Kapitel 21
Doppelt hält besser
Fairerweise sei gesagt, dass Lewis’ Weg bei Mercedes anfangs steinig und herausfordernd war. Nach so vielen Jahren im Kokon von McLaren ist er natürlich mit viel Trara vom Team aufgenommen worden: Er war bei McLaren aufgewachsen, sein Leben war strukturiert, und er war bereits mit dem Team und seiner Routine vertraut, als er seine Formel-1-Karriere dort begonnen hatte. Aber jetzt war alles neu, und er würde sicherlich Zeit brauchen, um sich bei Mercedes einzuleben, um das Auto, die Chefs, die Mechaniker und seinen neuen Teamkollegen, seinen langjährigen Kart-Freund Nico Rosberg, richtig kennenzulernen.
Die Alarmglocken hätten wohl läuten müssen, als Mercedes klarstellte, dass es keinen Fahrer Nr. 1 geben werde – Lewis und Rosberg seien auf Augenhöhe. Sie könnten im Kampf um den Titel gegeneinander antreten und vom Unternehmen die gleiche Wertschätzung und gleiches finanzielles, personelles und materialorientiertes Engagement erwarten. Teamchef Ross Brawn hatte betont, dass Lewis und Rosberg gleichberechtigt seien, als das britische Ass zu Mercedes kam. Brawn sagte in der F1 Show von Sky Sports, dass alles, was Lewis während der Vertragsverhandlungen verlangt habe, die Gleichbehandlung mit seinem deutschen Teamkollegen gewesen sei. Und er fuhr fort: „Natürlich will Lewis Rennen fahren – in den Vertragsverhandlungen, die wir mit ihm hatten, wurde von seiner Seite nie die Frage erwähnt, wer die Nummer eins und wer die Nummer zwei war. Alles, was er will, ist Parität – er will die gleichen Chancen, und es ist großartig, dass er dieses Vertrauen und diese Herangehensweise hat und dass er keine Bevorzugung will – er will nur Parität.“
Ich habe keine Zweifel daran, dass Brawn – der das Team nach der Saison 2013 verließ – die wahre Natur der Situation skizziert hat. Dass Lewis wollte, dass Nico die gleiche Behandlung und die gleichen Chancen erhielte. Aber selbst er muss überrascht gewesen sein, wie entschlossen Nico im Laufe der Saison agierte. In den ersten beiden Rennen, die Lewis mit seinem neuen Team bestritt, war Rosberg nicht nur ein konkurrenzfähiger Teamkollege, sondern auch sein schärfster Rivale. Ihre langjährige Freundschaft würde enormen Belastungen ausgesetzt sein und bei jedem Grand Prix auf die Probe gestellt werden, während beide Männer darum kämpften, der unbestrittene König dieses Sports zu werden. Jeder von ihnen schien wild entschlossen, den anderen zu schlagen, und beide weigerten sich, derjenige auf der Strecke zu sein, der dem anderen weichen musste – selbst wenn das Team es anordnete.
Lewis hatte einen schlechten Start bei Mercedes, als er das Auto während seines ersten Tests im Februar 2013 im südspanischen Jerez beschädigte. Die Session endete vorzeitig nach 15 Runden, weil er die Kontrolle verlor, als die Bremsen versagten. Der einzige Trost für Lewis war, dass auch Rosberg seine Session nicht beenden konnte: Er musste nach einem elektrischen Defekt in Runde 11 die Testfahrt beenden. Lewis, der sich immer noch im Team einlebte, erklärte trotz des Testfiaskos, dass er mit dem Auto „ziemlich glücklich“ sei. Er sagte gegenüber der BBC Sport: „Zuerst einmal bin ich froh, dass ich heil geblieben bin und dass es jetzt passiert ist und nicht, wenn wir mitten in der Saison sind. Darum geht es beim Testen. Es geht darum, diese Entwicklungsphasen, Fehler oder was auch immer, durchzustehen und daran zu arbeiten, und das machen die Jungs.“
Einen Monat später zeigte Lewis, was in ihm steckt, als er den Mercedes beim ersten Grand Prix der Saison 2013 in Melbourne als Fünfter nach Hause brachte. Okay, er war nicht auf dem Podest gelandet, und Fakt ist, dass das Ergebnis dem glich, das er in seinen letzten Saisonen bei McLaren erzielt hatte: weder Ruhm noch Elend, sondern eher kompetent und solide. Aber er hatte das Rennen in einem neuen Auto beendet und bei seinem Debüt zehn WM-Punkte gesammelt, während Rosberg überhaupt keine geholt hatte, weil er nach 26 Runden aus dem Rennen ausgeschieden war.
Nur eine Woche später schaffte es Lewis mit dem dritten Platz beim Großen Preis von Malaysia zum ersten Mal im Mercedes auf das Podest. Aber ein Vorgeschmack dessen, was noch kommen sollte, machte sich breit, als dem Deutschen von Brawn gesagt wurde, Lewis nicht zu überholen. Der Teamchef teilte Rosberg über Funk mit, dass auch Lewis angewiesen worden sei, zurückhaltend zu fahren, da das Auto Probleme mit dem Kraftstoffverbrauch habe. Brawn hielt es angesichts von Lewis’ Treibstoffproblemen also nur für fair, dass beide Fahrer ins Ziel kommen sollten.
Vor dem darauffolgenden Rennen in Shanghai, China, sagte Rosberg den Reportern auf einer Pressekonferenz, dass er sicher sei, dass es keine Vorzugsbehandlung im Team gebe. Er äußerte, ihm sei versichert worden, dass beide Männer die gleiche Behandlung erhielten, und fügte hinzu: „Ich bin sehr sicher, dass es keine Nummer eins und keine Nummer zwei gibt. Aber Sie können sich in einigen Wochen oder Monaten selbst davon überzeugen, ob dies der Fall ist.“ Er führte die Reibungen in Sepang auf die schlechte Kommunikation zurück. Rosberg meinte: „Die Schwierigkeit war, dass wir vorher nicht wirklich darüber gesprochen hatten. Das war unser Fehler. Es ist wichtig, dass in Zukunft alles besprochen wird, und dann, egal in welche Richtung es geht, ob ich vorn liege und Lewis hinten oder umgekehrt, werden wir es respektieren. Solange man darauf vorbereitet ist, wird es besprochen und verstanden, das ist das Wichtigste. Das ist der Hauptfehler, den wir als Team [in Sepang] gemacht haben.“
Lewis beendete das Rennen in Shanghai als Dritter und holte sich damit seinen ersten selbst erkämpften Podestplatz für Mercedes. Sehr zum Ärger von Rosberg, der nach nur vier Runden wegen Problemen mit der Radaufhängung ausschied. Während Nico mit seinem problembehafteten Auto um Beständigkeit kämpfte, schien Lewis sich gut in seinem neuen Team einzuleben. Nach Shanghai war er Vierter der Fahrerwertung und schien mit dem Verlauf zufrieden zu sein. Er selbst war realistisch genug, um zu akzeptieren, dass er in seiner Debütsaison mit einem neuen Team kaum den Titel gewinnen würde, glaubte aber, dass ihm diese erste Saison als Sprungbrett dafür im folgenden Jahr bieten könne.
Dieser Optimismus wurde jedoch durch eine kräftige Dosis Realität gedämpft, denn Lewis hatte Mühe, an seinen guten Start bei Mercedes anzuknüpfen. Als Ende Mai der Große Preis von Monaco anstand, war er zum dritten Mal in Folge von Rosberg geschlagen worden. Diese Statistik bewegte Lewis dazu, zuzugeben, Schwierigkeiten mit dem Auto zu haben – Schwierigkeiten, die immer noch nicht beseitigt seien. Er sagte den Reportern: „Ich habe das ganze Jahr über gekämpft. Wenn man bedenkt, dass das Auto neu für mich ist, habe ich es ziemlich gut gemacht, aber wie es scheint, hatte ich im Verlauf der Saison tatsächlich zu kämpfen. Die Wintertests waren nicht schlecht, und als wir in China etwas änderten, fühlte es sich gut an, und ich habe die Pole Position geschafft, das gab mir Selbstvertrauen. Aber das war das einzige Rennen, bei dem ich dieses Selbstvertrauen hatte, ich weiß nicht, warum. Es ist einfach wirklich nur die Ungewissheit darüber, was die Bremsen machen. Ich glaube, ich habe es später im Qualifying gelöst, also hoffen wir auf ein gutes Rennen morgen.“
Lewis war trotz seiner Sorgen relativ zufrieden, als er das Rennen in Monte Carlo als Vierter beendete. Dieses Ergebnis wurde jedoch dadurch getrübt, dass Teamkollege Rosberg das Rennen gewann. Schlimmer noch war jedoch, dass Nico ausgerechnet auch noch Lewis’ Heim-Grand-Prix in Silverstone gewann, während Lewis erneut nur Vierter wurde.
Es waren ernüchternde Monate für Lewis, als er im Windschatten seines Teamkollegen fuhr, aber durch diese eine Eigenschaft, die Lewis vor allen anderen besitzt – seine Entschlossenheit zu siegen –, konnte er die Saison endlich doch noch zu seinen Gunsten drehen. Ende Juli gewann er in Ungarn sein erstes Rennen im Mercedes mit satten zehn Sekunden Vorsprung auf den Zweitplatzierten Kimi Räikkönen. Sein Teamkollege Rosberg hatte Pech und schied nur sechs Runden vor Ende wegen Motorproblemen aus. Lewis grinste wie das sprichwörtliche Honigkuchenpferd, als er eine Ehrenrunde antrat und die Faust triumphierend in die Luft streckte. Der Sieg bedeutete, dass er den Rekord von Michael Schumacher von vier Triumphen in Budapest egalisiert hatte. Lewis sagte gegenüber den Reportern: „Dies ist wahrscheinlich einer der wichtigsten Grand-Prix-Siege meiner Karriere, nachdem ich zu einem neuen Team gewechselt bin. Ich könnte nicht glücklicher sein. Ich hoffe, es kommt noch viel mehr. Es ist ein unglaubliches Gefühl, und ich möchte mich bei allen Fans bedanken. Mein Team hat einen unglaublichen Job gemacht, wir haben gestern Abend viel überlegt und gehofft, dass die Reifen halten. Wir hatten keine Ahnung, dass es so gut laufen würde.“
Lewis war auf Hochtouren, merkte aber bald, dass es generell schwierig war, den Titel zu gewinnen, denn Vettel gewann die verbleibenden neun Rennen der Saison. Am Ende der Saison 2013 hatte Vettel seinen Weltmeistertitel locker verteidigt, während Lewis Vierter und Rosberg Sechster wurde. War es möglich, ein Defizit von fast 200 Punkten (Vettel hatte 397 und Lewis 189) in der nächsten Saison auszugleichen, um Vettel die Krone zu entreißen? Es schien eine unmögliche Mission zu sein – aber Lewis Hamilton war immer jemand gewesen, der trotz aller Widrigkeiten die Flinte nicht ins Korn warf.
Und mit einer vollen Saison bei Mercedes im Rücken und einem verbesserten Auto … bestand immerhin die Möglichkeit, dass er seinen zweiten Titelgewinn einfahren konnte.
Lewis startete in die Saison 2014 mit der Nummer 44 auf seinem Auto. Die Formel-1-Chefs hatten beschlossen, dass die Fahrer eine Nummer wählen konnten, die sie bis zum Ende ihrer Karriere behalten würden, und Lewis entschied sich für die Nummer 44, weil sie ihm in seinen Kart-Tagen stets Glück gebracht hatte. Die Fahrer konnten eine beliebige Zahl zwischen 2 und 99 wählen, obwohl der amtierende Champion weiterhin die Nummer 1 auf seinem Auto tragen musste. Wenn Lewis also den Titel 2014 gewann, würde er die Nummer 1 auf dem Mercedes zurückbekommen – aber vorerst war er glücklich, mit der Nummer 44 zu fahren.
Weniger glücklich war er jedoch, als er beim traditionellen Saisonauftakt in Melbourne wegen Problemen mit der Zündung aufgeben musste. Lewis hatte vorgehabt, die Saison furios zu beginnen, aber er war immer noch von Problemen mit dem Auto geplagt, und zu allem Überfluss gewann sein neuer Erzrivale und konkurrenzfähiger Teamkollege Nico Rosberg das Rennen und die ersten 25 Punkte der Saison. Für Lewis war das ein Brechmittel: Es hätte wirklich kein schlechterer Start in die Saison sein können – vor allem einer, von dem er überzeugt war, dass er nach Jahren, in denen er im McLaren hinter Vettel hergefahren war, eigentlich endlich einen Schritt auf den Titel zu hätte machen können.
Einige Experten wiesen jedoch darauf hin, dass die Niederlage in Melbourne möglicherweise genau der Ansporn sei, die Lewis brauche. Es war schon oft so der Fall, dass er am besten zu sein schien, wenn er zu kämpfen hatte – und jetzt hatte er wirklich zu kämpfen. Nach diesem denkbar schlechten Start in die Saison brauchte er einen starken Willen, um zu zeigen, dass er nicht nur genauso gut wie sein Teamkollege Rosberg war, sondern tatsächlich besser. Oder wie die Website des Sports schlechthin, formulaone.com, später kurz und bündig formulierte: „Vielleicht sollten wir für das Problem der Zündkerzenisolierung dankbar sein, das Lewis Hamilton beim Eröffnungsrennen der Saison in Melbourne zum Stillstand brachte. Der Mercedes-Pilot wird das nicht so sehen, aber dieser triviale kleine Misserfolg hatte eine massive Wirkung, weil Hamilton sich deshalb von Anfang an auf die Hinterfüße stellte und sich zum Angriff zwang. Nach seinem Ausscheiden gewann Teamkollege Nico Rosberg und fuhr einen Vorsprung von 25 Punkten heraus. Mit nur sieben Punkten Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Platz (abgesehen vom Doppel-Punkte-Finale in Abu Dhabi) bedeutete das, dass Hamilton sich anstrengen musste, um diese Lücke zu schließen.“
Es dauerte dann bis zum bitteren Ende des letzten Rennens der Saison, bevor Lewis sicher war, dass er nach so vielen Jahren in der Diaspora endlich den Titel zurückgewonnen hatte. Das Verhältnis zwischen ihm und Rosberg war angespannt, und die Konkurrenz zwischen den beiden begann im Laufe der Saison hochzukochen, während jeder der beiden versuchte, sich vom anderen zu lösen, aber immer wieder scheiterte. Beide hatten starke Autos, beide hatten eine Siegermentalität, und jeder wollte den anderen überlisten und den schwer zu fassenden Fahrertitel holen.
Lewis hatte zwar das erste Rennen der Saison 2014 gegen Rosberg in Australien verloren, gab dann aber mit vier Siegen in Folge eine echte Absichtserklärung ab. Der Super-Brite triumphierte in Malaysia, Bahrain, China und Spanien. Rosberg wurde Zweiter in Malaysia und bescherte Mercedes den ersten Doppelsieg in einem Formel-1-Grand-Prix seit 1955. Der Sieg in China brachte Lewis seinen ersten Hattrick ein und setzte Rosberg sicherlich unter Druck, in Spanien ein gutes Ergebnis zu erzielen.
Der Deutsche konnte die Dampfwalze Hamilton dort nicht aufhalten, schaffte es aber schließlich in Monaco, wo Lewis Zweiter wurde. Nun war Rosberg an der Reihe, ins Rampenlicht zu treten – nach Lewis’ vier Siegen gewann Nico nun drei der folgenden fünf Rennen. Zum Glück für Lewis schaffte der es, in Silverstone einen wunderbaren Heimsieg zu erzielen, war sich aber, jetzt mehr denn je, der Bedrohung bewusst, die Rosberg für sein Ziel, den Titel zurückzuerobern, darstellte. Rosberg war offensichtlich nicht gewillt, aufzugeben oder auch nur einen Zentimeter nachzugeben, als das Duo seinen Kampf um die Vorherrschaft in der Formel 1 fortsetzte.
Die Tatsache, dass sich ihre Mercedes-Chefs konsequent aus dem Konkurrenzkampf der beiden heraushielten, machte die Saison zu einem viel aufregenderen Erlebnis für die Zuschauer als gewöhnlich, obwohl ihre beiden Piloten unter ständiger nervlicher Anspannung standen. Ende Juli in Ungarn schimpften beide über die Kapriolen des anderen. Lewis musste das Rennen nach einem besorgniserregenden Motorbrand im Qualifying aus der Boxengasse starten und bewies sein fahrerisches Talent mit einem dritten Platz vor Rosberg. Das Rennen zeigte auch, wie konsequent sein Streben nach Ruhm war, indem er sich weigerte, Rosberg trotz Anweisung des Teams vorbeizulassen.
Es war das erste Mal, dass er seine wachsenden Ressentiments gegenüber dem Deutschen an die Öffentlichkeit dringen ließ – was nur dazu diente, ihre bereits angespannte Beziehung weiter zu verschlechtern. Beide Fahrer wurden zu einem Teamgespräch mit ihren Mercedes-Bossen gerufen, und Lewis sagte danach, die Angelegenheit sei geklärt und nun Vergangenheit. Aber Rosberg weigerte sich, darüber zu sprechen, was darauf hindeutete, dass er anderer Meinung war. Lewis sagte auf einer Pressekonferenz nach dem Rennen in Ungarn: „Ich wurde angestellt, um Rennen zu fahren, und soweit ich weiß, hat das Team nie gesagt, dass man langsam fahren solle. Vielleicht, dass man sich nicht gegenseitig in die Quere kommen oder es sich aus strategischen Gründen manchmal nicht schwermachen solle, das ist klar. Aber er war weder nah genug, noch zog er an der Innenseite vorbei. Die Situation war etwas ungeschickt, die Anweisungen des Teams waren nicht ganz klar, aber ich denke, ich habe es ganz gut gemeistert.“
Nico sagte nur: „Es ist besser, dem nichts mehr hinzuzufügen.“
Die beiden waren jetzt an einem Punkt, an dem es kein Zurück mehr gab – so schien es zumindest. Die skandalhungrige Presse bauschte die Rivalität zwischen den beiden zusätzlich auf. Erst am Ende der Saison, als alles entschieden war, sollten sich Lewis und Nico in die Arme fallen und hoffen, die ärgerlichen Episoden der vergangenen Saison, die sie beide bedauerten, hinter sich lassen und unbelastet in die Saison 2015 gehen zu können, in der sie höchstwahrscheinlich wieder ernsthaft miteinander konkurrieren würden.
Doch so weit war es noch nicht, als Nico und Lewis nach dieser Pressekonferenz beim Großen Preis von Belgien in Spa kollidierten – was dazu führte, dass Lewis in Runde 2 mit einem Reifenschaden aufgeben musste. Rosberg konnte wertvolle Punkte sammeln, als er nach Überraschungssieger Daniel Ricciardo, der Webbers Platz bei Red Bull eingenommen hatte, auf dem zweiten Platz landete.
Aber – wie es in dieser aufregenden Saison schon einmal der Fall war – kehrte Lewis mit aller Macht zurück und gewann die Rennen in Italien und Singapur, um sich im Kampf um den Titel wieder an die Spitze zu setzen. Lewis war jetzt in Topform und schaffte mit Erfolgen in Japan, Russland und den Vereinigten Staaten schließlich fünf Siege in Folge. Er war in sagenhafter Form und glänzte auch durch seine Gelassenheit und seine Weigerung, sich von Rosberg ärgern zu lassen. Der letzte dieser fünf Siege – in Amerika – bedeutete, dass er zum ersten Mal in seiner Karriere fünf Grands Prix in Folge gewonnen hatte und seinen 32. Sieg in der Formel 1 erzielte, mehr als jeder andere britische Pilot jemals einfahren konnte. Er führte nun die Fahrerwertung an und lag auch nach dem vorletzten Rennen in Brasilien, in dem er hinter Rosberg Zweiter wurde, noch in Führung.
Dennoch konnte Lewis nicht davon ausgehen, dass er den Titel sicher in der Tasche hatte. Es war noch ein Rennen zu absolvieren, und die Möglichkeit bestand, dass Rossberg das Rennen und somit den in den vergangenen acht Monaten heiß umkämpften Titel gewann, sollte Lewis wegen Motorproblemen ausscheiden oder das Rennen weit hinten im Feld beenden. Das lag daran, dass in diesem letzten Rennen die doppelte Punktzahl vergeben wurde, um es spannender zu machen.
Die Anspannung war hoch, und die Nerven lagen blank, als die beiden Ende November Seite an Seite zum letzten Rennen in Abu Dhabi antraten. Rosberg stand auf der Pole Position, und der Druck, das Rennen zu gewinnen, lastete auf beiden, da Lewis den Titelkampf mit nur 17 Punkten Vorsprung anführte – er hatte 334, Rosberg 317. Aber es war ein cooler, ruhiger und gefasster Lewis, der dann das Rennen und den Titel gewann, während Nico mit mechanischen Problemen zu kämpfen hatte. Nach Abu Dhabi zeigte die Endwertung, dass Lewis mit 384 Punkten vor Nico mit 317 Punkten triumphierte. Lewis hatte sehr zu seiner Freude mit 67 Punkten Vorsprung gesiegt. Er stürzte in die Arme seines Vaters und seines Bruders und umarmte seine Freundin Nicole, als er den Sieg endlich realisierte.
Lewis erklärte, dass dies der größte Tag seines Lebens sei, als er vom Podest aus zu seinen begeisterten Fans sprach: „2008 [das Jahr des Gewinns des ersten Weltmeistertitels] war ein großartiges Jahr in meinem Leben. Das Gefühl, das ich jetzt habe, geht aber weit darüber hinaus. Es ist das beste Gefühl aller Zeiten.“ Gegenüber der BCC sagte er dann: „Es ist schwer, das alles zu begreifen. Ich habe nicht geschlafen. Ich ging um zwölf ins Bett, wachte um fünf Uhr morgens auf, ging laufen und dachte, ich würde sicher müde sein, wenn ich zum Rennen käme, aber ich fühlte mich gut. Meine Familie traf ein und überraschte mich beim Frühstück. Eigentlich wollte ich, dass sie hier dabei sind, aber ich wusste nicht, ob ich Zeit für sie hätte. Ich wollte am Ende nicht sagen: ‚Ich wünschte, ich hätte dies oder jenes getan.‘ Es wird wirklich noch einige Zeit dauern, bis mir alles bewusst wird.“
Laut Statistik war es sein elfter Grand-Prix-Sieg der Saison, und er beendete das Jahr mit einem deutlichen Vorsprung auf Vizeweltmeister Rosberg. Im Gegensatz zu den elf Siegen von Lewis triumphierte Rosberg in nur fünf Grands Prix. Der Fairness halber sei gesagt, dass der Deutsche zum Abschluss der Saison großmütig zugab, dass Lewis es insgesamt verdient habe, Meister zu werden, und gratulierte ihm zu seinem großartigen Triumph. Rosberg sagte den Reportern nach dem Rennen: „Ich bin sehr enttäuscht, aber alles in allem hat Lewis es verdient, die Meisterschaft zu gewinnen. Das ist klar. Insgesamt hat er einfach einen besseren Job gemacht als ich.“
Aber es stand dann noch ein weiterer Sieg an, um ein unglaubliches Jahr 2014 für den besten Fahrer der Welt abzurunden. Im Dezember nahm er an der renommierten BBC-Veranstaltung zur Auszeichnung des Sportlers des Jahres in London teil. Lewis war hier zweimal Zweiter geworden – in den Jahren 2007 und 2008 –, und er hatte nicht damit gerechnet, dieses Mal seinen Mitbewerber Rory McIlroy auszustechen. Der Sieg war definitiv ein kleiner Schock für ihn, denn bei den Buchmachern war der Golfer der klare Quoten-Favorit gewesen. Auch bei einigen Kritikern war die Meinung vorherrschend, dass Rory mit Leichtigkeit gewinnen werde, weil er „sympathischer“ sei als Lewis: Rory sei nahbarer, während Lewis distanzierter und nicht so sympathisch wirke.
Aber all diese Theorien lösten sich in Luft auf, als Lewis auch hier als klarer Sieger hervorging. Er erhielt 209.920 Stimmen bei der öffentlichen Abstimmung, während Rory 123.745 bekam. Offensichtlich überrascht und gerührt, bedankte sich Lewis bei der Öffentlichkeit, nachdem er den SPOTY Award in Empfang genommen hatte. Er sagte: „Ich bin so stolz darauf, Brite zu sein. Ich bin stolz und fühle mich geehrt, zu solchen Talenten zu gehören. Ein großes Dankeschön an alle, die angerufen haben. Es war so ein unglaubliches Jahr. Ohne mein Team und meine Familie hätte ich das nicht geschafft. Mein Vater hat vier Jobs gemacht, um mir dies zu ermöglichen. Hier zu sein ist eine Erinnerung daran, wie viele großartige Sportler wir haben, und ich hätte nie gedacht, dass ich hier oben neben diesen Größen stehen würde. Es ist ein Traum.“
Das war wirklich das Sahnehäubchen auf ein wundervolles Jahr 2014. Lewis Hamilton war der Mann, der alles hatte – zwei Weltmeistertitel, Millionen auf der Bank, eine wunderschöne Popstar-Freundin und eine treue, liebevolle Familie. Was konnte er noch erreichen? „Noch ein oder zwei WM-Titel“, antwortete er lachend, als ihm diese Frage bei der Pressekonferenz nach dem Rennen in Abu Dhabi gestellt wurde. Und das charakterisiert in etwa diesen Jungen, der trotz aller Widrigkeiten Ruhm und Reichtum erlangt hatte: Er wird nie aufhören zu träumen und niemals aufgeben.