24

Januar 1944

Ich starre den SS-Mann an. Er hat zwei Gestapo-Männer dabei. Sie blicken genervt drein. Gelangweilt. Ich bringe nur ein »Was?« heraus.

Der Mann verzieht wütend das Gesicht. »Wir benötigen Ihr Haus«, wiederholt er überdeutlich auf Polnisch mit deutschem Akzent. Als wäre ich schwer von Begriff. Dann drängt er sich an mir vorbei nach drinnen, seine beiden Männer folgen ihm.

Sie laufen die leeren Räume ab. Sie schauen in alle Winkel, und der erste SS-Mann macht sich Notizen auf seiner Liste. Meine Nerven vibrieren, als wollten sie die Haut durchstoßen.

Sie wollen mein Haus. Die Nazis wollen mein Haus.

Bitte, Helena. Komm nicht nach Hause.

Dann öffnet der SS-Mann die Tür zur Diele. Beim Anblick der Hühner macht er einen Schritt zurück und stößt einen angewiderten Laut aus. Er sieht mich an. »Wo führt diese Leiter hin?«

Meine Kehle ist ausgetrocknet. Zugeschnürt.

»Wo führt diese Leiter hin?«, bellt er.

»Dachboden«, flüstere ich. Und beobachte, wie seine glänzenden Stiefel Sprosse um Sprosse erklimmen. Er geht ganz nach oben. Seine Stiefel verschwinden aus meinem Blickfeld. Die anderen zwei beobachten mich scharf, das Bild von Maria und dem Christuskind direkt hinter ihnen, während die Stiefel die Decke über meinem Kopf knarzen lassen.

Bitte, Gott. Bitte, Gott. Bitte, lieber Gott.

Auf dem Dachboden ist es still. Der Himmel ist still. Der Mann kommt die Leiter herunter und macht sich eine Notiz auf dem Klemmbrett. Er sagt: »Wir richten im leerstehenden Gebäude gegenüber ein deutsches Krankenhaus ein …«

Letzte Woche habe ich gesehen, wie Arbeiter in das ehemalige Schulgebäude gegangen sind, um Reparaturen vorzunehmen. Aber ich habe nicht geahnt, was das zu bedeuten hat.

»… und die Mitarbeiter brauchen eine Unterkunft. Die neuen Mieter kommen in zwei Stunden. Nehmen Sie Ihren persönlichen Besitz mit, die Möbel bleiben.«

Zwei Stunden. Die Nazis wollen mein Haus in zwei Stunden.

»Aber … ich kann nicht packen …«

Ich kann hier auf gar keinen Fall weg.

»Gehen Sie oder Sie werden sterben«, sagt der Mann.

Ich starre ihn an.

»Wenn Sie hierbleiben, erschießen wir Sie. Haben Sie verstanden, Fräulein?«

Ich verstehe. Nur zu gut.

»In zwei Stunden kommen wir zurück«, sagt der SS-Mann. Er hakt seine Liste ab, und die Gestapo-Männer folgen ihm nach draußen.

Ich stütze mich auf einen Stuhl und nehme einen langen, keuchenden Atemzug. Und dann mache ich einen Satz über die Hühner, klettere schnell die Leiter hoch, schiebe die losen Bretter zur Seite und krieche durch die kleine Tür.

Danuta schreit vor Schreck leise auf, aber ansonsten sind alle still. Selbst diejenigen, die weinen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie sich gefühlt haben, als die SS die Leiter hochkam.

Oder vielleicht kann ich es doch.

Max hockt auf den Knien und hält eine schwere Holzlatte in den Händen. Ich glaube, er hätte mir beinahe den Kopf eingeschlagen.

»Fusia!«, zischt er. »Gib uns das nächste Mal vorher Bescheid! Was …«

»Sie nehmen uns das Haus weg«, sage ich. »Die Nazis nehmen uns in zwei Stunden das Haus weg. Bleibt, wo ihr seid. Ich finde schon etwas für uns.«

Aber wohin soll ich mit dreizehn Juden gehen? Jetzt sofort?

Ich weiß es nicht.

Max packt mich am Arm. »Wenn sie kommen, kämpfen wir. Das ist beschlossene Sache.«

»Ich werde etwas finden.«

»Nimm Hela«, sagt Max. »Und komm nicht zurück.«

»Wenn sie kommt, sag ihr, sie soll sich in der Ruine verstecken …«

»Fusia, nimm Helena und komm nicht zurück!«

»Sag ihr, ich komme später zu ihr«, erwidere ich und steige die Leiter hinunter, als hätte er nichts gesagt.

Im bitterkalten Wind renne ich die Tatarska-Straße hinunter und mein Blick huscht hierhin und dorthin. Wo soll ich sie unterbringen? Ein Keller. Ein Lager. Wie soll ich sie mitten am Tag dorthin schaffen? Sie sind schmuddelig. Schäbig. Unrasiert. Blass. Man sieht ihnen an, dass sie sich auf einem Dachboden verstecken. Wo können wir hin?

Ich stürze durch die Tür ins Wohnungsamt und stifte Unfrieden, als ich mich an den Männern und Frauen in der Schlange vorbeidrängle. Die Frau, die mir geholfen hat, das Haus in der Tatarska-Straße zu bekommen, sitzt am Schreibtisch.

»Ich brauche eine Wohnung«, sage ich. »Sofort. Die Deutschen nehmen mein Haus, und meine Schwester und ich können nirgendwo …«

»Es dauert mindestens fünf Tage, eine neue Wohnung zu bekommen«, sagt die Dame. Dieses Mal nennt sie mich nicht ihren Schmetterling, Mäuschen oder dergleichen. Wahrscheinlich, weil ich unhöflich bin.

»Eher zwei Wochen«, ruft ein Mann aus der Schlange.

»Jetzt gerade haben Sie gar nichts?«, frage ich sie.

»Natürlich nicht!«

Anschließend laufe ich ziellos durch die Straßen, weil ich nicht weiß, was ich sonst tun sollte. Ich suche nach leerstehenden Gebäuden, wo ich dreizehn Personen für ein, zwei Tage unterbringen könnte. Zwei Wochen, bis ich eine neue Wohnung bekomme. Aber hätte diese Wohnung überhaupt einen Platz, wo ich sie alle verstecken könnte? Ich klopfe an zwei Häusern, die Schilder im Fenster stehen haben, aber niemand will mich einziehen lassen, bevor der Papierkram erledigt ist. Ich renne in die Kathedrale, benetze meine kalten Finger mit Weihwasser, knie mich hin und bekreuzige mich so schnell, dass zwei Frauen ihr Gebet unterbrechen und sich zu mir umdrehen.

Ich bitte. Flehe.

Die Glocken läuten.

Mir bleibt eine halbe Stunde.

Ich muss eine Entscheidung treffen.

Ich renne aus der Kathedrale, lasse die schwere Eichentür mit einem Knall hinter mir zufallen und höre nicht auf zu rennen, bis ich vor der Tür der Tatarska Nummer 3 stehe.

Helena ist da. Und Max. Alle dreizehn stehen unbewegt im Wohnzimmer. Max hat seine Holzlatte in der Hand. Frau Bessermann ein Küchenmesser. Siunek einen Hammer.

Wir haben noch fünfzehn Minuten.

Die Tür ist nicht einmal abgeschlossen.

Max legt die Holzlatte hin und kommt auf mich zu. Er nimmt mein Gesicht in die Hände und sieht mir in die Augen. »Hör zu«, sagt er. »Du hast genug getan. Nimm Helena und flieh. Hast du verstanden?«

Seine Augen sind dunkel vor Wut und Verzweiflung.

»Geh, Fusia«, sagt Siunek.

»Lauf«, sagen Jan Dorlich und Sala und Frau Bessermann. Sie alle berühren mich, wo sie mich zu fassen kriegen.

»Geh jetzt, Mädchen«, sagt Dr. Hirsch.

»Flieh«, sagt Dr. Schillinger.

Dziusia klammert sich an meiner Taille fest. Ich sehe Max an und weine.

Weil ich nicht fliehen kann.

»Helena«, flüstere ich. »Geh zu Emilika. Bis Mama nach Hause kommt.«

Meine kleine Schwester schüttelt den Kopf. Sie tut es Dziusia nach und klammert sich an mir fest.

Uns bleiben zehn Minuten.

»Stefania«, sagt Max. Er hält immer noch meinen Kopf, während ich weine. Auch er weint. »Du nimmst jetzt Helena und gehst. Sofort!«

Nur, dass ich damit nicht leben könnte. Ich will leben, aber damit kann ich nicht leben.

Ich schüttle den Kopf.

»Dann sorge ich dafür, dass du gehst!«, sagt Max.

»Fusia«, sagt Henek. »Du musst fliehen! Jetzt.«

Danuta weint immer noch. Sie legt mir eine Hand auf die Schulter.

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Was sollen wir tun? Helena muss gehen. Mein Herz pocht und pocht hart gegen meinen Brustkorb. Ich kann nicht mit ansehen, wie Max weint. Ich schließe meine nassen Augen.

Und eine Ruhe überkommt mich. Warm. Weich. Wie in der Nacht, in der ich die Pelze gefunden habe. Wie in der Nacht, in der ich die Tatarska-Straße gefunden habe. Und wie in dieser Nacht führe ich eine Unterhaltung mit einem anderen Teil meiner selbst.

Schick sie auf den Dachboden. Öffne die Fenster. Tu so, als hättest du keine Angst. Putze das zweite Schlafzimmer.

Das ist lächerlich. Warum sollte ich so etwas machen, wenn ich doch gleich erschossen werde?

Weil sie dich nicht erschießen werden.

Aber die SS hat gesagt, sie würden mich erschießen. Und dann finden sie die anderen.

Sie werden niemanden erschießen. Sie wollen nur ein Zimmer. Du hast ein Zimmer.

Sie erschießen Helena.

Nein, sie brauchen nur ein Zimmer. Tu so, als hättest du keine Angst. Gib ihnen das Zimmer.

Aber …

Gib es ihnen. Jetzt. Sie kommen.

Ich öffne die Augen. Und Max schüttelt mich. Vielleicht hat er mir sogar eine kleine Ohrfeige verpasst.

Sie werden glauben, ich sei verrückt geworden. Ich riskiere Helenas Leben. Es funktioniert womöglich nicht. Mein Verstand sagt, dass es nicht funktionieren wird.

Aber in meinem Innern spüre ich die Gewissheit. Dort ist es still. Und ich bin nicht allein.

»Geht auf den Dachboden«, sage ich. »Ihr alle!«

»Bitte«, flüstert Max mir zu. »Nicht.«

»Geht!« Und ich mache mich von ihm los, von all ihren Händen, und schließe die Tür ab.

»Geht«, sagt Max mit leiser Stimme. »Und gebt keinen Laut von euch.«

Und sie gehen. Wie Geister steigen sie die Leiter hoch. Ihre Waffen nehmen sie mit. Sie werden kämpfen, wenn die Zeit gekommen ist. Nur ist die Zeit noch nicht gekommen. Max schnappt sich seine Holzlatte, sieht mich noch einmal an und steigt die Leiter hoch. Nun ist sein Blick nur noch traurig. Mehr als das. Er sieht aus, als wüsste er nicht mehr weiter.

Er glaubt, dass er mich nie wiedersieht.

»Hela«, sage ich. »Schnell. Leere den Eimer aus dem Schlafzimmer aus und lass ihn draußen. Dann jagst du die Hühner in den Hof und bleibst bei ihnen. Ich schließe die Tür hinter dir ab.«

Sie sagt kein Wort. Nimmt nur ihren Mantel und tut wie geheißen, während ich das Laken, das die Privatsphäre beim Toilettengang gewährleisten sollte, abnehme und unter mein Bett werfe. Ich öffne die Vorhänge vor dem Fenster und schiebe es auf. Atme die saubere Luft ein. Ich hatte ganz vergessen, wie das Zimmer aussieht, wenn Licht hereinströmt. Und dann kehre ich. Singend. Das Versteck auf dem Dachboden ist direkt über meinem Kopf.

Ich weiß, dass Max glaubt, ich hätte den Verstand verloren.

Vielleicht habe ich den Verstand verloren.

Wenn es so ist, soll es mir recht sein.

Die Kirchturmglocken läuten. Und dann hämmert eine Faust gegen die Tür.

Ich beeile mich nicht, zu öffnen. Aber ich zögere auch nicht. Den Besen nehme ich mit. Ich werde die Tür aufmachen, wenn ich davorstehe.

Nun wird sich zeigen, ob ich überlebe.

Oder sterbe.

Ich öffne die Tür.

Es ist ein SS-Mann. Ein anderer SS-Mann. Mit strengem Blick. Einer von der Kälte geröteten Nase und einer Pistole. Er ist allein.

»Fräulein … Podgórska?«, fragt er und überprüft seine Liste. »Ich bin wegen der Unterkunft hier?«

Sein Polnisch ist nicht schlecht. Ich atme tief ein.

»Ja, mir wurde angekündigt, dass Sie kommen. Ich habe das Zimmer gerade für Sie gekehrt.«

»Darf ich es mal sehen, bitte?«

Ich wusste gar nicht, dass die SS um Erlaubnis fragen kann. Mit einem Lächeln für Helena, die in ihrem Mantel zitternd hinter dem Toilettenhäuschen hervorspäht, öffne ich die Tür ganz. Der SS-Mann glaubt, das Lächeln sei für ihn bestimmt.

Er geht bis ins zweite Schlafzimmer, macht sich ein paar Notizen, und als er an meinem Bett vorbeikommt, bleibt er stehen und hebt einen Umschlag auf. Es ist der Brief von meiner Mutter. Helena hat ihn letzte Nacht noch einmal gelesen. Plötzlich wirkt seine Miene weniger streng.

»Salzburg?«, sagt er. »Ich komme aus Salzburg!«

»Meine Mutter und mein Bruder sind dort in einem Arbeitslager. Darum ziehe ich meine kleine Schwester auf.«

»Das Mädchen draußen? Hübsches Kind. Sehr schüchtern.« Er lächelt.

Er sieht nicht so aus, als würde er mich gleich erschießen.

Er setzt sich mit mir an den Tisch und erklärt, dass nur noch zwei Krankenschwestern untergebracht werden müssten und er keinen Grund sehe, weshalb die beiden jede ein eigenes Zimmer bräuchten. Sie könnten sich eines teilen, und meine Schwester und ich würden unser Zimmer behalten. Wäre das akzeptabel? Schön, dass wir nicht zu schnell umgezogen seien, denn wir könnten genauso gut bleiben. In ein paar Minuten kämen Soldaten, um die Betten zu liefern. Und könne er vielleicht einen Brief für meine Mutter mitnehmen, wenn er zurück nach Salzburg fahre?

Ich danke ihm und schließe die Tür.

Er hatte eine Pistole, aber er hat sie nicht benutzt.

Ich lebe. Helena lebt. Wir alle leben.

Dann muss ich die Tür wieder öffnen, weil die Soldaten mit lackierten, eisernen Bettgestellen da sind. Unter lauten Gesprächen auf Deutsch und ordentlichem Krach stellen sie ihre Fracht im hinteren Schlafzimmer ab. Ich frage mich, was meine dreizehn wohl davon halten. Mitten im Gedränge kommen die zwei Krankenschwestern an. Karin und Ilse. Jung. In ihren Zwanzigern, mit lackierten Fingernägeln und frisch gewelltem Haar. Und sie sind, wie es scheint, überhaupt nicht angetan von der Situation. Sie hatten nicht vor, sich ein Zimmer zu teilen. Sie können ohne Strom nicht leben. Ohne eine richtige Küche. Und bitte wo sind die Toiletten?

Das alles lese ich aus den Reaktionen der Soldaten, die ihre Betten aufstellen, denn die beiden Frauen sprechen kein Wort Polnisch.

Vielleicht wollen sie hier so dringend weg, dass sie es irgendwie bewerkstelligen.

Während sie sich einrichten, erkläre ich, dass ich einige Dinge für sie aus dem Weg räume. Dabei deute ich in verschiedene Richtungen, um sie zu verwirren. Mich finden sie anscheinend ebenso abstoßend wie ihre neue Umgebung. Helena bleibt am Tisch sitzen und soll pfeifen, sobald es ein Problem gibt – wenn die Krankenschwestern zum Beispiel versuchen, die Leiter hochzusteigen, oder noch mehr Nazis kommen, um bei uns zu wohnen –, während ich mit dem dreckigen Eimer und einem sauberen voller Wasser auf den Dachboden schleiche. Ich glaube nicht, dass die Frauen das Haus in nächster Zeit verlassen werden.

Max hat die falsche Wand bereits geöffnet. Er ist halb im Versteck, halb draußen, als ich vor ihm in die Knie gehe. Er schnappt meinen Kopf, drückt seine Stirn gegen meine und flüstert: »Du bist so ein Dummkopf.«

Ich nicke, und meine Stirn reibt gegen seine. Ich weiß.

Die Eimer lasse ich oben und klettere wieder nach unten.

Später an diesem Nachmittag kommt Ilse zu mir und sagt auf Deutsch: »Ratte. Ratten!« Sie deutet nach oben. Zur Decke. Ich verstehe den Wink.

Sie will mir sagen, dass sie Geräusche vom Dachboden hört. »Oh«, sage ich und setze eine verständnisvolle Miene auf. »Ratten, ja. Tut mir leid.«

Ich zucke mit den Schultern. Angewidert sieht sie mich an.

Ich muss Max warnen, aber ich kann nicht.

Die Krankenschwestern bedienen sich an unseren Vorräten. Als würde mein Essen der deutschen Wehrmacht gehören. Sie essen das ganze Brot, die Butterration für die ganze Woche und die Hälfte meiner Eier. Es ist nichts übrig, was ich auf den Dachboden schmuggeln könnte. Ohne zu kochen. Dann setzen sie sich eine Weile aufs Sofa und unterhalten sich. Ihre Laune scheint sich gebessert zu haben. Ilse hilft Karin mit dem Lippenstift. Es klopft, und sie geht zur Tür. Als wäre ich überhaupt nicht da.

Es sind zwei deutsche Soldaten. Einer von der SS. Sie begrüßen und küssen sich.

Dann verschwinden sie gemeinsam im hinteren Schlafzimmer.

Dass ein Kind im Haus ist, scheint sie nicht zu stören.

Helena und ich schlafen in dieser Nacht auf dem Sofa. Zumindest sie schläft. Ich liege regungslos und mit offenen Augen da und warte auf einen geeigneten Moment, um auf den Dachboden zu schleichen. Als er da ist, schiebt Max die Bretter kaum zur Seite, um kein Geräusch zu verursachen. Er hat ein kleines Guckloch in die Bretter gemacht, damit er sehen kann, wer kommt.

»Sie können euch hören«, flüstere ich.

»Und wir hören sie«, sagt Max.

Ich weiß. »Du musst alle ruhig halten.«

»Die Kinder haben Hunger.«

»Helena kommt, sobald sie arbeiten sind. Aber ihr müsst still sein.«

Max nickt zur Bestätigung, aber er wirkt nicht sonderlich überzeugt.

Ich bin es auch nicht. Ein paar meiner dreizehn sind schwierige Charaktere. Manche sind einfach zu jung.

Als ich mich wieder neben Helena auf das Sofa lege und im Haus endlich Ruhe eingekehrt ist, kommt die alte Angst zurück. Sie war nie weg. Ich hatte über die schwelende Furcht einen Deckmantel aus falscher Sicherheit gebreitet und es mir darauf bequem gemacht. Aber nun ist meine Sicherheit verschwunden. Es fällt mir schwer zu atmen, schwer zu denken, und der Schmerz hinter meinen Augen lässt mich farbige Lichter sehen. Ich will mir Helena schnappen und fliehen. Wie sie es mir geraten haben.

Ich war eine Närrin, nicht zu fliehen. Ich habe es nur aufgeschoben. Und lasse sie alle leiden.

Und dann erinnere ich mich an dieses Gefühl der Gewissheit.

Dafür muss es einen Grund geben.

Es muss eine Möglichkeit geben, dass wir all das überleben. An diesem Gedanken und an meinem Glauben an Gott halte ich mich fest.

Vier Nazis schlafen im Nebenzimmer.

Auf dem Dachboden über ihren Köpfen befinden sich dreizehn Juden.

Helena und ich stehen zwischen ihnen.

Ich glaube, wir alle müssen unser Bild von der Hölle neu definieren.