223. Schuhe und Hausschuhe von Louis Pasteur.

 

 

Pasteur scheint am Ende und sogar am Strand ausschließlich sie getragen zu haben. Die beiden Paar Knöpfstiefel aus schwarzem Ziegenleder unterscheiden sich durch kleine Details. Das erste, mit sechs Knöpfen zu schließende Paar, lässt auf dem Stoff des Innenfutters die Marke erkennen: „12 boulevard Saint Michel, 12 Marquer Bottier Paris.“ Höchstwahrscheinlich handelt es sich um die Stiefel, die er auf dem Foto im Garten des Instituts trägt. Das zweite Paar, ohne Markenzeichen, wird mit sieben Knöpfen geschlossen. Außerdem haben die Stiefel zwei Laschen, die vorne und hinten herausragen und das Anziehen erleichtern. Seit seinem 46. Lebensjahr ist Pasteur einseitig gelähmt und hat Schwierigkeiten beim Ankleiden und beim Anziehen der Schuhe. Ein letztes Paar Stiefel, das, sicherlich typisch für die Mode der Zeit, an beiden Seiten mit Gummibändern geschlossen wird, lässt sich gewiss leichter anziehen als die Knöpfstiefel.

Die sorgfältig im Schrank aufgereihten Stiefel erinnern uns an den Gang eines großen Mannes in einem schwierigen Moment seines Lebens. In der unverändert erhalten gebliebenen Wohnung bemerkt man beim Hochsteigen der Treppe, die Pasteur so oft benutzt hat, ein Geländer auf beiden Seiten, das er wegen der Lähmung benötigte. Man sieht eine Gestalt mit einem langsamen, schleppenden Schritt vor sich.

Pasteur, der 1895 starb, ruht in einer im Erdgeschoss des Institutsgebäudes eigens errichteten Grabkapelle, deren byzantinischer Stil für die Epoche des Symbolismus repräsentativ ist. Eine Kartusche in der Mitte des Gewölbes enthält einen Satz aus der Antrittsvorlesung Pasteurs vor der Académie Française: „Glücklich, wer einen Gott, ein Ideal der Schönheit in sich trägt und ihm dient, Ideal der Schönheit, Ideal der Wissenschaft, Ideal des Vaterlandes, Ideal der Tugenden des Evangeliums.“

 

Die Halbstiefel der Belle Otéro

Im letzten Jahrzehnt vor 1900 und dem folgenden wimmelt es von schönen Frauen. Doch drei berühmte Kurtisanen machen sich während der Belle Epoque den ersten Platz streitig: Emilienne d’Alençon, Liane de Pougy und Belle Otéro, die eigentlich Caroline heißt.

Die Spanierin Otéro beginnt ihre Laufbahn mit zwölf Jahren auf den Ramblas von Barcelona, bevor sie als Tänzerin im Palais de Cristal in Marseille auftritt. Ihre Schönheit erregt großes Aufsehen und führt unter den Zuschauern zu regelrechten Prügeleien. Sie setzt ihre Karriere in Paris fort. Zahlreiche leidenschaftliche Verehrer stehen unter ihrem Bann und stürzen sich in den Ruin, um ihre Gunst zu gewinnen. Gleich einer Grille spielt sie Roulette und holt ihren Verlust wieder ein, indem sie eine Nacht mit älteren Adeligen verbringt, die ebenso reich wie hässlich sind. Von einer Eskapade nach Sankt Petersburg kehrt sie als Andenken mit den Halsketten von zwei Kaiserinnen und einer Königin zurück. Während ihrer Glanzzeit erscheint sie eines Abends mit Schmuck behängt bei Maxim’s. Liane de Pougy, ihre Rivalin, spottet über ihr angeberisches Auftreten und betritt, weil es zum guten Ton gehört, nach der Vorstellung zu Abend zu essen, das Restaurant ohne jegliches Schmuckstück, aber dafür in Begleitung ihres Zimmermädchens, das unter dem Gewicht des Kissens, auf dem alle ihre Schmuckstücke zur Schau gestellt sind, stöhnt.

Sie lässt sich mit Männern auf dem Ball Mabille ein, isst in Armenonville zu Mittag, stolziert im Bois de Boulogne umher und ihre Eroberungen sind zahllos. Zu ihren Bewerbern gehört neben vielen anderen, die ihrer schönen Augen wegen ein Vermögen verprassen, auch der von ihr bewunderte Kaiser Wilhelm II. So manch einer, der von ihr abgewiesen wurde oder sich in den Ruin gestürzt hat, setzt seinem Leben ein Ende, was ihr den traurigen Titel „Selbstmordsirene“ einbringt. Die Andalusierin jedoch, die das sinnlose und erschöpfende Leben aller Schönen führt, ist auch eine begabte Sängerin und Tänzerin. Ihr Ansehen als Künstlerin ist ihr von großer Wichtigkeit, folglich zündet sie vor jeder Première in der Kirche Notre Dame des Victoires eine Kerze an.

Nach einem Erfolg im Varietétheater mit Carmen schlägt sie einen Vertrag mit der Opéra Comique aus und zieht sich im Alter von fünfundvierzig Jahren aus dem öffentlichen Leben zurück. Ihr auf fünf Millionen Francs geschätztes Vermögen schmilzt 1922 im Glücksspiel wie Schnee in der Sonne, ihrem luxuriösen Lebensstil wird ein Ende gesetzt. Von ihrem kleinen Palast in Nizza zieht sie in mittelmäßige Zimmer von Luxushotels, verkauft alles, was sie entbehren kann für fast nichts und flüchtet sich schließlich in ein kleines Zimmer, in dem sie mit einer mageren Pension des Casinos überleben kann. Noch so mancher ältere Herr umwirbt die schon fünfundachtzig Jahre alte Belle Otéro und kommt zum Souper mit Champagner und Kaviar in ihr Zimmerchen. Obwohl verschiedene Zeitungsartikel veröffentlicht wurden, um Caroline Otéro der Vergessenheit zu entreißen, stirbt sie im April 1965 in großer Armut. Heute bringen sie ihre im MIC in Romans aufbewahrten Halbstiefel wieder in Erinnerung und zeugen von der Schuhmacherkunst der Belle Epoque.