8. August

Western sind die Legende, die sich die Gringos erzählen, um mit bürokratischer Vernunft die Exzesse des individuellen Willens zu begrenzen, das effizienteste Mittel, das diese Kultur der systematischen Produktivität gefunden hat, um ihre Überzeugungen in einem Land zu verbreiten, dessen anderer Gründungsmythos der Respekt vor der individuellen Freiheit ist.

Die meisten klassischen Western aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren haben mehr oder weniger immer dasselbe Handlungsschema: Grundlegende Prinzipien werden durchgesetzt, um eine Gemeinschaft von Barbaren dem wirtschaftlichen Fortschritt zu unterwerfen. Manchmal, wie in El Dorado, wird ein Dorf von Banditen heimgesucht, bis der Held kommt und sie erschießt, um anschließend der Gewalt zu entsagen und seine Zelte in den Bergen aufzuschlagen. Manchmal, wie in Erbarmungslos, ist es der Vertreter von Gesetz und Ordnung selbst, der wie ein Despot handelt und geopfert werden muss, damit die Geschichte erzählt werden kann: damit die Schrift sich unter den Barbaren verbreitet – im protestantischen Denken ist die Schrift das Pflaster auf dem Weg zur Zivilisation.

Natürlich ist da immer auch ein Rest nostalgischer Sehnsucht nach der alten Welt: In Mackenna’s Gold wagt eine Gruppe entflohener Verbrecher – Apachen, Mexikaner und ein Sheriff, der zwar kein Bösewicht ist, aber eindeutig eine laxe Moral besitzt (so lax, dass er, welch Horror, der Geliebte einer Indianerin war) – einen letzten Versuch, sich zu bereichern, ohne die puritanischen Gebote von Fleiß und Sparsamkeit zu befolgen, und wird dafür bestraft. In John Fords Der Mann, der Liberty Valance erschoss, einem der besten Filme des Genres, die je gemacht wurden, kehrt ein Senator in das Dorf zurück, in dem seine politische Karriere begann, und erzählt die fast mythische Geschichte davon, wie er, nur mit seinen Gesetzbüchern bewaffnet – und, nicht zu vergessen, mithilfe seines Freundes John Wayne und dessen rauchendem Colt –, eine ganze Region des amerikanischen Südwestens in die Zyklen von Demokratie und Produktivität integriert.

Es ist bezeichnend, dass in den Spaghettiwestern, die von Italienern erfunden, geschrieben, produziert und gedreht wurden – mit ein paar amerikanischen Schauspielern, damit nicht alle Cowboys seltsames Englisch sprechen –, diese Formel nicht aufgeht. In einem von einem nichtamerikanischen Geist erdachten Western geschieht, was in Wirklichkeit immer geschieht: Es herrscht Chaos, die Bösen gewinnen, alles bleibt, wie es ist, oder wendet sich zum Schlechteren. Ein Italowestern ist das Negativ der ursprünglichen Filme des Genres: Alle Werte werden auf den Kopf gestellt. Deshalb bilden die Italowestern auch einen Eckpfeiler in der Mythologie der Coolness: Cool ist, was nicht dazugehört, das Fremde, das, was sich selbst genug ist. Ein italienischer Cowboyfilm ist eine Hymne auf das Scheitern jeder zivilisatorischen Anstrengung und Sergio Leone ein wahrer Existenzialist. Die ursprünglichen Western funktionieren genau andersherum: Sie behaupten, die amerikanische Seele sei nicht tragisch, sondern optimistisch und liberal, und Fortschritt nicht nur möglich, sondern unausweichlich, wenn man sich nur dahinterklemmt – oder die Augen schließt und fest daran glaubt.

Im Grunde erzählen Western von der Eroberung der Leere. In den Cowboyfilmen wird, was vorher ein strukturloses Nichts war – Natur, Banditenunwesen, Gewalt –, durch die ritualisierte Durchsetzung des geschriebenen Wortes, des Gesetzes, geheiligt, damit der Fortschritt an diesem Ort des Fremden Einzug hält.

Was nicht erwähnt wird – und das erklärt vieles im Hinblick auf das Verhältnis zwischen den USA und Lateinamerika –, ist die Tatsache, dass dieses wilde Nichts, das die Anwälte mit Hut und Stiefeln für sich reklamieren, sehr wohl etwas war: Mexiko. Die Western erzählen davon, wie sich Demokratie und Fleiß den Raum des Mexikanischen einverleibten, den man nicht durch einen Eroberungsfeldzug, sondern durch die Unterzeichnung eines Vertrages gewonnen hatte. Zuerst war da nichts, dann eine wilde Mischung – Mexikaner, Indianer, gesetzlose Weiße – und zuletzt die demokratische und produktive Ordnung.

Die Western sind die letzte Erzählung in der Anthologie von der Eroberung Amerikas. Sie bürgen dafür, dass die Gringos aus Europa und nicht aus Amerika stammen.