Wir waren aufgebrochen mit einer Mischung aus Besitzerstolz und Freiheitsdrang, etwas, das ja selten im Leben zusammengeht. Vielleicht aber in unserem neuen Wohnmobil, dachten wir, unserem geliebten Monster. Wir rollten Richtung Frankreich – beschwingt in die Ferien, mit maximal 4,2 Tonnen.
»Woher weißt du eigentlich, dass man grüßt?«, fragte ich meinen Mann unvermittelt, als er auf der Landstraße wieder die Hand hob. Seine Lässigkeit wirkte sogar einigermaßen natürlich. »Vielleicht nötigst du einfach den anderen«, sagte ich. Er schien ein bisschen verunsichert, bestand aber darauf, dass er keinesfalls immer der Erstgrüßer unter den Wohnmobilfahrern sei, dass er das auch nicht gelesen habe, sondern dass das einfach klar sei, wobei er selbst wiederum keine Kastenwagenfahrer grüße.
Ich prüfte seine Behauptung auf den nächsten 20 Kilometern, beobachtete, wie er das Zucken in der Rechten unterdrückte. Als das nächste Wohnmobil auf der Gegenspur grußlos vorüberzog, triumphierte ich laut ausatmend, und er zischte: »Hund!«
Es gibt ja, das merkt man schnell, die Reisenden und die Steher. Die Steher sind so etwas wie Dauercamper, aber mit Motor. Ausgeschaltetem Motor. Ich habe unsere Touren immer als stete Fortentwicklung begriffen, weg vom Stehen, hin zum Reisen, vor allem aber fort von den anderen mobilen Besitzern. Campingplätze sind gut zum Üben, für unsere Tochter sogar das Größte, aber natürlich wollte ich bei unserer zweiten Tour der Wildnis näherkommen: Normandie, Bretagne. Im Rückblick muss ich sagen: Es sind gerade diese frühen Erfahrungen, die prägen.
Als ich nach Hunderten Kilometern auf einem französischen Stellplatz festsaß, eingeklemmt zwischen anderen Wohnmobilen, als mein Blick die spektakuläre Steilküste suchte und rechts und links nur lackierte Steilwände fand – die Monster der anderen –, wurde mir klar: Die Weite, nach der sich der Camper sehnt, beginnt erst hinter der Windschutzscheibe. Die Freiheit besteht darin, geradeaus zu gucken.
Und selbst die ist hart erkämpft. Denn dort, in der ersten Reihe mit Meerblick, steht immer schon Joe. Genauer gesagt: Er wird in allernächster Zeit dort stehen, er wird gleich eintreffen oder sofort dorthin zurückkehren – das sagen zumindest seine Freunde. Die fahren nämlich seit 30 Jahren an diesen einen Stellplatz mit Blick auf die Klippen und sichern die besten Plätze für Joe und die anderen, indem sie einen Klappstuhl XXL, wetterfest und mit Getränkehalter, auf jenen Platz stellen, den Joe gleich einnehmen wird. Dann, wenn er zurück ist vom Einkaufen für die anderen.
Wir regten uns auf und machten mit. Wir bereiteten uns am Vorabend darauf vor, am kommenden Tag das Abenteuer der Ungebundenheit zu erleben und gezielt in die einzige Lücke zu stoßen, die sich zwischen neun und zehn Uhr morgens auftut, wenn ein anderer fährt – einer von denen, der keine Freunde hat.
Wir reihten uns also ein, bezogen unser eigenes Fleckchen Wildnis vor der Schnauze des Monsters, und tatsächlich, wenn man dann erst einmal sitzt, mit kaltem Cidre in der Abendsonne, und die Segelschiffe an einem vorüberziehen, dann vergisst man viel, auch die hochgelegten, bestrumpften Füße des Klappstuhlnachbarn.
Und wenn man lange genug gesessen und getrunken hat, ist man so weit, das eigene Fußteil aus der Heckgarage zu holen, und spürt plötzlich die Leichtigkeit, die sich einstellt, wenn man alle Selbstbilder über Bord wirft. Vielleicht ist es doch nicht so schlimm, nicht mehr mit dem Rucksack, sondern mit dem Handstaubsauger unterwegs zu sein? Jetzt, wo man nicht mehr gegen indische Affen kämpft, sondern gegen Krümel, großflächig verteilt um den Kindersitz. Und was bringt einem die Hängematte, wenn auf dem Parkplatz der Baum dazu fehlt?
Doch auch diese Leichtigkeit muss man sich erst verdienen. Beim Campen gilt: Vorbereitung ist die Bedingung für Spontaneität. Wir haben uns zum Beispiel ein 25 Meter langes Stromkabel angeschafft und dazu noch ein zweites, kürzeres. Das mache uns frei in der Stellplatzwahl, und im Notfall könnten wir sogar koppeln, hatte mir mein Mann glücklich erzählt. Wasserdicht koppeln, mit einem kleinen Döschen. Darüber hatte er sich am meisten gefreut.
Ich wusste ja, dass ich einen Camper geheiratet hatte, aber die fast kindliche Freude an – sagen wir – Gasflaschenfüllstandsmessern rührte mich noch immer. Dabei hatte ich selbst unterschätzt, was es bedeutet, das Monster zu bewirtschaften. Autarkie endet dann, wenn die Entsorgung drängt, lernte ich, und Entsorgung heißt zum Beispiel: Grauwasser ablassen. Aber es heißt noch viel mehr.
Nie werde ich mein erstes Mal auf dem Campingplatz vergessen. Es war verstörend, all diese Menschen zu sehen, die einen rollenden anthrazitfarbenen Kasten hinter sich herzogen. Im Grunde wie am Flughafen, nur bekam ich diese Bilder einfach nicht übereinander. Früher hektische Blicke, welches Gate, Halle A oder B, Shanghai, Havanna, kurz vor dem Boarden zu sein – das war mein Lebensgefühl.
Aber die Männer auf dem Campingplatz zogen keine Rollkoffer hinter sich her, sondern ihre Chemietoilette. Sie waren auch nicht hektisch, sondern wollten reden, zum Beispiel über das Fischrestaurant im Dorf, und sie schienen sogar zu vergessen, dass sie eigentlich etwas vorhatten mit ihrer Chemietoilette. Dass sie dort nicht allein standen, sondern zusammen mit ihrer Chemietoilette.
Ich hoffe immer nur, dass ich meinen eigenen Mann nie so sehen werde. Ich weiß nicht, was das mit mir machen würde. Was hat es mit der Frau des Rentners gemacht, drei Parzellen neben uns, dass ihr Ehemann immer sagte: »Einer trage des anderen Last.« Oder: »Die Geschäfte laufen!« Und zwar jeden Morgen. Zu jedem, der an ihm vorbeiging.
Niemals möchte ich demjenigen in die Augen sehen, der nach dem Frühstück zu seinem Nachbarn an der Entsorgungsstation sagte: »Wir haben den gleichen Rhythmus, was?«
Eingebrannt hat sich mir die Warnung jenes Fachmanns, der uns seinerzeit in die Technik unseres neuen Wohnmobils einwies. Man müsse das Kassettenfach immer abschließen, hatte er gesagt. Es gäbe Camper, die fremde Chemietoiletten entwendeten, um Zeit zu gewinnen. Eine Ersatzkassette verspreche mehr Tage Ruhe.
Es war mir lange unbegreiflich, was Menschen dazu bringt, anderen die Toilette zu stehlen. Aber seitdem ich gesehen habe, mit welcher Genugtuung Joes Freunde immer an die Wassersäule flitzten, um das bereits bezahlte Restwasser, das der Vorgänger beim Tanken nicht genutzt hatte, in ihre eigenen Gießkannen abzufüllen, weiß ich, dass Besitz nicht vor Geiz schützt. Und manche macht die Sehnsucht nach Freiheit anscheinend kriminell.
Aber es musste doch noch etwas anderes geben, hoffte ich, selbst im Monster sitzend. Oder war Joe etwa überall? Aufs Handy starrend hatte ich geglaubt, die Geheimplätze derjenigen zu entdecken, die so taten, als wüssten sie, wo man wirklich allein ist mit seinem Fahrzeug und seiner Lichterkette – dass sich mein Mann dieser Kette gleich zu Beginn verweigert hatte, ist übrigens etwas, wofür ich ihm nachträglich dankbar bin.
Ich las also von einem wunderbaren, einsamen Stellplatz auf der Halbinsel Cotentin, lotste meinen Mann auf die Autobahn gen Norden, wir fuhren und fuhren, bis ich – immer noch googelnd – darauf stieß, dass sich dieser Platz ganz in der Nähe der Wiederaufbereitungsanlage La Hague befand.
Nun ja, was soll ich sagen, ich las die Einträge zu radioaktivem Abwasser laut vor, ich dachte an das AKW direkt hinter Joes Klippe, das ich erst bei der Abreise entdeckt hatte, und an den Notfallplan, der im Schwimmbad des vorherigen Campingplatzes aushing, hübsch gelegen innerhalb der Zehn-Kilometer-Zone. Wir wendeten. Mein Mann fand, ich habe »Atomprobleme«. Die Urlaubslaune war am Abklingen.
Es war einer dieser Momente, in denen man nachdenklich wird. Es gibt ja immer zwei Arten, auf einen Trend zu reagieren. Wäre es vielleicht klüger gewesen, nicht Wohnmobil-, sondern Hallenbesitzer zu werden?
Ich bin überzeugt davon, dass der beste Anlagetipp im Moment Wohnmobilhalle heißt. Einfach eine alte Scheune aufmöbeln und warten, bis die Neubesitzer betteln kommen. Spätestens im Herbst wird ihr Ton flehend. Nur, ich hatte damals keine alte Scheune, ich hatte meinen Mann. Und jetzt habe ich das Monster.
PS: Sie haben nicht wirklich geglaubt, dass ich Ihnen meine Lieblingsplätze verrate, oder? Die romantischen, herrlichen, unvergesslichen? Ich bitte Sie. Wir kennen uns doch gar nicht. Aber wenn Sie Joe sehen, grüßen Sie ihn ganz herzlich von mir.