35
Zwei Stunden später. Lu liegt apathisch auf der Erde. Eine Fliege hat sich auf ihre Stirn gesetzt. Lu rührt sich nicht. Ich wedle in der Luft herum und vertreibe die Fliege, die sich hartnäckig immer wieder auf dieselbe Stelle setzt. Lu krächzt mit geschlossenen Augen: »Das mach ich nie wieder. Das sag ich euch. Nie wieder.«
»Das sagst du jetzt. Warte mal ein paar Tage ab.« Sunshine sitzt mit geradem Rücken da und starrt in den roten untergehenden Feuerball am Himmel.
»Nee«, murmelt Lu. »Nie wieder.«
»Vielleicht sind wir nächste Woche schon tot«, denke ich laut.
»Dann waren’s also keine Drogen.« Lu blinzelt.
»Ich glaub nicht. Das war anders. Ich wusste heute total oft, dass das jetzt eine optische Täuschung ist und so, manchmal auch gar nicht, aber einen Moment später schon. Ich meine, mir war immer bewusst, dass ich was genommen hatte.«
»Okay«, sagt Sunshine. »Aber stell dir vor, du hättest es nicht gewusst. Hätte es dann so sein können?«
»Keine Ahnung«, sage ich. »Vielleicht.«
»Wir können es also nicht ausschließen«, sagt Sunshine. »Wir sind keinen Schritt weiter.«
»Scheiße«, murmle ich.
Auf einmal werde ich sehr müde. Ich kann kaum noch die Augen offen halten. Lu sagt: »Ich will jetzt nach Hause.«
»Ich auch«, sage ich und schaffe es irgendwie, aufzustehen. Aber Lu kommt nicht alleine hoch. Ich muss sie stützen. Auf einmal fällt mir auf, dass sie ziemlich wenig anhat. »Wo sind eigentlich deine Klamotten und deine Schuhe?«, frage ich verwundert.
Lu zuckt unbeteiligt mit den Schultern. »Werd ich schon irgendwo wiederfinden.«
»Kommt ihr allein klar?«, fragt Sunshine. »Dann bleib ich noch hier.«
»Echt?«, frage ich. »Ist alles okay mit dir?«
»Ja«, sagt sie. »Ich find’s schön hier.«
Sie findet zum ersten Mal was schön bei uns hier. Das müssen wirklich starke Drogen gewesen sein. Lu und ich wanken hundemüde nach Hause. An der Wegkreuzung drückt Lu mich an sich und murmelt: »Es wär so toll gewesen, wenn das die Antwort gewesen wär.«
»Stimmt. War ’n Versuch wert.«
Wir schauen uns noch einen Moment an, grinsen wehmütig und trotten dann getrennt weiter.
Kaum liege ich in meinem Bett, bin ich fest eingeschlafen.
Mitten im Tiefschlaf klingelt jemand bei mir. Zuerst baue ich das Klingeln in meinen Traum ein, aber als es nicht aufhört, schlage ich, noch halb im Koma, die Augen auf. Es klingelt immer weiter. Ich tappe zur Tür und drücke auf den Summer. Jemand rennt die Treppen hoch. Lu. Außer Atem steht sie vor mir, sie zittert am ganzen Körper.
»Was ist los?«, frage ich.
Lus Stimme ist trotz ihrer Atemlosigkeit seltsam ruhig. »Du hattest recht!« Sie starrt mich mit glasigen Augen an.
Ich ziehe sie besorgt in meine Wohnung. »Bist du hängengeblieben, oder was?«
Lus Blick wandert langsam nach unten zu ihren Füßen. Sie flüstert: »Es geht los, Charlie!«
Schockiert starre ich auf die orangefarbenen Blumen auf den grünen Gummistiefeln. Es sind genau die Stiefel, die sie im Feuer getragen hat! Das zweite Detail aus dem Traum, wenn man Sunshine mit einrechnet, das in der Wirklichkeit auftaucht. Es geht los. Die Prophezeiung nimmt ihren Lauf. Lu ist kurz vorm Hyperventilieren, ich glaube, sie fällt gleich in Ohnmacht.
»Was in aller Welt sollen wir jetzt tun?«, fragt sie.
ENDE Teil I