Kapitel 11
Ein Hoch auf Kanada

Es ging um alles oder nichts, als Lewis Hamilton zum sechsten Grand Prix einer aufregenden Formel-1-Saison in Kanada ankam. 14 Tage nach Monte Carlo und seiner Betroffenheit darüber, von McLaren an die Kandare genommen worden zu sein, als er darüber nachdachte, es mit Alonso aufzunehmen, musste der Junge, der in der Boxengasse „the Stevenage Rocket“ genannt wurde, entweder Farbe bekennen oder schweigen.

Obwohl sein sichtlicher Ärger darüber, dass er die zweite Geige spielen musste, wie bereits erwähnt, in eine FIA-Untersuchung zum Vorwurf der Stall­order mündete, führte dies auch zu einer Situation, in der von ihm jetzt nicht mehr erwartet wurde, dass er das Auto zu McLarens taktischem Vorteil steuerte. Das war der unerwartete Bonus von Monaco, der ihn aber andererseits in keine beneidenswerte Position brachte. Nun konnte es keine Ausreden mehr geben, wenn Alonso ihn schlug; sie saßen beide im selben Auto; jetzt gaben die jeweiligen Fahrerqualitäten den Ausschlag. Außerdem gab es Gerede aus dem Alonso-Lager, dass er vielleicht zu übermütig werde – was hatte er eigentlich getan, um eine Gleichstellung zu rechtfertigen? Wie viele Rennen hatte er gewonnen?

Aus einer anderen Ecke erhielt er einen weiteren Spitznamen: die Brautjungfer. Der ewige Zweite, niemals die Nummer eins. Am 10. Juni in Montreal und zum ersten Mal in seiner kurzen Formel-1-Karriere stand er jetzt wirklich unter Druck. Aber seine großartige und von nun an typische Reaktion war, am Donnerstag aufzutauchen, um sich „einzuschleifen“. Dort traf und begrüßte er sowohl Presse als auch Fans, als würde er einen Spaziergang durch den Park machen, und nicht mit todesmutigen Geschwindigkeiten von bis zu 203 Meilen pro Stunde in 70 strapaziösen Runden vor 105.000 Zuschauern auf einer Rennstrecke dahinrasen. Und am Ende stand er am Sonntagnachmittag wieder auf dem Podest; zum sechsten Mal in Folge, aber zum ersten Mal als Sieger! Die „Brautjungfer“ hatte schließlich den Altar erreicht. Für Lewis Hamilton, den genialen Rookie-Fahrer, war es das Ende eines langen harten Weges: Er war an diesem Tag ohne Frage die Nummer eins der Welt.

Der Circuit Gilles Villeneuve, benannt nach dem verstorbenen großen Ferrari-Star, ist eine Strecke, die die meisten Formel-1-Fahrer eher kaltlässt. Obwohl keine große Herausforderung, zählt sie aber zu den Lieblingsstrecken der Fans – eine Kombination aus langen Geraden und langsamen Passagen sorgt für schnelle, furiose und actiongeladene Rennen.

Bei seiner Ankunft in Montreal klangen Lewis die Ohren – sein Stil wurde weiter kritisiert. Aber während Eddie Jordan ihn vor Monaco kritisiert hatte, weil er nicht aggressiv genug sei, warf ihm ein anderer „Name“ aus der Vergangenheit – der ehemalige Weltmeister Jacques Villeneuve – jetzt vor, er sei … viel zu aggressiv! Das zeigte nur, wie uneinig sich die Experten waren.

Lewis Hamilton wurde zum großen Geschäft. Allein die Verbindung mit seinem Namen könnte viele Vorteile bringen. Jordan sprach über Lewis bei der Veröffentlichung seiner Autobiografie, was ihm in den Zeitungskolumnen der darauffolgenden Tage enorme Publicity bescherte.

Zu Beginn seines „Heimat-Grand-Prix“ sah man den Kanadier Villeneuve bei einem seiner – seit dem Rücktritt als Formel-1-Fahrer am Ende der Saison 2006 – selten gewordenen Auftritte in der Öffentlichkeit. Villeneuve warf Lewis vor, beim Start der Rennen zu aggressiv zu fahren, was in an Michael Schumacher erinnere, der oft wegen „unsauberen Fahrens“ angegriffen wurde. „Wann hört er auf Zick-Zack zu fahren?“, fragte er, „Lewis wird nicht bestraft, und sein Verhalten nach dem Start hat begonnen, dem zu ähneln, was Michael früher veranstaltet hat.“ Der Kanadier sagte, er sei überrascht, dass die Rennaufsicht bei Lewis nicht die schwarze Flagge geschwenkt und ihn zum Zweck einer möglichen Disqualifikation wegen gefährlicher Fahrweise in die Box beordert habe. „Bisher hatte er Glück, wir werden sehen, ob es anhält“, sagte Villeneuve, der 1997 den Titel für Williams-Renault gewonnen hatte. „Er macht Dinge, für die einige der anderen Fahrer doch die schwarze Flagge gesehen hätten.“

Er stellte auch infrage, dass Lewis in derselben Liga spiele wie Alonso, der im Vorjahr in Montreal gewonnen hatte, und dass er dem Druck standhalten werde: „Lewis ist sehr schnell, aber er muss sich noch der Herausforderung stellen und Alonso schlagen. Und wir haben noch nicht gesehen, wie er unter Druck reagiert – das wird interessant sein zu beobachten.“

Lewis reagierte auf diese Spitzen auf die bestmögliche Art und Weise: indem er Alonso im Rennen am Sonntag besiegte und damit gleichzeitig unzweifelhaft unter Beweis stellte, dass er selbst dem stärksten Druck gewachsen ist.

Im ersten Training am Freitag war er zwei Zehntelsekunden langsamer als Alonso, aber es war das erste Mal, dass er die Strecke von Montreal gesehen, geschweige denn in einem Formel-1-Auto darauf gefahren war. Am Ende der zweiten Einheit am Nachmittag fragten sich einige, ob er mit der Hitze zu kämpfen hatte oder mit dem Druck, der mehr und mehr auf ihm lastete. Er wurde Dritter hinter Alonso und Massa und unterlag einigen Fehleinschätzungen, als er über die Strecke brauste.

Wurde ihm alles zu viel? Auf keinen Fall! Er wirkte cool und gefasst, als er über die Arbeit des Tages sprach und erklärte, dass ihm genauso daran gelegen sei, sich mit der Strecke vertraut zu machen wie neue Rekorde aufzustellen: „Heute hatte ich zum ersten Mal die Gelegenheit, hier zu fahren, und es hat mir wirklich Spaß gemacht. Wir haben in Großbritannien viel mit unserem Simulationsprogramm gearbeitet, und ich habe auch einige der vergangenen Rennen angesehen, aber die Realität ist nicht zu toppen. Wir haben am Set-up, der Reifenauswahl und auch an den Bremsen gearbeitet, da diese Strecke die Bremsen stark beansprucht. Es gab keine Probleme, und es sieht so aus, als ob wir in guter Verfassung sind.“

Tatsächlich, das war er … Am Ende des ersten Qualifyings am Samstag war Lewis der Schnellste und ging, von beschwingtem Selbstvertrauen getrieben, ins zweite Training. Am Morgen lag er vier Zehntelsekunden vor Kimi Räikkönens Ferrari, Alonso wurde Dritter und Massa Vierter. Das war eine gute Vorbereitung auf das letzte Gerangel um die Pole Position in den Qualifyings am Nachmittag. Er enttäuschte nicht und holte sich mit einer guten Fahrleistung die erste Pole seiner Formel-1-Karriere. Er fuhr die schnellste Zeit mit 1:15,707, und McLaren-Teamkollege Alonso konnte diese in seiner letzten Runde nicht mehr schlagen und landete bei 1:16,163, Nick Heidfeld wurde mit 1:16,266 Dritter im BMW. Der Spanier lag davor in Führung, verlor aber im letzten Abschnitt sechs Zehntelsekunden.

Danach sagte Lewis: „Ich fühle mich fantastisch; ich habe mich noch nie so gut gefühlt. Ich musste einige ängstliche Sekunden durchstehen, bis ich feststellte, dass Alonso meine Zeit nicht unterboten hatte. Es war ein toller Tag; und es ist ein tolles Wochenende. Es ist nicht einfach, wenn Sie von einem zweifachen Weltmeister gejagt werden. Ich bin stark geblieben und habe es geschafft. Ich verdanke das alles dem Team – wir haben sehr hart daran gearbeitet, alles richtig zu machen. Du kommst mit 200 Meilen pro Stunde in die letzte Kurve, und in der letzten Runde war ich schneller als je zuvor. Ich habe fast die Wand berührt. Für die letzte Runde lief das Auto noch ganz geschmeidig. Ich habe keinen Fehler gemacht und bin die Bestzeit gefahren – ich bin begeistert.“

Das Ergebnis gab ihm die Hoffnung und Zuversicht, seine brillante Form nun am nächsten Tag in einen ersten Grand-Prix-Sieg umsetzen zu können. „Es wird hart“, sagte er, „ich bin noch nie von der Pole gestartet, das ist eine weitere neue Erfahrung für mich. Wir haben das Auto und die Strategie, und ich muss nur einen guten Start hinlegen, zuerst in die erste Kurve kommen und konstant bleiben.“

Alonso, der als Zweiter ins Rennen ging, musste den Fehler im letzten Qualifying in der Haarnadelkurve von L’Epingle, der ihn die Pole Position kostete, teuer bezahlen. Er sagte: „Ich habe mich wirklich reingehängt und war in den ersten beiden Sektoren am schnellsten, aber ich bin von der Linie abgekommen und habe den Kies berührt.“ Pflichtschuldig hatte er auch ein paar liebenswürdige Worte für seinen Teamkollegen: „Ich freue mich, im morgigen Rennen in der ersten Reihe zu sein und dass Lewis neben mir auf der Pole steht. Die erste Reihe reicht für heute, und morgen habe ich eine weitere Chance, das Rennen zu gewinnen. Ich will natürlich gewinnen, aber auch, wenn ich die Meisterschaft an diesem Wochenende nicht gewinne, werde ich vernünftig bleiben.“

Ron Dennis konnte seine Aufregung über Lewis’ erste Pole nicht zurückhalten: „Ein fantastisches Qualifying-Ergebnis für das Team zum zweiten Mal in Folge, und Lewis hat seine allererste Pole Position in der Formel 1 erreicht. Fernando hatte in seiner zweiten Qualifikationsrunde das Pech, sich nach zwei großartigen ersten Abschnitten nicht verbessern zu können. Wir sind zuversichtlich, dass wir im morgigen Rennen eine starke Leistung zeigen werden, ohne dabei selbstgefällig zu sein.“

Mercedes-Chef Norbert Haug war ebenso überschwänglich: „Lewis wird von seiner ersten Formel-1-Pole-Position starten, und das ist erst sein sechster Grand Prix. Fernando war sowohl im ersten als auch im zweiten Abschnitt Schnellster, und bis zum letzten Abschnitt sah es so aus, als würde er es schaffen. Lewis und Fernando haben zum zweiten Mal innerhalb von 14 Tagen das bestmögliche Qualifying-Ergebnis für das Team erzielt.“

Es ist wenig überraschend, dass Ferrari-Teamchef Jean Todt etwas niedergeschlagen war, als er sagte, das sei das „schlechteste [Qualifying] der Saison bisher“ gewesen und er befürchte das Schlimmste für das Rennen selbst. Todt war schon immer ein scharfsichtiger Realist gewesen. Er meinte: „Wir waren unseren Hauptrivalen nicht gewachsen. Natürlich werden die Punkte erst im Rennen vergeben, aber das Gesamtbild nach dem heutigen Tag ist nicht günstig, und ich hoffe, dass sich das Blatt im Rennen noch wendet.“

Das tat es nicht. Lewis lieferte eine fehlerfreie Show ab und holte seinen ersten Formel-1-Sieg im erst sechsten Rennen seiner Karriere mit einer Zeit von 1 Stunde, 44 Minuten und 11,292 Sekunden. Er führte die ganze Zeit über, behielt seinen Fokus und war konzentriert, während die anderen hohen Tiere von McLaren und Ferrari ihren zu verlieren schienen. Er überstand auch vier Interventionen des Safety Cars und holte sich in der Fahrerwertung einen Acht-Punkte-Vorsprung vor Alonso, der das Rennen nur als Siebter beendete. Heidfeld wurde Zweiter im BMW, 4,343 Sekunden hinter Lewis, und Alexander Wurz Dritter im Williams, die es endlich geschafft hatten, die McLaren-Ferrari-Phalanx auf dem Podest zu durchbrechen. Wurz’ Podestplatz war Williams’ erster, seit Heidfeld 2005 auf dem Nürburgring Zweiter in einem Williams-BMW wurde.

Alonso raste los wie ein Besessener, war aber offensichtlich überfordert und bremste in der ersten Kurve zu spät, so dass er in die Wiese ausweichen musste, wodurch er auf den dritten Platz hinter Heidfeld abrutschte. Während einer nervösen Fahrt schoss er noch drei weitere Male über diese Kurve hinaus. Der Spanier verlor durch Adrian Sutils Unfall in seinem Spyker zusätzlich Zeit. Alonso hatte kaum noch Sprit und musste gleichzeitig mit Sutils Unfall seinen ersten Boxenstopp einlegen. Unglücklicherweise, denn nach den Formel-1-Regeln ist die Boxengasse während der Safety-Car-Phase gesperrt – was ihm eine zehn Sekunden lange Stop-and-Go-Strafe einbrachte und ihn auf den 13. Platz zurückwarf.

Ehre gebührte ihm jedoch für die schnellsten Runden, die er während seiner Aufholjagd fuhr, darunter die schnellste des Tages mit 1:16,367 in Runde 46, aber er hatte trotz dreier weiterer Einsätze des Safety Cars zu viel Boden gutzumachen. Allein die Tatsache jedoch, dass er das Rennen beendete, bedeutete, dass McLaren den Rekord der beendeten Rennrunden im Jahr 2007 mit bisher 768 hielt.

In Montreal gab es noch weitere bemerkenswerte Fakten: Lewis war einer von nur neun Fahrern, die in ihrem ersten Weltmeisterschaftsjahr ein Rennen gewannen. Die anderen waren Juan Pablo Montoya (2001), Jacques Villeneuve (1996), Clay Regazzoni und Emerson Fittipaldi (1970), Jackie Stewart (1965), Giancarlo Baghetti (1961) sowie Giuseppe Farina und Juan Manuel Fangio (1950). Der Sieg bedeutete, dass er noch ganze elf Rennen hatte, um den Rekord für die meisten Grand-Prix-Siege in einer Debütsaison zu brechen – insgesamt vier von Jacques Villeneuve im Jahr 1996. Der Grand Prix von Kanada war auch der 18. Anlass, bei dem ein Fahrer zum ersten Mal ein Rennen gewann und gleichzeitig zum ersten Mal von der Pole Position gestartet war, der 17. war in der Türkei im Jahr 2006, als Felipe Massa von der Pole siegte.

Lewis kam nach seiner Ruhmesrunde mit erhobener Faust in die Box zurück. Auf dem Weg zum Podest stieß er auf die Männer von McLaren, die seine Karriere ein Jahrzehnt lang bis zu diesem Höhepunkt gelenkt hatten: Ron Dennis, Martin Whitmarsh und Norbert Haug. Er steuerte direkt auf Big Ron zu und umarmte ihn, bevor er die Stufen hochlief und hinaus auf das Podest, um seinen Sieg zu feiern. Er sagte, er sei „überglücklich“, als er den süßen Geschmack des Sieges genoss: „Ich bin schon seit einiger Zeit bereit für den Sieg. Es war nur eine Frage, wann und wo. Ich muss diesen Sieg meinem Vater widmen, denn ohne ihn wäre das nicht möglich gewesen.“

Dann erklärte er, dass das In-Schach-Halten von Alonso in dieser ersten Kurve der Schlüssel zu seinem Moment des Ruhms gewesen sei. „Ich bin nicht so toll weggekommen“, gab er zu, „Fernando hatte einen besseren Start, und ich musste aufpassen, dass ich keine Lücke für Nick lasse, der hinter mir war. Dann sah ich Fernando von der Außenseite angeflogen kommen und dachte, oh nein, ich verliere die Führung, aber er ist in der Kurve einfach geradeaus weitergefahren. Ich fuhr auf meiner Linie weiter und kam fantastisch aus der Kurve, und dann kam Fernando quer vor mir herüber. Es war ziemlich aufregend!“

Er redete ununterbrochen, wie ein aufgeregter Schuljunge, und wer konnte es ihm verdenken? Jetzt hatte er sich den Traum erfüllt, auf den er hingearbeitet hatte, seit er als kleiner Junge von sechs Jahren vom Rennvirus gepackt wurde. All die Jahre harter Arbeit hatten sich gelohnt. Er fuhr fort: „Nach diesem Sieg bin ich auf einem anderen Planeten – ich finde einfach keine Worte, um zu beschreiben, wie es sich anfühlt, mein erstes Formel-1-Rennen gewonnen zu haben. Das Team hat einen fantastischen Job gemacht, und ich freue mich sehr, Teil der Vodafone-McLaren-Mercedes-Familie zu sein. Es schien, als ob jedes Mal, wenn ich eine kleine Lücke aufgemacht hatte, das Safety Car herauskam und ich von vorn anfangen musste. Erst ein paar Runden vor Schluss wurde mir klar, dass der Sieg in Reichweite war, und ich bemerkte Dinge wie den Jubel der Fans; es war einfach unglaublich, als ich die Ziellinie überquerte. Ich muss jetzt konzentriert bleiben und die gute Arbeit fortsetzen. Es war bisher ein unglaublicher Start in meine Formel-1-Karriere, aber ich weiß, dass eine harte Saison vor uns liegt. Zum Schluss danke ich dem gesamten Team von McLaren und Mercedes-Benz für all die harte Arbeit, die sie in das Auto gesteckt haben – es ist ein absolutes Vergnügen, es zu fahren und Teil einer so siegreichen Kombination zu sein.“

Alonso gratulierte und sagte: „Ich denke, das war ein seltsames Rennen, bei dem das Safety Car so oft eingesetzt wurde, was heute Lewis zum Vorteil – und mir zum Nachteil – gereicht hat. Ich bin in der 24. Runde zum ersten Mal an die Box gefahren, weil ich keinen Sprit mehr hatte, also konnte ich im Grunde nichts tun. Das war schade, denn dies führte zu einer 10-Sekunden-Strafe, aber das sind leider die Regeln, doch es gab keine andere Alternative dazu, als ohne Kraftstoff auf der Strecke stehenzubleiben. Danach musste ich richtig Gas geben, weil ich in der Mitte des Feldes feststeckte, und wenn man bis zum Maximum pusht, kommt man manchmal von der Strecke, aber zu diesem Zeitpunkt gab es nichts mehr zu verlieren. Auch wenn es für mich ein schwieriges Rennen war, freue ich mich für das Team und Lewis, dass wir wichtige Punkte holen konnten und Lewis sein erstes Rennen gewonnen hat. Ich hoffe auf etwas mehr Glück für den US Grand Prix nächste Woche und kann Montreal wenigstens mit zwei Punkten mehr als Massa verlassen.“ Und es heißt, man muss egoistisch sein, wenn man Champion werden will …

Obwohl Ron Dennis strahlte, als er feststellte, dass sein Junge es endlich geschafft hatte, konzentrierte er sich zunächst einmal mehr auf die 10-Sekunden-Strafe des Spaniers und behauptete, er sei ungerecht behandelt worden. Er sagte: „Das gesamte Team hat so hart gearbeitet, um heute das optimale Ergebnis zu erzielen. Die Frustration und Enttäuschung über eine Stop-and-Go-Strafe, nachdem er während der ersten Safety-Car-Phase trotz Boxengassensperre gezwungen war, in der Boxengasse anzuhalten, war natürlich immens. Dies soll jedoch in keiner Weise die ausgereifte und disziplinierte Fahrweise von Lewis schmälern, durch die er seinen ersten Grand-Prix-Sieg eingefahren hat. Es ist sehr lange her, dass die britische Nationalhymne für einen Grand-Prix-Sieger gespielt wurde. Seine Familie sollte zu Recht stolz auf seine Leistung sein, und was auch immer McLaren und Mercedes-Benz dazu beigetragen haben, ergänzt nur sein Talent und sein Engagement. Lewis hat einen tollen Job gemacht, er hat es verdient, und ich freue mich für ihn. Fernando hatte heute wirklich Pech, aber es ist noch ein langer Weg bis zum Finale der Weltmeisterschaft, und wir scheinen extrem konkurrenzfähig zu sein.“

Lewis wurde gefragt, was das noch übertreffen könne – gab es einen noch unwahrscheinlicheren Traum, der wahr werden könne? Er antwortete: „Der nächste Traum ist natürlich, die Formel-1-Weltmeisterschaft zu gewinnen, aber im Moment müssen wir wieder realistisch sein. Man darf nie vergessen, dass ich noch ein Rookie bin und dies meine erste Saison ist. Es werden noch harte Zeiten kommen. Natürlich hoffe ich das nicht, aber es kommt, wie es kommt – es ist einfach so in diesem Geschäft, und es wird gute und schlechte Tage geben. Aber im Moment läuft es, und das liegt am Team und an allen Leuten um mich herum. Ich habe eine sehr geerdete Familie und denke, alles funktioniert perfekt.“

Auf die traditionelle Pressekonferenz nach dem Grand Prix folgte eine lebhafte Frage-und-Antwort-Runde. Ein Abschnitt mit amüsanten Antworten von Hamilton unter Beteiligung von Heidfeld und Wurz ist es wert, hier festgehalten zu werden. Man merkte, dass sich der Junge entwickelt hatte und in der Öffentlichkeit immer unabhängiger, selbstsicherer und gewandter wurde.

Frage: Ich habe diese Woche gelesen, dass Sie sagten, die Pole Position sei besser als Sex. Wo ordnen Sie das ein? (Gelächter im Pressekorps)

Antwort Heidfeld: Er ist noch zu jung …

Antwort Hamilton: Gestern war es ein Witz, es ist ein ganz anderes Gefühl, aber … (noch mehr Gelächter)

Antwort Wurz: Hat sich seit gestern etwas geändert? (weiteres Gelächter)

Antwort Hamilton: Es ist definitiv eine andere Gefühlsebene als gestern, das ist sicher.

Lewis wurde auch gefragt, was sein Vater direkt nach dem Rennen zu ihm gesagt habe. Seine Antwort und die Dankbarkeit für den Mann, der fast alles geopfert hatte, um ihn auf diesem Podest zu sehen, war rührend: „Ich habe ihn nicht gesprochen, aber ich konnte ihn deutlich in der Menge sehen, als ich auf dem Podest stand, und es sah aus, als hätte er Tränen in den Augen. Ganz offensichtlich war er sehr stolz, und es ist kaum zu glauben, wie viel Arbeit er in meine Karriere gesteckt hat. Als er jünger war, hatte er nichts – allein zu sehen, wie erfolgreich seine Familie ist, macht ihm viel Freude.“

Anthony war nach Lewis’ Sieg von seinen Gefühlen so übermannt, dass er nicht sprechen konnte, aber ein paar Minuten später hatte er sich ausreichend gefasst und erfuhr, dass sein Sohn ihm den Sieg gewidmet habe. „Das hatte ich nicht gehört“, sagte er. „Aber ich bin froh, dass ich es nicht gehört habe, denn wer weiß, was dann passiert wäre. Ich wollte gar nicht erzählen, wie alles war. Der Junge hat es wie immer gut gemacht. Das ist ein besonderer Tag für uns, aber auch für viele andere Menschen, für die Leute der Formel-1 und für weitere.“

Er gab zu, dass ihn die Belastung des Rennens ausgelaugt habe: „Der heutige Tag war harte Arbeit“, sagte er. „Ich musste dieses Rennen heute viermal gewinnen. Ich habe heute vier Grand Prix absolviert. Vergesst Lewis! Er hat nur gelacht unter seinem Helm und das Rennen genossen. Das ist es, was er tut – nichts macht ihm Angst.“

Würden er und Lewis sich jetzt hinsetzen, um Pläne für einen Angriff auf den WM-Titel zu machen? Er lächelte und schüttelte den Kopf: „Wir haben nie Pläne gemacht, dorthin zu gelangen, wo wir jetzt sind; unser Plan war einfach, immer das Beste zu geben, bei dem, was wir gerade taten. Der Einstieg in die Formel 1 war nur der nächste Schritt. Wir blicken niemals nach vorn und sagen: ‚Richtig, wir werden dies, dies, dies und dies tun.‘ Wäre es nicht wirklich schmerzhaft, wenn Sie Ihr Herz an den Gewinn der Meisterschaft hängen und es dann nicht gelingt? Wir haben noch viel Zeit, um den Titel zu gewinnen, und wenn es dieses Jahr passiert, ist das ein Bonus.“

Er räumte ein, dass Lewis selbst jetzt vielleicht darüber nachdenke, den Titel gewinnen zu können, sagte aber, er werde sein Möglichstes tun, um ihn auf dem rechten Weg zu halten: „Lewis hat immer vor, das Auto ins Ziel zu bringen. Einen kühlen Kopf zu behalten, mit den Füßen auf dem Boden zu bleiben und das Auto jedes Mal heil ins Ziel zu fahren. Und wenn wir dabei einen Sieg holen, ist das großartig, und wenn wir die Meisterschaft gewinnen, wäre das sagenhaft.“

Nach seiner Pressekonferenz zeigte Lewis eine andere Seite seines Charakters, indem er darauf bestand, die Fans aus Großbritannien und den Rest der Welt zu begrüßen, die geduldig darauf gewartet hatten, dass er auftauchte. Sie hatten ihn zum Sieg gepusht und wollten ihm nun gratulieren. Er wiederum wollte sie treffen, ihnen danken und ein wenig mit ihnen feiern, obwohl ihn das McLaren-Team daran erinnerte, dass bis zum nächsten Grand Prix in Amerika nur eine Woche Zeit sei. Lewis blieb stur: „Wir haben noch viel Zeit, um diesen Sieg zu genießen, bevor wir nach Indy gehen, und wir werden natürlich mit großem Selbstvertrauen dorthin gehen. Ich habe keinen Zweifel, dass wir auch dort gut abschneiden können. Ich möchte mich bei den Fans bedanken; sie waren heute fantastisch.“

Dies war ein weiteres Beispiel dafür, wie er sich vom stereotypen Formel-1-Piloten unterschied. Es wäre ihm nicht im Traum eingefallen, sich aus dem Staub zu machen und sich in sein Wohnmobil einzuschließen. Stattdessen wollte er den Leuten danken, die letztlich seinen Lohn bezahlten und die die Rennen in den meisten Fällen in einer, ehrlich gesagt, oft recht ungemütlichen Umgebung verfolgten – auf Feldern mit karger Ausstattung und null Komfort. Da kommt einem besonders Monza in den Sinn …

Nach seinem ersten Formel-1-Grand-Prix-Sieg holte sich Lewis Hamilton bei Einbruch der Dunkelheit schnell einen neuen Titel: Champion des Volkes … Es war Partyzeit für ihn in Montreal, und er bekam im Laufe der Nacht viele Lobeshymnen zu hören. Sir Stirling Moss machte den Anfang und sagte über den jungen Mann, der als 19. britischer Fahrer einen Grand Prix gewann: „Er ist ein sehr beeindruckender Junge, der beeindruckendste junge Fahrer, den ich seit langem gesehen habe. Er besitzt Kontrolle über das Auto und Ruhe beim Fahren, aber er ist auch ein Kämpfer und hat eine tolle Art an sich. Er wird eine lange Karriere haben. Ich war bereits zu Beginn der Saison von ihm beeindruckt, aber jetzt noch mehr. Es war offensichtlich, wie gut er war, aber ich hätte nie gedacht – und ich glaube, niemand hätte das gedacht –, dass er nun Führender der Fahrerwertung sein würde. Für einen Typen, der gerade erst in diesen Sport einstieg, ist das unglaublich, daher bin ich sehr beeindruckt, und was mich vor allem beeindruckt hat, ist der Umstand, dass er ein echter Rennfahrer ist.“

Ein weiterer Ritter in glänzender Rüstung des Rennsports, Sir Jackie Stewart, ging noch weiter und sagte: „Er ist wahrscheinlich der hellste Stern, der in der Formel 1 aufgegangen ist – aller Zeiten!“

Damon Hill würdigte die Art und Weise, wie Lewis es geschafft habe, in der Hitze des Gefechts einen kühlen Kopf zu bewahren: „Ja, er ist mit einem guten Team zusammen, und ja, er hat ein gutes Auto, aber um einen Grand Prix zu gewinnen und solche Leistungen zu erbringen, Rennen für Rennen, braucht es etwas Besonderes. Er mag jung sein und in seiner ersten Saison, aber dieser Typ ist wirklich top. Wenn du in diesem Sport gut genug bist, bist du auch alt genug – und, Junge, Lewis ist gut genug! Er ist Führender der Weltmeisterschaft und gewinnt Rennen, also wird sein Selbstvertrauen riesengroß sein. Und er hat gezeigt, dass er mit dem Druck umgehen kann. Wir sollten uns nicht zu sehr mitreißen lassen, aber möglicherweise sehen wir hier den nächsten britischen Weltmeister.“

Ein weiterer ehemaliger Weltmeister, Niki Lauda, gab zu, dass er dank Lewis’ Sieg das Gefühl habe, eine neue Epoche im Motorsport zu erleben – eine, die den Sport auf ein neues aufregendes Niveau heben könne.

Er sagte: „Das war das beste Ergebnis aller Zeiten, für ihn und für die Formel 1. Ich habe noch nie einen Typen gesehen, der so perfekt fährt. Wenn er so weitermacht, wird er Weltmeister. Wir haben alle erwartet, dass er, ohne Erfahrung, unter Druck Fehler macht, aber er macht keine Fehler.“

Sir Frank Williams – dessen eigener Fahrer Alex Wurz mit einigem Abstand Dritter wurde – meinte: „Er ist ein absolut brillanter Fahrer. Man könnte ihn fast als Phänomen bezeichnen, wenn man bedenkt, dass er ohne Formel-1-Erfahrung so viel erreicht. Er ist sehr, sehr bemerkenswert.“

Simon Barnes, leitender Sportjournalist der Times, fasste in seinem unnachahmlichen Stil am besten zusammen, was die Presse in Großbritannien dachte: „Ein Gefühl der Unvermeidlichkeit lag in der Luft, das sich in aller Klarheit abzeichnete. Lewis Hamilton gewann seinen ersten Grand Prix in seinem sechsten Rennen, und das vorherrschende Gefühl war, dass er das natürlich verdammt gut gemacht hat! War etwas anderes zu erwarten? Das einzige Rätsel war, warum es so lange gedauert hat – denn Hamilton scheint nichts an sich zu haben, was mit frühreifem Talent zu tun hat. Durch eine außergewöhnliche Illusion sieht er wie etwas Ausgereiftes aus, wie der komplette Athlet: in sich ruhend, glücklich in seiner Haut, so sicher seiner Fähigkeiten, als wären sie hundertfach erprobt. Kein Wunder, dass sein Teamkollege bei McLaren, Fernando Alonso, nervös wurde. Weltmeister zu sein ist kein Schutz gegen Hamiltons leicht gruseliges Selbstbewusstsein … Hamilton ist einfach gefahren. Er fuhr mit dieser Harmonie mit seinem ‚Beförderungsmittel‘, die man manchmal auch bei sehr, sehr guten Reitern sieht – ein fast passiver Sinn für Wettbewerbsfähigkeit, als ob der Fahrer oder Reiter nur eine Art Vektor für den Sieg wäre.“

Peter Windsor, der für das F1 Racing Magazin schrieb, war ebenfalls voller Verwunderung darüber, wie einfach Lewis eine so voraussetzungsreiche Leistung erscheinen ließ: „Lewis hat dieses Rennen gewonnen, weil er die Pole Position erreichte; und dann, nach einem langsamen Start, in der ersten Kurve das Rennen entschied – als Fernando es vermasselte. Kurz gesagt, er siegte mit einer Demonstration von perfektem Bremsen, Gefühl und Balance an diesem heißen Tag. Er siegte mit konstanter Präzision in den wichtigen Bremsbereichen – an der Haarnadelkurve und in Kurve 1. Er gewann den Grand Prix mit einem Selbstvertrauen, von dem die meisten Fahrer nur träumen können – mit einem kurzen Abstecher in den Rennzirkus am Samstagabend, gefolgt von einer frühen Nacht, dann einem zufriedenstellenden Renntag. Es war einfach. Er ließ es lächerlich einfach aussehen. Das ist seine Größe.“

Auch die Öffentlichkeit war begierig danach, dem Wunderknaben Grußworte zukommen zu lassen, und es wurde gleichzeitig betont, wie er einen Sport wiederbelebt habe, dem viele den Rücken gekehrt hätten. David aus London äußerte: „Dieser Lewis Hamilton ist wirklich etwas Besonderes. Sein plötzlicher Auftritt und Erfolg in der Formel-1-Szene erinnert an Tiger Woods im Golfsport. Beide sind reife, hochtalentierte, ernst zu nehmende Profis, die ihre jeweiligen Sportarten im Sturm erobert haben und einfach ihren Job machen. Die Formel 1 ist wieder sehenswert.“

Und Derek aus Horsham kommentierte: „Hamilton zeigt in jedem Rennen große Stabilität und Beständigkeit. Alonso ist nicht zweimal Weltmeister geworden, weil er Mist gebaut hat, und das alles macht eine sehr, sehr aufregende Saison aus. Gott sei Dank sitzen die beiden im gleichen Auto! Niemand kann sagen, dass der andere gewonnen habe, weil das Auto, in dem er saß, besser gewesen sei … obwohl Alonso bereits versucht, Ausflüchte zu suchen.“

Catherine aus Powys sagte: „Lewis scheint engagiert und bescheiden zu sein. Nach den Interviews, die ich mit seinem Vater gesehen habe, verfügt er über einen fundierten Hintergrund. Ich bin 33 Jahre alt und habe dank Lewis Hamilton angefangen, mich für die Formel 1 zu interessieren.“

Sogar ausländische Formel-1-Fans bekundeten ihr Interesse und ihre Bewunderung. Pancho Villa Jr. aus Mexiko City scherzte: „Hoffentlich könnt ihr Briten in einer Sache Meister werden, da ihr seit 1966 keine Fußballweltmeisterschaft mehr gewonnen habt, und wir alle wissen, dass das eine Manipulation war … LOL!“ Und Freddi aus São Paulo räumte ein: „Obwohl ich Brasilianer bin und ein großer Fan von Massas Fahrstil, war es sehr schön, Hamilton gestern gewinnen zu sehen, und das gibt uns vielleicht eine Vorstellung davon, wie die nächsten Jahre der Formel 1 verlaufen werden. Ich glaube, es wird spannend – mit einem schönen Wettbewerb zwischen den neuen Talenten wie Massa, Hamilton, Kimi, Alonso und anderen. Das sind gute Neuigkeiten.“

In der Tat. Und während Lewis Hamiltons Fangemeinde bis nach Südamerika reichte, kam man in Nordamerika bereits richtig in Fahrt. Stichwort Indianapolis, eine Woche später …