Epilog
»Alles klar, Herr Kommissar?«
Es war die Stimme von Peter Meier, die Hoffmann nach seinem Erwachen als Erstes hörte. Als er seinen Blick durch die Gegend wandern ließ, war ihm klar, dass er im Krankenhaus lag. Eine Digitaluhr mit verschiedenen Anzeigen, die an der Wand hing, zeigte Viertel nach zehn am Vormittag. Er hatte also einen ganzen Tag hier gelegen.
»Sagen wir mal so«, murmelte Hoffmann, »ich habe schon besser gekotzt.«
Die Genickstütze an seinem schmerzenden Hals ließ es nicht zu, dass er seinen Gast direkt ansah. Er legte auch keinen Wert auf den Blickkontakt mit diesem Schlaukopf, obwohl er ihn irgendwie doch mochte.
»Kann ich irgendwas für Sie tun?«, fragte Meier.
»Ja, allerdings«, bestätigte Hoffmann. »Ich könnte einen Kasten Bier vertragen. Das hält man doch wirklich nur besoffen aus. Was ist überhaupt passiert?«
Meier druckste zunächst herum, begann dann aber doch seinen Bericht von den letzten Ereignissen vor dem Hochhaus. Er erzählte seinem Vorgesetzten, wie sich nach dem Entleeren von Krämers Rumpf der Körper von der Fahnenstange gelöst hatte. Wie die Leiche auf den Kommissar gestürzt und dessen Kopf genau in seinem Bauchraum verschwunden war, sich bis in den Brustkorb hinaufgeschoben hatte. Und wie er und die anderen Beamten vergeblich versucht hatten, ihn dort wieder hinauszuziehen, bevor Rettungskräfte mit geeignetem Werkzeug das Brustbein aufschneiden und den Körper des Toten auseinanderbrechen mussten, um den inzwischen bewusstlosen Kommissar daraus zu befreien.
»Selbst im Tode musste er uns in den Arsch treten«, schimpfte Hoffmann. »Und, hat sich irgendwas ergeben? Ich meine, in Bezug auf Opfer und Schäden.«
»Da sind wir dran. Wir sind noch mitten in der Aufnahme, wo er überall zugeschlagen hat. Zwei Stockwerke des Hauses hats mit dem Heli erwischt, in den beiden Büros gab es vierzehn Tote und einunddreißig Verletzte. Auf der Straße elf Opfer durch die Trümmer. Unsere Computerprofis konnten zum Glück das Verriegelungssystem
des Hauses schnell außer Kraft setzen. Die Krause-Ebene hat er komplett abgemurkst. Sah dort aus wie in einer Metzgerei. Aber was die Handgranatenopfer betrifft, da haben wir bisher keine klare Zahl. Könnten so an die vierzig sein.«
»Na, Prost Mahlzeit«, grummelte Hoffmann. »Da steht mir ja was bevor. Besser, ich bleib noch etwas hier, was? Die Anhörung könnte wirklich heiter werden.«
»Ach, kommen Sie! Wir sind da und unterstützen Sie. Und außerdem hat unsere gute Heike Lehmann die Karten für Sie gelegt. Demnach steht es ausgesprochen gut um Sie. Ihr Horoskop stimmt auch.«
»Meier!«, ranzte Hoffmann ihn an. »Seien Sie froh, dass ich mich nicht bewegen kann, sonst würde ich Ihnen eine verpassen!«
»Sie könnten es, wenn Sie nur auf mich gehört hätten.«
»Ach, wissen Sie, Peterchen«, meinte Hoffmann mit dem Versuch, ein Lächeln zu unterdrücken, »die ganze Sache war schlimm genug. Aber eine Sache ist ganz besonders
schlimm. In Zukunft wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie Ihr verdammtes Maul halten könnten.«
»Warum sollte ich das tun?«
»Warum? Da fragen Sie? Weil ich es hasse! Weil – ich – es – einfach – hasse! Ich hasse es, hasse es abgrundtief! Ich hasse es, dass Sie immer recht haben!«
Meier grinste, wenn auch etwas verlegen. Dann begab er sich mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen zur Tür.
»Ist mir ein Vergnügen, Chef«, scherzte er. »Ruhen Sie sich erst mal aus. Die Sache selbst ist ja ausgestanden.«
Dann verließ er das Krankenzimmer und Hoffmann war mit seinen Gedanken und Schmerzen allein. Wie viele esoterisch Verirrte mochten da draußen herumlaufen? Und was unterschied derart besessene Aluhüte
von fanatisch-religiösen Terroristen? Das Feld dieser merkwürdigen Überzeugungen war breit gefächert: brauner Okkultismus, Verschwörungstheoretiker, Schwarzkünstler … Jede dieser Richtungen konnte einen weiteren Ulrich Krämer auf den Plan rufen. Bei dem Gedanken an mögliche zukünftige Szenarien wurde ihm übel.
Hoffmanns Blick richtete sich auf das Fenster. Erst jetzt bemerkte er, dass der Raum durch kein künstliches Licht erhellt wurde. Etwas hatte sich draußen verändert. Nach langer Zeit hatte es endlich aufgehört zu regnen. Die Wolken am Himmel wiesen Lücken auf,
durch die sich sehr zaghaft die Sonne blicken ließ, als forschte sie noch schüchtern, ob ihre Zeit gekommen war oder nicht.