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Przemyśl, Polen November 1942

Da ist jemand. Draußen, im Dunkeln.

Ich öffne die Augen.

Und das Dunkel ist genauso wie immer. Eine leere Seite. Ich rieche den Kohl, den Emilika zwei Stockwerke unter uns gekocht hat. Ich spüre den Seufzer neben mir – das ist der Atem meiner schlafenden Schwester. Aber das Dunkel hat sich auch verändert. Es trägt ein Echo in sich. Ein Geräusch, das meinen Ohren entgangen ist.

Da ist jemand.

Jetzt bin ich wach.

Ich schlage die Decke zurück, leise und lauschend, strecke meine Beine hinunter zum Boden. Eine Matratzenfeder knallt wie ein Schuss. Meine Schwester stöhnt auf, rührt sich aber nicht.

Wenn da jemand ist, dann jedenfalls nicht hier im Zimmer.

Ich schleiche barfuß und auf Zehenspitzen über die Dielen und lege einen Finger auf den Rand des kleinen Teppichs, den ich vors Fenster genagelt habe. Die Straßenlaternen blenden mich, harte Schneekristalle fallen glitzernd durch den Lichtkegel. Aber der Gehweg unter dem Haus ist verlassen, die Fenster gegenüber sind Reihen toter Augen, abgedunkelt mit Vorhängen und Kleidungsstücken und Teppichen. Genau wie meine. In Przemyśl ist Licht wie ein Werbeplakat für Süßigkeiten. Und es ist nicht klug, darauf hinzuweisen, wo Süßes zu holen ist.

Ich lasse den Teppich wieder fallen und gehe zur Tür. Bevor ich den Schlüssel umdrehe, drücke ich ein Ohr an das Holz. Der leere Flur draußen führt zu den anderen leeren Räumen der leeren Wohnung. Wie es sein sollte. Alles ist, wie es sein sollte.

Und dann zerreißt ein Geräusch die Stille. Lauter als ein Schuss. Eine Granate der Angst, die in mein Herz fällt. Und ich erkenne das Geräusch, das mir entgangen war.

Jemand klopft an meine Wohnungstür.

Sie wissen es. Sie wissen es. Sie wissen es.

Die Worte hämmern im Takt meines Herzschlags.

Wieder knallt eine Matratzenfeder, und ich spüre, wie Helena sich hinter mir nähert. Sagen tut sie nichts. Sie ist sechs Jahre alt und man braucht ihr nicht zu erklären, dass jetzt keine Zeit für Fragen ist.

Das Klopfen ertönt erneut, diesmal noch lauter, und durch den Türspalt flüstert jemand.

»Stefania?«

Das ist ein Trick. Die Gestapo will mich dazu bringen, ohne weitere Umstände zu öffnen. Damit sie die Tür nicht aufbrechen müssen. Damit sie irgendeinem netten deutschen Offizier und seiner gesetzestreuen Frau mit sauberem Haar und geflickten Strümpfen eine schöne, unbeschädigte Wohnung übergeben können.

Vielleicht werden sie uns deshalb auch erst draußen erschießen, wie Herrn Schwarzer.

Wieder wird geflüstert.

»Mach die Tür auf! Fusia!«

Unter diesem Namen kennt mich die Gestapo nicht.

Ich renne mit ausgestreckten Händen zur Tür, schon suchen meine Finger den kürzlich reparierten Riegel. Ich weiß, dass er es nicht ist. Er kann es gar nicht sein. Aber ich taste trotzdem herum und drehe den Schlüssel im Schloss, reiße dann die Tür auf. Helena ringt nach Luft. Oder vielleicht war ich es selbst. Denn die nackte Glühbirne, die im Hausflur hängt, hat mir gezeigt, dass er es nicht ist. Es ist keineswegs der, an den ich gedacht hatte.

»Max!«, flüstere ich.