»Ich spring schnell raus!«, rief ich, die Hand schon am Türgriff. »Nein!«, schrie unsere Tochter auf der Rückbank, die wusste, dass es ein Sprung ins Ungewisse sein würde. So wie jedes Mal. Ungewiss ist dabei nicht, ob ich den Bäcker oder den Fleischer erreiche, sondern wie lange es dauert, bis ich wieder zusteigen kann. Denn eines steht fest: Niemals wird ein Wohnmobil halten können vor einem Laden.
Im Springen hörte ich noch Wortfetzen, dann raste mein Mann davon, erst zweimal um die Verkehrsinsel, dann wechselte er gasgebend von der inneren Spur des Kreisverkehrs in die äußere, um pfeilschnell abzubiegen, zurück auf die lange, lange Straße, aus der wir gekommen waren.
Bekümmert schaute ich ihm hinterher, erinnerte ich mich doch, dass die Straße rechts und links von Meer gesäumt war, ohne Wendemöglichkeit. Ich meinte, seine Wut in der Beschleunigung zu hören. Aber gut, ich hatte Lust auf Pastete. Oder diese Blätterteig-Teilchen mit Champignoncremefüllung. Was nur waren seine letzten Worte gewesen, bevor er verschwand? War es ein Fluch gewesen, eine Anweisung, ein Abschied? Auf jeden Fall würde ich mir die Blätterteig-Teilchen später knusprig in unserem Ofen aufbacken, nahm ich mir vor.
Habe ich schon erzählt, dass mein Mann, bevor er mein Mann wurde, bei unserem ersten richtigen Date wahnsinnig gute belegte Brote mitgebracht hatte zu einem Picknick im Park? Nicht nur, aber auch deshalb, kam es zu einem zweiten Date und in der Folge zu einer Familie, in der alle gerne essen, und in letzter Konsequenz auch zur Kaufentscheidung eines Backofens im Wohnmobil.
Mir kam das anfangs etwas affig vor, aber mein Mann hatte auf den Ofen bestanden – zum Glück. Ich weiß noch, wie mir auf einer Sonnenliege in Dänemark plötzlich der Duft von Schokoladenkuchen in die Nase stieg, und es gibt Fotos, die ich nicht veröffentlichen möchte, auf denen mein Mann mit nacktem Oberkörper neben einer Kuchenform posiert. Madonnenhaft lächelnd, den muskulösen Arm auf die Arbeitsplatte unserer Wohnmobilküche gestützt.
Es war ein Sommer, in dem die Hitze die Startbahnen von Flughäfen zum Bersten brachte, als wir plötzlich anfingen, im Urlaub zu backen. Was wir zu Hause nie tun. Aber der fahrende Ofen war fabrikneu, und nie wieder hat ein Kuchen so gut geschmeckt wie jener in Dänemark, lauwarm und süß, mit zerlaufener Sahne und einer Brise vom Meer.
Überhaupt ist im Logbuch auffällig oft von Nahrungsmitteln die Rede. »Spargel im Camper gegen 23 Uhr, auf den Punkt gekocht«, heißt es zum Beispiel. Oder: »Gute Aussicht. Super Mettwurst!«
Und neulich hörte ich mich diesen Satz zu meinem Mann sagen: »Einer der schönsten Momente beim Campen ist, wenn du mit der Bratpfanne rauskommst.« Dabei zeugen unsere Mahlzeiten nicht nur vom Herzblut des Kochs, sondern auch von seiner Selbstlosigkeit. Oder wie meine Tochter es formuliert, wenn die Reste des Schinken-Käse-Omeletts zwischen uns dreien aufgeteilt werden: »Papa nichts!«
Als wir kürzlich davon sprachen, dass wir es zu Hause vielleicht mal mit Askese probieren sollten, rief unsere Tochter begeistert: »Auch Käse!«
Der weise Walter, mein Fahrlehrer beim Sicherheitstraining für Wohnmobile, hatte also wieder einmal recht gehabt. Noch bevor er zum Theorieteil kam, hatte er damals in die Runde im Seminarraum gefragt: »Was ist das Wichtigste für Camper?« Schweigen. »Das Essen.« Und hatte den Speiseplan fürs Mittagessen vorgetragen. Dazu den Satz: »Wir fahren doch alle immer mit vollem Kühlschrank los. Als gäb’s woanders nichts.«
Natürlich gibt es das, aber es ist eine Frage der Beschaffung. Zu Hause träume ich von Lädchen mit hängenden Salamis und Theken mit herrlichen Torteletts, sehe die Gassen vor mir, durch die ich schlendern werde. In Wahrheit habe ich schon viele Urlaubsstunden auf fußballfeldgroßen Parkplätzen von Super- oder gar Hypermarchés verbracht, zusammen mit unserer Tochter, schweißüberströmt wegen der Hitze und der Angst. Angst, jemand könnte uns, das Monster unter den Fahrzeugen, rammen. Das ist natürlich undankbar. Das Parken selbst ist ja schon Gnade genug.
Die Angst des Campers vor dem Hunger betrifft übrigens auch Menschen, die mit großem Zelt unterwegs sind, zumindest in Frankreich. Ich weiß noch, wie wir auf einem französischen Campingplatz standen und immer neue Autos vorfuhren, vollgeladen mit fünf, acht Koffern, und wir über die Menge der mitgeführten Kühlschränke staunten. Der größte, ein Freisteher mit unglaublichem Gesamtvolumen, wurde in einem eigenen Anhänger gebracht. Man kann das naturfern finden, aber ich habe großes Verständnis dafür, um nicht zu sagen: Wohlwollen. Wer mit seinem Kühlschrank Urlaub macht, kann kein schlechter Mensch sein.
Und so bekam ich fast ein wenig Mitleid, als ich auf einem Campingplatz mal ein trauriges Küchengerät traf. Einsam stand es auf einem großen Stellplatz in der Ecke. War es zurückgelassen, gar zurückgestoßen worden? Später lernte ich, dass man in Frankreich oft Kühlschränke mieten kann auf Campingplätzen. Das tröstete mich. Das Gerät wartete einfach auf neue Esser.
Für Wohnmobilfahrer ist die geschickteste Lösung, gleich bei der Nahrungsquelle, ob flüssig oder fest, zu übernachten. Wohnmobiltouren von Weingut zu Weingut oder von Brauerei zu Brauerei haben einen festen Ablauf: einparken, einschenken, einschlafen. Und am besten steht man auf einem Bauernhof, der vieles miteinander vereint, so wie unserer in Italien. Eine wunderbare Entdeckung, die sich erst spät als solche entpuppte.
Während wir durch die liebliche Landschaft des Piemont kurvten, war uns plötzlich ein widerlicher Gestank in die Nase gestiegen. »Das ist Schweinepisse«, sagte mein Mann, und wir hofften, dass nicht ausgerechnet hier unsere Azienda lag. Tat sie aber. Noch während ich mich mit den anderen Campern über das Zusammenspiel von Windrichtung und Stellplatz unterhielt und dabei höflich vom »Bauernhofgeruch« sprach, schoben sich die Bauernhoftiere in unser Bewusstsein, also die Fliegen.
Noch nie, wirklich noch nie, haben wir so viele Fliegen pro Quadratmeter in unserem Wohnmobil beherbergt wie auf diesem Hof. Sieben zählte ich allein über meinem Bett, vorne müssen es um die 20 gewesen sein.
Doch schon als ich von der Weinprobe am Fuße der riesigen Holzfässer zurückkehrte (fünf Rote), waren mir die Fliegen gleichgültig geworden, und als wir die Stufen zur Terrasse emporstiegen und uns plötzlich hoch über den Weinbergen wiederfanden, waren sie vergessen. Unser Sechs-Gänge-Menü, das mit Vitello tonnato bei sinkender Sonne begann und mit Tiramisu unterm Sternenhimmel endete, war die vielleicht beste Mahlzeit meines Lebens, zumindest die längste. Und als der italienische Kellner bunte Luftballonschlangen an alle Gästekinder verteilte und diese jauchzend einen Ballon-Schwertkampf zwischen den Tischen fochten, als unsere Mini-Camperin mit einer anderen Mini-Camperin tanzte und Übernachtungsparty unter der Tischdecke spielte, da spürten es, glaube ich, alle, die auf der kleinen Terrasse saßen: Dieser Abend war ein Geschenk.
Als wir am nächsten Morgen abfuhren, hatten wir frische Tomaten, ein selbstgebackenes Brot und eine Artischockencreme im Gepäck. Die Creme, hieß es, könne man gut beim Grillen verwenden, das taten wir auch, allerdings erst viele Kilometer weiter am Meer. So ist das beim Bauernhof-Camping: Die Bordverpflegung für den nächsten Stopp ist immer gesichert, und das Wort Nahrungskette bekommt eine ganz neue Bedeutung.
Den Traum, mal eben neben einer Boulangerie oder einer Pasticceria am Straßenrand zu halten, habe ich trotzdem noch nicht aufgegeben. Und manchmal, da kann ich einfach nicht anders, als zu springen, den Blätterteig-Teilchen entgegen – und der Champignoncreme.
Als ich an jenem Tag in Frankreich, beladen mit kleinen Schächtelchen, gefüllt mit Pastetchen, wieder aus der Bäckerei trat, war von unserem Wohnmobil keine Spur. Vielleicht, überlegte ich, hatte mein Mann einen anderen Treffpunkt zum Fenster herausgerufen. Oder eine Uhrzeit.
Noch während meine Gedanken um den Inhalt der Schächtelchen kreisten, raste ein Wohnmobil heran. Die Schächtelchen an meine Brust gedrückt, begann ich zu laufen, um kurz vor dem Kreisel aufzuspringen. So schnell ist er doch sonst nie, dachte ich noch. Doch das Wohnmobil vor meiner Nase, eben noch im Bremsvorgang, beschleunigte schon wieder. Da fiel mir auf: Es war gar nicht mein Mann.
Kennen Sie diese verrückten Gedanken, die einem manchmal kommen? Wie wäre mein Leben weitergegangen, wenn ich am Kreisel in das fremde Wohnmobil gestiegen wäre? Welche Ausfahrt hätte das neue Wohnmobil wohl genommen?
Das ist natürlich nur ein Irrlichtern im Gehirn. Ich bin sehr glücklich mit unserem Wohnmobil – und seinen Insassen. Außerdem reist man nirgends mit solch angenehmem Völlegefühl wie bei uns.
Erst viel später erfuhr ich, wie die Worte meines Mannes lauteten, die der Fahrtwind davongetragen hatte: »Bring noch ein Eclair mit!«