Hübsche Muscheln
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Coco hatte nicht vor, sich vor irgendwem zu verstecken. Sie war am letzten Samstag ganz normal beim Training erschienen und hatte sich um die Anfängerinnen gekümmert. Beau hatte sie wie Luft behandelt und vollkommen ignoriert. Weitere Tränen zu vergießen, hatte sie sich nicht erlaubt.
Das Training heute fiel leider aus, weil Halloween war. Sie hatte den Laden länger offengelassen, um zuvor besorgte Süßigkeiten an verkleidete Kinder verteilen zu können. Dafür hatte sie ein Paar Katzenohren aufgezogen und sich entsprechend geschminkt.
Nun fuhr sie mit ihrem Wagen auf dem Parkplatz des 10 Gallon Hat
vor, wo man alljährlich eine Halloween-Party feierte, die Coco ganz recht kam, um sich auf andere Gedanken zu bringen. Sie hatte sich als Meerjungfrau verkleidet, da dies keinen besonders großen Aufwand erforderte. Nur einen goldenen Muschel-BH und eine blaue Perücke, die mit einem Haarband aus kleinen goldenen Muscheln geschmückt war. Ihr Fischschwanz bestand aus einer hautengen türkisblauen Hüfthose, deren Metallic-Stoff das Glitzern von Schuppen nachahmte.
Die Beine waren um die Knöchel ausgestellt, um einen Fischschwanz anzudeuten. Auf diese Weise konnte sie trotzdem tanzen, ohne dabei Stürze wegen beengender Kleidung zu riskieren. Ihren Körper hatte sie mit einer glitzernden Lotion eingecremt und die Augen mit türkisem Lidschatten betont. Die falschen Wimpern mit den türkisfarbenen Spitzen durften auch nicht fehlen. Um die Schultern trug sie ein golden gesponnenes Geflecht, das ihre Arme halb bedeckte, um anzudeuten, dass sie sich bei einem Fischer im Netz verfangen hatte. Ein paar falsche Perlenketten in Gold und Türkis vervollständigten das Bild der Meerjungfrau, die für eine Nacht an Land gekommen war.
Coco machte sich nicht die Mühe, eine Jacke überzuziehen und lief unbedeckt von ihrem Wagen in Richtung Bar. Ihr folgten jede Menge Blicke und einige Männer pfiffen ihr nach. Sie grinste nur und ließ ihren Hüftschwung für sich sprechen. Auf ihren mörderisch hohen Plateausandaletten, deren Absatz aus Plexiglas gefertigt war, konnte man gar nicht anders, als sich urweiblich zu bewegen.
Als der Türsteher sie zu sich herwinkte, schenkte sie ihm ein erfreutes Lächeln, weil er sie trotz ihres Aufzuges erkannt hatte.
„Mademoiselle Coco, wie immer eine Augenweide.“
Er zwinkerte ihr zu, ohne Anstalten zu machen, Hand an sie zu legen.
Nicht einmal sein Blick war ungebührlich. Ein Profi, wie Coco sie besonders gernhatte.
„Hallo, Steeljaw. Heute ist die Hölle los, hein
?“
Sie küsste ihn auf beide Wangen zur Begrüßung und wurde dann durchgewunken.
Es war immer gut, sich mit der Security von Bars oder Clubs gutzustellen. Coco hätte nicht gern in der Schlange auf Einlass gewartet. Drinnen war es schon ordentlich voll. Teufel, Kätzchen, Geister, Serienmörder und mehr bunt verkleidete Gestalten feierten ausgelassen den gruseligsten Tag des Jahres. Sie machte sich keine Mühe, die Leute hinter ihren Masken erkennen zu wollen. Sie wollte Spaß haben, also steuerte sie die Bar an und bestellte eine Margarita. Heute würde sie sich an die harten Sachen halten.
Sie fischte ihre Kreditkarte aus der Hüfte, die sie unter den Stoff der Hose geschoben hatte und hielt sie dem Barkeeper hin.
„Zieh durch, mein Freund. 200 Dollar. Ich unterschreibe und trinke. Was übrigbleibt, ist für dich.“
Coco formte einen Schmollmund und blies ein Küsschen in seine Richtung. Er schien sein Glück nicht fassen zu können, dabei waren das Peanuts, wenn sie bedachte, wie viel sie schon an Eintritt in einem exklusiven Pariser Club hätte zahlen müssen.
Den ersten Drink trank sie zügig und durstig, um sich dann hüftschwingend in Richtung Tanzfläche zu begeben, wo es für sie freie Auswahl an Tanzpartnern gab, die zu gern ihre Taille umspannten und sich am Gefühl der nackten Haut labten. Ihre Hosen lagen schließlich tiefer, der Stoff endete eine Handbreit über ihrer Scham und bedeckte nur knapp die Narbe auf ihrem Unterbauch, die sie heute mit einem hautfarbenen Tape abgeklebt hatte. Ihr Plan war Tanzen bis zum Umfallen. Also die ganze Nacht durch, sofern sie nicht irgendwann vom Alkohol schachmatt gesetzt wurde. Zur Not konnte sie in ihrem Wagen schlafen, sollte zu später Stunde kein Taxi mehr zu kriegen sein, weil sie bestimmt nicht die Einzige sein würde, die nicht mehr fahrtüchtig war.
Bevor sich ihr aktueller Tanzpartner jedoch weiter in die Tiefen ihres herzförmigen Muschel-Ausschnitts vorwagen konnte, wurde er von einem dunklen Schatten beiseitegezogen. Große Pranken legten sich wie eine zuschnappende Falle um Cocos Taille. Der unnachgiebige Griff wurde jedoch durch ein paar fingerlose Jagdhandschuhe abgemildert, was man von dem silbergrauen Blick, der von oben auf sie herabfunkelte, jedoch nicht behaupten konnte.
„Colton?“ Coco blinzelte überrascht.
Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sich Beaus bester Freund ihr heute nähern würde. Sollte er sie nicht wie die Pest meiden?
„Jo, Frenchy … auf der Jagd nach einem Seemann oder würdest du auch mit einer absoluten Landratte vorliebnehmen?“
Colton lächelte schief und blies sich eine von vielen verirrten Haarsträhnen aus den Augen, die jedoch gleich in die ursprüngliche Position zurückfiel, weil er den dunklen Schopf zuvor mit reichlich Haaröl der Länge nach in Form gebracht hatte. Würde er den ganzen Tag mit schmierigen Zotteln im Blickfeld herumlaufen müssen, hätte er sich längst für eine Kurzhaarfrisur entschieden, aber an Halloween konnte man ja mal was riskieren. Wobei er die scharfen Outfits lieber denjenigen überließ, die sie auch tragen konnten.
Anders als Coco war er mit abgerissenen braunen Cargohosen, einem dunklen ärmellosen Hemd und einer ledernen Weste darüber geradezu züchtig gekleidet. Was jedoch nicht über die Gefährlichkeit der in einem Köcher steckenden Armbrust hinwegtäuschte, die rechts hinter seiner breiten Schulter hervorlugte. Ein bisschen Schmieröl auf Gesicht und Armen sowie ein bisschen Kunstblut unter einem schwarzen Verband am linken Bizeps komplettierten sein Outfit als einer der führenden Charaktere aus seiner Lieblingsserie The Walking Dead
.
„Ich verspreche auch, dir heute Abend jeden Zombie vom Leib zu halten, der sich dir uneingeladen nähert.“
Colton drehte sich einmal mit ihr im Kreis, so dass sie an ihm vorbei in Richtung der Pooltische sehen konnte. Dort stand nämlich ein Exemplar in blutigem Hemd und Hosen, welches bis vor wenigen Tagen noch ordentlich auf Tuchfühlung mit ihr hatte gehen dürfen. Heute spielte er allerdings mit ernster Miene eine Partie gegen BJ Stroker, der sich als Star Lord
aus Guardians of the Galaxy
verkleidet hatte, und Tate Paine, der eine eher witzigere Variante von Dracula gab. Schließlich hatte er eine kleine Tochter zuhause und eine Frau, die als Medium eine ganz besondere Verbindung zur Geisterwelt hegte. Da musste man es mit dem Grusel nicht übertreiben.
Colton und Beau hatten sich allerdings ganz schön ins Zeug gelegt und mehr als ein weiblicher Gast zuckte im Vorübergehen zusammen, wenn sie der sonst so fesche Lehrer mit von weißen Kontaktlinsen getrübtem Blick taxierte. Es sah fast so aus, als würde der Zombie jemanden suchen, aber darauf, mal nach seinem Jäger Ausschau zu halten, kam er nicht.
„Ich glaube nicht, dass diese Gefahr besteht.“, gab Coco trocken zurück, der das Herz bei Beaus Anblick beinahe ins Höschen gerutscht war.
Zombie oder nicht, er sah viel zu gut aus, als dass sie vollkommen unbeeindruckt tun könnte. Und heute wirkte er richtig düster, als würde er tatsächlich jemanden umbringen wollen.
„Soll ich ihn herlocken? Kann ja nicht angehen, dass die Eiszeit zwischen euch noch länger dauert. Was ist denn los gewesen? Hat Beau-Bärchen dich etwa mit einem Liebesgedicht dazu gebracht, das Weite zu suchen?“
Coco lachte auf, auch wenn es sich anfühlte, als würde jemand dabei Scherben durch ihre Kehle ziehen.
„Wohl kaum.“
Ihr Magen schlug einen Purzelbaum, weil sie das Wort Liebe
nicht mit Beau in Zusammenhang bringen wollte. Er war ein Idiot. Das war alles.
Colton machte ein unüberzeugtes Gesicht. Nach dem letzten Training am Samstag von seinem Kumpel angesprochen, hatte Beau ebenso schnell das Weite gesucht wie Coco und sich auf gar keine Unterhaltung eingelassen. Colton hätte schon Gewalt anwenden müssen, um ihn zum Sprechen zu bringen. Das hob der Mechaniker sich aber lieber für den Zeitpunkt auf, an dem es richtig nötig werden würde, weil ihm Dawsons anhaltend schlechte Laune auf den Zeiger ging.
„Spaß beiseite, Coco.“
Colton schob sie wieder mit dem Rücken zu Beau und tanzte sich mit ihr ein wenig tiefer in die wogende Menge kostümierter Gäste.
„Lass mich wissen, wenn dir der Junge zu nahe getreten ist. ‒ Ich helfe dir gern, die Sache zu bereinigen.“
Schließlich hatte er keine Skrupel, jemandem die Leviten zu lesen, egal wie gut sie auch befreundet sein mochten.
„Nicht nötig. Beau hat nichts getan. Sollten Prügel nötig werden, kann ich die selbst verteilen.“
Coco würde sicher niemanden vorschicken, ihre Drecksarbeit zu erledigen. Das wäre ja lächerlich.
„Ha. Das stimmt.“
Colton lachte trocken auf, um dann in Richtung der Bar zu nicken, an der es gerade gefühlt ruhiger zuging.
„Wie wäre es mit einem Drink? Ich wollte gerade zur Bar und dann zurück zum Pokertisch. ‒ Liegt mir mehr als Billard. Hast du Lust, mein Glücksbringer zu sein? Oder vielleicht eine Runde mitzuspielen? Die Herren freuen sich immer über Frischfleisch ...“
Colton verzog seinen Mund, der heute von einem anständigen Stoppelbart umrahmt war und seinen Auftritt als Zombiejäger noch verwegener machte, zu einem breiten Grinsen, womit er klarstellte, nur einen Scherz gemacht zu haben.
„Keine Sorge, alles Gentleman der alten Schule … Sie werden dir gefallen.“
„Klar. Warum nicht?“, stimmte Coco sofort zu, die keinerlei Berührungsängste kannte und zudem eine Schwäche für alte Haudegen hatte.
Sie hängte sich bei Colton ein und ließ sich in eine ruhige Ecke des Ladens führen, wo an einem Tisch, der sogar mit grünem Filz überzogen war, eine Riege Herren saß, deren Anblick einen wehmütigen Stich durch ihr Herz jagte, weil sie sich an ihren Vater erinnert fühlte, den sie die letzten Tage schmerzlich vermisste hatte. Er würde wissen, wie man ihr wieder den Kopf zurechtrückte und würde nicht zulassen, dass sie sich wegen eines Idioten hängen ließ.
„Guten Abend, alle zusammen!“
Coco lächelte die Bande verschmitzt an.
„Ich bin Coco LaFlamme, Colton war so freundlich, mich einzuladen, mich der Runde anzuschließen, wenn es genehm ist.“
Ein Marshall mit blitzenden blauen Augen, die Coco sehr bekannt vorkamen, musterte sie unter buschigen Brauen.
„Sie sind also die berühmt-berüchtigte Artistin? Freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss LaFlamme. Darf ich Ihnen die Herren vorstellen? Dr. Stroker, unser Amtstierarzt und BJs Vater. Gunner Carmody, ehemaliger Rodeoweltmeister. Gage und Jesse gehören zu ihm. Und das hier ist Elliott Colton, der Vater des Jüngelchens an Ihrer Seite.“
Coco kicherte, weil sie Colton eher als ganzen Kerl bezeichnet hätte, was er eindeutig von seinem Vater hatte, der einen prächtigen Schnauzer sein Eigen nannte und trotz der weißen Haare verwegen jung aussah. Jetzt wünschte sie sich gleich noch mehr, dass ihr Vater hier wäre, der sich gut in dieser Runde machen würde.
„Freut mich sehr, Mr. Colton. Die Familienähnlichkeit ist unverkennbar.“
Sie zwinkerte dem älteren Mann zu und wandte sich dann wieder an den Leitbullen in der historisch korrekten Verkleidung.
„Und mit wem habe ich das Vergnügen?“
„Sie sind bereits meiner Tochter Rio begegnet. Ich bin zwar nicht der Marshall in dieser Gegend, aber der amtierende Sheriff. Duke Masterson, stets zu Ihren Diensten.“
Coco klatschte begeistert in die Hände und strahlte die Männer regelrecht an. Ihre Laune hatte sich merklich gehoben.
„Darf ich mitspielen?“, fragte sie mit klimpernden Wimpern.
Der Sheriff hob die Hand, mit der er nicht das Blatt hielt und strich sich über seinen dekorativen Bart.
„Es ist nur noch ein Platz frei, wie Sie sehen.“
„Oh, das macht nichts. Ich spiele mit Colton. Auf seinem Schoß ist genug Platz für mich. Meine Verkleidung wiegt ja nicht viel.“, gab Coco kess zurück.
Was in der Herrenrunde allgemein für Erheiterung sorgte. Noch nie zuvor hatten sie so schöne Muscheln gesehen wie die von Coco LaFlamme.
„In der Tat. Colton wird es sicher verkraften.“, schmunzelte DB Masterson in seinen Bart hinein.
Der Sheriff versteckte sein Grinsen hinter der gehobenen Hand und dachte bei sich, dass er froh war, dass seine eigene Tochter nun eine verheiratete Frau war, weil sie sonst wahrscheinlich in einem ähnlich freizügigen Aufzug hier aufgeschlagen wäre.
Colton nahm Platz und Coco ließ sich wie angekündigt auf seinem Schoß nieder, auf dem zwei von ihrer Sorte Platz gehabt hätten. Sie würde nun noch unbekleideter wirken, weil der Tisch ihre Hosen verdeckte, aber damit hatte sie keine Probleme. Sie trat ja auch mit wenig am Leib auf oder sonnte sich oben ohne.
Bald ging das Spiel in die nächste Runde und Coco flüsterte Colton regelmäßig ein, wie viele Karten er ziehen oder wann er passen sollte. Es wusste ja keiner, dass Kartenspiele Teil ihrer Ausbildung gewesen waren.
Colton selbst freute sich darüber, endlich mal länger in den Reihen der versierten Kartenspieler zu bestehen. Nicht, dass er schlecht war und andauernd verlor, aber um mit dem Pokerface von Gunner Carmody oder DB Masterson mithalten zu können, musste man schon einiges auf dem Kasten haben. Bei seinem Dad Elliot und Boone Stroker war das einfach. Die zwirbelten immer an ihren Bärten herum, sobald ihnen das Glück eines besseren Blattes beschieden war.
Sollte er irgendeine Geste haben, die ihn verriet, so sorgte Coco auf seinem Schoß für genügend Ablenkung. Sie zwirbelte die Locken ihrer blauen Langhaarperücke und brachte die Vorzüge ihrer Muscheln kokett zur Geltung.
Colton war beinahe versucht, die gestandenen Familienväter zur Räson zu rufen, die ihr des Öfteren mehr als einen verstohlenen Blick zuwarfen, doch dann gewann er mit ihr zusammen den Jackpot von über dreihundert Dollar. Hätte er da noch an sich halten können, wären die Gerüchte um ihn nur bestätigt worden, dass in seiner Brust ein Motor und kein Herz schlug.
„Frenchy, du bist der Hammer!“
Er gab ihr einen dicken Schmatzer auf die Wange und drückte Coco so fest an sich, dass er vielleicht nicht ihr Gewicht, aber durchaus deutlich ihren Körper an seinem spürte. Ihm persönlich machte das nichts und anders als im Training, musste sie diesmal auch nicht versuchen, sich wieder von ihm zu befreien. Das tat er schon freiwillig in dem Bestreben, den Gewinn des Abends gerecht unter ihnen zu verteilen.
„Da kann ich dir nur zustimmen, mon cher
.“
Coco lachte und ließ sich gern herzen und drücken.
Boone Stroker, der in einem Hawaiihemd einen glaubwürdigen Magnum P.I.
gab, verlangte eine frische Runde Bier, während Gunner Carmody in einem seiner alten Rodeooutfits immer noch daran knabberte nur Zweiter geworden zu sein. Der Sheriff war wie immer die Ruhe selbst, während Elliott im Blaumann sowohl seinen Sohn als auch die Frau auf seinem Schoß neugierig betrachtete.
„Wusste ja gar nicht, dass du eine Freundin hast, Jungchen.“, hob der ältere Colton an, woraufhin sein Sohn prompt das Feixen mit Coco einstellte und den Kopf schüttelte.
„Sie ist nur eine Freundin, Dad. Nicht meine Freundin.“
„Sag ich doch.“, erwiderte Elliott verschmitzt und zwinkerte der Meerjungfrau schon ein wenig angeheitert von zahlreichen Drinks belustigt zu.
„Mein Sohn ist sonst nicht so schüchtern, Miss LaFlamme. Sie könnten also die Richtige für ihn sein.“
Woraufhin Coco in perlendes Gelächter ausbrach. Colton und sie waren zwar auf einer Wellenlänge, aber sie betrachtete den Mechaniker mehr als väterlichen Freund.
„Gut zu wissen, Elliott.“, kam es da knurrend von der Seite.
„Soll ich dann schon mal das Aufgebot für euch Turteltauben bestellen?“
Beau war in seiner Verkleidung kaum zu erkennen und doch machte er zwischen den Stühlen von Gunner und Boone stehend einen durchschlagenden Eindruck. Milchweiße Augen mit stecknadelgroßen Pupillen taxierten erst Colton und dann Coco, die auf dessen Schoß saß.
Dann kräuselte sich sein vor Kunstblut triefender Mund zu einem gemeinen Lächeln, bei dem sich die aufgeklebten Latexwunden auf seinen Wangen effektverstärkend mit verzogen. Von dem schmucken Lehrer, der sich in Coco verknallt hatte, war nichts mehr übrig. Beau starrte von Kopf bis Fuß vor Dreck und Blut und seine gruseligen Zombieaugen verharrten unverhohlen auf ihrem üppigen Dekolleté.
„Hübsche Muscheln.“
„Was zum Teufel …?!“
Coco sprang wie von der Tarantel gestochen auf und warf Beau einen tödlichen Blick zu, der zwar nicht so gruselig aussah wie das Weiß in seinen Augen, aber dafür absolut ernst gemeint war.
„Damné conard!
“, rief sie wütend aus und war so schnell auf den Tisch gesprungen und hatte sich auf Beau Dawson gestürzt, dass niemand sie aufhalten konnte.
Mit ihrem Schwung warf sie ihn zu Boden, setzte sich rittlings auf seine Brust, um dann auszuholen und ihm eine Rechts-Links-Kombination zu verpassen, die ordentlich Bumms hatte. Den Schmerz in ihren Knöcheln bemerkte sie gar nicht.
„Ich habe dich gewarnt, dich mir nicht mehr zu nähern!“, keuchte sie und war drauf und dran, Beau auch noch zu würgen.
Sie war nicht mehr sie selbst, mehr eine entfesselte Furie, die direkt aus der Hölle aufgestiegen schien. Glücklicherweise hatte sie ihr Oberteil bombenfest gewählt, weil sie bei dieser Aktion sonst riskiert hätte, oben ohne dazustehen.
„Was und mit wem ich etwas tue, geht dich gar nichts an, tête de nœud
!“
Gerade hatte sie alles so schön vergessen gehabt und nun brach alles erneut über sie herein, so dass sie sich fühlte, als hätte sie eine Tsunamiwelle davongespült, in der sie nun herumgewirbelt wurde, bis ihr davon schwindelig zu werden drohte.
„Ah, ah, ah, Frenchy … Eine Lady tut so was doch nicht.“
Colton zog Coco entschlossen von Beau herunter, der sich sofort auf die Seite drehte und sich das malträtierte Gesicht rieb. Coltons Dad wollte ihm auf die Beine helfen, doch er machte nur eine abwehrende Geste mit der Hand. Angeschlagen rappelte Beau sich allein hoch und taxierte Coco gleich wieder mit seinem weißen Zombieblick, der all die Emotionen, die er in diesem Moment empfand, zum Glück vor ihr verbarg.
Was man von ihren Augen nicht sagen konnte. Coco spuckte auch nonverbal Gift und Galle in seine Richtung, während Colton sie in einem schraubstockartigen Griff von Beau fernhielt.
„Ich hatte keine Ahnung, dass du auf diesem verdammten Fest sein würdest.“, hob er mit rauer Stimme an, nachdem sein Atem wieder ein wenig zur Ruhe gekommen war.
Coco schnaubte nur und versuchte, wieder runterzukommen. So gern sie es wollte, wäre es nicht klug, hier eine Prügelei anzuzetteln.
„Aber wenn ich es gewusst hätte, dann ...“
„Was dann?!“, zischte Coco, die sich schon wieder gegen Coltons Griff stemmte, aber keine Chance gegen ihn hatte.
Beau schmeckte Metall auf seiner Zunge und prüfte vorsichtshalber noch mal den Sitz seines Unterkiefers. Der Donnerschlag, mit dem ihre Fäuste auf ihn niedergegangen waren, hallte immer noch in seinen Ohren nach. Genau wie das Echo ihrer Worte, das ihn seit Tagen und Nächten fortwährend begleitete. Das Gefühl, sie zu vermissen und zu einem völlig falschen Zeitpunkt in die Ecke gedrängt zu haben, war stärker und schlimmer als die unbegründete Eifersucht, die er bei Cocos Anblick auf Coltons Schoß empfunden hatte.
„Dann hätte ich sicher die Gelegenheit genutzt, um mich trotz allem bei dir zu entschuldigen. Keine Sorge, das gerade habe ich verdient. Vielleicht musste es so weit kommen, damit ich endlich begreife, dass ich mich dir gegenüber wie ein kompletter Idiot verhalten habe. ‒ Es tut mir leid.“
Sein Blick glitt über die Runde der alten Haudegen und Colton, die ihn gleichermaßen ungerührt wie missbilligend musterten. Sie waren eindeutig auf Cocos Seite und hätten ganz bestimmt eingegriffen, wenn Beau Anstalten gemacht hätte, sich zu wehren oder sich einer Frau gegenüber überlegen zu zeigen. Er hatte allerdings keine Lust auf eine Nacht in der Zelle des Sheriff's Departments und wandte sich zum Gehen.
Zuvor richtete er allerdings ein letztes Mal das Wort an die Frau, für die sein Herz immer noch viel zu schnell und viel zu heftig schlug, so dass er sich an dieser Stelle wünschte, tatsächlich ein gefühlloser Zombie zu sein.
„Du siehst wirklich hübsch aus heute Abend. ‒ Happy Halloween, Cosette.“
Noch ein Abschiedsgruß an Colton, der ihn nicht mehr nach Hause bringen musste, dann war Beau schon weg. Mitten im Gewühl auf dem Weg zum Ausgang. Irgendwo draußen würde er schon ein Taxi bekommen, das ihn nach Hause fuhr. Und ansonsten bot es sich immer noch an, die paar Blocks zu laufen.
Coco zuckte zusammen und fühlte sich, als hätte Beau einen Tiefschlag gelandet. Ihre Knie gaben unter ihr nach und mit einem Mal war sie froh, dass Colton sie festhielt. Ihr Herz schien bei jedem weiteren Schlag mehr zu schmerzen. Sie kam nicht damit zurecht. Es war leicht gewesen, den Gedanken an Beau von sich zu schieben, wenn sie ihn nicht sah oder hörte. Aber nun hatte er vor ihr gestanden und sie hatte gehört, was er gesagt hatte. Dieser Blödmann. Es war ein Glück, dass er verkleidet war und nicht mehr wie der Beau aussah, den sie kannte und …
„Verdammte Scheiße!“, fluchte sie und spürte zu ihrem Unmut Tränen aufsteigen.
„Das kannst du wohl laut sagen.“, raunte Colton ihr ins Ohr, weil ihm sein Kumpel Beau jetzt durchaus ein wenig leidtat.
Coco schniefte und hätte sich dafür am liebsten selbst eine runtergehauen. Das fehlte noch, dass sie in aller Öffentlichkeit in Tränen ausbrach.
„Du kannst loslassen, Colton! Ich möchte mir nur eben die Nase pudern gehen.“
Coco lavierte sich aus seinem Griff, als dieser nachgab und stürmte in Richtung Waschräume davon.
Im Moment herrschte kein zu großer Andrang, so dass sie sich in einer Kabine einschloss und heftig gegen die aufsteigende Übelkeit atmete, die sie auf die ganze Aufregung schob. Zu wenig Schlaf, zu viel Training und kaum etwas zu essen. Sie lehnte kraftlos an der kühlen Tür aus Metall und erschauerte, bis sich eine beißende Gänsehaut auf ihrem Leib ausbreitete.
Die Tränen kämpfte sie nieder, sie würde sonst aussehen wie ein Waschbär, da sie die Schminke heute richtig dick aufgetragen hatte. Zwei Minuten später wusch sie sich die Hände unter fließendem kaltem Wasser, das ihre geröteten Knöchel beruhigte, die unangenehm zu pochen begonnen hatten.
Hatte sich Beau vorhin entschuldigt?
Coco war sich nicht sicher. Das Rauschen in ihren Ohren hatte alles andere übertönt. Sie warf sich im Spiegel über dem Waschbecken einen kritischen Blick zu. Sie war ein bisschen blass um die Nase, aber sonst bemerkte man allerhöchstens am Ausdruck ihrer Augen, dass sie sich zutiefst getroffen fühlte. Sie war sich keiner Schuld bewusst. Beaus Vorwürfe entbehrten jeglicher Grundlage. Es war ihr gutes Recht, bestimmte Dinge für sich zu behalten. Er würde ihr auch kaum Familiengeheimnisse enthüllen, sofern er welche hätte.
Als sie die Toilette verließ, wäre sie beinahe in Colton hineingelaufen. Sie konnte ihm aufgrund der hohen Absätze direkt in die Augen sehen, weil sie damit über einen Meter achtzig maß.
„Okay, Frenchy. Was ist los?“
„Sag bloß, du fühlst dich jetzt von mir angemacht und verarscht?“
„Sollte ich das?“
Colton sah abwartend drein und lächelte fragend, ohne sich zu einem weiteren Kommentar hinreißen zu lassen. Er war ein sehr geduldiger Mensch und nahm nicht jedes Wort, das man auf ihn abfeuerte persönlich. Solange man den Bogen nicht überspannte, hieß das.
Cocos Miene verdüsterte sich und sie verschränkte die Arme unter der Brust, ohne sich bewusst zu sein, dass sie ihr Dekolleté damit nur noch weiter betonte. Ihr Körper war für sie etwas vollkommen Natürliches. Es gab keinen Grund, ihn zu verstecken. Aber sie ließ sich ganz sicher nicht von jedem anfassen. Ansehen war erlaubt. Coco zog durchaus Grenzen, die dort anfingen, wo man begann, ihre Selbstbestimmung zu beschneiden.
„Ich spiele nicht mit dir und auch mit keinem anderen!“
Sie zog eine beleidigte Schnute und hätte ob dieses ungerechten Vorwurfs erneut ausrasten können.
„Das war mir schon klar, bevor ich dich an den Pokertisch gebeten habe, Frenchy.“
Colton schnalzte nachsichtig mit der Zunge und verscheuchte einen neugierig stehengebliebenen Teufel, der auf Coco schielte, mit der entsprechenden Geste, Land zu gewinnen.
Coco war es gerade einerlei, wer sie anstarrte. Wenn ihr jetzt noch jemand dumm kommen würde, könnte sie für nichts mehr garantieren.
„Beauford hat also Mist gebaut, hm?“, hakte Colton nach, als sie beide wieder unbeobachtet im Gang standen und zupfte auffordernd an einer der langen blauen Strähnen, die über Cocos makellose Schultern fielen.
„Was denkt sich dein Freund dabei, mir zu unterstellen, dass ich ihn gekauft hätte, als wäre er ein Spielzeug?! Dürfen nur Männer Frauen beschenken, oder wie?“
Coco löste die Verschränkung ihrer Arme auf und hätte sich zu gern die Haare gerauft. Ihr fiel gerade noch rechtzeitig ein, dass sie eine Perücke trug, deren Sitz sie nicht ruinieren wollte.
„Hör mal … ich weiß ja nicht, was da zwischen euch beiden passiert ist, aber …“
Colton nahm Coco beim Arm und führte sie ein paar Schritte den Flur entlang, bis sie etwas weiter von den Toilettentüren entfernt und damit auch außer Reichweite anderer Gäste waren.
„… uns beide verbindet ganz bestimmt nicht mehr als Bruder und Schwester. Du bist gut im Training, es macht mir Spaß, mich mit dir zu schlagen und das, was rauskommt, wenn du den Mund aufmachst, ist meistens auch nicht von schlechten Eltern. ‒ Wäre Beau nicht mein Kumpel, würde ich dir sagen, dass er weit unter deiner Liga spielt, aber sicher nicht behaupten, dass ich es besser könnte. Hättest du mir einen Anzug mit dem entsprechenden Kommentar gekauft, dass dir der Inhalt meines Kleiderschranks nicht genügt, hätte ich dir von Montag bis Freitag den Hintern versohlt.“
Und sie wusste ganz genau, dass er im Umkreis von ein paar Meilen sicher einer der Wenigen war, die dazu fähig wären. Ethan Paine auch noch, aber der würde erst seine eigene Frau um Erlaubnis bitten müssen, weil Coco ja mit ihr befreundet war.
„Pah!“, wehrte Coco ab, aber sie wusste, dass sie mit Beau in diesem Punkt sehr viel besser zurechtkommen würde.
Sie hatte nun mal gern die Hosen an, selbst wenn sie gar keine Kleidung trug. Das A in Alpha wurde bei ihr riesengroß geschrieben.
„Lass mich ausreden, Frenchy. – Hättest du mir auf dieser Auktion irgendetwas gekauft, das in Richtung Oldtimer geht, hätte ich dich ganz bestimmt angebetet. Für mich spielt Geld nicht so eine große Rolle wie für Beauford. Die Geste zählt. 25.000 Dollar sind allerdings kein Pappenstiel. So viel verdient er in einem halben Jahr und dass du das Geld, ohne groß darüber nachzudenken, für ihn ausgegeben hast, hat ihn auf der einen Seite gefreut und auf der anderen Seite ziemlich überrascht. Er kennt so was nicht, Coco, und ist da in der Tat ein wenig spießig, würde ich sagen. Wenn jemand einem außerdem ein solches Geschenk macht, also eins, auf das man komplett abfährt, dann fängt man schon an nachzudenken, welche Bedeutung das für eine Beziehung hat.“
Colton hatte nun eine vollkommen ernste Miene aufgesetzt und gab sein Bestes, anständig zwischen den eingefahrenen Fronten zu vermitteln.
Coco schnappte ungläubig nach Luft und starrte Colton an, als hätte er ihr soeben mitgeteilt, dass sie der neue Messias war. Das Wort Beziehung hallte in ihrem Kopf wider. Durchdringend laut.
„Falls du es nämlich noch nicht mitbekommen hast, dann kläre ich dich hiermit auf, dass Beauford Dawson sich offensichtlich anständig in dich verliebt hat und dich mit seiner idiotischen Art eigentlich nur bitten wollte, ihn an deinem Leben teilhaben zu lassen. Er dachte eben, du würdest dasselbe für ihn fühlen … Ich meine, wir reden hier immerhin über einen Lehrer und eine Erstausgabe von Breeze through the Pines
… Da hättest du ihm genauso gut vor versammelter Mannschaft den Inhalt deiner Muscheln zeigen können … Es hätte denselben Effekt gehabt.“
„Colton!“
Coco war selten schockiert oder verlegen, aber nun fühlte sie sich plötzlich gehemmt. Sie hatte beinahe vergessen, was sie am Leib trug und welchen Eindruck das machte.
Colton stieß ein angestrengtes Seufzen aus und nickte dann in Richtung Hauptraum der Bar.
„Also, soll ich dir ein Taxi rufen, damit ihr das klären könnt oder gleich selbst fahren, damit du es dir in letzter Sekunde nicht noch mal anders überlegst? Du weißt, dass du ihn jederzeit in die Schranken weisen kannst, Kleines. Von der Warte aus droht dir also keinerlei Gefahr, würde ich sagen.“
„Merci bien, tu es an vrai ami.
“
Coco trat an ihn heran, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben, die sie dann mit einem schiefen Grinsen tätschelte.
„Du wirst mal ein guter Vater werden.“
Vermutlich nicht das, was der Mann hören wollte.
„Ach ja?“
Diese Art von Kompliment hörte Colton tatsächlich eher selten und lachte amüsiert auf.
„Du hast es beinahe so gut drauf wie meiner, mich von der Palme runterzuholen. Also Danke. Ich kann aber selbst fahren. Ich hatte nur eine Margarita … Da fällt mir ein, ich habe noch ein Guthaben an der Bar. Deine Drinks gehen also auf mich. Ich geb dem Barkeeper Bescheid. Entschuldige mich bei der Herrenrunde. Ich werde mich bei Gelegenheit einem der nächsten Spiele anschließen. Salut
, Colton!“
„Salut
, Frenchy! Ich werde es ausrichten und du, lass dich nicht vom Zombie beißen.“, rief Colton ihr grinsend nach, froh darüber, dass seine direkten Worte zunächst keinen weiteren Schaden angerichtet hatten.
Coco winkte ihm zu und lief zurück in den Schankraum, um ihr Guthaben auf Colton zu übertragen und eine Runde Bier für die Pokerspieler springen zu lassen. Mit einem Mal hatte sie es sehr eilig, hier rauszukommen. Ihr war sowieso nicht nach Feiern zumute gewesen. Es war nur darum gegangen, sich von den Gedanken an Beau abzulenken.