Zwei Tage später hingen in den Schaufenstern des Kiosks, der Bäckerei, der Änderungsschneiderei, des Blumenladens, an den meisten Geschäften des Viertels Einladungen zum Tag der Offenen Tür in der Neuen Hundeschule.
Mrs Morris vergaß ihre wehen Füße und ihren hohen Blutdruck. Sie schien überall gleichzeitig zu sein. Mr Snyder musste sie immer wieder zum Häuschen fahren. Sie redete lange mit allen Nachbarn und überzeugte sie, dass eine Hundeschule genau das war, was die Siedlung schon immer gebraucht hatte.
Am Samstag kam sie mit drei Eimern und jeder Menge Putzlappen an. Aber da stellte sie fest, dass Bob, Lance und Curly nicht nur mit Mauern und Malen und Hämmern und Grasschneiden fertig waren, sondern auch alles blitzblank geputzt hatten.
„Dafür brauchen wir keine Weiber“, knurrte Bob.
Die drei Männer liefen im Gänsemarsch hinter Mrs Morris her und strahlten, als sie erstaunt feststellte, dass wirklich nichts mehr zu tun war.
„Das Häuschen ist nicht wieder zu erkennen“, sagte sie eins ums andere Mal.
„Was ein richtiger Kerl ist“, erklärte Curly, „der kann auch sauber machen.“
Zur Feier des Tages gingen sie Pizza essen.
„Jetzt kann die Meute kommen“, sagte Lance beim Abschied.
Percy sah, wie Mrs Morris heimlich die Finger kreuzte.
Sie hätte sich keine Sorgen machen müssen. Der Tag der Offenen Tür war für drei Uhr angesetzt, und schon um halb vier war der Garten voll mit Hunden und den dazugehörigen Menschen.
Auch die Nachbarn, die keine Hunde hatten, waren gekommen, besichtigten Haus und Garten und staunten über die Veränderungen. Nur der alte Mr Goodman, der schräg gegenüber wohnte, hatte sich geweigert. Für solchen Unfug habe er keine Zeit und überhaupt wolle er seine Ruhe haben, hatte er gesagt, und war nicht einmal durch Mrs Morris’ Nusskuchen umzustimmen gewesen.
Percy meinte, er hätte einen Schatten hinter dem Vorhang gesehen, aber er war nicht sicher.
Um Punkt vier Uhr hielt ein Pferdewagen vor dem Gartentor. Heraus stieg Großtante Esmeralda in Purpurrot, gefolgt von Großtante Eugenie in leuchtendem Grün und Großtante Lilian in strahlendem Gelb. Hinter ihnen schritten die Tanten und die Kusinen. Die zwei kleinen Cousins trugen riesige Schöpflöffel in ihren Händen.
Bob, Lance und Curly kamen angerannt, stellten sich ihnen in den Weg, breitbeinig, die Hände auf den Hüften.
„Ihr habt hier nichts verloren!“, brüllte Bob.
„Haut ab!“, knurrte Curly.
„Weiber brauchen wir nicht!“, flüsterte Lance, der sich am Vorabend heiser gesungen hatte.
Sie merkten nicht als Mrs Morris hinter ihnen auftauchte, sie einfach zur Seite schob, Percys Mutter umarmte und den anderen Frauen die Hände schüttelte.
„Wie schön, dass Sie alle kommen konnten“, flötete sie.
Dann wandte sie sich an die Männer. „Ihr wollt den Damen doch gewiss zeigen, was ihr hier geleistet habt. Und wenn mich nicht alles täuscht, sind Sachen im Wagen, die ihr ins Haus tragen könntet.“
„Verräterin!“, knurrte Lance.
„Die Weiber waren immer unser Unglück“, behauptete Curly.
„Mabel hat mich rausgeworfen, nur weil ich beim Pokern ein bisschen verloren hatte“, sagte Bob.
„Ein bisschen? Deinen ganzen Anteil von … Na, muss ja nicht jeder wissen“, sagte Lance. „Aber Viktoria hat mich rausgeworfen, nur weil ich ein bisschen getrunken habe.“
„Ein bisschen? Drei Flaschen Whisky!“, sagte Curly. „Aber Cordelia hat mich rausgeworfen, nur weil ich ein bisschen gebrüllt habe!“
„Ein bisschen? Von Dover bis Edinburgh hat man dich gehört!“, sagte Bob.
Tim sagte nichts.
Mrs Morris lächelte milde. „Was ein richtiger Kerl ist, der fürchtet sich nicht einmal vor Frauen!“
„Fürchten??!!“, brüllten alle drei gleichzeitig. Auch Lance hatte seine Stimme vor Empörung wieder gefunden.
„Denkt an die Gäste“, sagte Mrs Morris leise. „Ihr wollt doch keinen schlechten Eindruck machen!“
„Ich sch …“, begann Bob, hielt inne und sagte: „Ich schere mich nicht um Eindrücke!“
In diesem Augenblick hielt ein Polizeiwagen mit blinkendem Blaulicht vor dem Gartentor. Zwei Polizisten kamen den Weg herauf.
„Ärger?“, fragte der ältere, und seine Stimme klang, als würde er selbst für Ärger sorgen, wenn es ausnahmsweise keinen geben sollte.
„Ärger?!“, wiederholte Mrs Morris. „Wie kommen Sie darauf? Hier gibt es ein Fest, und Sie sind herzlich eingeladen mitzufeiern.“
Großtante Esmeralda dirigierte, die Tanten hievten den riesigen Suppentopf auf den Herd, in dem schon Feuer brannte. Nach kürzester Zeit begann die Suppe zu duften, duftete bis hinaus in den Garten.
Die Gäste schnupperten, machten sich auf den Weg ins Haus. Es gab ein Gedrängel in der Tür. Wie Großtante Esmeralda vermutet hatte, waren alle bereit, für die Suppe zu zahlen. Besonders als sie die verzückten Blicke der Ersten sahen, die davon gekostet hatten. Die Männer standen mit missmutigen Mienen im Hintergrund, bis ihnen Großtante Eugenie Teller in die Hände gedrückt hatte. Dann lächelten auch sie.
„Gebt schon zu, dass es euch schmeckt“, sagte Tante Mabel. „So was Gutes habt ihr seit Jahren nicht mehr gegessen!“
„Na ja“, brummte Bob, aber als Tante Alissa die Hand ausstreckte, um ihm den Teller wegzunehmen, ging er rückwärts und verschanzte sich hinter zwei dicken Nachbarinnen.
Auch die Polizisten bekamen von der Hühnersuppe. Der Ältere musste einen feuerfesten Mund haben, er löffelte ungeheuer schnell und ohne ein einziges Mal auf den Löffel zu blasen. Kaum war sein Teller leer, hielt er ihn Tante Alissa für eine zweite Portion hin.
Viel zu schnell war der Topf leer. Großtante Esmeralda versprach, am nächsten Samstag wieder mit einem Topf Suppe zur Stelle zu sein. Die Männer verdrehten die Augen, aber sie sagten nichts.
„Das Einzige, was jetzt noch fehlt, ist Musik“, sagte Mrs Morris und warf Percy einen bedeutungsvollen Blick zu.
Er tat, als hätte er nicht verstanden und wandte sich zur Tür. Er wollte hinaus in den Garten. Irgendwie kam er sich überflüssig vor.
Als er die Tür öffnete, stieß er mit Tim zusammen.
„Hallo!“, sagte Tim.
„Hallo!“, sagte Percy.
Dann wussten beide nicht weiter. Sie standen einfach da und betrachteten ihre Schuhspitzen, bis Mrs Morris Tim am Arm packte. „Haben Sie die Mundharmonika mitgebracht?“
Tim nickte und zog eine prächtige Mundharmonika aus der Tasche.
Percy hatte nicht gewusst, dass Tim ein so wunderbarer Mundharmonikaspieler war. Ein paar Hunde jaulten kurz, dann setzten sie sich hin und schienen zuzuhören wie die Menschen.
Bob drehte den leeren Suppentopf um und trommelte mit dem Kochlöffel darauf. Juliette holte Kastagnetten aus ihrer Jeanstasche. Curly schnippte mit den Fingern an die Tür. Lance rannte hinaus, schleppte den Gartenschlauch herein und blies darauf die zweite Stimme. Ein Nachbar brachte eine Gitarre.
Da zog auch Percy seine Blockflöte aus der Tasche und spielte mit.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Mr Goodman schleppte seine Bassgeige herein. Er stellte sich in die Ecke, stimmte den Bass und begann zu spielen. Die Zuhörer wippten mit den Füßen, nickten mit den Köpfen, bewegten die Arme. Manche pfiffen mit. Immer wieder wurde geklatscht, dann bellten alle Hunde.
Der junge Polizist und Prudence begannen zu tanzen. Zuerst hüpften und strampften sie wild, dann kamen sie einander immer näher und schließlich tanzten sie eng umschlungen.
Tante Mabel runzelte die Stirn, wollte sie auseinander ziehen, aber da packte Großtante Esmeralda Mabel am Arm und redete leise auf sie ein.
Mr Snyder trat zu Mrs Morris, machte eine tiefe Verbeugung und zog sie auf die Tanzfläche. Bald gab es da ein Gedränge und Geschubse. Die Hunde stellten Ohren und Haare auf und gerieten den Tanzenden zwischen die Beine.
Als die Musik aufhörte, standen oder saßen die Leute erhitzt und vergnügt herum. Junge und Alte waren sich einig, dass sie selten so viel Spaß gehabt hatten. Eine Frau gratulierte Mrs Morris zu ihrem netten Enkel, und Mrs Morris wurde über und über rot.
Plötzlich lief Mr Snyder zu seinem Auto und kam mit einem Päckchen zurück, das er Bob feierlich überreichte.
Bob knüpfte umständlich das rote Band auf, holte ein glänzendes Messingschild heraus und hielt es hoch. In Schnörkelschrift stand da zu lesen:
Lance holte die Leiter, Curly holte Nagel und Hammer. Mit großer Geste schlug Bob den Nagel in die Wand direkt gegenüber der Tür und hängte die Tafel auf. Alles applaudierte. Percy erwischte seine Mutter dabei, wie sie dem älteren Polizisten die Brieftasche zurück in die Uniformjacke steckte.
Seine Mutter zuckte mit den Schultern, später flüsterte sie ihm zu: „Ich wollte nur sehen, ob ich schon ganz außer Übung bin.“
Percy hörte Lance sehr leise zu Bob sagen: „Schade um so viele gute Gelegenheiten. Heute hätten wir richtig abräumen können.“
„Trottel!“, zischte Bob.
Lance machte ein beleidigtes Gesicht. „Ich mein doch nur. Einfach – theoretisch, verstehst du? Oder ist das zu hoch für dich?“
Um neun Uhr waren dreiundzwanzig Hunde fest zur Hundeschule angemeldet, sieben standen auf der Warteliste für den nächsten Kurs. Bob überreichte Mrs Morris die Liste und küsste sie auf beide Wangen.
Lance und Curly flüsterten miteinander, dann hoben sie Mrs Morris hoch und trugen sie auf ihren Schultern durch die Menge. Mrs Morris strampelte wild und schimpfte laut. Als sie endlich wieder auf eigenen Füßen stand, erklärte sie, es sei Zeit für alle alten Damen, nach Hause zu gehen.
Großtante Esmeralda rief, für sie gelte das nicht, und wann denn endlich wieder Musik gespielt werde. Mr Goodman begann mit einem Solo auf der Bassgeige, nach und nach fielen die anderen ein. Großtante Esmeralda nahm Isabelle die Kastagnetten ab und tanzte mit erhobenen Armen und stampfenden Füßen.
Großtante Lilian zählte zum dritten Mal das Geld in der Kassa und konnte nicht glauben, wie viel sie verdient hatten.
Lance zeigte Kartenkunststücke.
Als Percy Mrs Morris und Mr Snyder zum Auto begleitete, sah er Prudence und den jungen Polizisten eng umschlungen unter einem Baum stehen.