«A
lex war der Name, stimmt’s?»
Verdammt. Es war seine erste Frühstücksschicht seit längerem, denn Olafur und Dagur hatten heute frei, und in der ganzen Eile heute Morgen hatte Alex komplett vergessen, dass er dabei riskierte, auf Jane und Peter zu stoßen.
«Hallo. Schön, Sie zu sehen», sagte er glatt und versuchte, nicht zu zeigen, wie heftig sein Herz durch den plötzlichen Adrenalinstoß schlug. «Jane und Peter. Wie klein die Welt ist – was führt Sie denn nach Island?»
«Wir sind tatsächlich Ihretwegen hier. Nina hat uns erzählt, dass Sie nach Island versetzt worden sind.»
Alex warf einen vorsichtigen Blick über seine Schulter. Zum Glück war niemand in Hörweite.
«Und ich wollte schon immer mal herkommen. Darum hat Peter beschlossen, mich zu überraschen. Ich habe Sie schon neulich gesehen, aber dann waren Sie auf einmal wieder verschwunden, bevor wir mit Ihnen sprechen konnten. Wir haben nach Ihnen gesucht, und ich wollte schon an der Rezeption fragen, wo Sie sind. Aber bestimmt sind Sie als Manager die ganze Zeit beschäftigt.»
Alex bekam eine Gänsehaut. Konnte es noch schlimmer kommen? Wie sollte er ihnen erklären, dass er hier nicht das Sagen hatte, ohne seine Deckung aufzugeben?
«Nun, es ist wirklich schön, Sie wiederzusehen. Aber ich
muss …» Er deutete mit dem Kopf auf die Kaffeekanne in seiner Hand und dann in Richtung eines Tisches auf der anderen Seite des Speisesaals.
Jane lächelte ihn an. «Ich finde es toll, dass Sie mithelfen.»
«Wir tun, was wir tun müssen», sagte er und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn.
Sobald er den Kaffee zu den Gästen gebracht hatte, eilte er in die Küche und ließ sich gegen einen Tisch fallen. Er rieb sich die Stirn.
«Alles okay?», fragte Gunnar, der mit einem Tablett voll schmutzigem Besteck hereinkam.
«Ja, alles gut.» Alex lächelte schwach und richtete sich auf. Seine Gedanken rasten. Wie wahrscheinlich war es, dass Jane und Peter Lucy erzählten, woher sie ihn kannten? Hatte Nina ihnen mitgeteilt, warum er hier war? Er war ziemlich sicher, dass sie wussten, dass er der Manager des Pariser Hotels war. Nina hatte mal erwähnt, dass er Sebastian in einer seiner Suiten wohnen ließ. Würden sie Lucy auch davon erzählen?
Wie sollte er ihr das erklären? Was würde sie sagen, wenn sie herausfand, dass er sie die ganze Zeit angelogen hatte? An ihrer Stelle würde er stinkwütend werden. Aber er konnte es ihr nicht sagen. Noch nicht. Der Deal war noch nicht abgeschlossen, und auch wenn bekannt war, dass die Lodge zum Verkauf stand, wusste keiner, wer der Interessent war. Quentin wollte nicht, dass irgendwer davon erfuhr, bis alles unter Dach und Fach war.
«Alex, Tisch fünf wartet», sagte einer der anderen Kellner.
«Danke.» Alex schob seine Gedanken beiseite und ging zurück in den Speisesaal.
«Guten Morgen.» Er grüßte Clive, den Regisseur, der leider an einem seiner ihm zugeteilten Tische saß.
«Oh, Sie sind das. Jetzt sind Sie auf einmal Kellner?»
«Barmann, Kellner, was immer gerade gebraucht wird.» Er lächelte, auch wenn Clives falsche Jovialität und sein aufgesetztes Ich-weiß-was-angesagt-Ist ihn ankotzten und er es grässlich fand, wie er Lucy immer wieder dazu drängte, vor der Kamera zu stehen, obwohl sie sich offensichtlich unwohl damit fühlte.
«Bringen Sie uns einen Kaffee?» Clive schaute ihn dabei nicht mal an, sondern beugte sich mit seinem Kameramann Bob über den Laptop.
Als Alex mit zwei Kaffeekannen zurückkam, sahen sie sich gerade die Aufnahmen an. Alex wollte schon gehen, doch dann sah er die Bilder von dem Nachmittag, an dem die Jeeps ausgefallen waren. Der Anblick von Lucys angespanntem Gesicht, der kleinen Falte auf ihrer Stirn ließ ihn erstarren.
Er starrte auf den Bildschirm, und die Szene wechselte. Die Kamera kam von weiter weg, zoomte dann auf Lucys Körper und die Schwellung ihrer Brüste, die ihr enges Top spannten. Das Bild verharrte dort – Alex zählte die Sekunden: eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs – und bewegte sich erst dann weiter hinauf zu ihrem blassen, angespannten Gesicht.
Was für ein Widerling. Alex ballte die Fäuste, und die heiße Wut packte ihn, als er in das grinsende Gesicht des dicken Kameramanns blickte.
Clive musste spüren, dass Alex immer noch hinter ihnen stand, er drehte sich um und wich bei dessen Gesichtsausdruck zurück. Gut so.
«Alex! Hab Sie gar nicht gesehen.»
Bobs Grinsen wurde noch breiter. In Alex Schläfe pulsierte es. Er beugte sich langsam hinunter, um Bob deutlich zu machen, wie groß er war.
«Ich gehe davon aus, dass Sie diese Szene rausschneiden», zischte er und berührte dabei mit seiner Nase beinahe die des Ekelpakets.
Bob schluckte, versuchte auszuweichen und warf einen unsicheren Blick zu Clive hinüber.
«Hey, Mann, ganz cool.» Clive legte Alex eine Hand auf den Arm, als wären sie beste Kumpels. Doch Alex schüttelte sie ab.
«Ich sage es noch mal: Es wäre gut für Ihre Gesundheit und den Zustand Ihrer Ausrüstung, wenn Sie diese Szene herausschneiden.»
«Verziehen Sie sich.» Bob hatte seinen Mut wiedergefunden. «Wir haben die Erlaubnis. Wir können filmen, worauf wir Lust haben. Und ein Kellner wird uns ganz sicher nicht daran hindern.»
Alex hob eine Augenbraue und starrte ihn an, ohne zu blinzeln. Im Restaurant war es ganz still geworden, alle schauten zu ihnen hinüber, obwohl sie ihre Stimmen nicht erhoben hatten. So als hätte ihre Feindseligkeit sich in Wellen durch den Raum ausgebreitet und das Gleichgewicht verschoben.
Bob schluckte.
«Wollen Sie es riskieren?», fragte Alex mit leiser
Stimme, in der seine kaum verhohlene Wut deutlich mitschwang.
Clive versuchte zu lächeln, doch seine Stimme zitterte dabei. «Wie Bob gesagt hat, wir haben die Erlaubnis des Managements, hier zu filmen.»
«Sie meinen das Management, das Sie in diesem Video sexuell belästigen?», fragte Alex angewidert.
Die Produktionsassistentin, die den Männern gegenübersaß, warf Bob einen abfälligen Blick zu.
«Ich würde sehr gründlich darüber nachdenken, ob Sie weiter in diesem Hotel bleiben wollen. Und Sie sollten daran denken, dass es Leute gibt, die sowohl über diesem Hotelmanagement als auch über Ihnen stehen.» Er spannte die Kiefermuskeln an. «Löschen Sie es sofort.» Es war nicht schwer, die beiden einzuschüchtern. Alex hatte die letzten zehn Jahre mit Mistkerlen, unangenehmen Kunden und arroganten Arschlöchern zu tun gehabt, und diese beiden hier waren im Vergleich dazu ein Witz.
Clive verdrehte die Augen. «Beruhigen Sie sich. Ich bin sicher, wir können uns –»
«Sind Sie verheiratet? Oder haben Sie eine Freundin?», fauchte Alex.
Clive sackte leicht in seinem Stuhl zusammen und nickte. Die Produktionsassistentin warf ihren Pferdeschwanz zurück und verschränkte die Arme. Sie schaute Clive an wie ein Raubtier seine Beute. Alex musste beinahe grinsen. Er würde nur ungern mit Clive tauschen wollen.
«Und bestimmt würden Sie es super finden, wenn irgendein Arsch die Kamera auf ihre Brüste hält, um die Bilder dann landesweit im Fernsehen auszustrahlen.»
Oh ja, die Assistentin kniff die Augen zusammen und beugte sich leicht vor.
Clive sah tatsächlich kurz beschämt aus. «Bob, würdest du … bitte die Bilder für Mr. Sensibelchen hier löschen?»
Bob zog die Dateien widerwillig in den Papierkorb des Laptops und hackte wütend auf die Tasten.
«Und sind wir uns einig, dass sich so etwas nicht wiederholt?» Alex klang ganz ruhig.
Clive verzog den Mund. «Passen Sie mal lieber auf sich auf, Kellner. Sie maßen sich für meinen Geschmack ein bisschen zu viel an.»
Seine Freundin verdrehte bei den Worten nur die Augen.
Alex lächelte Clive kalt an. «Darauf würde ich nicht wetten.» Sobald er hier rauskam, würde er Quentin anrufen sowie den Leiter der Produktionsfirma, und außerdem würde er prüfen, ob Lucy irgendeine Erlaubnis unterschrieben hatte. Er traute Clive oder Bob keinen Zentimeter über den Weg.
«Na, das ist ja wirklich ganz toll!», hörte er Lucy rufen, als er ins Büro kam. Vielleicht war das jetzt nicht die beste Gelegenheit, um mit ihr zu sprechen.
«Guten Morgen», sagte er. Lucy stützte ihren Kopf mit beiden Händen, während sich Brynja neben ihr die Hände knetete.
«Ich glaube es einfach nicht.» Lucy drehte sich zu ihm um. «Wir haben ein Schaf im Becken.»
«Was, jetzt?»
«Ja, jetzt. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie man
damit umgeht, aber ich weiß, dass jetzt sofort jemand geht und es rausholt.» Sie richtete die Augen zum Himmel. «Und natürlich sind Magnus und Dagur heute nicht da. Olafur ist nach Hvolsvöllur gefahren, um die Ersatzreifen zu holen. Es hätte also zu keinem besseren Zeitpunkt passieren können. Und wenn diese bescheuerte Filmcrew davon Wind kriegt …» Sie schauderte. «Ich kann mir vorstellen, was für eine tolle Sendung das abgibt. Ich glaube, wir sind verflucht.» Sie griff bereits nach dem Mantel und zog ein paar Gummistiefel unter ihrem Schreibtisch hervor.
Alex glaubte, dass es womöglich noch schlimmer stand, und er nahm an, dass sie genauso dachte. Sie hieß schließlich nicht umsonst Lucy Smart.
«Oder vielleicht existiert dieses Huldufólk doch.» Sie warf Brynja einen Blick zu. «Sorry.»
«Genau so was passiert», meinte Brynja. «Sie halten es für ein Märchen, aber dann …» Sie zuckte die Schultern und blickte wie eine freundliche Eule mit aufgerissenen Augen von Lucy zu Alex. «Sie wollen es eben nicht glauben.»
«Ich weiß nur eines, nämlich dass ich das Schaf da sofort rausholen muss und dann die Leute von der Verwaltung anrufen werde, um zu tun, was nötig ist.»
«Es haben sich also noch keine Freiwilligen gemeldet?», fragte Alex.
«Es weiß noch niemand. Wieso, melden Sie sich freiwillig?»
«Das steht zwar nicht ganz oben auf meiner Liste, aber wenn sonst keiner da ist, bin ich dabei. Brauchen Sie Hilfe?»
«Ehrlich?» Sie schaute ihn mit weichem Ausdruck an.
«Ich hatte gehofft, ich könnte das Schaf dazu bewegen, irgendwie selbst rauszuklettern. Ich möchte wirklich nicht zu ihm ins Wasser steigen, ich habe keine Ahnung, wie schwer so ein Schaf ist.»
Das Schaf hüpfte im Wasser auf und nieder und blökte herzzerreißend.
«Zumindest ist es warm da drin», sagte Lucy.
«Und es scheint stehen zu können», fügte Alex hinzu.
«Wie zur Hölle ist es da reingekommen?» Lucy verengte die Augen und sah zum Zaun, der das Gelände umgab. «Das scheint mir doch ein zu großer Zufall zu sein.»
«Sie denken also, es war Absicht?», fragte Alex. «Das habe ich mich auch schon gefragt.»
«Also ehrlich. Schafe sind hier noch was wert, die werden hinter ordentlichen Zäunen gehalten, um genau so etwas zu verhindern. Auf keinen Fall ist das hier einfach rüberspaziert und reingefallen. Irgendjemand hat bei der armen Dolly nachgeholfen.»
«Die geben sich wirklich Mühe.»
«Ja, aber wer und warum?» Sie blickte ihm fest in die Augen.
Er hatte keinen Grund, sich schuldig zu fühlen … doch, hatte er wohl, aber nicht deswegen.
«Ich bin Barmann. Ich habe keinen Anlass, Schafe in warme Becken zu schubsen.»
Sie lächelte leicht, und er merkte, dass es vielleicht zu sehr nach Rechtfertigung klang.
«Vielleicht», sagte sie und schaute wieder auf das Schaf, «war es ein ehemaliger Angestellter oder sonst jemand,
der irgendeinen Groll hegt. Und die einzige Möglichkeit, das herauszufinden, ist, ein paar Fragen zu stellen. Hekla scheint alles zu wissen, aber wenn ich sie frage, dann glaubt sie vielleicht wieder, ich vertraue ihr nicht. Ich habe sie schon genug frustriert, das will ich nicht noch mal tun.»
«Soll ich sie mal ein bisschen ausquetschen?», fragte er. «Es ist bestimmt nicht schwer, mit ihr über diese Ereignisse zu plaudern und sie um ihre Meinung zu bitten.»
«Das wäre toll», sagte Lucy zu schnell. Ihm wurde klar, dass sie ihn genau da hatte, wo sie ihn haben wollte.
Er lachte. «Gutes Manöver.»
«Oh, war es so offensichtlich?» Ihr konspiratives Lächeln erhellte ihr Gesicht, und ihre klaren Augen sprühten vor Intelligenz. Er konnte seinen Blick nicht von ihr lösen. Sie war wirklich smart. Und doch war da eine Verletzlichkeit an ihr, die sie gut verbarg. Er freute sich deshalb umso mehr darüber, dass er Clive und Bob die Meinung gesagt hatte. So einen Mist hatte sie wirklich nicht verdient.
Er zwinkerte ihr zu. «Nur weil es genau das ist, was ich an Ihrer Stelle auch getan hätte.»
«Sie sind als Barmann und Kellner die reinste Verschwendung.» Sofort schlug sie sich mit der Hand auf den Mund. «Entschuldigung, das war unhöflich. Ich meinte nicht, dass … dass an der Bar zu stehen und zu kellnern irgendwie nicht gut ist, nur …» Sie machte ein gequältes Gesicht, und ein Teil von ihm hätte sie nur zu gern aus ihrem Elend befreit, doch was hätte er sagen sollen? Die Lügerei an sich war bereits schlimm genug, er sollte es nicht noch schlimmer machen. Auch wenn ein anderer Teil in ihm es ziemlich genoss, sie so verlegen und schamrot zu sehen.
«Jedenfalls», sagte sie und lenkte ihren Blick wieder auf das blökende Schaf, «wir müssen Dolly da rausholen. Ich glaube, wir sollten sie hier an die Seite locken.»
«Sie wissen also, dass es ein Weibchen ist?», fragte er beeindruckt.
«Keine Ahnung!» Sie schüttelte den Kopf. «Aber sie braucht unsere Hilfe, und es scheint mir netter, ‹sie› zu sagen als ‹es›», antwortete Lucy und schob ihr Kinn vor, als wollte sie ihn herausfordern.
Etwas in ihm löste sich beim Anblick dieses trotzigen Kinns. Und wie sie das Schaf verteidigte. Er hatte das Gefühl, dass eigentlich Lucy diejenige war, die Hilfe und Nettigkeit gebrauchen könnte. Sie schien zu glauben, dass sie alles allein tun musste.
Lucy kniete sich neben das Becken. «Ich weiß nicht, ob sie zu uns kommen wird. Was essen Schafe denn außer Gras? Und wie kriegen wir sie hier raus?»
Er zuckte mit den Schultern, vor seinem geistigen Auge tauchte ein Bild auf, wie sie dem Schaf Grasbüschel hinhielt. «Haben wir nicht vielleicht ein passendes Gerät dafür? Kennen Sie diese langen Kescher, die die Poolreiniger immer benutzen? Vielleicht können wir sie damit an die Seite des Beckens schieben, und dann ziehen wir sie raus.»
«Gute Idee. Lassen Sie uns im Schuppen nachschauen, ob es da was gibt.» Sie deutete auf den Geräteschuppen am Rand des Geländes, wo es etwas bergauf ging. «Meinen Sie, einer von uns sollte bei ihr bleiben?»
Alex betrachtete das Schaf, das zwar blökte, aber ansonsten nicht zu leiden schien. Es strampelte nicht und
schien auch keine Angst zu haben. Nicht dass er ein Fachmann für Schafe war. «Na ja, sie wird offenbar nicht ertrinken. Ich denke, es ist okay, wenn wir sie ein paar Minuten allein lassen.»
«Ich mache mir eher Sorgen, dass ein Gast vorbeikommt oder die Filmcrew.» Sie nagte an ihrer Lippe und schaute zu den großen Fenstern, in denen sich der morgendliche blaue Himmel und die Hügel spiegelten. Es war nicht zu erkennen, ob jemand zu ihnen hinausschaute.
Er stieß sie mit den Ellenbogen an. «Die Gäste machen sich alle für ihre Ausflüge fertig, und die Filmleute schauen die Aufnahmen von gestern durch. Kommen Sie. Wenn wir uns beeilen, haben wir Dolly da raus, bevor uns jemand sieht. Und von den Zimmern aus kann man sie nicht erkennen.»
Lucy eilte zum Schuppen, riss die Tür auf und trat hinein. Sie schaltete das Licht an, um sich in dem Raum zurechtzufinden. Eine Menge Gerätschaften stand herum.
«Perfekt.» Sie griff nach einem langen Stiel mit einem dreieckigen Netz und hielt ihn triumphierend in die Höhe wie eine Kriegerin ihren Speer. Er lächelte über das Bild, das sie abgab. «Damit können wir sie zur Seite schieben.»
«Schon mal ein Schaf gefangen?», neckte er.
«Nein, aber es gibt ja für alles ein erstes Mal.» Ihr unerwartet fröhliches Grinsen berauschte ihn, und aus irgendeinem Grund stockte ihm der Atem.
«Ehrlich, dieser Job kann manchmal so verrückt sein, aber genau darum …» Sie unterbrach sich und neigte den Kopf, als hätte sie gerade eine Erkenntnis gehabt. «Genau
darum liebe ich ihn. Ich liebe meinen Job. Das hatte ich bloß vergessen.» Sie wandte sich bereits zur Tür.
Alex holte tief Luft und drehte sich weg, um sich zu sammeln. Ihr strahlendes Lächeln hatte ihn völlig durcheinandergebracht. Er hatte den Drang, sie zu umarmen und ihr zu sagen, dass sie alles toll machte, doch sie war an diesem Morgen so geschäftig, dass es nicht passend schien. Verwirrt von seinen Gefühlen, schaute er zur Seite. Was war das denn? Er stieß einen langen Pfiff aus.
«Was ist?» Lucy drehte sich um, und ihr Blick folgte seinem ausgestreckten Finger.
«Na, schauen Sie sich das mal an. Da beim Generator. Ich schätze, den brauchen sie hier, bei diesem wechselhaften Wetter und so weit ab, wie das Hotel liegt.» Er wusste, dass er plapperte, aber die Tatsache, dass sie hier den Beweis für Lucys Vermutungen fanden, gemischt mit seinem natürlichen Drang, Lucy zu trösten, hatte sein Hirn umnebelt.
Zwei große Autoreifen standen angelehnt an einen großen Stromgenerator.
«Verdammt», murmelte Lucy, und ihre Fröhlichkeit war im Nu verflogen. Sie stampfte hinüber und trat angewidert dagegen. «Wie sind die denn hierhergekommen? Dieses Huldufólk ist ja ganz schön kräftig und gerissen.» Ihr Mund zuckte vor Sarkasmus.
In der einen Hand immer noch das Netz, die andere Hand in die Hüfte gestemmt, stieß sie einen schweren Seufzer aus. «Und ich hatte schon gehofft, es wäre alles nur Zufall. Dumm, was?»
Er schüttelte den Kopf.
Sie warf verärgert den Kopf zurück und hob wieder das Kinn mit diesem resoluten Ruck, den er nur bewundern konnte.
«Aber erst mal haben wir ein Schaf zu retten.»
«Mist!», sagte Lucy, als Alex sich so weit wie möglich nach vorn beugte, um Dolly zum Rand zu schieben, damit sie das Schaf packen konnte. Aber es war schwieriger, als zu versuchen, Äpfel nur mit dem Mund aus dem Wasser zu holen. Sobald Alex den Hintern des Tieres berührte, tauchte das dumme Ding weg und bewegte sich zur anderen Seite des Beckens. Aber er ließ sich nicht unterkriegen. Dieses dämliche Schaf. Merkte es denn nicht, dass er ihm helfen wollte? Und wieso tat er das überhaupt?
Zum zehnten Mal ging er dem Schaf nach, und Lucy folgte ihm. Das war doch albern. Sie mussten völlig lächerlich aussehen. Aber er gab nicht auf. Nicht wenn Lucy ihn ansah, als wäre er ihr Held. Das Schaf schwamm jetzt in der Mitte, gerade außerhalb seiner Reichweite. Wenn er sich nur noch ein bisschen weiter reckte … Einen Moment lang balancierte er am Rand des Beckens herum und fiel beinahe hinein.
Was wollte er eigentlich beweisen?
«Lassen Sie mich mal», sagte Lucy und schaute wieder einmal über die Schulter. Er wusste, dass sie sich Sorgen machte, jemand könnte ihre Versuche mitbekommen. Sie waren jetzt schon zwanzig Minuten dabei.
«Was? Glauben Sie etwa, Sie können es besser?», sagte er ein bisschen eingeschnappt. Okay, jetzt wurde er kindisch, aber es war auch wirklich zu nervig. Wie schwer
konnte es denn sein, dieses Schaf zu packen? Es schien ihn beinahe hinterhältig anzusehen, als würde ihm die ganze Sache Spaß machen. Alex verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und starrte zurück. Das Schaf hatte es da im Becken gemütlich warm, während er hier draußen zu frieren begann, denn die Wasserspritzer hatten seine Kleidung durchnässt. Er stieß den Kescher ins Wasser und versuchte, damit Wellen zu schlagen und das Schaf auf die andere Seite zu scheuchen.
«Nein.» Lucy presste die Lippen zusammen, als müsste sie ein Lachen unterdrücken.
«Lachen Sie mich etwa aus?», fragte er und trat auf sie zu.
Sie riss die Augen in gespielter Unschuld auf und presste die Lippen noch fester aufeinander. «Ich lache doch nicht. Nein. Ich …» Ihre Augen glitzerten. «Aber», sie kicherte, «es ist ein bisschen wie Mensch gegen Kreatur. Und Sie sind so fest entschlossen, sich nicht kleinkriegen zu lassen.»
Er richtete sich auf, schaute erst auf das Schaf und dann auf sie. Er wollte ihr schon das Netz mit einem kindischen «Na, dann versuchen Sie es doch selbst» in die Hand drücken, als er merkte, wie lächerlich die ganze Situation war.
«Sie sollten mich mal auf der Playstation FIFA
spielen sehen.» Er grinste.
«Sie haben wohl gern einen Wettstreit, was?», fragte sie kichernd.
«Verdammt, ja, genau. Und ich bin entschlossen, dieses Schaf da rauszuholen.» Wieder schaute er das Tier an und war sich dabei ihres Lächelns nur zu bewusst. Das Netz
schoss durchs Wasser, und er lehnte sich noch weiter vor. Langsam, Alex
, befahl er sich. Er wollte nicht vor Lucys Augen ins Becken fallen, doch es fühlte sich an, als hätte sie ihn herausgefordert, und er würde sich eine Niederlage niemals eingestehen. Das Schaf watete jetzt auf die gegenüberliegende Seite. Wenn er schnell ums Becken lief, konnte er es vielleicht an den Rand ziehen und herausfischen.
Er eilte rutschend um den Beckenrand herum. Als er die Stelle erreichte, wo sich das Schaf befand, ging er auf die Knie, um es zu packen, doch das Tier blökte und ging mit strampelnden Beinen davon.
«Verdammt!», rief Alex, während Lucy laut losprustete.
Er starrte sie wütend an. Er konnte nichts Lustiges daran finden. Stattdessen packte er den Kescher nun noch fester und schaffte es, dem Tier das Ding über den Kopf zu ziehen. Das schrille, empörte Blöken durchschnitt die Luft.
«Komm her, du dämliches Ding, ich will dir doch nur helfen!», presste er durch zusammengebissene Zähne hervor und versuchte, das Schaf zu sich heranzuziehen.
Lucy lachte weiter, und alle Anstrengung löste sich aus ihrem Gesicht, als hätte sie lange nicht mehr so offen und herzlich gelacht. Er hielt inne. Wenn seine Pariser Angestellten ihn jetzt so sehen könnten. Er musste lächeln. Sie waren daran gewöhnt, ihn in einem teuren, gut geschnittenen Anzug zu sehen, immer ruhig und in voller Kontrolle über das Hotel, wie der Kapitän eines Schiffes.
«Freut mich, dass Sie sich amüsieren, aber haben Sie einen besseren Vorschlag?», fragte er grinsend.
Sie presste die Lippen zusammen und schaute mit funkelnden Augen aufs Wasser.
«Oh nein, da gehe ich nicht rein.»
«Das habe ich auch nicht erwartet», sagte sie mit zuckendem Mund. «Das ist meine Sache.» Sie warf sich die Haare zurück. Und mit einer plötzlichen Bewegung zog sie ihren Mantel aus und ließ ihn zu Boden fallen.
Er traute seinen Augen kaum, als sie sich mit einer einzigen Bewegung auch noch des Pullis und des T-Shirts entledigte.
«Lucy?» Und bevor er noch etwas anderes sagen konnte, hatte sie sich bereits die Stiefel ausgezogen und glitt aus Rock und Strumpfhose.
Wie ein Idiot starrte er sie an, wie sie da in BH
und Unterhose stand. Wow, sie sah wirklich umwerfend aus. Schau zu Boden, Alex, schau zu Boden.
Aber er konnte nicht anders. Er warf einen heimlichen Blick auf ihre gut gerundeten Brüste, die sich aus einem weißen Spitzen-BH
drängten, und auf ihre helle Haut, auf ihre schmale Taille … Sie wappnete sich und sprang ins Wasser.
Mit entschlossenen Kraulbewegungen schwamm sie auf das Schaf zu.
«Was machen Sie denn da?», fragte er dümmlich.
Sie warf ihm einen Wonach-sieht-es-denn-aus-Blick zu. Das Schaf warf blökend den Kopf von einer Seite zur anderen, doch Lucy schwamm auf das Schaf zu, stellte sich daneben und schob das Tier zu Alex hinüber. Es dauerte weniger als eine Minute, das Schaf an den Rand zu manövrieren, die durchweichte Masse nasser Wolle zu packen und das Tier aus dem Becken zu ziehen. Es war
schwerer, als Alex gedacht hatte, doch so lange Lucy zu ihm hochgrinste, würde er ganz bestimmt nicht aufgeben. Als das Schaf endlich aus dem Becken gehoben war, kam das undankbare Biest sofort auf die Beine und galoppierte mit donnernden Hufen und ohne sich noch einmal umzusehen über die Wiese auf den Zaun zu, dabei blökte es laut.
«Typisch», fauchte er, während Lucy ihn mit funkelnden Augen auslachte.
«Das ist schon ziemlich komisch.» Sie prustete los, ihre Schultern zuckten, und das Wasser schlug über ihren Brüsten zusammen.
Er konnte nicht anders und musste ebenfalls lachen. «So kann man es jedenfalls auch machen. Soll ich Ihnen helfen?» Er ging auf einem Knie in die Hocke und streckte ihr eine Hand entgegen, wobei er sich fragte, ob sie ihn wohl ins Becken ziehen würde. Als wahrer Gentleman versuchte er, nicht auf ihre Brüste zu starren … doch als sie sich ins Haar griff und es aus dem Gesicht strich, schoben sich ihre festen Brüste nach oben.
Ihr Blick fing seinen auf, und er merkte, dass er trotz aller guten Absichten eben doch hingestarrt hatte und dass sein Blut sich an einer ganz bestimmten Stelle seines Körpers sammelte. Seine Jeans fühlte sich unangenehm eng an. Noch schlimmer war, dass ihre Augen genau auf dieser Höhe waren.
Mit nonchalanter Geste fuhr er über seine Jeans. Als er Lucy anschaute, leuchtete ein rosiger Schimmer auf ihren Wangen, und sie studierte sehr interessiert den Fußboden. Es lag eine ungewöhnliche Verletzlichkeit in ihrem Blick,
die das Bedürfnis in ihm weckte, sie in seine Arme zu ziehen.
Sie spähte unsicher und schüchtern zu ihm auf. Sein Herz stolperte in seiner Brust.
«Wir holen Sie lieber da raus.» Er streckte ihr wieder die Hand ihn und zog sie neben sich aus dem Becken. In der eisigen Luft wurde sie ganz starr und legte schnell die Arme über ihre Brust. Ohne nachzudenken, öffnete er seine Jacke, hüllte sie darin ein und zog sie an sich. Sobald er ihren nassen, weichen Körper an seinem spürte, konnte er an nichts anderes mehr denken als daran, sie zu küssen. Direkt auf ihre hellrosa Lippen. Es war ihre Schüchternheit, die das bewirkte, die in so großem Gegensatz zu ihrem sonst so entschiedenen Verhalten stand. Er neigte den Kopf und berührte sanft ihre Lippen. Überrascht hörte er sie einatmen. Alarmglocken schrillten in seinem Kopf – Vorsicht! –, doch sie hob den Kopf wie eine Sonnenblume zum Licht, und ein strahlendes Lächeln lag in ihren Augen, darum küsste er sie gleich noch einmal und zog sie noch fester in den Schutz seiner Jacke. Ihre Lippen trafen neugierig auf seine, doch obwohl er den Kuss nur zu gern vertieft hätte, hielt er sich zurück; etwas Fragiles war an ihr, das ihn abhielt.
Als sie sich in die Augen schauten, wirkte ihr Blick verklärt und gleichzeitig wachsam, und er zog sie instinktiv noch einmal an sich. Sie umarmte ihn ebenfalls, und so standen sie eine Minute.
«Wir müssen Sie reinbringen und aufwärmen. Es ist kein Badewetter.»
Sie seufzte, und er spürte, wie ihr zarter Körper zitterte. «Danke, Alex.»
Er war nicht sicher, wofür sie sich bei ihm bedankte, doch er fühlte sich heldenhaft und grinste sie an wie ein Idiot. Was war nur los mit ihm? Wo war sein professionelles Auftreten geblieben? Er sollte Lucy bewerten und auch das Hotel. Aber wie lauteten die Regeln, wenn man ein Schaf aus einem heißen Becken ziehen musste? Oder sich in eine Person verliebte, die der eigene Boss vielleicht schon in wenigen Wochen feuern würde …