Erzählt von Ansichtskarten, Taormina und der Tragödie des sizilianischen Mannes. Die Poldi wirbelt Staub auf, macht sich Gedanken und hat eine Idee. Montana dagegen hat die Faxen dicke, und John kriegt das Gästezimmer. Und nach einer Beratung mit dem Padre und der traurigen Signora hat die Poldi fast schon eine neue Spur.
»Also gut, sag schon, was ist es?«, maulte ich pflichtschuldig in die kleine dramatische Kunstpause hinein, die die Poldi machte, als sie mir dann alles berichtete.
Natürlich erwartete ich keine Antwort, denn wie sagt die Poldi immer: »Glück gleich Realität minus Erwartung«, und ich bin ja auch nicht ganz blöd.
»Gell, was bist du wieder ungeduldig!«, rief die Poldi auch erwartungsgemäß. »I weiß es wirklich nicht!«
Ich glaubte ihr kein Wort. »Aha, ein McGuffin also.«
»Ein was?«
»So hat Alfred Hitchcock ein beliebiges Objekt genannt, das die dramatische Handlung auslöst oder vorantreibt, ohne dabei von besonderem Nutzen für die Story zu sein.«
»Ah, sind wir wieder im Schlaumeiermodus! So ist’s recht. Magst mir vielleicht erst noch ein bisserl die Welt erklären? So ein bisserl mansplaining macht ihr Kerle doch immer gern. Oder magst mir vielleicht vorlesen, was du in letzter Zeit Schönes g’schrieben hast?«
»Ist ja gut!«, stöhnte ich.
»Darf i dann bittschön nachert fortfahren?«
»Forza Poldi!«
Für einen Moment herrschte Stille in der Via Baronessa 29. Diese Art von Stille, die bei einer totalen Sonnenfinsternis von der Welt Besitz ergreift. Diese Stille, wenn die Zeit einfriert. Wenn dir klar wird, dass irgendwas gründlich schiefgelaufen ist. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist und die Bremsen bei voller Fahrt versagen. Wenn minus mal minus nicht mehr plus ergibt. Wenn das Meer sich zurückzieht und dir nicht mehr viel Zeit bleibt, bis der Tsunami auf dich zurast. Die Stille vor der Katastrophe.
»Zehn Millionen Dollar klingt nicht nach einer sentimentalen Erinnerung, die man auf den Kaminsims stellt«, brummte Montana und sah die Poldi an. »Warum werde ich den Eindruck nicht los, dass du mehr darüber weißt?«
Die Poldi tupfte sich die Stirn mit einer Serviette. »Wenn ich es wüsste, würde ich es euch schon sagen. Außerdem: Wichtig ist doch, dass wir Thomas finden.«
Montana kannte meine Tante inzwischen gut genug, um zu wissen, dass sie Geheimnisse ohnehin nicht lange für sich behalten konnte. Daher hakte er ganz gegen seine Natur und den Impuls eines Kriminalkommissars nicht weiter nach, zog die Stirn nur noch mehr in Falten als sonst.
»Haben Sie ein Foto von Ihrem Halbbruder?«
»Ja natürlich.« John zog sein Handy heraus, tippte ein bisschen herum und reichte es Montana.
Die Poldi rückte neugierig näher und sah das Foto eines gut aussehenden Mannes Anfang vierzig, der fröhlich und ein bisschen unverschämt in die Kamera grinste.
»So kenne ich ihn!«, rief die Poldi aus. »Immer mit einem Schalk im Nacken und einer unvernünftigen Idee im Kopf!«
»Schicken Sie mir mal das Foto«, sagte Montana und gab John seine Nummer.
»Mir auch!«, rief die Poldi.
»Wann, sagten Sie, ist Ihr Halbbruder verschwunden?«
Die Poldi sah, dass Montana dabei wieder diesen Blick bekam, den Kriminalkommissare immer kriegen, wenn sie in den Jagdmodus einrasten. Und das gefiel meiner Tante. Dieser Blick war sexy, er machte meine Tante so richtig an, kann man sagen, aber nun beruhigte er sie irgendwie auch. Denn, so ihr Kalkül: lieber Jagdmodus als Eifersuchtsmodus.
»Letzte Woche.«
»Und seitdem kein Lebenszeichen?«
John schüttelte den Kopf. Die beiden Männer sahen sich in die Augen, wie zwei, die längst das Gleiche denken.
»Wenn dieses Objekt wirklich so wertvoll ist, ist Ihr Bruder womöglich schon tot«, sprach Montana es schließlich aus.
John nickte bedrückt. »Deswegen bin ich sofort nach Sizilien geflogen. In Thomas’ Hotelzimmer habe ich das hier gefunden …«
Er griff in eine Tasche seiner grünen Steppweste, zog etwas heraus und reichte es Montana. Montana warf einen Blick darauf, drehte es um und noch mal um und reichte es dann an die Poldi weiter, die schon ganz zappelig wurde vor Neugier.
Ehrensache, dass meine Tante Poldi an dieser Stelle schon wieder innehielt und genüsslich an ihrem Grappa nippte.
Ich nun aber ganz die neue Coolness und Kernigkeit mit meiner gebrochenen Nase. In aller Seelenruhe trank ich einen Schluck Wasser und lehnte mich lässig im Sofa zurück, als müsse ich über etwas sehr Wichtiges nachdenken. Das Leben zum Beispiel oder den Weltfrieden. Beziehungsweise die Frage, wann ich Valérie endlich kennenlernen und mit meiner neuen Kernigkeit beeindrucken konnte.
»Geh, du bleder Hammel«, fuhr mich meine Tante an. »Ein bisserl einen Respekt kannst deiner Tante schon noch erweisen, gell!«
Missmutig drückte sie mir eine zerknitterte Ansichtspostkarte in die Hand. So eine dieser Karten mit einer Fotocollage durchgenudelter Sehenswürdigkeiten, alles in tüchtig übersättigten Farben. »Sicilia bedda« stand unter der Collage, die eine Eruption des Ätna zeigte, den Obelisken mit dem schwarzen Elefanten auf der Piazza Duomo in Catania, einen Korb mit Zitronen, düstere Rittermarionetten und ein junges Paar in sizilianischer Tracht. Genau so eine Postkarte halt wie diejenigen, die, seit ich denken kann, immer wieder bei uns zu Hause am Kühlschrank pappten.
Die Karte war nicht adressiert und enthielt nur eine kurze Notiz in akkurater Druckschrift auf Englisch.
+393403469364
BEAUTIFUL ANTONIO
Ohne viel Federlesens griff Montana zu seinem Handy und gab die Nummer ein.
»Messaggio gratuito. Il numero selezionato è inesistente o momentaneamente non disponibile. La preghiamo di richiamare più tardi.«
Eine freundliche Frauenstimme feuerte eine automatische Ansage in kaskadenhaftem Italienisch ab, und sie hatte eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: Diese Mitteilung war kostenlos. Die schlechte: Die gewählte Nummer existierte nicht oder war momentan nicht erreichbar. Man wurde gebeten, es später noch mal zu versuchen.
Montana legte auf und wählte umgehend die nächste Nummer.
»Pippo, ich bin’s. … Ja, mir geht’s gut, lass den Schmu. … Was? … Ja, sehr schön, guten Appetit und beste Grüße. Hör mal, du musst eine Handynummer für mich überprüfen. Prepaid-Handy wahrscheinlich, aber ich brauche den gesamten Traffic, Standorte, alles. … Ja, Pippo, ich weiß, dass heute Sonntag ist. Geh mir jetzt bloß nicht auf den Zeiger, die Pasta wird schon nicht kalt. Ruf den Dottore Castorina von der Staatsanwaltschaft an, der ist froh, wenn er sonntags von der Familie wegkann, hol dir die verdammte Verfügung und beschaff mir die Daten, okay? Und ruf mich sofort an … Was denn noch?« Montana stöhnte und rollte mit den Augen. »Ja, richte ich aus, Vollidiot.« Er legte auf und sah die Poldi gereizt an. »Der Assistente Zannotta lässt herzliche Grüße ausrichten.«
»Oh, danke!«, flötete die Poldi. »Das ist aber lieb.«
»Sind denn alle bekloppt geworden?! Bin ich eigentlich der Einzige, der noch alle Latten am Zaun hat?«
»Beruhige dich, Vito. Schön tief durchatmen, und dann fahren wir los.«
»Los, wohin?«, fragte Montana misstrauisch.
»Nach Taormina natürlich. Du willst dir doch bestimmt das Hotelzimmer von Thomas ansehen.«
Denn, wie gesagt, von Kriminalkommissaren und dem Jagdtrieb verstand meine Tante Poldi was.
Ich stelle mir vor, wie die drei so in Montanas Alfa über die Autostrada Richtung Taormina brettern. Montana verkniffen und Kette rauchend am Steuer, die Poldi neben ihm in einem Catsuit mit Leopardenmuster und hinten auf dem Rücksitz wie so ein ungeliebtes Pflegekind, das man lieber wieder umtauschen würde: John.
Auf der ganzen Fahrt fiel kein einziges Wort. Die Poldi bemerkte allerdings sehr wohl, dass sich Montana und John die ganze Zeit über durch den Rückspiegel taxierten, und das löste sehr unterschiedliche Gefühle in ihr aus. Immerhin liebte sie den einen, und den anderen hatte sie einmal sehr geliebt. Daher lag die bange Frage nahe, ob nicht Gefahr bestünde, dass die eine Liebe erlöschen und die andere wieder auflodern und ihr im Endergebnis womöglich am Ende wieder ein gebrochenes Herz eintragen könnte. Aber was wollte sie machen?!
Während ihr zur rechten Seite das Mittelmeer im Sonnenlicht zuglitzerte wie so ein zwanghaft gutgelaunter Wettermoderator, fragte sich meine Tante Poldi, ob der ganze Scheiß mit den Männern eigentlich jemals enden würde. Die Poldi war immer verliebt gewesen, ihr ganzes Leben schon. Schon die Volksschule in Augsburg hätte sie ohne einen wilden Maxi oder Hansi, für den sie schwärmen konnte, nicht ertragen. Überhaupt die ganze Schulzeit nicht, nicht die Ausbildung, nicht den Beruf, schon gar nicht ihre Familie und Augsburg, die Feiertage und Wochenenden und alles, ach, das ganze Leben. Für meine Tante Poldi war die Liebe ein schmerzhafter Dauerzustand. So eine Art Zipperlein, das man nicht loswird, für das es keine Kur gibt, keine Salbe und kein Wärmepflaster. Mal glücklich, mal nicht, wie es eben kommt, wenn das Wetter umschlägt. Aber ohne dieses konstante süße Herzzwicken konnte sie nicht atmen, nicht essen, nicht einschlafen oder aufstehen. Nur saufen ging. Denn meine Tante Poldi trank nicht etwa gegen den Herzschmerz an, sondern sie trank ihn herbei. Sie trank immer so lange, bis sie weitermachen und wieder lieben konnte. Und wenn sie dann manchmal an den ganz dunklen Tagen gar nichts mehr fühlte, dann konnte der Schnaps immerhin ein kleines Feuer dort entfachen, wo eigentlich Platz genug für einen gewaltigen Flächenbrand war.
Männer. Die Poldi liebte Männer. Muss man so sagen. Ihre Gedanken kreisten unaufhörlich um Männer. Dabei war die Poldi immer streitlustig und krachledern für Gleichstellung und Frauenrechte auf die Straße gegangen und hatte sich von Kerlen nie gerne etwas vorschreiben lassen. Nur halt in Herzensdingen, da wurde sie immer schwach. Da folgte der Oberreiter’sche Körper eben seiner Natur und Bestimmung: der reinen Lust. Ihre Worte, nicht meine.
Jedenfalls war die Poldi froh, für die Dauer der Fahrt in Ruhe nachdenken zu können.
»Denn weißt«, erklärte sie mir an meinem ersten Abend in Femminamorta, »nachdem der erste Schock abgeklungen war, also dass mein Johnny so aus dem Nichts wieder vor mir aufgeploppt ist wie so ein Kastlkasper, da ist mir klar g’worden, dass i da ein Riesenproblem am Arsch hatte. Kannst dir schon denken, gell.«
»Nö. Nämlich?«
»Herrgott, bist du schwerfällig! Des Dings, der, wie hast du des vorhin g’nannt? MacGyver?«
»McGuffin.«
»Genau, der Mac halt. Des g’fällt mir, der Mac. I weiß wirklich nicht, was des sein soll. Aber des werden wir fei noch rausfinden.«
»Äh …«, hakte ich misstrauisch ein, »wer ist jetzt ›wir‹?«
»Jetzt unterbrich mich fei nicht immer. Also, wenn der Kigumbe schon so nach mir fragt, dann wird er da schon einen Grund dafür g’habt haben, meinst nicht? Also bin i da logischerweise ins Fadenkreuz g’raten. Weil i womöglich etwas weiß, von dem ich gar nicht weiß, dass ich’s weiß, verstehst?«
»Nö, kein Stück.«
»Mei, des ist doch sonnenklar, dass i da eine Schlüsselrolle spiel! Und des haben der Vito und John auch gleich g’schnallt. Und dazu noch meine dunkle Vergangenheit.«
»Dunkle Vergangenheit. Dein Ernst jetzt?«
»Dunkel, weil wegen dunkler Kontinent, verstehst? Afrika. Herz der Finsternis, schon mal davon g’hört?«
»Und Mama Poldi mittendrin im Rausch der Buschtrommeln als dämonische weiße Kriegerkönigin.«
»I hab den Sarkasmus nicht überhört, Burschi. Aber ja, ganz genau. Also, pass auf, i hab Folgendes überlegt: Irgendeine Riesensauerei ist da passiert, und i jetzt mittendrin. Quasi im Auge des Orkans. Also muss i herausfinden, was dieser Mac ist, der wird mich dann pfeilgrad zu Thomas führen. Logisch, gell? Aber nun hatte i ja die beiden Kerle an den Hacken, und des war mir schon klar, dass des noch ein Mordstrara geben würde mit der ganzen Eifersucht. Und außerdem bin i schließlich auch kein Stein, weißt. I hab Gefühle und eine ganz eine zarte verwundbare Seele. Du siehst: Dilemma. Riesenproblem an den Hacken. Und von zarten Gefühlen und Problemen versteh i was.«
Taormina ist ein touristisches Petit Four. Eine cremige, duftende Illusion aus Luft und Mandelbiskuit mit Pastellglasur und Liebesperlen obendrauf. Ein gehauchtes Versprechen, dass es doch ewigen Frühling und ewige Schönheit geben könnte. Ein zuckriges Kleinod, das du mit einem lustvollen Seufzer in einem Happs verschlingen könntest, aber aus Ehrfurcht vor der Kunst des Patissiers beißt du immer nur kleine Happen ab. Denn natürlich ist die ganze Ewigkeit nur Kulisse, aber für einen süßen Augenblick tauchst du ein in einen Liebesfilm aus den Fünfzigerjahren in Technicolor, wo die Küsse noch scheu und die Männer noch treu sind. Wo die Pomadentolle sitzt und die Mädchen signorina heißen. Wo das gelato nie schmilzt und der limoncello nicht klebrig ist. Wo die Herren Leinenanzüge statt Dreiviertelhosen und die Damen geblümte Petticoats statt Leggins tragen und wo niemand, wirklich niemand, ständig einen Survivalrucksack mit Oreo-Keksen, Laptop, Ladekabeln und Mineralwasser mit sich herumschleppen muss. Wie gesagt, eine Illusion, denn natürlich weht der Zeitgeist auch über den Corso Umberto, fegt über gepflegte Steintreppen hinweg, wirbelt durch Zypressen und üppige Bougainvillebüsche, rüttelt an Orangenbäumen, Hibiskus und Oleander und klappert mit den Fensterläden. Das Taormina meiner Sommerferien zum Beispiel war ein einziges Spielhalleneldorado, wo wir im Neonlicht unsere Ersparnisse an Super Mario verfütterten, uns Zuckerschocks von billigen Limonaden abholten und man an jeder Ecke Freundschaftsbändchen, CDs, Plastikspielzeug und Batiktücher kaufen konnte. Taormina war ein Mordor des Nepps, das ist heute natürlich anders. Anstelle der Spielhallen warten den Corso entlang inzwischen gediegene Antiquitätengeschäfte, Kunsthandwerkläden, Galerien, Edelboutiquen, Flagship-Stores, Schmucklädchen und Gourmetkonditoreien auf Kundschaft mit aufgeladenen Kreditkarten. Aber die meisten Touristen sind weiterhin Familien mit Kindern, Sprachstudenten und junge Pärchen, bei denen sitzt das Geld bekanntlich eher nicht so locker. Außer für Freundschaftsbändchen und billige Limos vielleicht. Immerhin bieten die Restaurants in den Seitengässchen nicht mehr nur ein lappiges menù turistico und pizza al taglio an, sondern echte sizilianische Küche. Und dank meiner Tante Poldi können sie in den umliegenden Bars jetzt sogar Gin Tonic und Moscow Mule.
Also, ich mag Taormina. An den Glamour vergangener Zeiten kommt der Ort nicht mehr ran, aber hin und wieder verirrt sich noch ein Star hierher, zum Filmfestival oder zu einem Konzert im Teatro Greco, und der Blick durch die Bühnenmitte des Amphitheaters auf den fernen Ätna ist wirklich spektakulär. Am schönsten ist Taormina natürlich im Frühling, aber ich mag auch den Winter dort, wenn der ganze Ort zum Stillstand kommt und auf der Piazza ein gigantischer Weihnachtsbaum aus Christsternen steht. Auch wenn man in der Bar des Hotel Timeo oder San Domenico dann immer noch nicht aufmerksamer bedient wird. Es sei denn, man kommt mit meiner Tante Poldi, dann natürlich »Dottore!« hier, »Professore!« dort.
Johns Halbbruder Thomas war nicht in einem der beiden Luxusschuppen von Taormina abgestiegen, sondern in der viel günstigeren Villa Nettuno, einem rosa getünchten, familiengeführten Hotel mit verblichenem Sechzigerjahre-Charme. Das Doppelzimmer mit dem alten Steinfußboden und den alten Möbeln roch nach Mottenkugeln und wirkte auf den ersten Blick unbewohnt. Das Bett gemacht, nirgendwo lag Kleidung herum oder sonst irgendetwas, das auf einen Gast hingedeutet hätte. Die Poldi warf einen Blick ins Bad. Keine Zahnbürste oder irgendwelche Toilettenartikel, die kleinen Seifenpäckchen ungeöffnet.
»Wo lag diese Postkarte?«, wollte Montana wissen, der in der Mitte des Raumes stand und sich nur umsah.
John deutete auf den Nachttisch.
»Sonst nichts?«
»Nein.«
Montana dachte kurz nach. »Dann sollten Sie die Karte wahrscheinlich finden.«
»Das dachte ich auch. Aber auf der anderen Seite hätte er es sich auch einfacher machen können, wenn er mir eine Nachricht hätte hinterlassen wollen.«
Montana sagte nichts dazu, sondern begann nun systematisch, das Zimmer abzusuchen. Die beiden Abfalleimer waren leer. Montana öffnete den alten Einbauschrank, die Schubladen der Wäschekommode, des Nachttischchens und des wackeligen Sekretärs und warf einen Blick unters Bett.
»Können Sie sich sparen«, sagte John. »Habe ich alles schon gemacht. Ich hab das Zimmermädchen befragt, aber die Kleine meinte, dass die Mülleimer leer waren, als sie zum Saubermachen raufkam.«
Montana wandte sich an die Poldi. »Willst du vielleicht auch noch mal nachsehen, zur Sicherheit?«
»Den Sarkasmus kannst du dir gerne sparen, tesoro.« Mit ihrem indigniertesten Blick reichte sie ihrem grantigen Liebhaber ihre Handtasche, bückte sich, streckte sich flach auf dem Boden aus und steckte ihren Kopf unter das Bett.
Denn, das wusste die Poldi von ihrem Vater, Georg Oberreiter, Hauptkommissar a. D. der Augsburger Mordkommission: Sieh immer gründlich unter dem Bett nach! Spuren sind wie Schaben, sie meiden das Licht und flüchten schnell ins heimelige Dunkel. Und richtig! Dort im dämmerigen Dunkel zwischen terrazzo und materasso entdeckte sie etwas, das ihre Aufmerksamkeit erregte. Staub nämlich, der als feine Schicht den Steinboden bedeckte und sich an einigen Stellen zu kleinen Staubmäusen ballte.
»Schieb mich mal!«, rief sie von unten.
»Was?«
»Madonna, jetzt schieb mich mal weiter unter das Bett, ich schaff’s nicht alleine!«
Montana zögerte einen Moment, dann ging er in die Hocke und schob die Poldi an den Beinen vor, bis sie bis fast zur Hüfte unter dem Bett klemmte.
»Weiter!«
John hob das Bett ein wenig an, damit Montana die Poldi noch ein Stück weiter unters Bett schieben konnte.
»Und jetzt ein bisschen hin und her! … Okay. Zieh mich raus. Aber dass ihr mir das Bett nicht auf den Kopf krachen lasst!«
Als die Poldi sich wieder aufrichtete, hatte ihr Leopardencatsuit auf der Bauchseite ein graues Fell aus Staub, Krümeln und Haarresten bekommen.
»Das hast du jetzt davon«, knurrte Montana angewidert.
Ohne einen Kommentar griff die Poldi in ihre Handtasche, zog eine Fusselrolle heraus und rollerte sich damit gründlich ab. Die drei Klebestreifen, die sie verbrauchte, tütete sie sorgfältig in einen Zipperbeutel ein, den sie, klar, immer dabeihatte, und reichte ihn Montana.
»Fürs Labor.«
Montana winkte ab. »Erstens ist das der Staub von tausend Jahren, und zweitens ist das immer noch kein Fall.« Er sprach jetzt wieder Italienisch mit ihr, damit John ihn nicht verstand. »Du kannst das ja gerne weiter mit deinem Ehemann besprechen, Poldi, aber ich bin raus. Ich fahr euch beide jetzt zurück nach Torre, und dann will ich die nächsten Tage nichts mehr von dir hören.«
»Aber Vito …«
»Nein, mir reicht’s. Basta! Ich hab keine Lust, den gehörnten Idioten zu geben. Ehe ich nicht weiß, was hier läuft, brauchst du nicht mehr mit mir zu rechnen.«
Und so kam es, dass die Poldi die drei Klebestreifen in dem Zipperbeutel immer noch in der Handtasche hatte, als Montana sie in der Via Baronessa 29 absetzte und ohne Gruß davonbretterte.
»Er gefällt mir«, sagte John, als er der Poldi ins Haus folgte.
»Ach, halt bloß die Klappe!«
»Liebst du ihn?«
»Kein Wort mehr!«, fauchte die Poldi und drohte ihm mit dem Finger.
Dann fand sie, dass sie inzwischen einen Schluck vertragen konnte, denn schließlich war es bereits Nachmittag. Während die Nachbarn in der Via Baronessa ihre Siesta hielten, schenkte sich die Poldi ein Weizen ein und sah John missmutig an.
»Dass du dich überhaupt her traust!«
»Ich wollte dich schon seit Langem anrufen.«
»Und warum hast du es dann nicht getan?«
»So leicht ist das nicht, Poldi. Du kennst meine Situation.«
Ja, die kannte sie allerdings.
»Wie geht es Amina und den Kindern? Fühlt ihr euch wohl in meinem Haus?«
»Ich werde dir alles erklären, Poldi. Aber erst muss ich Thomas finden.«
»Es sieht nicht so aus, als ob Thomas gefunden werden wollte.«
»Ich bin ein guter Bulle. Ich werde nicht ohne ihn abreisen.«
»Und was, wenn er … Ich meine, du hast Vito ja gehört.«
John räusperte sich, bevor er mit der Sprache herausrückte: »Kigumbe hat gedroht, Amina und die Mädchen umzubringen, wenn ich ihm nicht zurückbringe, was Thomas gestohlen hat. Du weißt, zu was er fähig ist. Ich habe also keine Wahl. Ich muss ihn auf jeden Fall finden, lebendig oder … na ja, am liebsten lebendig.«
Die Poldi trank ihr halbes Weizen in kleinen Schlucken aus.
»Geh, Schmarrn«, sagte sie dann leise auf Deutsch. Und auf Englisch weiter: »Bullshit. Ich glaube dir kein Wort. Diese ganze Thomas-Geschichte stinkt zum Himmel.« Sie stellte ihr Glas ab und erhob sich. »Nein, sag nichts. Ich bin jetzt kurz weg. Und wenn ich zurückkomme, bist du weg. Ist das klar?«
»Ich brauche deine Hilfe, Poldi!«
»Blödsinn. Die Sache stinkt, und ich will weder damit noch mit dir etwas zu tun haben. Verschwinde aus meinem Leben, John, scher dich zum Teufel und komm nie wieder zurück.«
Ehe John noch etwas einwenden konnte, hatte sie den salotto verlassen, schnappte sich ihre Handtasche und verließ das Haus.
Ihr Ziel war die Bar der traurigen Signora Cocuzza. Noch war keine passeggiata-Zeit, der kleine Ort wirkte wie ausgestorben, als die Poldi am lungomare entlang und an der kleinen Kirche Santa Maria del Rosario vorbei in Richtung Piazza stapfte. Der Vormittag war noch sonnig und angenehm mild gewesen, jetzt aber hingen die Wolken tief. Sehr passend, fand die Poldi und fröstelte. In ihrem Innern tobte ein Sturm der Gefühle, und draußen trieb der Seewind ihr einen feinen salzigen Sprühnebel ins Gesicht. Eines muss man meiner Tante Poldi wirklich lassen: Die haut nichts so leicht um, und damit meine ich jetzt nicht den Alk. Aber dieser Sonntagvormittag hatte es echt in sich gehabt. Daher freute sich die Poldi auf einen wärmenden corretto und auf ein klärendes Gespräch mit ihrer Freundin.
Wie erwartet war die Bar fast leer. Die traurige Signora löste Kreuzworträtsel hinter der Kasse und stieß einen Seufzer aus, als die Poldi eintrat. Ganz hinten saßen drei ältere signori beim Kartenspiel, die aussahen wie Komparsen in einem schlechten Mafiafilm, und in der Mitte des Gastraumes thronte wie so ein miesgelaunter, kettenrauchender König der Untoten der Padre bei seinem x-ten Espresso und starrte die Poldi ungnädig an.
»Ich habe Sie heute Morgen in der Messe vermisst!«, polterte er gleich los. »Sie sind wohl lieber im warmen Bett geblieben mit Ihrem Commissario.«
Die Poldi bestellte den corretto mit doppelt Schuss und ließ sich neben dem Padre auf einen Stuhl fallen.
»Lecktsmialleamarsch. Wenn ich Ihnen erzähle, was heute Vormittag bei mir los war, fallen Sie vom Glauben ab«, sagte sie, und mit einer Geschwindigkeit, die man ihr nicht zugetraut hätte, beamte sich die Signora Cocuzza von ihrem Hocker hinter der Kasse zur Poldi an den Tisch.
»Was ist passiert?«, raunte sie heiser. »Schon wieder ein Mord?«
»Das muss man abwarten«, erklärte meine Tante Poldi bedeutungsvoll und begann zu erzählen.
Zum Abschluss ihres Berichts legte sie den Zipperbeutel mit den vollgehaarten Klebestreifen auf den Tisch.
»Sie sind«, brummte der Padre, »eine Frau voller Geheimnisse.«
»Ein Teufelsweib!«, hauchte die Signora Cocuzza begeistert und kassierte einen tadelnden Blick des Padre dafür.
»Danke, Kinder. Aber glaubt mir, auf diesen Vormittag hätte ich gut und gerne verzichten können. Der Herr Commissario war nämlich gerade so schön in Fahrt gewesen, wenn ihr versteht, was ich meine, als …«
»Das reicht!«, ächzte der Padre, bekreuzigte sich und rüttelte eine neue Zigarette aus der Packung.
Die Signora Cocuzza nahm den Zipperbeutel und betrachtete die Klebestreifen. »Was ist denn das da?«
Sie deutete auf ein kleines rotes Pünktchen, das sich zwischen Staub, Hautschuppen und Haaren verbarg und das die Poldi bislang nicht bemerkt hatte.
Sie zog den Klebestreifen heraus und sah sich das rote Pünktchen genauer an. »Sieht aus wie eine Paillette oder so.«
»Von einem Abendkleid!«, flüsterte die traurige Signora. »Getragen von einer mörderischen femme fatale.«
Das fand die Poldi dann doch etwas voreilig, aber da unter der graumäusigen Trauerkloßfassade ihrer Freundin offenbar ein Vulkan voller Leidenschaften und Fantasien brodelte, ließ sie das mal so stehen. Die kleine rote Paillette erinnerte sie an irgendwas oder irgendwen, aber sie kam partout nicht darauf.
»Damit das klar ist«, knurrte der Padre. »Jetzt wollen wir natürlich die ganze Tansania-Geschichte hören. So leicht kommen Sie uns jetzt nicht weg.«
»Ein anderes Mal«, wich die Poldi aus. »Im Augenblick brauche ich eure Hilfe. Wir müssen herausfinden, wer der schöne Antonio ist.«
»Lesen Sie nach bei Brancati!«, rief der Padre.
»Womit wir«, belehrte mich meine Tante Poldi wenige Wochen später, »beim zentralen Mythos Siziliens wären: dem sizilianischen Mann. Oder besser: der sizilianischen Männlichkeit. Da ist natürlich viel drüber g’schrieben worden, aber kein Schriftsteller hat den sizilianischen Männlichkeitswahn und den ganzen Potenzirrsinn vergnüglicher verhöhnt als der Vitaliano Brancati in seinem Roman Der schöne Antonio. Der ist ja auch mit dem Marcello Mastroianni und der Claudia Cardinale verfilmt worden, falls dir des Buch zu schwierig ist. Und merk dir des, Der schöne Antonio ist neben dem Leopard von Tomasi di Lampedusa einer der wichtigsten Schlüsselromane über Sizilien. Spielt außerdem in Catania.«
Meine Tante Poldi nahm einen Schluck Grappa, denn wie immer, wenn sie über ihr Lieblingsthema, also über Männer, sprach, kam sie in Fahrt.
»Der Brancati, des muss ein Mensch mit viel Humor und tüchtig Schwermut g’wesen sein. Der hätt’ mir g’fallen. So ein eleganter, feinsinniger Flaneur. Ein kleiner Mann mit einem Schnurrbart, würde dir übrigens auch gut stehen. Und i stell mir vor, wie er da in den Vierzigerjahren mit seiner Frau Anna, des war eine berühmte Schauspielerin, auf der Via Etnea sitzt, sie nehmen einen aperitivo und spotten über des Gebalze der Trottel auf der Piazza Duomo. Hat sich nicht viel verändert seitdem. Und dieser Roman nun, also über den schönen Antonio, des ist eine Symphonie, eine melancholische, erotische und politische. Ein barockes Sittenbild über die Sizilianer ist des, weißt. Über ihre Sinnlichkeit, ihre Frömmigkeit, ihre Heimatliebe und ihre Ablehnung gegen alles Neue und Fremde. Und ein Lehrstück obendrein über des Patriarchat und die Gefangenschaft der Mädchen und Frauen im eigenen Haus.«
»Und worum geht’s?«
Tadelnder Blick. »Gell, was bist du immer ungeduldig! Falls du mit deinem Roman jemals fertig wirst, nachert wärst auch froh, wenn er sich nicht nur auf eine kurze Inhaltsangabe reduzieren ließe. Oder?«
»Forza Poldi!«, ächzte ich.
»Der Roman«, fuhr sie gedehnt fort, »erzählt halt die Geschichte von dem jungen Antonio Magnano, den sie in Catania alle vergöttern wegen seiner schier überirdischen Schönheit. Kannst dir schon denken. Aber in Wirklichkeit ist der schöne Antonio bloß ein Depp. Ein träger und außerdem, jetzt pass auf, vollkommen impotenter, unterbelichteter Trottel. Sein ganzer Erfolg bei den Frauen, die legendären erotischen Abenteuer in Rom und des ganze Pipapo – alles nur eine Verkettung von Lügen, Vorwänden und Entschuldigungen. Weil untenrum tote Hose. Als des schlussendlich durchsickert, geht eine Schockwelle durch die Cataneser Gesellschaft. Antonios Ehe mit der schönen Barbara wird ruckizucki annulliert, der Vater bringt sich im Bordell um, und überhaupt nimmt des auch für Antonio alles kein gutes Ende. Da treten Faschisten und Kommunisten auf, Priester, Tanten, trommelnde Großväter, Mütter, Geliebte, mordlüsterne Rivalinnen, Wichtigtuer, Versager, uneheliche Kinder und Parteibonzen. Alles dabei, ganz großes Kino. Merk dir des für deinen Roman. Aber im Mittelpunkt, gell, steht immer der Eros des sizilianischen Mannes. Jetzt denkst vielleicht, Himmelherrgott, was ist denn schon dabei, wenn’s einmal nicht klappt! Was dem Antonio da zustößt, des ist doch nur ein kleines Malheur! Mei, und recht hast, des passiert jedem Mann einmal. Außer dem Vito, des muss i jetzt schon sagen. Aber der ist schließlich nicht nur Sizilianer, sondern auch Kriminalkommissar. Und damit als höchste Stufe der menschlichen Entwicklung schließlich auch …«
»… eine sexuelle Urgewalt«, seufzte ich.
»Pfeilgrad. Aber in Sizilien, gell, da reicht diese spezielle Form der Schlaffheit eben zur Tragödie hin. Denn weißt – und gell, da machst du als halber Sizilianer keine Ausnahme, musst dich jetzt gar nicht so winden –, der sizilianische Mann denkt halt immer nur an eines: daran.«
Denn von Männern im Allgemeinen und Sizilianern im Besonderen verstand meine Tante Poldi was.
Manchmal, in sehr heißen Nächten, wenn ich nicht schlafen kann, treibt mich die Frage um, ob die Poldi damit recht hat. Beziehungsweise, ob es der Poldi mit Vito Montana nicht vielleicht ähnlich ergangen ist. Ob die Beschreibungen ihrer nächtlichen Ausschweifungen womöglich nicht doch nur samt und sonders erfunden waren. Um den Schein zu wahren. Um Montana nicht zu brüskieren, ihn im Gegenteil umso mehr zu vergöttern, je weniger hinter verschlossenen Türen irgendwas abging. Aber das sind alles haltlose Spekulationen, die mich erstens nicht weiterbringen und zweitens auch gar nichts angehen. Immerhin hat Montana nachweislich zwei Kinder gezeugt, und er ist kein Dödel, im Gegenteil.
Und weil er kein Dödel war, ließ er mit sich nicht gerne den Molli machen und sich Hörner aufsetzen. Die Poldi war im Augenblick allerdings ganz froh, ihn nicht im Haus zu haben. Denn natürlich war John immer noch da, als sie an jenem Sonntagnachmittag von der Bar zurückkehrte. Und er hatte auch nicht vor zu gehen.
»Es ist so, Poldi«, erklärte er ihr ruhig. »Du scheinst etwas zu wissen, das mich zu Thomas führen kann, und außerdem hast du oben ein Gästezimmer.«
»Fein«, sagte meine Tante. »Dann unterschreib endlich die Scheidungspapiere, und zahl mich für mein Haus aus.«
Zu ihrer Überraschung zog John einen mehrfach gefalteten und zerknitterten Umschlag aus der Jackentasche und reichte ihn ihr. »Na los, mach ihn auf.«
Die Poldi zögerte. Aber dann schnappte sie sich den Umschlag. Er enthielt einige amtliche Dokumente, mit der Unterschrift meiner Tante und nun auch von John. Und einen Scheck der First National Bank of Tanzania.
»Ist das dein Ernst?«, rief die Poldi aus, als sie die Summe sah. »Das Haus ist mehr als das Doppelte wert, das weißt du.«
»Mehr habe ich nicht, Poldi. Sieh es als Zeichen meines guten Willens.«
Die Poldi war drauf und dran, den Scheck zu zerreißen, John achtkantig rauszuschmeißen und sich anschließend gepflegt die Kante zu geben. Aber weil meine Tante Poldi aus leidvoller Erfahrung wusste, dass der Spatz in der Hand immer noch besser ist als die Taube auf dem Dach und weil sie die ganze Tansaniasache endlich abschließen wollte und weil sie eine kleine Finanzspritze tatsächlich auch ganz gut gebrauchen konnte, steckte sie den Scheck gnädig zurück in den Umschlag.
»Lecktsmialleamarsch. Ich hoffe, er ist gedeckt.«
»Das ist er. Und sobald ich Thomas sicher nach Hause zurückgebracht habe, wirst du nie wieder von mir hören, das verspreche ich.«
Nun ja, das sind halt diese Versprechen, die eigentlich niemand hören will und die auch niemand wirklich glaubt.
Trotz ihres Misstrauens schickte die Poldi John nicht weg. So war sie nicht gestrickt, schließlich war sie kein Stein, sie hatte Gefühle und eine zarte, verwundbare Seele. Denn natürlich hatte sich in ihren Ärger über Johns überraschendes Auftauchen schon wieder dieses andere Gefühl gemischt. So ein vertrautes flaues, der Übelkeit nicht unähnlich. Plus natürlich das Jagdfieber. Obwohl Montana das abstritt, konnte meine Tante Poldi ein Verbrechen auf zehn Meilen gegen den Wind riechen.
»Im Ernst, i kann des riechen!«, verkündete sie stolz, als sie es mir erzählte. »Kleine Verbrechen, weißt, die müffeln nur ganz schwach ein bisserl nach Schweiß und abgestandenem Essen. Die etwas größeren wie Betrug, Entführung oder Bankraub, die riechen herb. Nach Leder und verglühtem Eisen. Aber die Kapitalverbrechen, die riechen scharf und stechend, die brennen mir in der Nase wie Ammoniak oder Schwefel.«
»Aha«, sagte ich ungläubig. »Und nach was hat’s diesmal gerochen?«
Die Poldi lehnte sich zurück und schloss die Augen. »Verbranntes Gummi.«