12. August
Wir wollten einen faulen Tag verbringen. Die Idee war, in einem der Western-Grillrestaurants von Safford essen zu gehen. Wovon wir in diesem Sommer reichlich haben, ist Zeit: intensive und emotionale Tage, aber auch Tage ohne jede Anstrengung.
Wir nahmen den Weg nach Willcox, und weil wir zum ersten Mal durch das Dorf fuhren, ohne einen ehrgeizigen Plan zu verfolgen, hielten wir im historischen Viertel: der Straße, die zum Bahnhof führt. Wir hatten in aller Frühe im Garten gefrühstückt – sobald die Sonne richtig aufgeht, kann man sich unmöglich an den Tisch vor der Hütte setzen, teils, weil sie einem den Kopf versengt, aber vor allem, weil es von aggressiven Insekten nur so wimmelt, die einem keine Sekunde Ruhe lassen. Es gibt Wespen von der Größe eines Teelöffels, Gottesanbeterinnen so dick wie Mäuse, Schwarze Witwen, ungefährliche, aber schreckenerregende Windskorpione, Ameisen, die so groß sind, dass man mit bloßem Auge ihre Rückenhaare erkennt. Sie setzen sich auf die Tischdecke und krabbeln mit der Selbstsicherheit von Kreaturen, die wissen, dass sie aus einem Nahkampf mit dem Menschen als Sieger hervorgehen, kreuz und quer über das Geschirr und das Essen.
Nachdem wir Tisch und Küche aufgeräumt hatten, spielten die Kinder Cowboy und Indianer. Die Kleinen lieben es, mit ihrem großen Bruder herumzutollen, der viel Geduld mit ihnen hat – auch wenn er schon wie ein Erwachsener lebt, ist er noch nah genug an der Kindheit, um sie ausgelassen mit Wasserpistolen und einem Cowboyhut auf dem Kopf zu verfolgen, während sie mit freiem Oberkörper, ihren Plastikpfeilen und -bögen und unter lautem Indianergeheul davonrennen. Sie waren so beschäftigt, dass wir sogar eine Weile lesen konnten. Als die Hitze auch auf der Veranda unerträglich wurde, füllten wir die Kühlbox und machten uns auf den Weg.
In Willcox sahen wir uns den historischen Bahnhof – nichts Besonderes – und ein paar Antiquitätengeschäfte an, die eher Ramschläden waren. Wir hielten am Chiricahua Museum der Historical Society von Willcox. Das Museum befindet sich in einem reizenden Häuschen, in dem es kein einziges bedeutendes Objekt zu sehen gibt. Der einzige Grund, warum sich der Besuch lohnte, war eine Sammlung von Fotos, auf denen auch eine Urenkelin von Häuptling Cochís zu sehen ist. Den Bildunterschriften zufolge war sie der letzte Mensch im Dorf, der die Chiricahua-Variante des Apache sprach. Sie gab dem Schauspieler Tommy Lee Jones Unterricht für einen Film, in dem er einen zum Indianer gewordenen Weißen spielt: The Missing.
Natürlich zeigt die Ausstellung mehr Fotos von Tommy Lee Jones als von ihr, und es gibt kein einziges Foto von ihr ohne ihn. Die letzte Vertreterin einer bestimmten Weltsicht ist im Verwaltungsbezirk, der den Namen ihres Urgroßvaters trägt, nur der Erinnerung würdig, weil sie einem Schauspieler beigebracht hat, bestimmte Wörter richtig auszusprechen. Wir haben es vermasselt.
Es sagt nichts Gutes über uns aus, wenn der Grabstein einer Sprache – umfassender Ausdruck des Menschseins – ein Hollywoodfilm ist, allerdings kann dank The Missing und weil darin ein relativ bekannter Schauspieler mitspielt, jeder hören, wie die idiomatische Variante der athapaskischen Sprachen klingt, die Gerónimo, Cochís oder Mangas Coloradas gesprochen haben. Wir haben diejenigen vernichtet, die das Apache der Chiricahua-Berge gesprochen haben, aber zumindest haben wir etwas davon konservieren können. Ganz seltsam ist das nicht. Western sind vieles zugleich, auch Felder voller Grabsteine in der Erde des amerikanischen Südwestens. Die idealisierte Erinnerung an einen äußerst vernachlässigten Gründungsmoment: oben Marmor und Rosen, unter der Erde eine Generation von Massenmördern und ihre verwesenden Opfer. Das war alles, Amerika.
Am tiefsten Punkt des luftigen Sattels des Apache Pass befindet sich ein Friedhof, auf dem seit dem neunzehnten Jahrhundert niemand mehr begraben wurde. Wie die Welt, in der er angelegt wurde, ist er ein Ort der Segregation. Er ist in zwei Gruppen von Gringos unterteilt, ich vermute, die einen weiß, die anderen schwarz. Und es gibt einen Bereich, wo die Mexikaner liegen. Sie sind ebenso zahlreich wie die Amerikaner, auch wenn sie in der offiziellen Geschichtsschreibung der Region nicht erwähnt werden. In der hintersten Ecke liegen die Apachen. Es sind nur drei – numerisch waren sie immer in der Unterzahl –, und bei allen dreien handelt es sich um Kinder. Eines von ihnen ist Mantito, einer von Gerónimos Söhnen. Er starb im Alter von zwei Jahren, im September 1885. Weil sie ganz hinten liegen, werden die drei Gräber von den majestätischen Chiricahua-Bergen eingerahmt, die sie gleichzeitig kleiner und größer erscheinen lassen. Und es sind die einzigen, die mit Blumen geschmückt sind. Natürlich aus Plastik, aber immerhin. Ich weiß nicht, ob die Sträuße dort liegen, weil es sich bei den drei Toten um Kinder handelt oder weil ihre Knochen die letzten Überreste echter Chiricahua sind. Irgendwer hat diese Blumen dorthin gelegt, macht sie sauber, wenn sie nach einem Unwetter mit Schlamm bespritzt sind, und tauscht sie gegen neue aus, wenn die Wüstensonne ihre Farben ausbleicht.
Mangas Coloradas besitzt kein Grab, doch seine sterblichen Reste ließen sich finden – seine enthauptete Leiche wurde im Massengrab von Fort McLane bestattet, wo er heimtückisch ermordet wurde, nachdem man ihn an Händen und Füßen gefesselt, gefoltert und mit glühenden Eisen verbrannt hatte, obwohl er bereits über siebzig war. Der Massenmörder Joseph Rodman West, Kommandant des Forts, in das Mangas Coloradas eingeladen worden war, schnitt dem toten Indianer das Haar ab, um es als Trophäe auf seinem Schreibtisch auszustellen. Anschließend ließ er den Kopf vom Leib trennen, um ihn abzukochen und den gewaltigen Schädel zu konservieren. Die Gebeine des Häuptlings zu finden wäre nicht schwierig. Sein Sohn Mangus und sein Enkel Naiche sind auf dem Indianerfriedhof des Militärstützpunkts von Lawton, Oklahoma, begraben; man müsste nur eine Genprobe entnehmen, sie mit den Knochen im Massengrab von Fort McLean abgleichen, wo die Reste von Mangas’ geköpfter Leiche gelandet sind, und diese dann ins Tal des Gila überführen, damit er dort den Frieden findet, der ihm zu Lebzeiten nie vergönnt war.
Das Grab von Cochís kann nicht geschändet werden. Er war der einzige Chiricahua-Häuptling, der nie eine Niederlage erlitt oder sich ergab, der seine eigenen Friedensbedingungen stellte und starb, wie Menschen sterben, die nie eine Schlacht verloren haben: im Kreis der eigenen Leute und ohne ein einziges Foto zu hinterlassen, das wir mithilfe unserer mechanischen Reproduktionssysteme entweihen könnten.
Cochís’ vergeblicher Widerstand hatte etwas an sich, das selbst die abgebrühtesten Despoten einschüchterte. Er kämpfte, bis er fünfundsechzig war und als vielleicht erfolgreichster Anführer der amerikanischen Ureinwohner aller Zeiten in die Geschichte einging. Im Herbst 1872 handelte er einen für sich und sein Volk so vorteilhaften Friedensvertrag aus, dass dieser fast einer Kapitulation der amerikanischen Streitkräfte gleichkam. General Oliver Otis Howard, bevollmächtigter Vertreter des Innenministers der Washingtoner Regierung in Arizona, erlaubte Cochís, ein Reservat zu gründen, wo immer er wollte – in den Chiricahua-Bergen natürlich –, das von Tom Jeffords, Cochís’ weißem Freund, verwaltet wurde und zu dem die amerikanische Armee keinen Zutritt hatte. Durch die Nähe zu Mexiko und weil das Reservat nicht vom Militär bewacht wurde, konnten Cochís’ Krieger weiterhin Farmen in Sonora überfallen, die gestohlenen Pferde und Rinder in Chihuahua verkaufen und unbehelligt nach Arizona zurückkehren, wohin die mexikanischen Truppen sich nur selten vorwagten, obwohl die beiden Länder ein Abkommen geschlossen hatten, das eine Verfolgung auch jenseits der Grenze erlaubte.
Viele Häuptlinge unterschiedlicher Indianerstämme schlossen ähnlich vorteilhafte Verträge wie Cochís, doch keiner von ihnen konnte sich so großen Respekt verschaffen, dass die Vereinigten Staaten ihre Besitzansprüche auf ihr Land aufgaben und sie in Frieden ließen. Die Vereinbarung mit Cochís wurde bis zum letzten Lebenstag des Häuptlings eingehalten, trotz des wachsenden Drucks der lokalen Befehlshaber, der aufstrebenden politischen Klasse in den Gringo-Dörfern, die in der Apachería aus dem Boden sprossen, und der Presse in Tucson. Die einzige mögliche Erklärung für diesen historisch einmaligen Umstand ist, dass Cochís der meistgefürchtete Indianer seiner Zeit war. Die Regierung in Washington war bereit, ihm jeden Wunsch zu erfüllen, vorausgesetzt, er hörte endlich auf zu kämpfen. Und auch Cochís hat seinen Teil der Vereinbarung voll und ganz eingehalten – zum ersten Mal in seinem Leben: Er verübte nie wieder einen Überfall auf amerikanischem Boden.
Den Ereignissen seiner letzten Jahre haftet etwas Seltsames an. Cochís hatte sein Leben lang gekämpft, er muss die ständige Gewalt sattgehabt haben; er wusste, dass seine Leute nicht ewig Krieg führen konnten, schon rein rechnerisch betrachtet, und ihm war klar, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb: Er litt an einem langsamen, gefräßigen Magenkrebs, der es ihm seit Jahren erschwerte, den Kriegspfad zu beschreiten.
Am 7. Juli 1874 sahen Cochís und Tom Jeffords sich zum letzten Mal. Zu dem Zeitpunkt waren die beiden ein Jahrzehnt lang die unerbittlichsten Feinde auf dem Schlachtfeld und die engsten Freunde in der Arena der Konversation gewesen. Abgesehen davon waren sie während der zwei letzten Lebensjahre des Häuptlings erfolgreiche Geschäftspartner: Was Cochís’ Männer nicht in Chihuahua verkauften, tauschten sie über die Agentur des Reservats, die von Jeffords geleitet wurde, mit den Händlern aus New Mexico. Sie beide vereinte also nicht nur eine Hassliebe – jeder weiß, dass man nach dem Ende einer Beziehung sowohl die hellen als auch die dunklen Stunden vermisst –, sondern auch das unzertrennbare Band der Komplizenschaft bei korrupten Geschäften.
Jeffords, der 1914 starb, erzählte in einem Interview von dieser letzten Begegnung mit Cochís. Der legendäre Körper des Häuptlings war zu dieser Zeit schon so kraftlos – zum Teil wegen der Krankheit, die ihn von innen zerstörte, zum Teil wegen des Mezcals, den er pausenlos trank, um den Krebs zu vergessen –, dass beide wussten, dass es nicht mehr lange dauern konnte. Glaubst du, wir sehen uns im Jenseits wieder?, fragte Cochís Jeffords. Der Regierungsvertreter, der als Zeuge und Teilnehmer des Apachenkrieges sämtliche Niederträchtigkeiten der Welt gesehen und begangen hatte, kann nicht an Gott geglaubt haben und wird den Tod höchstens deshalb als Erlösung verstanden haben, weil er endgültig war. Er antwortete, er wisse es nicht, bezweifle es aber sehr. Cochís, dessen berühmter strenger Gesichtsausdruck stets unverändert blieb, lächelte ein wenig, vielleicht weil er die Stunden, die ihm blieben, bereits an den Fingern einer Hand abzählen konnte. Ich glaube, wir sehen uns wieder, sagte er, gute Freunde sehen sich immer wieder.
Cochís starb noch in derselben Nacht, am frühen Morgen des 8. Juni 1874. Es muss eine Legende sein, aber es heißt, das Geheul seiner Leute sei noch in Fort Bowie zu hören und nie furchterregender gewesen.
Cochís war eine Kampfmaschine. Der Krieger, der in der Pubertät gegen das größte Reich seiner Zeit und im reiferen Alter gegen zwei der bevölkerungsreichsten, wohlhabendsten und mächtigsten Nationen Amerikas gekämpft hatte, hatte den Frieden gerade einmal zwei Jahre vor seinem Tod kennengelernt. Er war ein Mann des Blutes und des Widerstands, der personifizierte Wunsch nach Zerstörung, eine Waffe, eine Kraft in Bewegung, das stolze Symbol all dessen, was zu nichts führt und sich nicht bändigen lässt.
Häuptling Victorio, kein Chiricahua, sondern Mimbreño, aber genauso mörderisch und rachsüchtig wie Cochís, starb durch den gezielten Halsschuss des Rarámuri Mauricio Corredor. Mangas Coloradas starb auf Knien, an Händen und Füßen gefesselt. Gerónimo als alter Mann, in einem Internierungslager zum Kriegsgefangenen erniedrigt. Cochís gönnte seinen Feinden nicht das Privileg, den Moment seines Todes zu erleben.
Am 9. Juni 1875, nachdem sie einen Tag und eine Nacht Totenwache gehalten hatten, bahrten die Chiricahua die Leiche des Häuptlings für seine letzte Reise auf, als würde auch diese keine friedliche werden. Sie streiften ihm das Hemd ab, legten ihm das Kriegsstirnband an, bemalten sein Gesicht mit Blütenstaub und legten ihn, in Gamslederhose und Mokassins, quer über sein Pferd. Sie zogen ihm den vollen Patronengurt an und steckten die beiden mexikanischen Revolver mit den silbernen Griffen hinein, sodass er weiterschießen konnte, während er in Deckung vor feindlichen Kugeln seitlich im Sattel hing. Sie wickelten ihn in die prächtige Decke aus Neuengland ein, die General Harold ihm zwei Jahre zuvor geschenkt hatte, als sie den Frieden vereinbarten, der den Krieger letztlich umbringen sollte. Sie machten sich auf den Weg zu ihren Gipfeln und Schluchten der Sierra. Sein Hund lief hinter ihm her, als würde sein Herrchen noch leben.
Niemals wieder erwähnte ein Apache diesen Tag. Die Ereignisse dieses Tages sind nur schwer zu rekonstruieren, da die Chiricahua – bis zu der in Oklahoma aufgewachsenen, schon etwas amerikanisierten Generation – den Tod mit so vielen Tabus belegt hatten, dass sie nicht einmal den Namen der Verstorbenen nennen durften. Tom Jeffords war dabei gewesen und hat die Geschichte irgendwann erzählt. Der gesamte Clan und der Agent ritten zu dem Ort, der einmal das Machtzentrum des Kriegers gewesen sein musste. An diesem Ort, den nie jemand preisgab, wurde Cochís’ Leiche mitsamt den Beigaben in eine Schlucht geworfen; sein Pferd und sein Hund wurden geopfert und in denselben Abgrund gestoßen, damit sie ihn auf seinem Weg ins Jenseits begleiteten. Seine Leiche wurde nie gefunden.
Ich erzählte diese Geschichte am Abend den Kindern, während wir draußen vor dem Haus in den Peñascosas ein leichtes, hauptsächlich vegetarisches Essen zubereiteten. In dem Grillrestaurant in Safford hatten wir mittags ein halbes Rind gegessen. Safford, wo im Gegensatz zu Bowie keine Mexikaner leben, wirkte etwas moderner und reicher. In Arizona sind die öffentlichen Mittel so ungerecht verteilt wie das Wasser – sie sind nur für einige wenige da, und zwar Weiße. Die zwei Kleinen und ihr Bruder willigten ein, am nächsten Tag, unserem vorletzten in der Apachería, früh aufzustehen, um dem größten aller Apachenhäuptlinge auf diesem riesigen Friedhof zu gedenken, auf dem das Volk der Chiricahua begraben ist. Wir müssen diese Berge sehen, vielleicht haben wir die ganze Reise nur aus diesem Grund gemacht.