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a sie noch viel Zeit hatte und nur eine kleine Reisetasche trug, beschloss Lucy, zu Fuß zum Hotel zu gehen, obwohl ein bitterkalter Wind blies. Die sechseinhalb Stunden Zugfahrt von Bristol nach Edinburgh hatten ihr reichlich Zeit zum Nachdenken gegeben, und jetzt brauchte sie einen klaren Kopf, bevor sie den berühmten Mr. Oliver treffen würde.
Auch wenn sie erst zweimal in Edinburgh gewesen war – einmal als Studentin, um das Festival zu besuchen, und einmal zu einer Konferenz –, hatten die wunderschönen historischen Gebäude in all ihrer gotischen Pracht einen bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen. Als sie den Bahnhof verließ, sah sie das Schloss oben auf dem Hügel. Sie senkte den Kopf, um sich gegen den Wind zu schützen, und stieg die steile Cockburn Street hinauf bis zur Royal Mile. Dann folgte sie der Straße den Hügel hinab, an den Touristenläden vorbei, die karierte Wolldecken, Plüschkühe, Schottenröcke, Karamell und T-Shirts verkauften – alles bereits weihnachtlich mit Lametta geschmückt –, und ging in Richtung Schottisches Parlament und Holyrood Palast.
Sie kam an interessanten Bars, Pubs und Restaurants vorbei, die alle gut gefüllt waren. Einige Gäste trugen Papierkronen, die aus Christmas Crackern stammten. Es war Mitte Dezember, die Touristen drängten sich in den Straßen, ausstaffiert mit Mützen und Schals und
Regenmänteln, um dem schottischen Klima zu trotzen. Sie wünschte, sie wäre Heklas Dreilagen-Methode gefolgt. Während der Zugfahrt hatte Hekla ihr fünf WhatsApp-Nachrichten mit Beschwerden über Gretchen geschickt. Offenbar hatte Eyrun einen Wutanfall gehabt, Kirstjan war total unglücklich und Brynja kurz davor zu kündigen. Es fühlte sich irgendwie befriedigend an, auch wenn es ihr für Gretchen beinahe ein bisschen leidtat. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie sie sich selbst bei ihrer Ankunft gefühlt hatte.
Sie hatte Hekla geantwortet: Seid nett zu ihr. Sie ist noch neu. Denk dran, wie mies ich am Anfang war!
Schließlich erreichte sie das Ende der Royal Mile. Vor ihr lag der Holyrood Palast, rechts von ihr die schönen modernen Gebäude des Schottischen Parlaments. Sie überquerte die Straße, und nach weiteren fünf Minuten hatte sie das Hotel erreicht.
Die Lage im Schatten von Arthur’s Seat war perfekt. Ein Stück zurück vom Zentrum, doch dicht genug am Holyrood Palast und der Royal Mile, das gefiel den Gästen sicher. Das Haus war eines dieser großartigen Granitgebäude, gebaut aus riesigen Quadern, die jedem Wetter widerstanden.
Die Aufregung mischte sich mit einem Gefühl der Ruhe. Hier könnte sie leben. In dieser Stadt. Sie hatte sich schon früher in sie verliebt.
Im Hotel begrüßte sie eine müde wirkende Rezeptionistin.
«Kann ich Ihnen behilflich sein?», fragte sie mit sanftem schottischen Akzent, der Lucy sofort an Alex erinnerte. Sie ballte ihre Finger in der Manteltasche zu einer Faust.
«Ja. Ich habe ein Zimmer für eine Nacht reserviert, auf den Namen Lucy Smart.»
Die junge Frau richtete sich plötzlich auf und schaute hektisch hin und her.
«Willkommen. Willkommen. Ja, hier habe ich Ihre Reservierung. Sie bekommen die Honeymoon Suite.» Sie strahlte. «Unser bestes Zimmer. Mit einem schönen Blick auf Arthur’s Seat.»
«Das klingt wundervoll.» Lucy lächelte sie an. Sie war überrascht über diese bevorzugte Behandlung. «Danke. Ich bin hier mit Mr. Oliver verabredet. Ist er schon da?»
Die junge Frau sah aus, als ob sie gleich platzen würde vor Neugier. «Oh ja, er ist hier. Er ist schon eine ganze Weile hier.» Ihre großen braunen Augen schienen so viel sagen zu wollen, dass Lucy nicht daraus schlau wurde, ob Quentin bei seinem Personal eher Angst, Verwirrung oder Freude auslöste. «Er sitzt im Wee Tartan Room. Er lässt Sie bitten, gleich zu ihm zu kommen.» Sie senkte die Stimme und riss die Augen noch weiter auf. «Und ich soll unseren besten Whisky bringen.»
«Ich hätte gern eine Tasse Tee», sagte Lucy bestimmt.
«Gut. Ja. Sofort», antwortete die junge Frau. Sie konnte nicht älter als achtzehn sein.
Lucy lächelte sie an. «Darf ich meine Tasche gleich bei Ihnen lassen? Vorher wüsste ich allerdings gern noch, wo ich die Damentoilette finde.»
Nachdem sie sich die Hände gewaschen, die Lippen nachgezogen und die Wimpern frisch getuscht hatte, zog Lucy
sich das Kleid zurecht und wechselte die flachen Schuhe, in denen sie hergekommen war, gegen ein paar hochhackige Pumps. Dann verließ sie die Damentoilette und wappnete sich für ihre Begegnung mit dem so faszinierend und unbesiegbar scheinenden Mr. Oliver.
Der Wee Tartan Room war voll und ganz im Schottenmuster gehalten, Lucy musste ihren Blick von der Raumausstattung losreißen, um Quentin Oliver zu begrüßen. Er sah ganz anders aus, als sie erwartet hatte. Seiner Stimme und dem draufgängerischen Auftreten nach zu urteilen, hatte sie jemand Grobschlächtigeren erwartet, einen kräftig gebauten Mann mit dickem Bauch, doch ganz sicher nicht diesen eleganten Silberfuchs mit seinen stechend blauen Augen und dem verbindlichen Lächeln. Sie hätte ebenso wenig erwartet, dass er sich wie Noël Coward kleidete – er trug ein pflaumenrotes Samtjackett und einen schwarzen Rolli, wobei seine orangefarbenen Turnschuhe ein glatter Stilbruch waren.
«Grässlich, was?», sagte er und deutete auf die Wände, worauf sie beinahe laut loslachte.
Ganz offensichtlich war ihm sein eigener Kleidergeschmack nicht bewusst. Sie schaute sich im Zimmer um, dessen Wände mindestens fünfzehn verschiedene Karomuster schmückten, dazu kamen noch die Muster der Teppiche, der Sofas und Kissen. Ein Chaos aus roten Quadraten, scharfen schwarzen Linien, gelben Flecken und lila Vierecken. Man wusste kaum, wohin man schauen sollte, auch wenn Lucys Blick immer wieder von den rot lackierten Wischleisten angezogen wurde.
«Es ist auf jeden Fall schön bunt», sagte sie und machte
dabei einen weiten Bogen um den rot-schwarzen Fußschemel.
«Mir gefällt bunt nicht. Ich habe es lieber geschmackvoll. Ich möchte meine Frau mitten im Winter oder im Sommer herbringen können, und ich will, dass sie sich hier wohlfühlt. Ihr Auftrag», er grinste sie mit boshaftem Charme an, «sollten Sie mein Angebot annehmen, wäre es, dieses Hotel in die Northern Holyrood Lodge zu verwandeln.»
Die junge Frau von der Rezeption eilte mit einem Tablett herbei, auf dem eine Kanne Tee und ein Kristallglas mit Whisky standen. Sie stellte beides auf einen glänzenden Mahagoni-Tisch, der zwischen zwei Sofas stand. Das eine war mit einem Black-Watch-Karomuster bezogen, das andere mit einem Muster aus orangefarbenen, lila, roten und gelben Karos.
«Tee?», fragte Quentin abfällig, als er sich ihr gegenüber hinsetzte.
«Ich dachte, dies hier wäre ein Bewerbungsgespräch», sagte Lucy und setzte sich auf das andere Sofa. Sie schenkte sich eine Tasse ein und lehnte sich zurück. «Vielleicht können Sie mir sagen, wonach Sie suchen.»
Auf der Fahrt hierher hatte sie beschlossen, dass sie absolut nichts zu verlieren hatte, da der Mann, der in der Hotelwelt einen beinahe unheimlichen Ruf genoss, sie persönlich hergebeten hatte. Und, hatte sie ebenso entschieden, jemand war, der klare Worte schätzen würde.
«Was würden Sie in diesem Raum ändern?»
Lucy musste über seine unerwartete, direkte Frage lächeln. «Die roten Wischleisten.»
«Wieso?»
«Weil sie sich beißen und auch ein bisschen billig aussehen. Und dann die übertriebenen Karomuster, denke ich. Wir sind in Schottland, ja, aber ich würde es ein wenig runterfahren, vielleicht nur ein paar passende Muster behalten. Diese heidefarbenen da sind irgendwie beruhigend. Und man sollte den Gästen die Muster erklären. Ich würde sie erst mal alle nachschlagen, sodass ich ihre Namen kenne. Aber die Wischleisten sehen billig und hässlich aus. Und nicht authentisch. Sie quälen mich.»
«Hervorragende Antwort. Sie haben den Job.»
Sie starrte ihn über den Rand ihrer Teetasse an.
«Ehrlich? Wegen meiner Meinung zu Karomustern?»
«Nein, aber wenn ich Ihnen den Job nicht gebe, kommt Alex niemals zurück. Und wenn er meint, dass Sie gut genug sind, dann reicht mir das. Aber meine Personalleute werden mir das Leben zur Hölle machen, wenn ich nicht zumindest so tue, als würde ich ein Bewerbungsgespräch mit Ihnen führen.»
«Entschuldigung?» Lucy starrte ihn an.
Quentin stieß ein angestrengtes Seufzen aus. «Gott, steh mir bei und gib mir Kekse – wann haben Sie ihn denn zum letzten Mal gesprochen?»
Lucys Mund wurde zu einem festen Strich.
«Ich habe ihm vertraut. Er hat mich belogen. Er hat mich ausspioniert.»
«Sie machen wohl Witze.» Quentin schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. «Verdammt, der Junge hat seinen Job gemacht. Ich zahle ihm sein Gehalt … außerdem bin ich mit seiner Mutter verheiratet.»
«Was?» Das hatte Alex ihr in seinen reuevollen Minuten nicht erzählt.
«Er ist mein Stiefsohn. Ich habe seine Mutter kennengelernt, als er schon für mich arbeitete. Musste mich richtig ins Zeug legen, um sie dazu zu überreden, mich zu heiraten. Und der kleine Mistkerl weigerte sich einfach, ein gutes Wort für mich einzulegen. Ich musste mich wirklich beweisen.» Quentins verträumtes Lächeln erstaunte Lucy. Dass Quentin Oliver ein alter Romantiker war, hatte sie als Allerletztes erwartet.
«Er hat einen Auftrag für mich erledigt. Und ich schätze Loyalität. Genau wie Alex. Kommen Sie schon, meine Liebe, Sie wirken auf mich sehr anständig. Was hätten Sie denn getan?»
Wieso durchschaute Quentin sie bloß so schnell? Unter denselben Umständen hätte sie vermutlich genauso gehandelt wie Alex, und als sie erst einmal miteinander geschlafen hatten, war er wirklich in einer ausweglosen Lage gewesen.
Quentins zerklüftetes Gesicht wurde weich. «Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?»
«Bevor er zurück nach Paris gefahren ist.»
«Wo der Dummkopf gekündigt hat.»
«Er hat was
gemacht?» Wieso sollte Alex so etwas tun?
Quentin verdrehte die Augen. «Die große Geste. Alles abbrechen für die Liebe.»
Lucy starrte ihn an. Der Mann war doch verrückt. Quentin hielt ihrem Blick stand, und sein Gesicht wurde hart.
«Ich habe den jungen McLaughlin nie für einen
Hitzkopf oder einen liebestollen Idioten gehalten. Aber er war richtig sauer, weil ich Ihnen den Job auf Island nicht gegeben habe. Er hat gekündigt und seine Sachen gepackt.» Trotz seines gekränkten Tons lag ein Glitzern in Quentins Augen. «Seine Mutter hält das für das Romantischste, was sie je gehört hat.»
«Alex hat gekündigt?» Lucys Blick verschwamm. Alex hatte gekündigt. Ihretwegen.
Plötzlich schämte sie sich. Es war so einfach gewesen, ihn an diesem Abend abzuweisen und von Vertrauen zu reden, aber sie hatte ihm ebenso wenig vertraut, dass er das Richtige tun würde, obwohl Alex ihr auf so vielfältige Weise gezeigt hatte, dass sie ihm vertrauen konnte. Vielleicht, ganz vielleicht, hatte sie es ebenso an die Wand gefahren wie er.
«Yes. Dieser verdammte Idiot hat mir keine Chance gegeben, es ihm zu erklären. Er hatte mir im letzten Monat massenhaft positive Berichte über Sie geschickt und mir gesagt, dass Sie toll sind, aber ich hatte den Job nun mal schon Gretchen angeboten.» Er runzelte die Stirn. «Und ich gebe zu, ich habe seine E-Mails dann einfach ignoriert. Ich hab das verbockt, aber ich war zu beschäftigt. Herrgott, bitte nehmen Sie diesen Job an und sagen Sie ihm, dass er aufhören soll, sich anzustellen, und wieder für mich arbeiten soll. Er ist der verdammt beste Manager, den ich je hatte, aber sagen Sie ihm das nicht. Ich will nicht, dass ihm das zu Kopf steigt.»
Lucy lächelte. Alex würde niemals irgendwas zu Kopf steigen, dafür war er viel zu freundlich und liebenswert. «Ich weiß aber nicht, wo er ist», flüsterte sie. Plötzlich
sehnte sie sich danach, ihn zu sehen. Er hatte für sie einen der besten Jobs in Paris aufgegeben.
«Wir reden später beim Drink über den Vertrag …» Er schaute auf und sah über ihre linke Schulter hinweg. «Aber jetzt muss ich gehen.»
Quentin stand auf und nickte jemandem hinter ihr zu. «Guten Tag – schön, dass du es einrichten konntest.»
«Du hast mir ja keine Wahl gelassen, oder? Mir anzudrohen, mich wegen Vertragsbruch zu verklagen, ist eine ziemlich brutale Art, mich dazu zu zwingen, nach Edinburgh zu fliegen. Und Mum sagt, sie spricht mit keinem von uns mehr ein Wort, bis wir das geklärt haben. Also lass uns das so schnell wie möglich hinter uns bringen, denn ich muss jemanden finden, und ich habe schon genug Zeit verplempert.»
Beim Klang der vertrauten Stimme schoss Lucy die Röte ins Gesicht, und sie vergaß beinahe zu atmen. Alex. Sie erstarrte und schloss die Augen, traute sich nicht, sich umzudrehen, falls sie sich doch geirrt hatte.
«Verzweifelte Situationen erfordern verzweifelte Maßnahmen», sagte Quentin. «Dies ist mein Stichwort, bei dem ich mich zurückziehe und es euch beiden überlasse, die Dinge zu regeln.»
«Wie, euch beiden?» Alex klang verwirrt, und Lucy merkte, dass er sie in dem hochlehnigen Sofa gar nicht sehen konnte. Sie kam auf wackelige Beine, als wäre sie ein neugeborenes Fohlen, und ihr Herz klopfte so heftig, dass sie Angst hatte, es würde ihr gleich aus der Brust springen. Sie drehte sich um.
Alex riss den Kopf hoch, als hätte man ihn
angeschossen, und seine Augen wurden weit. Doch der Schreck in seinen Augen wurde schnell durch einen wütenden Blick ersetzt. «Wo zu Teufel bist du gewesen?», fragte er.
Lucy musste beinahe über seine untypische Unfreundlichkeit lächeln.
«Ich bin nach Island zurückgekommen, und du warst weg», murmelte er.
Unbehaglich trat sie von einem Fuß auf den anderen und wurde zusehends nervös, als er mit schnellen Schritten auf sie zukam. Beinahe erwartete sie schon, dass er sie schüttelte.
«I-ich dachte, du wärst für immer abgereist. Du b-bist einfach abgefahren, ohne dich zu verabschieden.» Ihre Stimme brach. «Ich dachte, du wärst zurück nach Paris gegangen, weil dein Auftrag ja erledigt war.» Die Erinnerung daran schmerzte immer noch.
Sein Mund zuckte, und er schaute sie reumütig an. «Ich bin nach Paris gefahren, weil ich so wütend auf Quentin war.»
Er griff nach ihren Händen. «Ich musste ihn persönlich sprechen.» Sein weicher Blick strich über ihr Gesicht, nahm gierig alle Einzelheiten in sich auf. «Gott, habe ich dich vermisst. Ich konnte nicht glauben, dass du nicht da warst, als ich nach Island zurückkam. Hekla war beinahe schroff zu mir.»
Lucy schnaubte unwillkürlich. Es war unmöglich sich vorzustellen, dass Hekla zu ihm unfreundlich sein konnte. Sie zuckte die Schultern. «Warum hätte ich bleiben sollen?» Sie schluckte und spürte wieder den stechenden Schmerz von Verrat. «Gretchen hat mir die E-Mail gezeigt,
die du über mich geschrieben hast. In der steht, ich wäre keine gute Managerin. Und bevor ich mit dir reden konnte, warst du ohne ein Wort abgereist.»
«Klar hat Gretchen das getan. Vermutlich hat sie dir die anderen neun E-Mails nicht gezeigt, die ich an Quentin geschickt habe und in denen stand, dass ich dich falsch eingeschätzt habe und dass er verrückt wäre, dich nicht zu übernehmen.»
Lucy schüttelte den Kopf.
Alex trat noch näher an sie heran, nahm ihr Gesicht in seine Hände und schaute ihr intensiv in die Augen. «Unsere Wege müssen sich am Flughafen gekreuzt haben. Ich bin von Paris gekommen, um dir zu sagen, dass Quentin sich seinen Job sonst wohin stecken kann … und du bist abgereist. Natürlich hatte ich deine neue Handynummer nicht. Hekla meinte, du wärst zurück nach England gereist. Und dann verlangte meine Mutter, dass ich sie besuche, weil sie sich Sorgen machte, dass Quentin und ich uns zerstritten haben … deswegen bin ich gekommen. Aber was machst du eigentlich hier?» Seine Augenbrauen zogen sich fragend zusammen.
Sie strahlte ihn an. «Ich habe ein Bewerbungsgespräch.»
«Ehrlich?» Er lächelte. «Und?»
«Quentin hat mir einen Job angeboten …»
Er schüttelte ungläubig den Kopf. «Das ist ja toll. Dieser hinterhältige Kerl. Er hat mir kein Wort davon gesagt.»
«Ich glaube, es hängt noch eine Bedingung daran – ich bekomme den Job nur, wenn du deine Kündigung zurücknimmst.»
«Das kann ich machen, aber …» Er sah sie mit ernstem Blick an. «Kannst du mir verzeihen? Es tut mir leid, dass ich dir nicht gesagt habe, wer ich bin … erst hatte ich nicht das Gefühl, dass ich es dir sagen sollte, und dann … dann wurde alles zu kompliziert.»
«Ich verstehe das jetzt. Ich kann es nicht beschwören, aber vermutlich hätte ich dasselbe getan. Es tut mir leid, dass ich dir an dem Abend nicht zugehört habe, als Gretchen ankam. Am nächsten Morgen wollte ich dann mit dir reden, aber da warst du schon weg. Und sie hat wirklich keine Zeit verschwendet, alles noch schlimmer zu machen.»
«Ich verzeihe dir, wenn du mir verzeihst», sagte Alex und zwinkerte ihr vergnügt zu.
«Ach so, jetzt handeln wir also», neckte Lucy. Sie fühlte sich auf einmal so viel leichter und glücklicher.
«Sieht so aus», antwortete er und schaute mit ernsterem Blick auf sie herab.
Sie sah zu ihm hoch. Erst musste sie das hier klarstellen. «Es tut mir leid, dass ich dir nicht die Chance gegeben habe, dich zu erklären», sagte Lucy. «Nach meiner Erfahrung mit Chris habe ich automatisch das Schlimmste angenommen und dachte, du würdest dich nur für dich selbst interessieren. Es ist mir nicht in den Sinn gekommen, dass du versucht hast, mich zu schützen. Es wäre schlimm für mich gewesen, wenn jemand gedacht hätte, ich hätte den Job nur bekommen, weil wir miteinander schlafen.»
Er strich mit einem Finger über ihre Wange. «Niemand, der dich kennt, hätte etwas anderes angenommen, als dass du den Job durch eigenen Verdienst bekommen hast. Du
bist großartig, Lucy Smart. Kannst du mir verzeihen, dass ich es verbockt habe?»
«Ich verzeihe dir, wenn du mir verzeihst.» Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, legte die Arme um seinen Hals und küsste ihn kurz auf den Mund.
Alex schlang die Arme um sie und zog sie an sich, bis sie Nase an Nase waren.
«Das reicht noch nicht», murmelte er.
Zur Antwort platzierte sie eine ganze Reihe von Küssen auf seinen Unterkiefer. Die Bartstoppeln kitzelten an ihren Lippen, und ihr Herz machte einen Satz, als sie sich seinem Mund näherte und hörte, wie er die Luft anhielt.
«Mmm.» Er seufzte. «Das ist schon besser.»
Sie presste ihre Lippen auf seine und spürte, wie seine warmen Hände ihren Rücken hinabglitten und sich auf ihren Hüften niederließen. Alles außer diesem Kuss rückte in weite Ferne – nur schemenhaft hörte sie das Knistern des Kaminfeuers, das Rauschen des Blutes in ihren Ohren, während sie Alex’ warmen, festen Körper an ihrem spürte. Als die Holzscheite knallten, wichen sie erschrocken auseinander und grinsten sich dann glücklich an.
«Also, wenn ich meine Kündigung zurücknehme», sagte Alex mit schiefem Lächeln, «nimmst du den Job hier an?»
«Ich denke schon.» Sie sah ihn nachdenklich an. «Auch wenn es noch davon abhängt, wie gut die Flugverbindungen von Edinburgh nach Paris sind.»
«Wie ich zufällig weiß, sind die ausgezeichnet», sagte Alex lächelnd. «Und auch in die andere Richtung.»
«Du würdest mich hier im kalten Edinburgh besuchen kommen?»
«Versuch … doch … mich … davon … abzuhalten.» Er unterstrich jedes Wort mit einem Kuss. «Auch wenn ich dich warnen sollte – du weißt ja, dass meine Mutter in der Nähe wohnt.» Er verzog das Gesicht. «Aber wir können meine Besuche hier ja geheim halten.»
Lucy zog die Augenbrauen hoch.
Er schaute sich um und legte einen Finger auf die Lippen. «Sie bestimmt gern, wo’s langgeht. Und sie ist neugierig und will dich unbedingt kennenlernen.»
Lucy lachte. «Ich denke, damit kann ich umgehen.»
«Also, was meinst du?»
«Ich meine, die Chancen stehen recht gut, dass ich den Job annehme.»
«Gott sei Dank. Aber bist du auch sicher, dass du für Quentin arbeiten willst? Er kann ganz schön griesgrämig sein.»
«Soll das ein Witz sein?» Lucy grinste. «Er ist ein echter Romantiker. Immerhin hat er uns heute wieder zusammengebracht.»
«Bestimmt hat er einfach nur Angst vor Mum.» Er verdrehte die Augen. «Sie wird das Ganze sowieso als ihren Verdienst betrachten. Ich will es ihr natürlich nicht vorwerfen, dass sie Quentin dazu angestiftet hat. Aber Liebesgeschichten sind ihr Ein und Alles.»
Lucy zog eine Augenbraue hoch. «Eine Liebesgeschichte ist das also, ja?»
Alex führte sie zum Sofa und zog sie auf seinen Schoß. «Allerdings. Mit Anfang, Mitte und Happy End. Ich liebe dich, Lucy Smart. Du bist mutig, loyal und rundum großartig.»
«Das trifft sich gut, denn ich liebe dich, Alex McLaughlin, weil du freundlich und sanft bist und dich wundervoll um mich gekümmert hast, obwohl ich dachte, dass ich das gar nicht brauche.»
Sie küsste ihn wieder.
«Du lieber Gott, seid ihr immer noch dabei, euch zu versöhnen?» Quentin stand im Zimmer und bedeckte seine Augen, als wäre der Anblick zu viel für ihn. «Kann ich nur kurz wissen, ob ich jetzt eine Direktorin für dieses Hotel habe und ob Alex seinen Hintern wieder ins Metropol zurückbewegt?»
Lucy grinste Alex an und flüsterte: «Man hat mir die Honeymoon-Suite für heute Nacht gegeben.»
Er grinste zurück, schob ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und ließ sich mit der Antwort an Quentin Zeit.
«Sorry, wir verhandeln noch, das kann etwas dauern. Aber morgen früh werden wir eine Entscheidung getroffen haben, denke ich.»
Quentin grunzte und stapfte aus dem Raum.
«Also, wo waren wir?», fragte Alex und presste seine Lippen wieder auf ihre.
Sie kam nicht dazu, zu antworten.