Die Warnung

I.

Am Rand karger Weiden, in Einsamkeit gehüllt, stießen sie auf die Hütte eines Hirten. Kaum wurde der Viehhüter der beiden Reiter ansichtig, suchte er, sich ihrem Blick zu entziehen.

Barsch forderte Frommenthal den Scheuen auf, ins Licht zu treten. Micula erschrak heftig: Nie zuvor in seinem Leben hatte er einen Menschen geschaut, so schwarz wie jener, der da gesenkten Hauptes und mit hängenden Schultern vor ihnen stand.

»Sieh an, Ahmed Benim!«, sprach der Kameralprovisor. »Ich wähnte dich im Türkenland oder in der Wildnis verkommen. Doch wie mir scheint, hielt die Fügung diesen unwirtlichen Ort unserem Wiedersehen für angemessen …«

Die Geschichte des Ahmed Benim

Einst hatte ein mächtiger Wesir die Mutter des Mohren auf einem Beutezug eingefangen und Sultan Mehmed zum Geschenk gemacht. Außer seine großen Leidenschaft für die Jagd belebte den Herrscher der Hohen Pforte keinerlei Regung. Er scheute die Menschen und war misstrauisch gegen jeden. Sein unermesslicher Reichtum ließ ihn ebenso kalt wie sein Harem, der die begehrenswertesten Weiber aus aller Herren Länder beherbergte. An der prächtigen Sklavin aber, die man vor ihn gebreitet lag, fand er Gefallen. »In deinen Augen erschaue ich ein Glühen, dessen ich noch bei keinem Weib ansichtig wurde. Königlicher ist dein Antlitz als die Gesichter aller Königinnen, die da herrschen auf der ganzen Welt. Für deine Glieder hat Allah an sich selbst Maß genommen. Unter meinen Blicken erbebt dein prachtvoller Leib vor Scham und Stolz gleichermaßen. Ich geruhe, mich an deiner Hoffart zu ergötzen.«

Er ließ sie für sich tanzen. An dem Anblick labte er sein Gemüt viele Tage. Während die Augen des Sultans unablässig an dem biegsamen Leib hafteten, enthielten sich seine Hände jedweden Griffes nach ihm. Köstlicher noch, als sein großes Begehren an dem schönen Fleisch zu stillen, war dem Mächtigen, seinem Verlangen zu entsagen. Jäger war er: Dem Wild nachzusetzen, reizte seine Sinne auf. Lag ihm die Beute schließlich zu Füßen, griff eine seltsame Trauer nach ihm.

So nahm er die Herrliche nicht in seinen Harem auf, sondern wies sie einem seiner Sklaven zu, ebenso schwarz und von vollendeter Gestalt wie sie. Vor den Augen des Mächtigen musste er ihr beischlafen, bis sie in Hoffnung war. Dann wurde ihm das Haupt vom Rumpf geschlagen.

Das Kind, das die Sklavin gebar, war so dunkel wie der Schatten, den ein Mensch an einem Sommertag wirft, wenn die Sonne von einer solchen Kraft ist, dass sie aus allem die tiefste Schwärze wringt. Auf Geheiß des Erlauchten erhielt es den Namen Ahmed. Der Sultan schenkte ihm mehr Zuneigung als seiner eigenen Nachkommenschaft und ließ ihn von den berühmtesten Gelehrten seines großen Reiches unterrichten. Wie ein Schwamm war das Kind und trank in sich hinein, was immer man ihm zu wissen gab. Kaum waren seine Lippen imstande, verständliche Worte zu formen, stellte er Fragen, und durch seine Stellung am Hof des Sultans war es ihm vergönnt, sich nicht mit jeder Antwort zufrieden geben zu müssen.

Von frühester Kindheit an eignete Ahmed Benim die Gabe, in den Gedanken seines Wohlwollers zu lesen wie in einem Buch. Was den Großmütigen bekümmerte, setzte auch ihm zu, woran der Erlauchte sich ergötzte, erfreute auch seinen Schützling.

In einsamen Nächten, wenn sich die Mondsichel auf der Kuppel der großen Moschee sich am Himmel widerspiegelte, rief der Sultan nach Ahmed: »Obwohl du schwarz bist wie die Nacht und ich weiß wie das Firmament am Morgen, ehe ihn noch die Sonne besteigt, so will mir scheinen, dass wir beide gleich einem Fleisch und einem Blut sind. Welch seltsame Verwandtschaft wir doch miteinander haben! Nur der Prophet weiß sie zu erklären …«

Zu jener Zeit erlangte der finstere Kara Mustafa die Gunst des Herrschers und wurde Großwesir. Vortrefflich verstand er die Heerscharen zu führen und erstritt seinem Gebieter viele Siege. Seine Krieger mussten sich nur zeigen, schon liefen die Truppen seiner Gegner auseinander. Sich in himmlischer Gnade vermeinend, konnte Kara Mustafa seine Augen nicht länger zügeln. Immer begehrlicher schielten sie gen Westen, zu den Städten der Christen. Er machte sich an die Diener des Sultans heran und stiftete sie an, ihrem Herrn, wann immer sie um waren, von dem großen Reichtum zu schwärmen, den die Stätten bargen.

Bevor er mit einer gewaltigen Streitmacht ins Ungarland aufbrach, rief der Sultan ihn zu sich und vertraute ihm Ahmed an: »Dieser Knabe wird dich auf deiner ruhmreichen Reise begleiten. Sein Herz ist mit dem Unseren durch einen unsichtbaren Faden verbunden. Allah allein vermag diesen zu zertrennen. Statte Unseren Schützling jenen Gehorsam ab, den du Uns schuldest, und handle unter seinen strengen Blicken, als wären es die Unseren. Sieh zu, dass es ihm wohlergeht. Aus seinem Mund wollen Wir Kunde von deinen Siegen erhalten. Was er Uns berichtet, werden wir aufschreiben lassen, auf dass die Nachwelt auch von deinem Namen Kenntnis erhält.«

An der Seite des Großwesirs zog Ahmed gegen die Christenheit. Keine Entscheidung traf der Anführer, ohne sich zuvor mit dem Mohr zu beratschlagen, keinen Befehl erteilte er, nicht einmal das geringste Scharmützel ordnete er an, ehe er dem Knaben einen Blick zugeworfen hatte, und billigen ließ er sich von ihm jedes Urteil, das er zu verhängen hatte.

Die fürchterlichen Janitscharen neigten ihre stolzen Häupter, wenn der Günstling des Sultans an ihnen vorüberschritt. Die Beys der besetzten Städte bereiteten ihm würdevolle Empfänge. Selbst der Chan der Tartaren, der sich allein der reichen Beute wegen dem Sultan zugesellt hatte, hieß seine Krieger mit ihren Lanzen auf die Schilder schlagen, um ihm zu huldigen.

Ahmed oblag es, unter den gefangenen Christenfrauen jene zu bestimmen, die den Harem des Erhabenen bereichern sollten. Großen Geschmack bewies er bei dieser verantwortungsvollen Aufgabe. Sträubte sich ein Mädchen gar sehr und beweinte sein Schicksal bitterlich, ließ Ahmed es zu sich in sein Zelt bringen und setzte ihm in gemessenen Worten die große Gnade auseinander, die jedem Menschen widerfährt, der am Leben bleibt. Die armenischen Sklavenhändler buhlten um die Gunst des Mohren und brachten ihm reiche Geschenke dar, damit er die nicht erwählten Weiber unter ihnen aufteile.

Unaufhaltsam zog der Großwesir zu den Toren von Wien hin. Einen raschen Sieg versprach er sich. Rasch war er vorgestoßen, nicht genügend Zeit war der Stadt geblieben, Vorkehrungen zu treffen. Den eiligen Tross, der Vorräte in die Festung zu bringen trachtete, ließ er abfangen. In den Dörfern rund um Wien mordeten die Heiden schrecklich, um den Verteidigern der Stadt zu künden, wie sie mit ihnen zu verfahren gedachten. Nachrichten waren eingegangen, denen zufolge der österreichische Kaiser und sein Hofstaat überstürzt geflohen waren. Kundschafter vermeldeten, dass sich die anderen Herrscher des Abendlandes uneins waren, dem Bedrängten zu Hilfe zu eilen. Wie Krämer feilschten sie mit ihm um den Sold für ihren Beistand.

Kaum wurde Kara Mustafa von einer Hügelkette aus zum ersten Mal der Kirchtürme der Stadt ansichtig, sah er sie schon bepflanzt mit dem Halbmond.

Ein prächtiges Zelt hieß er sich aufschlagen in Reichweite der wenigen Kanonen, mit denen die Wiener Widerstand zu leisten gedachten. Jeden Tag zeigte sich der Heerführer mit seinem Gefolge vor der Stadt. Sein Blick schweifte über die dürftigen Vorwerke der Befestigungsanlagen, um seinen Mund zuckte ein mitleidiges Lächeln. Auf sein Zeichen hin stimmten seine Begleiter frohe Gesänge an, als wäre der Sieg bereits errungen.

Doch wie hatte Kara Mustafa sich überhoben! An den Mauern der Stadt zerschellte sein Glück. Groß war der Mut der Verteidiger. Nicht aus Überlegenheit speiste er sich, nicht einmal Entschlossenheit eignete ihm, nein, allein Verzweiflung zog ihm ein unbeugsames Rückgrat ein. Was immer ihnen zur Verfügung stand, sie verwandten es darauf, die Angriffe der Türken abzuwehren.

Manche Kriegslist ersann der Feldherr, die später anderen Heerführern stolze Siege bescherten und großen Ruhm einbrachten. Ihm aber wollte und wollte es nicht gelingen, die Stadt im Sturm zu nehmen. Der Zorn der Türken rieb sich an den Basteien und Schanzen auf.

Als sich die Fürsten des Abendlandes schließlich einig geworden waren, wälzten sich ihre Soldaten, vereinigt zu einem gewaltigen Entsatzheer, über die nahen Berge in die Ebene um die belagerte Stadt und setzten den Heiden schlimm zu. Kara Mustafa sah sich genötigt, sich nach Belgrad zurückziehen, wollte er nicht, dass die Leiber seiner abgeschlachteten Krieger den Boden des Feindes düngten und fruchtbar machten.

Ahmed war zugegen, als der Oberstkämmerer und der Hofmarschall des Sultans eintrafen, um die Seele des unglücklichen Heerführers der Gnade des Allbarmherzigen zu überantworten. Gerade als der Großwesir seinen Teppich für die Mittagsandacht ausgebreitet hatte, war draußen der Hufschlag von Pferden zu vernehmen. Während der Oberstkämmerer des Erlauchten vor den Großwesir trat, wies der Hofmarschall Ahmed an: »Gebt gut acht, was nun geschieht, damit Ihr Unserem erlauchten Herrscher darüber Bericht geben könnt.«

Der Oberstkämmerer forderte Kara Mustafa das Reichssiegel ab, ließ sich die Heilige Fahne übergeben und den Schlüssel zur Heiligen Kaaba.

»Wie mein Sultan befiehlt«, folgte Kara Mustafa der Aufforderung. Dann fragte er: »Ist mir der Tod bestimmt?«

»Allah möge dich im wahren Glauben sterben lassen!«, erwiderte der Hofmarschall.

Allen Dienern war befohlen, das Gemach zu verlassen. Nur Ahmed musste bleiben und mit ansehen, wie der Großwesir seinen Gebetsteppich wieder ausbreiten ließ und die heilige Handlung genau an jener Stelle fortsetzte, an der sie das Erscheinen der Gesandten unterbrochen hatte.

Eigenhändig legte er hernach Pelz und Turban ab und lud die Henker ein, ihm näherzutreten. Selbst hob er seinen Vollbart hoch und trug dem Mohr auf, darauf zu achten, dass ihm die Schlinge auch richtig angelegt werde. Drei Mal mussten die Henker kräftig zuziehen, ehe der Körper des Großwesirs erschlaffte.

Unter Ahmeds Aufsicht wurde der Leichnam entkleidet, gewaschen und in das Leichentuch gehüllt. Der Hofmarschall ließ sich die Richtigkeit jeder seiner Handlungen bestätigen, ehe er neben dem Verblichenen das Gebet sprach und ihm anschließend das Haupt abschlug. Dieses ward einem wartenden Boten übergeben, der es unverzüglich vor den Sultan brachte.

Aus Trauer über die Niederlage vor Wien beließ der mächtige Muselmann Ahmed in Belgrad. In den dunklen Augen des Mohren wollte er nicht seine eigene Schmach lesen.

Als nun der Edle Prinz Eugen von Savoyen Belgrad bestürmte, und die Heiden in alle Richtungen des Windes stoben gleich Funken, wenn glühendes Eisen geschmiedet wird, geriet Ahmed Benim in Gefangenschaft. Ob seiner dunklen Haut wurde er von den Siegern sehr bestaunt.

Dem Savoyaner ward berichtet: »Er scheint direkt aus der Hölle zu kommen, so über und über ist er von Ruß bedeckt! Seine Handflächen aber sind hell. Das kommt wohl davon, dass es seine Aufgabe war, die Innenseite des Kessels blank zu reiben, in dem der Teufel die armen Seelen kocht.«

Der Edle ließ sich den Gefangenen zeigen und konnte nicht umhin, ihn mit den Händen zu berühren. Hernach betrachtete er seine Fingerspitzen. Verwundert stellte er fest, dass nichts von der schwarzen Farbe der Mohrenhaut an ihnen haftete.

Man beschloss, Ahmed auszustopfen und dem österreichischen Kaiser als Geschenk zu übersenden. Dem Gefangenen wurde die besondere Gunst zuteil, selbst die Glasaugen zu wählen, durch die er fortan in die Welt blicken sollte.

Durch die barmherzige Nachsicht eines Mönchs gelang ihm die Flucht.

Viele Dörfer gab es in den eroberten Ländereien, die waren weit mehr den Türken als den Christen zugetan. Hier fanden die versprengten Heiden Aufnahme. Vor den österreichischen Soldaten, die durchs Land streiften und in den Weilern nach Flüchtigen stocherten, gaben die Bewohner sie für Rechtgläubige aus. Manchem ging es in seinem Versteck so gut, dass er nicht mehr in seine Heimat zurückkehrte, sondern sich ein Weib nahm und bis ans Ende seiner Tage in der Fremde lebte.

Ein solches Schicksal war Ahmed nicht beschieden. Für eine Ausgeburt der Nacht hielten ihn viele der einfachen Landmenschen und vertrieben ihn. Sein Bitten und Flehen verhallte an ihrer gellenden Angst vor seiner finsteren Erscheinung. Selbst jenen, die ihm Mitleid entgegenbrachten, machte es die Farbe seiner Haut unmöglich, ihn bei sich zu verbergen. Er war der ruhelose Schatten, den die Türken bei ihrem überstürzten Rückzug vergessen hatten.

Im Heer des Prinzen Eugen hatte sich Heinrich Ignaz Frommenthal durch besonderen Fleiß und Ernst hervorgetan. Ihm wurde die Aufgabe übertragen, dem Flüchtigen nachzusetzen. Vom Ehrgeiz beseelt, ihn einzufangen und damit sein eigenes Vorkommen zu begünstigen, irrte er hinter dem Mohr her, tiefer und immer tiefer in das Land hinein. Wie eine Wunde dem Messer, so tat es sich vor ihm auf.

Manchmal kam er dem Flüchtigen ganz nah. Am anderen Ende eines Feldes erspähte er ihn und brauchte seinem Ross bloß die Sporen geben. Aber das Tier scheute vor einer Schlange, die, wie durch bösen Zauber gerufen, sich ihm vor die Hufe schlängelte. Dann nahm er ihn in einem Wald zwischen den Stämmen aus. Die Hand hatte er bereits nach ihm ausgestreckt, da war er im Dickicht verschwunden.

Einmal gelang es ihm, den Gehetzten zu stellen. Von Angesicht zu Angesicht standen die Männer einander gegenüber. Bereitwillig kreuzte Ahmed Benim die Hände, damit Frommenthal sie ihm band. Da machte ein Feldscher dem Jäger seine Beute streitig. In der Annahme, die schwarze Hautfarbe rühre von einer seltsamen Krankheit her, wollte der Soldatendoktor dem Mohr die Eingeweide und den Kopf durchwühlen. Darüber gedachte er, eine gelehrte Abhandlung zu verfassen und zu Ansehen zu gelangen. Frommenthal und der Feldscher gerieten in heftigen Zwist und traten vor den Kommandierenden.

Der Hauptmann, in den Schlachten gänzlich verkommen, achtete der Papiere nicht, mit denen Frommenthal seinen Anspruch auf Ahmed geltend machte, und stärkte dem Arzt, dem er sich verschuldet hatte, den Rücken. Während nun die drei miteinander stritten, stahl sich Ahmed davon.

Verbissen setzte ihm Frommenthal nach. Dabei ließ er sich nicht in die Irre führen. Gründlich studierte er all die Haken, die der Flüchtling schlug, und zog seine Schlüsse daraus. Indes trachtete auch Ahmed, sich Frommenthals Vorhaben zu erschließen, um ihnen entgegenzuwirken.

Es war, als säßen die beiden einander über einem Schachspiel gegenüber: Jeder war für sich bestrebt, die Gedanken des anderen zu erraten, um seinen Absichten zuvorzukommen. So erfuhren sie, wie nah einander zwei Menschen zu kommen vermögen, auch wenn dem einen von ihnen der Sinn lediglich danach steht, seinen Abstand zum anderen zu vergrößern.

Seinen Verfolger im Rücken geriet Ahmed an Menschen, die ihm übelwollten. Einem Bauern ermangelte es eines Gauls. Er spannte den Mohr vor den Karren. Auch stiftete er ihn zu Schandtaten gegen seine verhassten Nachbarn an, derer er sich seines Seelenheil willens selber enthielt. Als Ahmed ihre Ausführung verweigerte, wies ihm ein Prügel den Weg in die Wildnis zurück.

In seiner Not vertraute er sich Zigeunern an. Sie versprachen, ihn in seine Heimat zu schaffen. Anstatt ihn aber an die Grenze zu bringen, fielen sie in der Nacht über ihn her, schnitten ihm drei Finger von der linken Hand, kochten davon das Fleisch ab und zerstießen die Knochen zu feinem Pulver. Dieses verkauften sie den abergläubischen Menschen als Heilmittel gegen allerlei Krankheiten und, vermengt mit Tiermist und Zwölftenasche, als Salbe gegen Liebeskummer.

Gewiss hätten sie dem Mohr noch weitere Finger abgetrennt und auch andere Körperteile nicht geschont, wäre es ihm nicht geglückt, sich ihrer verschlagenen Grausamkeit zu entziehen.

Längst hatte Frommenthal von ihm abgelassen und war unverrichteter Dinge ins Lager des Heeres zurückgekehrt, sich dort mit einem weit geringeren Amt, als er sich ersehnt hatte, zu begnügen. Ahmed aber floh weiter und weiter, den Verfolger kaum die Länge eines Atemzuges hinter sich wähnend.

Eines Tages irrte er durch einen Wald. Ein alter Bauer kam des Wegs. Rasch verbarg sich der Mohr im Gestrüpp. Der Landmann schickte sich an, Holz zu sammeln, und bemerkte den Wolf nicht, der sich an ihn heranschlich.

In seinem Versteck wurde Ahmed des Blutrünstigen gewahr. Schon setzte die Bestie an, über den arglosen Landmann herzufallen. Da achtete der Heide der Gefahr nicht, stellte sich dem Tier in den Weg und fing die Bisse ab, die dem Betagten zugedacht waren.

Zum Dank für die Errettung nahm ihn der Bauer mit in sein Dorf. Beim Anblick des schwarzen Mannes wurden die Leute von Furcht ergriffen.

»Ob nun seine Hautfarbe dunkel ist, was spielt es für eine Rolle«, zerstreute der Alte ihre Einwände. »Seht sein Blut, das ihm aus seinen zahlreichen Wunden fließt: Ist es nicht so rot wie das unsere?«

Am entschiedensten stellte sich der Pope gegen den Mohr: »Keine Hütte in unserem Dorf soll dem grauenvollen Getier Stall sein.«

»Wie wir geht er aufrecht auf zwei Beinen«, erwiderte der Alte. »Gebt ihm Suppe! Mit beiden Händen wird er die Schale fassen und an den Mund führen und nicht wie das Vieh an der Tränke seinen Kopf der Nahrung entgegenzubeugen.«

So ging es eine Weile hin und her, ehe der Hadnack, dessen Schwiegervater der Alte war, schließlich entschied: »Wir wollen uns der Kreatur annehmen und sie einer strengen Prüfung unterziehen. Stellt sich heraus, dass sie ein gottloses Tier ist, werden wir sie wie einen räudigen Hund behandeln. Ist sie aber ein Mensch, wollen wir ihr am äußersten Rand unserer Gemeinschaft eine Bleibe einräumen. Dort mag sie ein Leben fristen, gewiss nicht besser, doch keineswegs schlechter, als es jedem von uns zusteht.«

Der Pope fügte sich dem Beschluss unter einer Bedingung: Ahmed musste die Sprache der Landleute und ihre Gebete erlernen. »Erst wenn ihm die frommen Worte so selbstverständlich über die Lippen kommen, als wären sie ihm in den Mund hineingeboren, hat er der Beweis erbracht, ein Mensch wie wir zu sein.«

Einst war der Mohr von den Weisesten der Weisen unterrichtet und mit allen Gebieten des Wissens vertraut gemacht worden. Die heiligen Worte des Propheten hatte er zu deuten gelernt, die Neigung zu Musik war in ihm ebenso geweckt worden wie die Fähigkeit, sich die Gestalt der Erde und das Zusammenspiel aller Kräfte in der Welt zu erklären. Über Sitten und Bräuche der fernsten Länder schaffte er sich eifrig Kenntnisse. Vortrefflich war ihm der Geschmack geformt für die Baukunst, das Kriegswesen und die Staatsführung. Und nun mühte er sich inmitten eines wilden und zügellosen Landes redlich, sich eine Sprache anzueignen, die von den stumpfen Leuten ebenso unbewusst gesprochen wird, wie sie atmen, essen, schlafen, huren oder ihre Notdurft verrichten.

Ihm war zugestanden, im Stall eines Weibes zu nächtigen, das kein Mann im Dorf haben wollte. Von Zeit zu Zeit geriet es nämlich in fürchterliche Zustände, fiel auf den Boden, Schaum trat ihm vor den Mund, und seine Glieder zuckten heftig.

Große Angst hatte die Frau zuerst vor Ahmed. Immer wenn sie ihn erblickte, fing sie an, inbrünstig zum Himmel zu beten und alle Heiligen und Märtyrer anzuflehen, der schwarze Unhold möge sie verschonen.

Ahmed horchte sich ihre Gebete ab. Nach jedem ihrer Worte haschte er und prägte es sich ein. Bald hatte er sich einen kleinen Schatz davon gerafft.

Als die Furchtsame ihn einmal belauschte, wie er sich gleich einem kleinen Kind verzweifelt abmühte, mit seinen Lippen die Silben ihrer Sprache zu formen, stellte sich ihr ein warmes Gefühl ein. Sie setzte sich neben den Mohr und sagte ihm mit viel Geduld vor.

Als der Tag der Prüfung dann gekommen war, redete Ahmed die Gebete so gut herunter, als hätte er nie eine andere Sprache gesprochen. Auf die Fragen, die ihm gestellt wurden, gab er vernünftige Antworten. Auch wenn er kaum besser als ein Kind sprach, war er doch bemüht, seine Sätze mit seinem Verstand zu tränken.

»Ein Mensch wie wir ist er, das steht fest«, entschieden die Leute hernach einhellig.

Der Pope aber gab sich damit nicht zufrieden, schürte Zweifel und verlangte von Ahmed, sich taufen zu lassen. Erst dann, beharrte der Gottesmann, könne man wirklich sicher sein, es nicht mit einem zu tun zu haben, der des Teufels war.

Gegen dieses Ansinnen begehrte das Herz des Mohren auf. Lieber wollte er sterben denn sein Haupt vor dem Kreuz neigen, zu dessen Füßen so viele seiner Landsleute hingeschlachtet worden waren. Da fing er den Blick des Weibes auf, das ihn gelehrt hatte, und sah dessen Augen voll Tränen. Eine jede der Zähren verurteilten seinen heidnischen Stolz. So unterwarf er sich endlich der Forderung.

Eine Hütte weitab des Dorfes war ihm zugewiesen und die Pflicht übertragen, das Vieh zu hüten. Unter den Menschen durfte er sich nicht blicken lassen.

Das Leben in der Abgeschiedenheit behagte ihm sehr, und er fand endlich seinen Frieden.

II.

In manchen Gegenden der Welt hält die Erde die Toten, welche in ihr liegen, so fest umschlossen, dass kein Gewürm zu ihnen dringen und ihnen das Antlitz zerfressen kann. So war es auch mit der Furcht Ahmed Benims vor Frommenthal bestellt. Lebendig und frisch hatte sie ihm die Züge seines Verfolgers gehalten. Die Jahre, die seit ihrer letzten Begegnung vergangen waren, hatten sie nicht zu verwischen vermocht.

Stumm und ergeben stand Ahmed nun dem Amtmann gegenüber, wie eingepasst in das Schicksal, dem er sich vergeblich hatte entwinden wollen. Recht bald schon wähnte er sich im Palast zu Wien ausgestellt, mit Stroh gefüllt, aus Glasaugen die Besucher anglotzend, denen der Kaiser so gerne die erbeuteten Rossschweife Kara Mustafas zeigte, den kostbaren Sattel des Großwesirs und all die anderen Trophäen, die ihm aus dem Lager der besiegten Türken angeschleppt worden waren.

Mehr um nichts unversucht zu lassen denn in der Hoffnung, sich sein Los damit zu wenden, warf sich Ahmed Benim vor dem Kameralprovisor auf die Knie. Um Gnade flehte er und bot all seine Habseligkeiten dafür. Schon wollte er seinen Plunder aus der Hütte zu holen und vor Frommenthal auf dem Boden aufzuhäufen.

»Zu hoch setzt du deinen Wert an, Ahmed Benim. Längst verflogen ist mein Ehrgeiz, dich zu fassen. Hätte ich dich damals eingefangen, als du noch Lob wert warst und Anerkennung, wer weiß, was aus mir noch geworden wäre. Gewiss hätte es mich nicht in diese Ödnis hier verschlagen. Vielleicht aber in eine andere. Mir steht der Sinn nicht danach, Vergangenem nachzusinnen …«

Er stieg von seinem Ross und trat dicht an den Mohr heran: »Gestehe Er mir: Stimmt es, was jene Christenmenschen erzählen, die aus der Gefangenschaft der Türken fliehen konnten? Sie reden, dass finstere Leute wie Er in die Dunkelheit hineinblicken können. Hell wie am Tag soll es ihren Augen darin sein. Auch wird gesagt, dass eine Schattengeburt Seinesgleichen vieles hört, selbst wenn sie kaum einen Menschen zu Gesicht bekommt …«

»Die Wüste redet wie ein Weib in einem fort«, erwiderte Ahmed. »Die Einöde ist gesprächiger als jedes Dorf. Die Luft ist voller Stimmen. Der Wald ringsum trägt mir manches zu. Er hat es von den plaudernden Bächen, die durch ihn hindurchfließen. Die wiederum hörten es von den Ebenen. Die Täler erlauschen es vom Wind aus den Bergen. Auch der Regen schnappt manches auf und bringt es hierher.«

»Ich bin auf der Suche nach einem Mann. Er reist in Begleitung eines Mädchens. Haben Ihm die Vögel vielleicht ein Lied davon gesungen?«

»Die Vögel nicht, doch die Wölfe heulen darüber in den Nächten, wenn sich der Mond rundet.«

»So lasse Er mich an ihrer Rede teilhaben.«

»Es zieht den Fremden nach Osten. Das Mädchen führt ihn. Er muss ihm folgen. Das Kind weiß den rechten Weg nicht. Große Ungeduld plagt den Fremden. Weder sich noch seiner Begleiterin gönnt er Rast. Zwei Pferde sind ihnen schon verendet, so heftig hat er sie geschunden. Nun wandern sie zu Fuß.«

Ahmed heftete seinen Blick an Micula: »Das Kind ist seine Schwester, nicht wahr? Sie ist schwach. Oft fällt sie hin. Bedürfte der Fremde ihrer nicht, er würde sie liegen lassen. Nur langsam kommen sie voran.«

»Wo treibt es ihn hin?«, fragte Frommenthal.

»Darüber schweigt sich der Wald aus. Kein Wort verlieren die Bäche. Auch die Ebenen enthalten sich der Rede. Vielleicht weiß es der Wind. Aber der bleibt stumm. Horcht nur, Herr, wie still es ist! Nichts regt sich …«

Wahrlich, es schien, als wären die Bäume und Sträucher ringsum erstarrt.

»Was hat der Fremde vor? Rede Er, oder ich will den Kaiser zu Wien auf eine Stelle in seinem prunkvollen Schloss aufmerksam machen, die ein widerspenstiger Mohr trefflich zieren würde!«

»Lasst ab von Eurem Streben und dringt nicht weiter vor in dieses wilde Land«, erwiderte Ahmed. »Was den Fremden drängt, beleidigt Euren Verstand geradeso wie den meinen. Unsere Vernunft mag nicht zu fassen, was sein düsteres Herz entzündet. An seinen Bränden hat der Geist keinen Anteil.

Die Erde ist voll Toter. Über einen großen Kirchhof reitet Ihr hin. Kaum mag sie all die abgestorbenen Leiber unserer Schlachten zu verdauen. Viele verschmäht das wählerische Gewürm, und der Boden speit sie ins Leben zurück.

Uns ist eine wundersame Zeit beschert. Auf ihrem gemeinsamen Weg durch den dichten Wald sind unser Geist und unser Verstand an einer Gabelung angelangt. Der eine Pfad führt auf eine Lichtung, darauf die Sonne alles scharf zeichnet. Der andere fällt ab in eine Schlucht, darein sich kaum ein lichterer Schein verirrt.

Geist und Gemüt müssen sich entscheiden, welchen der beiden Wege sie beschreiten wollen. Den Geist zieht es auf die Lichtung. Dort will sich die Seele an der Sonne wärmen, und das Auge sich an der Klarheit erfreuen. Das Gemüt aber wird von der ewigen Dämmerung angelockt, der Heimstatt der Träume, worin nur Schemen und Gespinste huschen.

Schon sind Geist und Gemüt, diese Stiefbrüder, in Streit geraten und streben eigensinnig auseinander. Wie zwei Gäule vor einer Kutsche sind sie, von denen es jeden in eine andere Richtung zieht. Hält der Kutscher sie nicht zusammen, ist das Unglück nah.

Liegt Euch daran, Euer Gefährt auf gerader Bahn zu lenken, zwingt Eurem ausbrechenden Gemüt die Richtung des Geistes auf und erquickt Euch auf der sonnigen Lichtung.«

»Er redet wie im Fieber«, ermahnte Frommenthal.

»Großen Schaden nimmt der Verstand in der düsteren Schlucht, denn er stößt dort auf mancherlei, das er bislang für unmöglich hielt. Hat er das Ungeheuerliche einmal erschaut, ist ihm nichts mehr so, wie es ihm einmal schien. Sein Blick erhascht fortan nur noch Abgründe dort, wo er einst Festgefügtes ausnahm. Kein Wort, nicht einmal das weiseste, ist ihm dann mehr wert als das Stammeln eines blöden Kindes. Stolz und Ehre, Ansehen und Ruhm verkommen ihm zu Tand. Das Herz wird seines Schlagens nicht mehr froh. Durch das lieblichste Antlitz vermag er nur noch der blanke Schädel schimmern sehen, und die süßesten Lippen schmecken den Euren nach Abschied.«

»Rede Er deutlich zu mir, der Sinn Seiner Worte erschließt sich mir nicht.«

»Brecht Eure Jagd ab, Herr! Lasst Eure Beute sich in die Schlucht stürzen und kehrt um, ehe Jäger und Wild zu Verwandten werden. Als Ihr noch mein Verfolger ward, offenbarte sich mir Euer Wesen auf mannigfaltige Weise. Fliehend lernte ich Euren klaren Verstand kennen. Wie beneidete ich Euch um die Vernunft, von der Ihr Euch einzig leiten ließt, und schätzte Euer Herz, das sich keiner launischen Empfindung überließ, sondern ruhig und kalt in Eurer Brust schlug.

Gesagt lasst Euch sein: Der Wahnsinn, dem Ihr hinterher reitet, ist kein Mohr, der um sein Leben rennt. Ehe Ihr Euch verseht, hat sich die Hetzjagd verkehrt: Eine Meute von Gespinsten treibt Euch dann vor sich her, einem Jäger in die Arme, der kein Erbarmen kennt. Der Weg, den Ihr zieht, führt nicht zurück.«

III.

Als Frommenthal wieder auf sein Pferd stieg, sprach er zu Ahmed: »Sieht Er den Schweif meines Tieres? Behalte Er ihn in guter Erinnerung. So mag unsere Begegnung hier nicht gänzlich vergessen sein, denn meinem Gedächtnis wie meinem Gedenken ist sogleich entschwunden, wessen ich hier ansichtig wurde.«

»Habt Dank, Herr«, sprach Ahmed Benim.

Frommenthal schenkte ihm keinen Blick, sondern hob seinen Kopf, lauschte und sprach wie zu sich: »Wie seltsam die Grillen heute zirpen, und merkwürdig rufen die Vögel im Wald. Es klingt, als redete alles mit einer Stimme, die ich schon einmal vernommen habe. Aber zu lange ist es her, und ich weiß kein Gesicht mit ihr zu verbinden. Ein sonderbarer Tag ist heute …«

Er kehrte sich und ritt davon. Micula wollte ihm folgen. Der Mohr griff ihm in die Zügel: »Deine Schwester singt ein Lied. Die ganze Zeit singt sie es vor sich hin. Der Fremde versteht nicht, was es bedeutet. Und sie mag es ihm nicht erklären. – Drei Monde stehen über zwei Flüssen …«

Als Frommenthal später wissen wollte, was ihm der Mohr zugeflüstert habe, zuckte Micula die Schultern und erwiderte, nichts von seinen Worten verstanden zu haben.

IV.

In einem Waldstück sprang ihnen ein Pope vor die Rösser. Furcht loderte in seinen Augen. Sie war nur ein blasser Widerschein jener Verheerung, welche in seinem Gemüt herrschte.

Wiedergänger waren in großer Zahl in sein Dorf eingefallen und hatten sich die Bewohner Untertan gemacht. Zwar hatte der Pope Gottes Beistand erfleht und sich mutig den Unholden entgegengestellt, der Übermacht der Unruhigen aber war er nicht gewachsen.

Von den Leuten der Ortschaft kam seinem Streit gegen das Übel keine Unterstützung. Viele hatten sich freiwillig den Eindringlingen unterworfen. Nicht Sitte noch Anstand galt ihnen mehr. Die Männer durchzechten mit den Unbefriedeten die Nächte, die Weiber pflegten schändlichen Umgang mit den Abgestorbenen. Gemeinsam machten sie das Vieh zuschanden. Reisende, die ins Dorf kamen, fielen sie an. Schon ganz vermischt waren die Nachzehrer mit den Lebenden. Niemand vermochte mehr zu unterscheiden, wem von ihnen Stroh und wem Erde als Lager zustand.

Kurz zuvor war ein Fremder in Begleitung eines Mädchens in den Weiler gekommen. Das Kind war krank und bedurfte der Pflege. Der Fremde gab sich als hoher Gesandter aus, zeigte Papiere vor und erkundigte sich bei jedem eingehend nach Neuntötern.

Er sparte nicht an Zuwendungen und veranlasste die Bauern, ihn an jene gemiedenen Stellen zu führen, die durch kein Kreuz, nicht einmal durch einen flachen Stein als Gräber kenntlich waren. Lange hielt er sich an solchen Stätten auf und untersuchte sie genau. Da bekamen es die Leute mit der Angst und verwiesen ihn des Dorfes. Kaum war er mit dem kranken Kind weitergezogen, machte sich das Unglück über den unschuldigen Weiler her.

V.

Entgegen der eindringlichen Warnung des Priesters ritten Frommenthal und Micula in die Ortschaft ein.

Das Vieh in den Ställen und auf den Weiden war wohlauf, die Frauen und Männer von gesundem Aussehen und arbeitsam. Schmuck war die Kapelle. Hell tönte ihre Glocke. Frommenthal ließ sich den Dorfvorsteher kommen.

Eines Schmunzelns konnte sich der Hadnack nicht enthalten: »Mein Herr, wenn Ihr wirren Worten Glauben geschenkt habt und deshalb hierher gekommen seid, könnt Ihr Euch des Glückes rühmen, an einen Ort gelangt zu sein, in dem rechtschaffene Menschen leben. Blickt in die Hütte eines jeden von uns, schaut in unsere Scheunen und Ställe. Lasst Euch Zeit, prüft gründlich und versichert Euch: Der Wahrheit entspricht nichts von dem, was Euch über uns berichtet wurde. Fragt, wen Ihr wollt, die Magd dort am Brunnen, den Knecht, der den Heuwagen zieht, wessen Weg Ihr kreuzt, den redet an. Sprecht mit den Alten und den Kindern. Wenn es Euch beliebt, wartet in meinem Heim auf die Rückkehr der Bauern von den Feldern. Von ihnen mögt Ihr erfahren, welche Schandtaten dem Popen die Zunge im Mund zur Lüge verkrümmt haben.

Von den Wiedergängern hat sich kein einziger je hier blicken lassen. Wohl sind andere Dörfer weit von hier von schlimmer Plage befallen, so haben wir gehört. In unserer Mitte ist kein Platz für die Toten. Ein bequemes Lager haben unsere Verblichenen auf dem Kirchhof. In ihren Gräbern erfreuen sie sich der fetten Erde, mit der uns der Himmel reich beschenkt hat. Jahr für Jahr düngen die Engel des Herrn sie für uns. An den Tagen, die dafür bestimmt sind, gedenken wir unserer Ahnen mit Dankbarkeit.

Sucht die Sündigen nicht unter uns, sondern befragt den Popen, wie er es mit dem Beten und dem Fasten hält. Dazu lasse ich Euch einen Krug von unserem Wein abfüllen. Den gebt ihm zu trinken und zählt an den Fingern Eurer linken Hand die Züge, die er braucht, das Gefäß bis zur Neige zu leeren.

Bevor Ihr aber losgeht, will ich Euch die Weiber vorführen lassen, die er so heftig begehrte, dass er ihnen am hellen Tag auflauerte und vor den Augen ihrer Verwandtschaft über sie herfiel. Unsere Kinder suchte der Trunkene einzufangen, ihnen mit einem Messer Öffnungen in die Haut zu schneiden und ihre unschuldigen Seelen zur Ader zu lassen, damit ihnen das Böse entweiche.

Wir jagten ihn in den Wald hinaus und untersagten ihm, jemals wieder einen Fuß in unsere Mitte zu setzen. Nicht anders wussten wir uns seiner zu erwehren. Seither sind wir ohne geistliche Anleitung. Doch besser scheint es, mit einfältigem Gemüt Gott zu gedenken denn unter einem Verruchten zu leiden.

Nennt mir, wo Ihr ihn angetroffen habt. Wir wollen sogleich dorthin gehen und ihn weiter ins Dickicht hineintreiben, damit er unseren Frieden nicht stört.«

»Gern will ich Ihm glauben«, sprach Frommenthal. »Nun sage Er mir noch eins: Ein Fremder soll hier durchgekommen sein …«

»Auch davon habt Ihr also Kenntnis erhalten. Das Kind lag im Fieber. Den Herrn aber bekümmerten nur die Wiedergänger. Er gab dem Popen reichlich von dem Getränk, nach dem ihn so sehr verlangt. Das lockerte ihm die Zunge. Sein lästerlicher Mund sprudelte über von jenen schauerlichen Mären, die sich vernunftlose Leute über unruhige Tote erzählen.

Er führte ihn zu alten Gräbern hinaus, von denen ich selbst einst die Kreuze schlagen ließ, damit das unheilige Gerede über ihre Toten endlich aufhört, und es niemandem in den Sinn kommt, Hand an die Ruhestätten zu legen.

Der Fremde glaubte alles, was ihm der ewig durstige Pope schwatzte, und schickte sich an, Handlungen an den Grabstätten zu vollziehen. Das war uns nicht recht. Wir taten uns zusammen und legten ihm nahe, sich fortzuschaffen. Das Kind hätten wir gerne bei uns behalten. Es bedurfte der Obsorge noch sehr. Er aber riss es uns aus den Armen, ehe er uns mit finsterer Miene verließ.«

VI.

Solches und ähnliches vernahmen sie auch in anderen Ortschaften.

Indes gelangten sie allmählich an den Fluss. Von einer Anhöhe aus konnten sie bereits seine großen Wellen schauen.

Aus dem Mund eines jüdischen Händlers erhielten sie Kunde von einem Mann, der einst mit dem Fremden gezogen war. Auf einem Holzstamm war er den Fluss heruntergekommen, übel zugerichtet und kaum in der Lage, Gott für die Vergünstigung zu danken, noch am Leben zu sein.

Frommenthal und Micula trafen den Geschundenen in einer feuchten Hütte an. Sein Name war Gérard de Montespan.