendwann. Denn ein weiteres Stehrumchen: Brauchst du das wirklich?