1. Kapitel

Leena

»Verdammt!« Ich lachte ausgelassen und streckte meiner besten Freundin die Zunge heraus, nachdem ich sie entdeckt hatte. »Das kann unmöglich wahr sein! Nur ein einziges Mal möchte ich schneller sein als du!« Ich war kurz davor, wie ein bockiges Kleinkind auf den Boden zu stampfen, selbst wenn das für gewöhnlich nicht meine Art war.

Sue legte den Kopf schief und wackelte triumphierend mit ihren makellos geschwungenen Augenbrauen. »Gib es auf, Leeni. Du kannst gern Jahr für Jahr den Lageplan auswendig lernen, deine Orientierung gleicht trotzdem der eines Würstchens.« Sie strich mir versöhnend über den Oberarm. Meiner Meinung nach hinkte ihr Vergleich gewaltig, seit wann hatten Würste ein Bewusstsein? »Ausnahmslos jeder würde vor dir den Weg aus dem Heu-Blumen-Labyrinth finden. Im Übrigen führt mich dieses kleine Schätzchen jederzeit an mein Ziel.« Siegesgewiss tippte sie sich an ihre Nasenspitze.

»Seit wann wartest du schon?«, knurrte ich gespielt beleidigt und ignorierte das Gefasel über ihre Spürnase.

»Ach, gar nicht endlos lang.« Sie machte eine betont gleichgültige, wegwerfende Handbewegung.

Ich ließ sie nicht vom Haken. »Wie lange, Sue?«

Meine beste Freundin zuckte mit den Schultern. »Möglicherweise … fünf Minuten?«

Ich erkannte, dass sie schwindelte. Sie war praktisch nicht imstande, irgendetwas vor mir zu verheimlichen. »Und jetzt die Wahrheit, bitte.«

Sie griff zögerlich nach ihrem Handy, um mir das Display zu zeigen – mit einem verdammt schelmischen Grinsen im Gesicht. »Sieben Minuten und 43 Sekunden.«

»Du hast nicht ernsthaft die Zeit gestoppt, du kleines Biest?« Fassungslos fiel mir die Kinnlade herunter, dennoch versuchte ich gar nicht erst, mir das dicke Schmunzeln zu verkneifen. Auch wenn ich es nicht gern zugab, mein Zeitgefühl war, ähnlich wie mein Orientierungssinn, wirklich kaum vorhanden. Ich hätte sogar geschworen, dass ich insgesamt keine drei Minuten im Labyrinth verbracht hatte.

Seit mittlerweile fünf Tagen fand das alljährliche Tombola-Frühlingsfest im April in Saint Mellows statt, und ich genoss es, meine beste Freundin wieder um mich zu haben. Wir Mellowianer ließen keine Möglichkeit verstreichen, ein Fest zu feiern. Die Lieblingsserie unserer Bürgermeisterin war Gilmore Girls – das erklärte wohl alles. Die ersten Krokusse kämpften sich aus der Erde? Höchste Eisenbahn für die Frühlingsfeste. Ja, Mehrzahl, es gab nicht nur eins. Ich konnte es jedes Jahr kaum erwarten, im Frühling meine alte fliederfarbene Cord-Latzhose aus dem Schrank zu kramen, deren Kniepartien ich schon unzählige Male geflickt hatte. Zwar nahm ich nicht an allen Veranstaltungen teil, doch das gemeinsame Frühlingsblumen-Festival, zu dem ganz Saint Mellows auf Knien durch den Stadtpark robbte, um Blümchen zu pflanzen, gehörte zu meinen liebsten Veranstaltungen. In meiner frühsten Kindheitserinnerung hatte ich meiner Grandma Edith dabei geholfen, und ich erinnerte mich so gern daran. Im Sommer war das Wasserbombenfestival mein Favorit. Es war der einzige Tag, an dem man all seinen Frust herauslassen und jeden abwerfen konnte, der einen nervte. Es wurden Teams zusammengestellt, auch wenn es eigentlich keine Verlierenden gab. Verloren hatte nur, wer am Ende des Tages nicht von oben bis unten klitschnass war. Wenn man es genauer betrachtete, richtete sich das Leben in Saint Mellows einzig und allein nach der Blätterpracht unserer Bäume. Und von denen hatten wir massig. Unsere überschaubare Stadt war umgeben von der Natur, und egal, auf welchem Wege man sie verließ: Er führte mitten durch einen Forst. Als Kind hatte ich mir immer vorgestellt, dass Saint Mellows ein Schloss war und die Wälder der schützende Burggraben.

Ich lebte schon immer hier und hatte nie das Bedürfnis wahrgenommen, woandershin zu gehen. Die große, weite Welt hatte schlicht und einfach nicht nach mir gerufen. Was, wenn man mich fragte, völlig in Ordnung war. Nicht in jedem von uns steckte ein Weltenbummler, zumal ich mir kein schöneres Zuhause als Saint Mellows vorstellen konnte. Sue war da anders. Sie studierte Jura im Big Apple, und ich vertraute darauf, dass sie es mal echt weit bringen würde, denn sie war schon immer der Mensch mit den größten Träumen und Zielen gewesen, den ich kannte. Zuerst war ich fuchsteufelswild gewesen, dass sie mich wie einen Eremiten zurückließ. Erst nach einem Streit, bei dem sie mir an den Kopf warf, dass ich selbst schuld wäre, realisierte ich widerwillig, dass sie recht hatte. Nur weil ich hier nicht wegwollte, hieß das nicht, dass sie ebenfalls hierbleiben musste. Dass sie rastlos war und sich mehr wünschte, wurde mir leider erst zu dem Zeitpunkt schmerzlich bewusst, als sie in das Flugzeug stieg und für acht Wochen am Stück verschwand. Ich hoffte, sie würde ihr Mehr in New York finden. Sue war immer auf der Suche, immer rastlos und hatte das Gefühl, irgendetwas finden zu müssen. Ihre Abreise war für mich, als würde man mir einen Arm ausreißen. Ohne Betäubung. Ich vermisste sie sofort. Selbstredend hatte ich das bis heute niemandem verraten, denn ich zeigte keine Schwäche. Das kam für mich gar nicht in die Tüte. Wer verletzlich agierte, würde ausgenutzt werden. Wenn nicht direkt, dann garantiert später.

»Leeni?« Sue schnippte vor meinem Gesicht herum. Peinlich berührt strich ich mir die hellblonden Haare, die ich erst kürzlich radikal hatte abschneiden lassen, hinter die Ohren. Noch vor zwei Wochen reichten sie mir bis zur Taille, heute endeten sie auf Höhe der Schlüsselbeine. Ich liebte meine neue Frisur, doch wäre es gelogen zu behaupten, ich hätte mich längst daran gewöhnt. Ständig ertappte ich mich dabei, wie ich geistesabwesend nach den Haarspitzen griff, die nicht mehr da waren. Stattdessen landete ich an meinem Busen, was zu meinem Bedauern nicht immer unbeobachtet geschah.

»Äh, ja?« Hoffentlich hatte sie nicht bemerkt, wie ich wieder Tagträumen nachhing.

Aufgeregt hüpfte Sue auf der Stelle. »Wollen wir?«

»Wollen wir was?« Ich runzelte die Stirn. Manchmal benahm sie sich wie ein Kind, dem man jedes Wort einzeln aus der selbst ernannten Spürnase ziehen musste. Zugegeben: Dafür liebte ich sie. Dafür und für unzählige weitere Gründe, die Sue zu meiner besten Freundin machten. Vor allem dafür, dass sie mir gern einen Spiegel vorhielt, wenn ich selbst nicht erkannte, dass ich mich fehl verhielt. Sie zeigte augenrollend auf das Glücksrad, vor dem die Warteschlange in diesem Augenblick auffallend kurz war. Offenbar hatten längst alle gedreht und sich ihr Los abgeholt. Die Ziehung würde bald kommen. Es hatte mittlerweile Tradition, dass Sue und ich bis zum Schluss dieses Frühlingsfestes warteten, ehe wir unser Glück versuchten. Einmal hatten wir ein Wellnesswochenende gewonnen – den Hauptpreis! Ich lächelte in Erinnerung daran, wie wir aus dem Häuschen gewesen waren.

Knall auf Fall war auch ich Feuer und Flamme und fühlte mich in mein zehnjähriges Ich zurückversetzt. »Du hast letztes Jahr das Rad gedreht, nicht wahr?« Mit schief gelegtem Kopf grinste ich sie an.

Sie knuffte mich gegen den Oberarm. »Du versuchst es echt immer wieder aufs Neue!«

»Es klappt ja eh nie«, seufzte ich resigniert und hob die Arme kapitulierend an.

»Dieses Jahr bin ich dran!« Um die Bedeutung ihrer Worte zu unterstreichen, wies sie mit dem Finger auf ihre Brust. »Du brauchst auch nicht zu versuchen, mich mit deinen blauen Engelsäuglein umzustimmen, Fräulein.«

»Na gut«, schmollend zog ich die Unterlippe nach oben.

»Jep. So und nicht anders. Muss ja alles seine Richtigkeit haben.« Mit erhobenem Zeigefinger äffte ich Sue und ihren Gerechtigkeitssinn nach, wofür ich ein breites Grinsen erntete. »So beknackt bin ich nun auch wieder nicht.«

»Oh doch, das bist du sehr wohl«, kicherte ich und schubste sie behutsam voran. Sie flitzte zum Glücksrad, und ich senkte für einen Moment die Lider, sog den Duft des Frühlingsfestes tief ein. Die sanfte Brise wehte diese Mischung aus warmer Zuckerwatte, Himbeerscones, Karamellpopcorn, Krokussen und Feuerholz zu mir herüber. Diese Gerüche würden mich immer an Saint Mellows im Frühling erinnern. Der Rasen unter meinen Füßen gewann schon an sattem Grün, und er knisterte leicht bei jedem Schritt. Mit geschlossenen Augen nahm ich all die Eindrücke noch intensiver auf, so auch die fröhliche Musik, die aus sämtlichen, mehr schlecht als recht versteckten, Lautsprechern ertönte. Das Gekreische der vielen Kinder, die sich über den Platz jagten, um sich mit Futter zu bewerfen, das sie den Ziegen und Schafen aus dem provisorischen Streichelzoo geklaut hatten, klingelte in meinen Ohren. Ich öffnete lächelnd die Augen und senkte den Blick auf meine Hände, in denen ich eine senfgelbe Wollmütze hielt. Die Nägel hatte ich passend zur Saison in einem pastelligen Hellblau lackiert, und ich grinste glücklich beim Anblick des Tulpen-Rings. Ich liebte es, meine Accessoires harmonisch zur Jahreszeit auszuwählen, und erst recht liebte ich meine hellblauen Doc Martens, die ich aus meinem Kleiderschrank kramte, sobald der letzte Frost verschwunden war.

Sam

Ich stöhnte auf, da der nervige Weckton meines Handys mich aus dem enorm kurzen Schlaf riss. Ich hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan und mich deshalb nach dem Frühstück und einer verausgabenden Joggingrunde noch einmal hingelegt. Seit ich wieder bei meinen Eltern in Saint Mellows gelandet war, prasselten all die Erinnerungen an die Highschoolzeit auf mich ein und hielten mich nächtelang wach. Ich erinnerte mich an all die falschen Freundschaften, die ohnehin nie eine Chance auf Beständigkeit gehabt hatten und im Laufe der letzten Jahre zerbrochen waren. Ich entsann mich all der Personen, die es niemals aus diesem Ort herausgeschafft haben. Und all derjenigen, die nicht schnell genug davonrennen konnten. So wie ich. Ich lächelte müde und schüttelte kaum merklich den Kopf, wischte mir mit den Handflächen über das Gesicht. Was versuchte ich mir hier eigentlich einzureden? Zwar hatte ich Saint Mellows ein paar Jahre den Rücken gekehrt, war aber dennoch wieder hier gestrandet, obwohl ich es besser hätte wissen sollen. An dem Ort, der kurz davor gewesen war, mich zu zerstören. Ich strampelte die breite Bettdecke von meinem Körper und angelte mit vom Schlaf steifen Knochen nach dem Handy, um dem nervtötenden Piepsen ein Ende zu setzen.

»Aus«, befahl ich diesem und tippte das Display an. Stöhnend ließ ich mich nochmal zurück in das weiche Kissen fallen und legte den Unterarm über meine geschlossenen Augen. Das Einzige, das mir helfen würde, war eine eiskalte Dusche. Mom und Dad planten das mit voller Absicht. Sie wussten, wie ich zu unserem Familienunternehmen stand. Das hatte ich ihnen unmissverständlich klargemacht. Sie waren darüber im Bilde, dass es nie mein Wunsch gewesen war, zurückzukommen, geschweige denn zu bleiben. Die Jahre in Yale waren die einzigen, in denen ich endlich Freiheit geschnuppert hatte. Ich hatte die Klamotten getragen, die mir gefielen. Ich war aufgestanden, wann es mir beliebte, und war nach Hause gekommen, wann es mir passte. Und ich war nie, wirklich niemals verpflichtet gewesen, irgendjemandem Rede und Antwort zu stehen für Angelegenheiten, die ausschließlich mich angingen. Und das Wichtigste war, dass ich nicht jeden verdammten Tag mit dem maßgeblichsten Fehler konfrontiert worden war, den ich in meinem Leben begangen hatte. Wieder hier zu sein war der größte Tiefschlag für mich. Jede Ecke in Saint Mellows rief Erinnerungen wach, die ich lang vergessen geglaubt hatte, und doch stattete ich dem Stadtkern jedes Mal, wenn ich zu Feiertagen oder Geburtstagen hier war, einen heimlichen Besuch ab. Dieses Mal war es anders, denn ich war im Grunde nur zurückgekommen, da ich mit dem Abschluss meines Studiums auch meine Studentenjobs im Campus-Café und der Yale Daily News verlor und ich keine Berechtigung mehr für eine Wohnung auf dem Campus hatte. Meine vergebliche Wohnungssuche hatte ich nach zwei Monaten aufgegeben, denn leider war die Universität das einzig Glanzvolle in New Haven. Und da ich nicht wusste, in welche Ecke des Landes es mich schlussendlich verschlagen würde, hatte ich den irrwitzigen Entschluss gefasst, erst mal wieder nach Hause zu kommen. In dem Moment, in dem das Taxi mich vor zwei Tagen unsere Einfahrt entlanggefahren hatte, setzte sich auch der wiederkehrend schwere Stein in meinem Magen fest. Kurz hatte ich überlegt, doch das Angebot meines Freundes Kyle anzunehmen und auf seinem Sofa in Boston zu übernachten.

Ächzend stützte ich mich auf den Ellenbogen auf, stemmte meinen Körper hoch und verfluchte alles. Warum war diese Stadt derart versessen aufs Festefeiern? Mein Blick fiel auf den Stuhl neben dem Kleiderschrank, auf dem fein säuberlich die Uniform für heute bereitlag. Offenbar hatte das Hausmädchen sie dort drapiert. In was für ein spießiges Umfeld war ich nur hineingeboren worden? Na, wenigstens die Farbe stimmte. Ich stand auf und schlenderte mit verkrampften Muskeln zum Schrank, um das schwarze Polohemd zu begutachten. Es war Jahre her, dass ich es getragen hatte. Als Jugendlicher hatte ich oft Fahrten für Dad übernommen. Und hätte man mir vor wenigen Wochen gesagt, dass ich heute wieder hineinschlüpfen würde, wäre ich garantiert in hysterisches Gelächter ausgebrochen. In gewohnter Schrittfolge trottete ich auf mein Bad zu. Dieser Luxus eines eigenen Badezimmers war das Einzige, das mir in der Zeit am College gefehlt hatte, auch wenn ich mit Kyle den wohl umgänglichsten Mitbewohner erwischt hatte. Nicht umsonst war er mein bester Freund geworden. Ich zog mir ungelenk das Shirt über den Kopf, stellte mich nackt in die verglaste Duschkabine und drehte das eiskalte Wasser ruckartig auf, sodass ich keine Chance hatte, diesem auszuweichen. In dem Moment, in dem es mich berührte, sog ich die Luft ein, und alles in mir zog sich schmerzhaft zusammen. Es war, als bedeckten Tausende winzige Messerstiche meine Haut. Langsam regelte ich die Temperatur nach oben und wünschte mir, dass ich in dieser verdammten Dusche ausrutschte, nur um diesem lästigen Frühlingsfest heute zu entkommen. Hoffentlich begegnete ich so wenigen Personen wie möglich, die ich aus meiner Jugend kannte, denn ich hatte nicht vor, lange zu bleiben. Die Menschen, die niemals erfahren hatten, was wirklich geschehen war. Die lediglich mit dem Finger auf uns zeigten, hinter unseren Rücken tuschelten und sich die wildesten Geschichten ausdachten. Das Deprimierende daran war, dass keins der Gerüchte auch nur ansatzweise an die Wahrheit herankam. Mom und Dad hatten alles verschleiert. Einfach alles. Sie wollten das Gerede im Keim ersticken, wollten ihren guten Ruf nicht gefährden und erst recht nicht den Ruf unseres Familienunternehmens, mit dem all das zusammenhing. Ihre feigen Ausflüchte, in denen sie uns erklärt hatten, sie täten das nur zu unserem Schutz, klangen in mir auch nach all den Jahren noch nach. Sie hatten nur ihre eigene Haut retten wollen, und nicht uns. Um ehrlich zu sein, war ich mir nicht sicher, ob ich es aushalten würde, mit meiner Vergangenheit konfrontiert zu werden. Die Zeit, in der ich Abstand gewonnen hatte, kam mir nicht länger vor als ein flüchtiger Wimpernschlag.

Später betrat ich unsere geräumige Küche im Erdgeschoss, und die Bedienstete wirbelte umher. Ihren Namen kannte ich bislang nicht. Ich schritt zum Kühlschrank, um mir Orangensaft daraus hervorzuholen, der noch an exakt derselben Stelle stand wie schon vor 24 Jahren. »Guten Morgen.« Ich nickte ihr dank meiner guten Erziehung diskret zu und zwang mich sogar zu einem zuvorkommenden Lächeln. Zu meiner Verwunderung hielt sie scheu die Luft an, quiekte mir einen erstickten Gruß entgegen und verschwand durch die breite Flügeltür, die zum Esszimmer führte. In den Händen trug sie ein, hoffentlich gekochtes, Ei, was dem Bild eine traurige Komik verlieh. Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich gesagt, sie war auf der Flucht. Ich zog eine Augenbraue in Richtung Haaransatz und seufzte kaum vernehmlich. Was war denn hier wieder los? Meinen Blick auf den blitzblanken Fliesenboden gerichtet, in dem ich mich als schemenhafter Umriss spiegelte, atmete ich tief ein, drückte den Rücken durch und wappnete mich für die nächsten Minuten. Zögerlich setzte ich einen Fuß vor den anderen und betrat das Esszimmer, in dem meine Mom und mein Dad an ihren alteingesessenen Plätzen weilten, um einen Mittagssnack einzunehmen. Das Beständigste in jeder Familie auf diesem Planeten war wohl die Sitzordnung im Elternhaus. Für den Bruchteil einer Sekunde ploppte eine Erinnerung vor meinem geistigen Auge auf, die uns in Form einer euphorischen Gemeinschaft zeigte. Mom, Dad, mich und – ich kniff die Augen zu, um das Bild zu verscheuchen. Ausgerechnet heute konnte ich keinen Flashback gebrauchen, der mich um Jahre zurückwarf und der den tief in mir verwurzelten Schuldgefühlen Feuer gab. Der dafür sorgte, dass ich nicht fähig war, einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Ich schluckte und schlenderte stumm auf die beiden zu.

»Hi, Samuel«, begrüßte Mom mich so steif wie eine verflixte Stafford-Ehefrau und zeigte kultiviert auf meinen Stuhl. »Setz dich doch, bitte.« Mir entging nicht der flehende Blick, den sie Dad zuwarf, und es kostete mich enorme Selbstbeherrschung, nicht lautstark zu schnauben. Mit meinem Dad an einem Tisch zu sitzen ging nicht oft gut aus.

»Passt schon.« Ich fuhr mir ruhelos mit der Hand durch die Haare. »Ich muss nämlich los.« Furchtlos und irgendwie auch auf Krawall gebürstet, suchte ich den Blick meines Vaters und hoffte, diesem standzuhalten. »Immerhin sollte ich nicht erst zur Preisverleihung heute Abend beim ach so charmanten Tombola-Frühlingsfest sein, nicht wahr?« Ich hatte mir diese Spitze wirklich nicht verkneifen können. Mir war bewusst, dass ich ihn provozierte. Und auch, dass ich schon bessere Ideen hatte. Doch ich wusste, dass er persönlich es veranlasst hatte, mich für heute einzuteilen. Bloß keine Zeit verlieren und dem Sohn zeigen, wer der Boss war.

»Samuel!« Ich erkannte an seiner fordernden Stimmlage, dass er versuchte, mich zu maßregeln, was mir ein Schmunzeln entlockte. Ich war kein Kind mehr, und früher oder später würde er es kapieren. »Hör endlich auf, in allem, was deine Familie betrifft, irgendetwas Schlechtes zu suchen, und tu das, was du schon vor Jahren hättest anpacken sollen.« Erregt legte er das Besteck neben seinem Teller ab und ballte die Hände zu Fäusten. Seine Stimme überschlug sich vor anschwellender Wut, und ich realisierte, dass es mich nicht mehr befriedigte, ihn rasend zu machen. Ich hatte ihn seit Jahren kaum noch anders erlebt.

»Sean, bitte. Nicht jetzt.« Mom fasste sich geniert an ihre perfekt gelegten Haare, die die gleiche dunkelblonde Farbe hatten wie meine, massierte sich die Nasenwurzel und ließ ihren Blick zwischen Dad und mir hin- und herwandern. Ich riss mich von Dad los, atmete tief durch und machte wortlos auf dem Absatz kehrt, um das Haus zu verlassen, ein Lächeln auf den Lippen, von dem ich nicht genau sagen konnte, ob es aus gefühlter Überlegenheit oder Unsicherheit entstanden war. Ich wusste nur, dass ich keine Lust hatte, mich auf sein Wutlevel zu begeben, und entschied, einfach nichts zu erwidern, denn genau das schürte sein Feuer. Er hatte es verdient. Unklug war nur, dass ich durch diesen Abgang hungrig das Haus verließ, obwohl die selbst gebackenen Brötchen so verführerisch geduftet hatten. Ach, verdammt.

Leena

»Nein, nein, weiter, ja, jaaa, STOPP«, brüllte Sue das Glücksrad an, als würde es dadurch genau dann halten, wann sie es wünschte. Es war jedes Jahr das Gleiche.

»Du spinnst gewaltig«, murmelte ich hinter ihr und scannte heimlich die Umgebung nach möglichen Beobachtern ab.

»Hast du etwa vor, in der ersten Runde rauszufliegen?« Geschockt über meine gespielte Teilnahmslosigkeit, riss sie ihre Augen auf.

Ich schüttelte lächelnd den Kopf und zeigte auf das Rad, das mittlerweile stehen geblieben war. »Schau! Wir sind nicht raus. Du darfst ein Los ziehen. Aus Lostopf fünf.«

Triumphierend reckte sie die Faust in die Höhe. »Yes! Das ist ein guter Topf«, verriet sie mir und tippte sich wieder an ihre Nase. »Das spüre ich.«

Ich versteckte das Gesicht hinter meinen Händen. »Ohne dich fehlt hier wirklich etwas!«

Sie fasste sich dramatisch an die Brust und blinzelte übertrieben, wobei ihre langen Wimpern hinter ihrem geraden Pony verschwanden. »Ohne Scherz?«

»Ja«, bestätigte ich nickend. »Ruhe.«

»Du Kuh, ich vermisse dich doch auch.« Grinsend tänzelte sie zum Lostopf und fischte einen Zettel daraus hervor. Ihre Worte zwickten mich in den Magen, denn vermissen war etwas, das ich die letzten Wochen und Monate häufig tat, insbesondere meine Eltern, die im November, vor nunmehr fünf Monaten, ihre jahrelang geplante Weltreise angetreten hatten. Es wäre gelogen gewesen, wenn ich behaupten würde, mir aus egoistischen Gründen gewünscht zu haben, dass sie auf ihren Traum noch etwas länger hätten warten müssen. Doch kaum jemand hatte diese Weltreise so sehr verdient wie Mom und Dad, und ich war erwachsen, stand auf eigenen Beinen und würde es schon ein paar Monate ohne sie schaffen. Immerhin hatte ich doch auch ohne Sue die letzten Jahre gut überstanden, oder? Meine Eltern sendeten mir zwar Fotos und glücklicherweise auch Updates zu ihrem Standort, aber es war dennoch nicht das Gleiche, wie jeden Sonntag bei ihnen am Tisch zu sitzen. Sie zu umarmen und ihre Stimmen ohne Verzögerung zu hören.

Ich beobachtete Sue, wie sie das Los an Neil weiterreichte, der schon beim Glücksrad aushalf, seit ich die ersten eigenständigen Schritte gesetzt hatte. Wie jedes Jahr notierte er unsere Namen neben der Nummer, die Sue gezogen hatte, und sie kam mit dem Zettel zurück zu mir.

»Hier«, hielt sie ihn mir hin und wurde durch ihr klingelndes Handy unterbrochen. »Oh, Moment, da muss ich rangehen.« Entschuldigend lächelte sie mir zu und entfernte sich ein paar Schritte, das Los noch immer in der Hand. Ich betrachtete sie dabei, wie sie aufgebracht gestikulierte. Das sah alles andere als nach einem spaßigen Pläuschchen aus. Ich wandte mich ab und schlenderte ein Stückchen weiter, Sue würde mich einholen, denn besonders ausufernd war unsere Festwiese nicht. Ich trödelte vorbei an einem Wagen, auf dem sich verschiedenste Schnittblumen stapelten, und einem mickrigen Feuer, über dem ein paar Kinder Marshmallows rösteten. Irgendwie war das hier unser Ding in Saint Mellows, obwohl der Stadtname ursprünglich nicht im Entferntesten irgendetwas mit dem klebrigen Schaumzeug zu schaffen hatte. Ungeachtet dessen gab es kein Café oder Restaurant, in dem nicht mindestens ein Gericht mit Marshmallows auf der Karte stand.

In dem Moment, in dem ich mich zu einer jungen Katze hinunterbückte, um diese hinter den Öhrchen zu kraulen, tippte mir jemand auf die Schulter. »Süße, ich muss leider los.« Niedergeschlagen zog Sue eine Schmolllippe und blitzte ihr Smartphone finster an. Sie hielt es in die Höhe, um ihren Frust zu unterstreichen. »Mein Chef verlangt, dass ich mich noch heute um die Akte eines Mandanten kümmere.«

Ich versuchte, mir die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Seit Sue nicht bloß in New York studierte, sondern dort zudem in einer renommierten Anwaltskanzlei jobbte, hatte ich nicht einmal mehr dann richtig was von meiner besten Freundin, wenn sie in Saint Mellows war. Ihr Job hatte stets Vorrang. Daran hatte ich mich auch nach drei Jahren nicht gewöhnen können, und ehrlich gesagt bezweifelte ich, dass ich dies in absehbarer Zeit tun würde. Da mir trotz alledem klar war, wie lebenswichtig ihr der Job und ihre Unabhängigkeit in New York waren, versteckte ich ihr zuliebe meinen Unmut.

»Okay. Treffen wir uns morgen früh im Anne’s zum Frühstück?« Ich klang flehentlich, was mir normalerweise gewaltig gegen den Strich ging. Nur Sue kannte auch meine zerbrechliche Seite. Ja, ich war nicht immer so widerstandsfähig, wie alle annahmen. Im Speziellen dann nicht, wenn es um Sue ging, und jetzt waren auch noch Mom und Dad auf der anderen Seite des Erdballs. Mich von Sue zu verabschieden riss mir das Herz aus der Brust. Ich gehörte zu der Sorte Mensch, die mit jeder Faser des Körpers vermisste.

»Na klar, neun Uhr! Dort kannst du mir erzählen, was du heute alles erlebt hast!« Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern und reichte mir das Glücksrad-Los, damit ich, sollten wir Glück haben, unseren Gewinn gleich würde abholen können.

Ich prustete los und steckte das Stück Papier achtlos in die Jackentasche. »Ja. Genau. Heute wird garantiert irgendetwas geschehen, das mein Leben von Grund auf verändern, in seinen Grundfesten erschüttern und problemlos alles durcheinanderbringen wird.«

»Davon bin ich überzeugt!« Wieder hob sie ihren Zeigefinger in die Höhe. Das war neben dem An-die-Nase-Tippen ihre typischste Geste. Bis zum jetzigen Zeitpunkt schwante mir nicht, dass dieser eine Frühlingstag allen Ernstes dafür sorgen würde, dass mein Leben eine Hundertachtziggradwende nehmen sollte.

»Bis morgen, du Quatschkopf.« Ich umarmte sie kurz, wobei der zarte Vanilleduft ihrer Bodylotion um meine Nase wehte, und widmete mich wieder dem schwarzen Kätzchen, das keinen Zentimeter von mir abgerückt war und auf seine Streicheleinheit wartete. »Na, du goldiges Baby«, sprach ich mit ihm und nahm Sues Worte noch am Rand wahr, die sich darüber amüsierte, dass ich meine Zeit lieber mit Tieren als mit Menschen verbrachte. Ganz ehrlich, wer konnte es mir bei all den schrägen Charakteren in Saint Mellows verübeln?

Der Blick auf meine Armbanduhr verriet mir, dass die Auslosung des alljährlichen Glücksrad-Lostopfs bald stattfinden würde, weshalb ich entschied, die restliche Zeit über den Festplatz zu spazieren. Es verstand sich von selbst, dass ich einen Bogen um den Stand meiner Chefin Sally machte, die keine Chance ausließ, ihre Beautyprodukte an den Mann zu bringen. Aber an freien Tagen war ich nicht scharf darauf, in Verkaufsgespräche verwickelt zu werden. Ich war nicht nur eine Eins-a-Verkäuferin, sondern genoss es außerdem, Menschen dabei zu helfen, ihren idealen Duft zu finden. Ja, ich liebte den Job in der winzigen Parfümerie, die gleichzeitig eine Schreibwarenabteilung hatte. Diese Doppelfunktion war nicht ungewöhnlich für unsere Stadt. Unser Florist war gleichzeitig die Anlaufstelle für Autoversicherungen, und im Plattenladen gab es das beste Obst der Stadt. Heute beabsichtigte ich trotz alledem, das Fest zu genießen. Immerhin war es noch im vollen Gange, und wenn es irgendetwas gab, das ich an meiner Heimatstadt liebte, dann den Umstand, dass man zwar für sich sein konnte, im Unterschied dazu dennoch niemals einsam war. Zumindest nicht so richtig. Saint Mellows war das Netz unter dem Seil, auf dem ich versuchte, mein Leben zu balancieren. Ich sah Annes Getränkewagen, der auf keinem Festival fehlte, und schlenderte geradewegs auf sie zu.

»Hi, Liebes, was darf’s denn sein?«, begrüßte mich Anne und musterte mein Gesicht, wie sie es ständig tat. Sie war mittlerweile über sechzig Jahre alt, und mir graute es bei dem Gedanken, dass bald Tag X kommen würde: Der Tag, an dem sie sich zur Ruhe setzen würde. In meiner Kindheit hatte sie mir die beste heiße Schokolade gezaubert, selbstredend mit einem derart gewaltigen Haufen Marshmallows verziert, dass es mir heute bei dem Gedanken im Kiefer kribbelte. Als ich daraufhin vor ein paar Jahren das Kaffeetrinken für mich entdeckt hatte, blieb ihr Café meine erste Wahl. Bei ihr hatte ich sogar meinen ersten und einzigen Job neben der Highschool. Anne war einer der Menschen, die sich äußerlich kaum veränderten. Ihre grauen Haare, die sie sich jeden Tag zu einem lockeren Dutt drehte, waren mittlerweile weiß geworden und ihre Hüften etwas ausladender. Wenn ich sie genauer betrachtete, erkannte ich auch ein paar mehr Falten um ihre Augen.

»Hi, Anne«, lächelte ich und verdrehte die Augen, da es nicht schwer war vorauszuahnen, wie ihre nächsten Worte lauteten.

Mit schief gelegtem Kopf musterte sie mich, und ich zählte stumm die Sekunden. Eins, zwei, drei, vi… »Ohne diesen Nasenring sähest du um Längen reizender aus!«

Ich zuckte lächelnd mit den Schultern und fasste mir an den silbernen, dezenten Ring, der mein rechtes Nasenloch zierte, seit ich ein Teenager war. »Also mir gefällt er. Immer noch!« Schon damals hatten wir rege Diskussionen über meinen Schmuck geführt, doch eigentlich hatte mich Anne immer nur necken wollen.

Anne seufzte und griff kopfschüttelnd nach einem Pappbecher, die sie mittlerweile einzig und allein auf Festen wie diesem ausgab. Im Alltagsgeschäft wurde entweder im Café getrunken, oder wir alle waren verpflichtet, unsere To-go-Becher dabeizuhaben. Sie betitelte es als ihre radikale Save-the-Planet-Methode. »Ich weiß, ich weiß. Und das ist das Wichtigste.«

Ich ließ meinen Blick über die handgeschriebene Tafel gleiten, was absolut unnötig war. Seit ich mich in den Wundertrank namens Kaffee verliebt hatte, bestellte ich im Frühling immer das Gleiche. »Lavender Latte«, sprachen Anne und ich wie aus einem Mund und grinsten uns an. Wenige Augenblicke und ein Gespräch über angebliche Blutvergiftungen durch Nasenringe später, marschierte ich auf die popelige Bühne zu, die durch das ständige Auf- und Abbauen langsam eine Generalüberholung nötig hatte. Jeden Monat wurde sie für irgendein Fest aus den Tiefen unseres Veranstaltungslagers gekramt, was mittlerweile seine Spuren hinterlassen hatte. Ich nippte an meinem Lieblingsgetränk und genoss die blumige Wärme, die durch meine Kehle floss.

Ein geknicktes Oooooh raunte durch die Menschenmenge, in der kaum ein Mensch stand, den ich nicht kannte. Es nahmen immer dieselben Verdächtigen teil. Vor ein paar Sekunden hatte Bürgermeisterin Innings verraten, dass alle Gewinne, bis auf den Hauptpreis, vergeben waren. Wie jedes Jahr war der Hauptgewinn ein streng gehütetes Geheimnis.

»Kein Grund, Trübsal zu blasen«, strahlte sie. »Die nächsten Gewinnspiele kommen doch bald. So. Ich ziehe jetzt den diesjährigen Hauptgewinner.« Mrs Innings wirbelte die beachtliche Anzahl an Zetteln durcheinander, die in einem Glasgefäß lagen, und zog letztlich eines daraus hervor. Sie ließ sich extra eine Menge Zeit beim Auseinanderfalten und sorgte dadurch dafür, dass sogar in meinem Bauch ein aufgeregtes Kribbeln angekurbelt wurde. »Nummer 168«, las sie mit kräftigem Klang vor. »Herzlichen Glückwunsch. Wer ist denn der Glückspilz?« Ich schielte auf das Papier in meiner Hand und runzelte die Stirn. 168. Sue und ich hatten gewonnen. Schon wieder. Wellnesswochenende, wir kommen.

»Hier. Ich!« Ich hielt den Zettel mit meiner ringbesetzten Hand in die Höhe. Die neiderfüllten Blicke, die sich in meinen Rücken und die Seite bohrten, ignorierte ich gekonnt. Energisch versuchte ich, den Kloß im Hals herunterzuschlucken, der sich ausbreitete wie ein Hefeklops. Ja, ich hatte vor geraumer Zeit schon einmal Glück gehabt. Na und? Bewirkte das etwa das lebenslange Verbot, weiterhin Fortuna herauszufordern? Nö. Wohl kaum.

»Miss Pierson. Na los, komm herauf zu mir, damit es mir endlich gestattet ist zu verraten, was du gewonnen hast.« Sie winkte mich zu sich heran und wackelte voller Ungeduld mit dem Kopf, wobei ihre kompliziert aussehende Hochsteckfrisur bedrohlich wankte. Mit einem flatterigen Gefühl im Bauch stieg ich die vier Stufen zur Bühne empor. Ich strahlte in Vorfreude darauf, Sue morgen im Anne’s zu erzählen, dass und vor allem, was wir gewonnen hatten. »Samuel? Komm ebenfalls einmal her, bitte«, rief sie einen Kerl zu uns auf die Bühne, und das Herz rutschte mir in dem Moment in die Hose, in dem er das Podest betrat. Seine schwarze Kapuze hing ihm zwar in die Stirn, dennoch brauchte ich keinen Bruchteil einer Sekunde, um ihn zu erkennen. Ich erinnerte mich an seinen Gang und daran, wie er die Hände unbefangen in seinen Hosentaschen versenkte. Unzählige Male hatte ich ihn heimlich dabei beobachtet. Er brauchte sich gar nicht erst die Kapuze vom Kopf und die Haare aus dem Gesicht wischen, seine waldgrünen, durchdringenden Augen würde ich niemals vergessen können. »Ihr Preis hat mit diesem adretten Herrn zu tun.« Ich kannte ihn. Ich kannte Sam. Und ich bezweifelte, dass er mich vergessen hatte, auch wenn er seit Jahren nicht mehr zu Hause in Saint Mellows gewesen war. Mrs Innings verkündete den Gewinn, doch ihre Stimme drang nicht mehr zu meinem Bewusstsein hindurch. Ich brauchte es nicht zu hören, denn es fiel mir wie Schuppen von den Augen, womit sich Sams Familie beschäftigte. Mein Blut gefror zu Eis. Scheiße. Ich fluchte selten, aber jetzt erschien mir nichts angemessener. Verdammte, riesengroße, verzwickte Scheiße.

Sam

Das war eindeutig nicht mein bester Schachzug gewesen. Nur um eine weitere verbale Konfrontation mit Dad zu umgehen, war ich hungrig aus dem Haus geflüchtet. Plötzlich fühlte es sich für mich, dank meines knurrenden Magens, nicht mehr wie ein Triumph an. Er war stets der Stärkere von uns beiden gewesen, der Dominierende, und je länger ich darüber nachdachte, desto eher wurde mir klar, dass es armselig von mir gewesen war, ihm keine Widerworte gegeben zu haben. Ich erkannte eine flaue Übelkeit in mir aufsteigen. Ob vor Schmach oder Hunger, konnte ich nicht sagen, doch egal, was es war: Ich sollte unter allen Umständen noch etwas essen, bevor es losging. Langsamen Schrittes schlenderte ich über die Festwiese, auf der sich Menschen tummelten wie Ameisen um ihren Bau. Ich zog die Schultern höher und senkte den Blick. Wie lang würde meine Rückkehr wohl unbeobachtet bleiben? Aller Voraussicht nach bis zur dämlichen Preisverleihung. Es bestand die klitzekleine Möglichkeit, dass ich mich umsonst sorgte und es keinen interessierte, dass einer der Forstersöhne wieder hier war. Quatsch, wem versuchte ich, das einzureden? Die Bewohner von Saint Mellows waren schon immer sensationsgeil gewesen. »Juhu, ich kann es kaum erwarten«, murmelte ich mürrisch, presste angestrengt die Luft aus der Lunge und versuchte, die ansteigende Anspannung in der Brust zu ignorieren, die sich wie ein unsichtbares, straffes Band um meinen Brustkorb wickelte. Es war Jahre her, dass ich für Dad gearbeitet hatte. Dass ich dem ins Gesicht sah, das mich für das gesamte Leben aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Dads Worte in jener Zeit spielten sich in meinem Kopf auf und ab wie eine Dauerwerbesendung. Es muss weitergehen, Samuel. Ihr wart Kinder und wusstet nicht, was ihr tut. Schließ damit ab. Lass die Vergangenheit ruhen. Er hat es geschafft. Warum bist du nicht in der Lage dazu? Niemand verurteilt euch. Du herzloser Arsch, beschimpfte ich Dad lautlos und schluckte schwer. Ich hatte niemals einfach weitermachen können. Es war egal, dass wir Kinder gewesen waren, als es geschah. Wir waren trotzdem schuld. Und ich war es, der ohne Schäden davongekommen war. Dad hatte leicht reden, indem er meine Lage mit Conors verglich. Es war nicht vergleichbar, ein Stück unwiederbringlich verloren zu haben und dieses Schicksal zu akzeptieren oder die Person zu sein, die es zwar miterlebt hatte, aber verschont geblieben war. Schon damals hätte ich alles dafür gegeben, Conors Umstände auf mich zu bürden. Sie zu meinen zu machen. Warum war ich es, der heute hierstand, und nicht er? Mitten auf der Festwiese, umgeben von Hunderten Gesichtern, die nichts als Schuldgefühle in mir weckten.

Der Frühlingswind, der mir um die Nase wehte, und der trockene Rasen, der knisternd unter meinen Schuhsohlen zerbrach, schafften es, mich aus den schwarzen Gedanken ins Hier und Jetzt zu bringen. Wenn ich eines gelernt hatte, dann, dass es nichts brachte, sich woandershin zu wünschen. Auf keinen Fall würde ich einen Rückzieher machen, auch wenn ich die Schlüssel vom Dodge in meiner Hosentasche einsatzbereit mit den Fingern umschloss. Ein Teil von mir war gewillt, Dad zu beweisen, dass ich nicht mehr abhaute. Dass ich mich alldem stellte, vor dem ich seiner Meinung nach geflüchtet war. Schnaubend kickte ich einen faustgroßen Stein ein paar Meter von mir. »Wenn er wüsste.«

»Na, na, na«, drang eine tadelnde Stimme zu mir durch, die es mich augenblicklich warm ums Herz werden ließ. »Strebst du an, jemanden zu verletzen, junger Mann?«

Anne. Ich hob langsam den Kopf an und schaute in die Richtung, aus der ihre Stimme zu mir wehte. Anne war eine der schönen Seelen, die für mich den winzigen Prozentteil von Saint Mellows ausmachten, den ich bis in alle Ewigkeit bedingungslos lieben würde. Ich zählte stumm bis drei, ehe ich die Schlüssel in der Hosentasche losließ und meine Kapuze vom Kopf schob, um mich ihr zu erkennen zu geben. Der folgende Moment verging wie in Zeitlupe. Ich entdeckte Anne mit in die Hüfte gestemmten Händen neben dem ausladenden Schild ihres Kaffeestandes stehend und mir einen tadelnden Blick zuwerfend. Es dauerte keine zwei Sekunden, bis sie mich wiedererkannte. »Oh Himmel.« Ich registrierte, wie ihr Mund die Worte formte, und schlenderte direkt auf sie zu. Es fiel mir unheimlich schwer, ein Lächeln aufzusetzen, doch wenn irgendwer hier eines verdient hatte, war es Anne. »Sam«, flüsterte sie. Ich stand unmittelbar vor ihr, wobei mir nicht entging, dass sich ihre hellblauen Augen mit Tränen füllten.

»Hi, Anne. Ich hab dich vermisst.« Angespannt fuhr ich mir mit der Hand durch die Haare, nicht sicher, wie sie auf mich reagieren würde. Ich war damals aufgebrochen, ohne mich zu verabschieden, und hatte mich bei keinem meiner Besuche der letzten Jahre bei ihr blicken lassen, und das, obwohl Anne und mein Aushilfsjob in ihrem Café es gewesen waren, die mich davor bewahrt hatten, komplett durchzudrehen.

Anders als erwartet, lachte Anne und zog mich kopfschüttelnd in eine mütterliche Umarmung, wobei sie mir beruhigend über den Rücken strich. Ihr vertrauter Duft nach Kaffeebohnen und Puderzucker ließ meinen Magen hüpfen. Vor Wiedersehensfreude und Vergangenheitsschmerz gleichzeitig. »Du hast dein Herz schon immer auf der Zunge getragen«, murmelte sie mir gedämpft ins Ohr. »Behalte dir das ruhig bei.«

Ich schluckte und nickte ihr zu, trat einen Schritt zurück, nachdem sie mich wieder freigegeben hatte, und las das Schild mit ihren Angeboten. »Hier hat sich, zum Glück, überhaupt nichts verändert«, stichelte ich sanft und erntete dafür einen Lappen im Gesicht, mit dem sie soeben über ihre provisorische Arbeitsplatte gewischt hatte.

»Frech wie eh und je«, grinste sie, und ich warf ihr den Stofffetzen zurück, den sie in ihre Schürze steckte.

»Ich hätte gern einen Americano, bitte.« Ich fischte das Portemonnaie aus der hinteren Tasche meiner Jeans.

»Das geht auf mich, mein Schatz, als kleines Willkommen zurück«, winkte sie ab und machte sich daran, das flüssige Gold in einen Pappbecher zu füllen. Bei ihren letzten Worten zuckte ich, hoffentlich unbemerkt, zusammen. »Hier.« Einen Augenblick später hielt sie mir neben dem Kaffee eine Serviette hin, auf dem ein Gebäckstück lag. Fragend zog ich eine Augenbraue nach oben. »Iss«, forderte sie mich unmissverständlich auf, und ich fühlte mich wieder wie siebzehn. »Das ist ein Kirsch-Lavendel-Scone. Garantiert ohne Marshmallows.«

Lachend nahm ich beides entgegen, machte einen Schritt auf sie zu und lehnte mich ein Stückchen zu ihr hinunter, um ihr einen unschuldigen Kuss auf die Wange zu drücken. »Danke, Anne«, flüsterte ich an ihr Ohr, und statt zu antworten, strich sie mir mit dem Handrücken über die Schläfe. Es wärmte mich von innen, dass sie nicht vergessen hatte, wie mir all die Marshmallow-Spezialitäten bei den ganzen Festlichkeiten auf den Sack gingen. Irgendwann war es auch mal gut damit, dem Namen der Stadt alle Ehre machen zu wollen. Noch mehr wärmte es mich, wie voller Liebe sie mich nach all den Jahren empfing. Ich drehte mich kurz um meine eigene Achse und bereute sofort, die Kapuze nicht wieder tief ins Gesicht gezogen zu haben. Ich bildete mir ein, von jedem angestarrt zu werden. Was nicht der Fall war, das war mir klar. Unabhängig davon rieselte es mir eiskalt den Rücken herunter. Obwohl es nicht mehr kalt war, entwickelte sich eine Gänsehaut in meinem Nacken, die sich ungebremst über meinen gesamten Körper ausbreitete. Es würde nicht mehr lange dauern, bis eh jeder erfuhr, dass ich zurück war. Mir war durchaus bewusst, dass mitten auf dem Festplatz nicht der beste Ort war, um unterzutauchen. Mein Blick blieb an einer freien Bank hängen, und ich nahm die Beine in die Hand. Ich ließ mich diskret stöhnend auf ihr nieder und verteufelte den Umstand, dass ich die letzten Nächte kaum Schlaf gefunden hatte. Die Schlaflosigkeit war nicht spurlos an meinem Körper vorbeigegangen, sondern hatte mir Gliederschmerzen beschert. Ich stellte den Kaffeebecher umsichtig zu meiner linken, den Scone zur rechten Seite ab und versteckte mich schleunigst wieder unter der sicheren Kapuze. Der Blick auf die Armbanduhr verriet mir, dass noch ein paar Minuten blieben, ehe ich den Verpflegungskorb abholen und mich auf den Weg zur Bühne machen musste, hinter der ein freiwilliger Frühlingsfesthelfer und mein Dodge bereits warteten.

* * *

Ich ließ meinen Blick über all die Menschen schweifen, die in freudiger Erregung auf die Verkündung des Hauptgewinns warteten. Manche kneteten ihre Hände, ein paar tippelten hin und her, und wieder andere checkten im Sekundentakt ihr Handy. Ich für meinen Teil hatte nie auf der gleichen Seite gestanden wie sie. Nicht einmal als Kind hatte ich an einer dieser Tombolas teilgenommen. Was wäre, wenn ich gewonnen hätte? Niemand hätte es mir gegönnt. Die Söhne der Forsters hatten es schon vor dem schwärzesten aller Tage schwierig, ein normales Leben zu führen. Warum sollte man an einer Verlosung teilnehmen, wenn man sich den Gewinn doch bequem selbst kaufen konnte? Angespannt untersuchte ich die Menge und schaute in die einzelnen Gesichter, die ich aus der Distanz erkannte. Sie alle waren nicht nur dabei, um den fettesten Gewinn einzufahren. Oder täuschte ich mich? Vielmehr war die alljährliche Frühlingstombola ein Gefühl von Gemeinschaft. Mir war dieses Empfinden nie zuteilgeworden, was nüchtern betrachtet unfair war. Gemeinschaftsgefühl konnte man mit keinem Geld der Welt kaufen. Es war etwas, das mir meine Eltern nicht schenken konnten, und niemand war gewillt gewesen, das zu erkennen oder gar zu begreifen. Heute stand ich hinter der Bühne und war nach wie vor kein Teil der Gemeinschaft. Ich war ein Detail des Gewinns, wurde auf ein Podest gestellt, obwohl mir nicht danach war hinaufzusteigen. Seufzend fuhr ich mir mit den Händen über die Oberarme und beobachtete, wie Bürgermeisterin Mrs Innings mit einer mir unbekannten Person sprach.

»Hoffentlich geht dieser Tag so schnell vorbei, wie er gestartet ist«, wünschte ich mir flüsternd und verfluchte die ansteigende Aufregung im Magen, zu der sich langsam ein kärglicher Teil Wut gesellte und sich wie ein Feuer an meinen Mageninnenwänden labte. Veranlasst durch Dad, stand ich in diesem Augenblick hier. Wegen Dad, der keine Widerrede zuließ und mich ohne Rücksicht in diesen Schauplatz zwängte. Jeder andere Mitarbeiter wäre imstande gewesen, das hier heute zu übernehmen. Dad hatte nicht einmal gefragt, ob ich bereit war. Ob ich es mir zutraute, nachdem ich seit über drei Jahren keinen Gedanken mehr daran verschwendet hatte. Schon während des Beladens meines Dodges war mir flau im Magen geworden. Ich kniff die Augen zusammen und legte meinen Kopf in den Nacken, um die vereinzelten Wolken am hellblauen Himmel zu beobachten. Sie zogen wie in Zeitlupe über ihn hinweg und ließen der Sonne genug Kraft. In meinem Hals bildete sich ein Kloß, als ich bemerkte, wie meine Fingerspitzen kribbelten. Gleichzeitig wurden meine Knie weich wie Pudding, und die Kehle kratzte, als hätte ich an Kreide gelutscht. Was war das? Aufregung? Vorfreude? Freute ich mich darauf, in weniger als einer Stunde das zu tun, was mein Leben vor so vielen Jahren aus seinen Angeln gehoben hatte? Das aus dem fipsigen, angstfreien, abenteuerlustigen Jungen ein Kind beschwor, das zu schnell erwachsen wurde? Das im Alter von acht Jahren am eigenen Leib erfuhr, was Folgen waren? Unwiederbringliche Konsequenzen? Ein unsicheres Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, und ich schluckte. Ich musste zugeben, dass ich mich ehrlich darauf freute, und fuhr mit den Händen über meine geschlossenen Lider. Es blieb mir weiterhin zu hoffen, dass keiner der Typen gewann, die von Anne’s Kakao mit Frühlingsschuss einen zu viel intus hatten.

Eine Bewegung zu meiner Rechten holte mich aus dem Gedankenkarussell, und ich beobachtete, wie Mrs Innings in ihrem wadenlangen olivfarbenen Mantel die winzige Treppe zur Bühne hinaufstieg. Es ging los. Ich biss mir von innen auf die Wange, was ich zuletzt getan hatte, als ich meine allerletzte und wichtigste Abschlussprüfung in Yale geschrieben hatte. Kaum dass sie das Mikrofon stürmte, verstummte die Menge, und alle starrten wie gebannt zu ihr hinauf. Viele der Gesichter erkannte ich wieder, doch einige waren mir neu. Sie alle hielten aufgeregt einen weißen Papierfetzen in den Händen. Das waren die Lose, und auf irgendeine Art freute ich mich darauf, irgendjemandem von ihnen eine Freude bereiten zu können. Möglicherweise gewann ja die Frau dort am Rand, die ein kleines Mädchen auf dem Arm hielt, das mehr Zuckerwatte in den Haaren statt im Mund hatte. Oder der ältere Herr weiter hinten, der wackelig den Rollstuhl seiner Ehefrau umklammerte. Mein Blick landete letztlich bei einer Gruppe Jugendlicher, die dröhnend lachten und garantiert nicht bloß Kakao in ihren Bechern hatten. Bitte keiner von denen. Ich atmete tief ein.

»168.« Die Gewinnerzahl war verkündet. Wie zur Eisskulptur erstarrt wartete ich ab, welche Person sich aus der Menge löste, und bemerkte gleichzeitig, wie ich am ganzen Körper zu schwitzen begann. Wow, das letzte Mal, dass ich dermaßen aufgeregt gewesen war, war der Moment, in dem mir der Dekan nach meinem Master das Zeugnis überreicht hatte. Was machte diese Stadt nur mit mir? Es half mir nicht einmal mehr, die 4-Sekunden-Atmung anzuwenden, die mich in nervenaufreibenden Situationen normalerweise erdete. Vier Sekunden einatmen, anhalten und vier Sekunden ausatmen. Das war eine gängige Praxis beim Militär, ich hatte sie von einem Kollegen bei der Studentenzeitung gelernt, der eine Weile gedient hatte, ehe er sich für ein Studium entschieden hatte.

Ich fixierte einen schlanken Arm mit porzellanweißer Haut in einer schwarzen Jacke, der sich aus der Menge erhob, und kniff die Augen zusammen, um die dazugehörige Person zu erkennen – vergebens. Es war eine junge Frau mit hellblonden Haaren, und die Art, wie sie zögerte, ließ mein Herz einen scheuen Hüpfer machen, was mir unerklärlich war. Es brachte mich aus dem Konzept, dass sie in aller Seelenruhe auf die Bühne zulief. Andere wären stattdessen garantiert wie von der Tarantel gestochen darauf zugerannt. Doch sie ließ sich nicht vom Murren der Vielzahl an Personen, die nicht gewonnen hatten, beirren, zumindest erweckte sie den Anschein, stieg die Treppenstufen zu Mrs Innings empor und reichte ihr den Zettel. Die Bürgermeisterin vergewisserte sich mit einem raschen Blick zu Neil, ob Leena die richtige Gewinnerin war, der ihr dies nickend bestätigte. Das Blut in meinen Adern gefror zu Eis, denn ich erinnerte mich an sie, wusste, wer sie war. Ihr Name war mir, ohne über diesen nachzudenken, ins Gedächtnis geschlüpft, denn natürlich kannte ich sie. Genau wie ich hatte sie nach der Schule bei Anne gearbeitet, unzählige Male hatte ich sie dabei beobachtet, wie sie den Gästen lächelnd ihre Bestellungen zu den Tischen gebracht hatte. Selbst wenn sie wusste, wer ich war, wo ich wohnte und wer meine Eltern waren, hatte sie jeden Abend ihr Trinkgeld mit mir geteilt, da sie der Meinung war, dass ich es genauso verdiente, auch wenn ich die meiste Zeit hinter dem Tresen arbeitete und Kaffee zubereitete. Ich erinnerte mich noch genau daran, wie eine unerklärliche Eifersucht mich heimsuchte, wenn sie irgendein Typ am Abend zu einem Date abgeholt hatte, und war doch nie mutig genug gewesen, sie um eins zu bitten. Und ich war mir sicher, dass ich ihr durch meine stets mürrische Zurückhaltung auch nie das Gefühl gegeben hatte, dass ich eine gute Partie gewesen wäre.

Leenas Körperhaltung verriet, dass sie nicht glücklich darüber schien, gewonnen zu haben. Sie schaute umher, als suchte sie jemanden. »Samuel? Komm ebenfalls einmal her, bitte.« Mrs Innings rief mich zu sich, und mein erster Impuls war wegzurennen. Was sollte das? Warum wollte sie mich auf der Bühne haben? Ich schluckte die Angst im Hals herunter und machte mich auf die Blicke gefasst, die mich in spätestens zehn Sekunden erdolchten. Richtig. Ich, Sam Forsters, war zurück. Lasset die Gerüchteküche brodeln in drei, zwei, eins.