Epilog
«U m Himmels willen, Lucy, Gretchen kaut mir das Ohr ab, kannst du bitte aufhören, ihr Personal abzuwerben?»
«Sie hat ja immer noch Eyrun», sagte Lucy und fuhr mit dem Finger die Maserung des Mahagonitresens der Rezeption entlang, während sie Hekla ein breites Grinsen zuwarf, die jedes Wort ihres Telefonats mit Quentin mithören konnte.
«Keine weiteren, verstanden? Und wenn Alex kommt, soll er mich anrufen. Wie geht es voran? Können wir im März wiedereröffnen?»
«Ja, Quentin», sagte sie zum ungefähr fünfzigsten Mal. Sie schaute sich stolz in der neu dekorierten Eingangshalle mit ihren georgianischen Bleifenstern, den geschmackvoll gestrichenen Gipsleisten und den Wedgwood-blauen Wänden um. «Die Zimmer sind alle fertig. Der Wee Tartan Room wurde renoviert, und alle Kamine sind gefegt worden. Die Sofas und Sessel wurden gestern geliefert, und jetzt warten wir nur noch darauf, dass die Elektrikerarbeiten in der Küche abgeschlossen sind. Du wirst es hier nicht wiedererkennen.»
«Das ist auch besser so», knurrte Quentin. Sie lachte. Sie hatte schnell gelernt, dass man mit seiner grummeligen, fordernden Art am besten klarkam, wenn man ganz gelassen blieb. «Denk dran, dass Alex mich anruft.»
«In Ordnung», sagte sie liebenswert, auch wenn sie nicht die leiseste Absicht hatte, Alex die Nachricht zu überbringen. Sie schaute zum tausendsten Mal an diesem Nachmittag auf ihre Uhr. Alex würde den Flughafen Charles de Gaulle längst verlassen haben und jetzt irgendwo über dem Kanal sein.
In den letzten paar Monaten hatten sie es geschafft, jede Woche ein paar Tage zusammen zu verbringen. Dank WLAN und hervorragendem Personal konnte Alex beinahe ebenso gut in Edinburgh wie in Paris arbeiten.
Als sie auflegte, fing Hekla zu kichern an. «Es gibt auch keinen mehr, den du abwerben kannst. Höchstens Olafur.» Sie warf Lucy einen hinterhältigen Blick zu. «Und der traut sich nicht zu fragen, ob er herkommen darf.»
Lucy ignorierte die Bemerkung. Sie hatte niemandem davon erzählt, was Olafur getan hatte, und falls Hekla ihn verdächtigte, dann war es ihre Sache.
«Es ist ja nun nicht so, als würde ich ihr Elin klauen», sagte Lucy. «Sie gehörte von Anfang an zu mir.»
Sobald die Nachricht sich verbreitet hatte, dass Lucy The Northern Holyrood Lodge in Edinburgh leiten würde, strömten die Textnachrichten nur so auf ihr Handy. «Außerdem hatte ich gar keine andere Wahl.» Sie stemmte die Hände in die Hüften und verdrehte die Augen. «Ihr habt mir einfach nur mitgeteilt, dass ihr für mich arbeiten werdet, ob ich euch nun will oder nicht.»
Hekla machte ein empörtes Gesicht. «Natürlich willst du uns.»
Lucy lachte und drückte sie schnell. «Allerdings. Ich freue mich, dass ihr gekommen seid.»
«Und ich auch», sagte Kristjan, der aus dem Büro in die Rezeption kam, eine frisch gedruckte Speisekarte auf steifem, cremeweißem Karton in der Hand, die Hekla argwöhnisch beäugte.
«Hast du das ausgedruckt?», fragte sie.
«Ja.» Er wedelte mit der Speisekarte triumphierend vor ihrer Nase herum.
Lucy lachte Hekla aus. «Der Drucker scheint wunderbar zu funktionieren, solange du nur die Finger von ihm lässt. Er ist brandneu.»
Hekla riss Kristjan die Speisekarte aus der Hand. «Was gibt es zu essen?»
Heute Abend wollte Kristjan sein Menü ausprobieren, das er für die offizielle Neueröffnung des Hotels am nächsten Wochenende plante. Im letzten Monat hatten Lucy, Hekla und Brynja nonstop an der Renovierung des Hotels gearbeitet: Sie hatten neue Systeme installiert, Personalgespräche geführt (auch wenn Lucy gar nicht so viele Leute hatte einstellen müssen), während Dagur Kristjan dabei geholfen hatte, die Küche und die Bar auszustatten. Die beiden waren dabei zu richtigen Whisky-Experten geworden.
«Ja, was gibt es zu essen?», fragte Lucy und überließ Hekla die Prüfung der Speisekarte. Sie hatte vollstes Vertrauen, dass das Menü absolut köstlich werden würde. Kristjan hatte ein paar herrliche Wochen damit zugebracht, die örtlichen Lieferanten zu besuchen und andere Restaurants zu vergleichen, und da Lucy so viel mit dem Hotel zu tun hatte, hatte sie ihm dabei freie Hand gelassen.
«Terrine mit geräuchertem Lachs, Angusrind mit Kartoffel-Steckrüben-Rösti, glasierte Karotten, gefolgt von einer Mischung aus schottischem Käse.» Seine Augen leuchteten. «Ihr müsst diesen Chili-Cheddar von der Isle of Mull probieren.» Er legte Daumen und Zeigefinger zusammen und küsste sie. «Ich serviere um halb acht, es sei denn, Alex’ Flieger kommt später.»
Lucy verschränkte die Finger und hielt sie in die Luft. «Als ich vorhin nachgesehen habe, lief alles planmäßig. Apropos, ich habe nur noch eine Stunde, um mich fertig zu machen, und diese schicke neue freistehende Badewanne in der Balmoral Suite muss unbedingt eingeweiht werden.»
«Ich bin sicher, die Matratze wird es später auch noch», neckte Hekla.
Lucy errötete. Sie war durch die Freundschaft mit ihren isländischen Freundinnen schon deutlich offener geworden, aber zu viele Informationen musste man auch nicht teilen, fand sie.
«Sobald wir zahlende Gäste haben, wohnen wir alle auf dem Dachboden», sagte sie und ignorierte den anzüglichen Kommentar. Zum Glück gab es eine Menge Personalzimmer im alten Dienstbotenbereich oben im Gebäude – genügend Zimmer für das gesamte Personal, das darauf bestanden hatte, zu ihr zu kommen.
«Genieß dein Bad», sagte Hekla. «Ich gehe mit Brynja und Dagur kurz in den Pub. Bis später. Arbeite nicht zu viel, Kristjan», neckte sie und tätschelte ihm den Arm.
«Keine Sorge, aber bisher haben wir keinen Küchenjungen, also musst du nachher abwaschen.»
Hekla lachte. «Das wird sich lohnen.»
«Wo geht ihr denn hin, ins Kilderin?», fragte Lucy und legte wissend den Kopf zur Seite.
«Vielleicht», antwortete Hekla nebulös. «Das Bier ist sehr gut.»
«Es ist billig, und der Barmann sieht sehr gut aus, wie ich mich erinnere. Er scheint sich sehr zu großen, isländischen Blondinen hingezogen zu fühlen.»
Hekla grinste in sich hinein, als sie Kristjans finsteren Blick sah. «Ja, ich werde immer zuerst bedient.» Sie lächelte dem Koch neckisch zu. «Aber ich fühle mich nun mal zu isländischen Männern hingezogen.»
«Schatz, ich bin zu Hause!»
Lucy hörte, wie eine Reisetasche auf den Teppich im Zimmer nebenan fiel, setzte sich schnell auf und zog die Knie an die Brust, sodass das Wasser über den Rand der Badewanne schwappte.
«Alex?»
Er schob den Kopf zur Badezimmertür herein. «Erwartest du jemand anderen?» Er grinste sie an, schlenderte herüber, sank neben der Wanne auf die Knie, legte den Arm um sie und küsste sie lange und gründlich.
«Du bist früh», sagte sie und strahlte ihn an.
«Ich hab einen früheren Flieger genommen, aber ich würde sagen, ich komme gerade rechtzeitig. Schicke Wanne. Da ist noch Platz für jemand Kleines.»
«Ich will aber niemand Kleines», witzelte sie mit funkelnden Augen, während er sich ohne zu Zögern und ohne jede Scham auszog. Sie selbst hatte die Knie immer noch bis zur Brust hochgezogen.
«Auch gut. Rutsch rüber.» Er kletterte in die Wanne hinter sie und zog ihren Rücken an seine Brust. «Das ist doch der perfekte Anfang für einen Freitagabend nach einer anstrengenden Woche in Paris. Wie war deine Woche?»
Sie kicherte, als er anfing sie zu küssen, während seine Hände zu ihrem Hintern herabrutschten.
Zwischen Küssen und Berührungen brachten sie sich gegenseitig auf den neuesten Stand, obwohl sie jeden Abend telefoniert hatten. Die Unterhaltung wurde jedoch schwieriger, da sie von Alex geschäftigen Händen immer atemloser wurde.
Schließlich seufzte er in ihr Ohr, bedeckte ihren Nacken mit Küssen, während seine Finger schamlos ihren Vorteil suchten. «So schön dieses Bad auch ist, es passt nicht ganz zu dem, was ich mit dir vorhabe.»
«Mmmm», war alles, was sie hervorbrachte, denn ihr Verstand hatte sich in einen köstlichen Nebel gehüllt. Sie wusste genau, was er vorhatte, als er aufstand, das Wasser an seinen haarigen Beinen hinablief und ein gewisser Teil seines Körpers eindeutige Einsatzbereitschaft signalisierte.
Sie kamen nur ein paar Minuten zu spät zum Essen. Alex’ Haare waren allerdings immer noch feucht, und Lucy hatte einige Zeit damit verbracht, ihre zu entwirren. Mit rosigem Gesicht und Hand in Hand stiegen sie die wunderschön geschwungene Treppe hinab. Sie lächelten sich zu.
«Sie werden genau wissen, was wir gerade getan haben», flüsterte Lucy und nagte an ihrer Lippe.
«Natürlich wissen sie das, und sie werden sich köstlich amüsieren. Wir haben keine Chance. Aber vergiss nicht», grinste er sie an, «du bist ihr Boss, Lucy Smart. Droh doch damit, ihnen das Gehalt zu kürzen.» Er zwinkerte ihr zu.
Sie holte tief Luft, denn sie wusste, dass die Bemerkungen sie verlegen machen würden. Dann betraten sie den Speisesaal und verdrehten beim Gejohle der Anwesenden fröhlich die Augen. Alle saßen um einen runden Tisch herum: Kristjan, Dagur, Brynja, Gunnar, Hekla und …
«Elin!» Lucy warf die Arme um sie. «Wann bist du gekommen?»
«Ich habe Alex am Flughafen getroffen, wir haben uns ein Taxi geteilt.»
Lucy warf ihm einen Blick zu. «Hast du mir gar nicht erzählt», schmollte sie.
«Ich wurde irgendwie abgelenkt.» Er zog die Augenbrauen hoch.
«Oh, das ist ja so schön», sagte Lucy und hatte ihm schon verziehen. «Jetzt sind alle da.»
«Ja. Schön, dass ihr uns auch mal beehrt», sagte Brynja und zwinkerte ihr zu.
«Ich habe die neuen Rohre überprüft», erwiderte Lucy, und bereute ihre Wortwahl sofort. Doch zum Glück ließ Heklas sonst so beeindruckende Sprachkenntnis sie diesmal im Stich. Alex senkte den Kopf, und sie sah seine Schultern zucken.
«Wie ist die neue Wanne?», frage Hekla.
Lucy lächelte. «Sehr angenehm. Wie war dein Schotte?»
Hekla hob ihr Glas. «Sehr schottisch. Er hat mir viel Bier eingeschenkt. Ich mag Schottland.» Alle lachten. «Ich bin so froh, dass wir hergekommen sind. Und ich mag Kristjan immer noch lieber.»
Kristjan grinste, während er Lucy ein Glas Wein einschenkte und es ihr reichte. Sie nahm es und stellte sich damit hinter den letzten leeren Stuhl.
«Da wir jetzt alle zusammen sind, möchte ich einen Toast aussprechen. Auf euch alle, dass ihr mir vertraut habt und dieses neue Abenteuer mit mir teilt. Es bedeutet mir sehr viel.» Sie schaute jeden Einzelnen von ihnen an, bis ihr Blick bei Alex innehielt. «Dieses Hotel ist wunderschön, aber ihr seid die Menschen, die es zu dem machen, was es ist. Durch euch erst werden sich die Gäste wirklich willkommen fühlen. Ich bin sicher, die Northern Holyrood Lodge wird euretwegen ein großer Erfolg. Danke, dass ihr mir euer Vertrauen geschenkt habt.»
Alle erhoben ihr Glas. Sie war unter Freunden, und sie wusste ohne jeden Zweifel, dass sie jedem Einzelnen von ihnen voll vertrauen konnte. Alex zwinkerte ihr zu und sagte stumm Ich liebe dich.
Kristjan sprang auf. «Auf dich, Lucy Brynsdóttir!», rief er, und als alle seinen Toast wiederholten, strahlte Lucy über beide Ohren.