Divisadero-Straße, San Francisco

 

»William, ich muss es wissen. Wie kommt es, dass du dich ungestraft durch die Toten bewegen kannst?«

Billy sah verwirrt aus. »Was?«

Cyrus seufzte und drückte seine Zigarette auf dem gläsernen Tisch des Diners aus. »Ich habe dich gefragt, wie …«

Billy hielt ihn auf. »Nein, ich weiß, was du gesagt hast, ich weiß nur nicht, was Straffreiheit bedeutet.«

Die beiden Mitglieder der Neuen Gesellschaft , die dort standen, sahen sich gegenseitig an. Einer zuckte mit den Schultern. Der andere begann, Billy zu entwaffnen und seinen Rucksack zu durchsuchen.

»Ah, das heißt ohne Strafe.« Cyrus konnte sehen, dass Billy immer noch nicht verstand. »Du bist in der Lage, durch Scharen von Toten zu gehen, ohne dass sie dich fressen. Ich möchte wissen, wie.«

»Oh! Oh, das ist einfach; ich bin verrückt.« Billy reichte seine Schrotflinte an einen der Männer weiter.

Cyrus war an der Reihe und schaute verwirrt. »Das verstehe ich nicht.«

»Ist schon okay, nicht jeder versteht mich auf Anhieb.« Billy runzelte nachdenklich die Stirn. »Aber … aber ich dachte, du hättest es verstanden. Ich meine, wir waren auf der gleichen Ebene der Sprengstoffluke.« Die Schläger sahen sich wieder an, diesmal mit Sorge. Billy begann Selbstgespräche zu führen und murmelte etwas vor sich hin.

»Ali konnte das auch, aber nicht, wenn sie ihre Medikamente nahm. Ich frage mich, ob Lester Medikamente nimmt? Nee, kann nicht sein, die wollen ihn auch nicht anknabbern. Und die Slim Jims! Damals wollten sie uns beide fressen, aber wir sind ihnen entkommen und vielleicht waren es die Slim Jims? Nein, das ist doch verrückt. Aber ich bin ja auch verrückt, also vielleicht ergeben zwei Verrückte ein Recht? Ich weiß nicht, ich muss …«

»William«, unterbrach Cyrus.

»und Martin hatte eine Idee, vielleicht wissen sie, was los ist, aber wenn Ali…«

»William«, sagte Cyrus ein wenig lauter.

»… kann es auch, vielleicht sollten Lester, ich und sie sich treffen und …«

Cyrus hatte genug und schlug mit der Handfläche auf den grünen Tisch. »BILLY!«

Billy zuckte ein wenig zusammen und sah Cyrus mit großen Augen an. Er blinzelte ein paar Mal. Cyrus sah ihm in die Augen, sein Blick war fesselnd. »Wie machst du das? Wie schaffst du es, durch die Toten zu gehen, ohne dass sie dich angreifen?«

Billy zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich hatte irgendwie gehofft, du könntest es mir sagen. Ich dachte, es läge daran, dass ich verrückt bin«, änderte Billy seinen Tonfall ein wenig, »aber du bist ja noch viel verrückter als ich, also dachte ich, die Zombies würden dir Kekse backen oder so.«

Cyrus begann etwas zu sagen, aber Billy hob den Zeigefinger, seine Aufmerksamkeit war woanders. Es sah so aus, als würde er auf etwas lauschen. Ein verruchtes Lächeln zeichnete sich auf dem Gesicht des jungen Mannes ab und er wandte seinen Blick langsam zu Masta G und Cyrus.

Die Kakophonie aus Zischen, Stöhnen und rasselnden Hacken, die eine riesige Legion von Untoten begleitet, durchflutete nun das Diner. Alle sahen nervös aus, aber Billy verschränkte die Finger ineinander und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Er stützte sich mit einem Fuß auf dem Tisch des Diners ab.

»Lauf «, flüsterte er bedrohlich, als die schrecklichen Geräusche einen Höhepunkt erreichten. Das Lächeln auf Billys Gesicht wurde noch breiter. Er schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen und schrie: »Huhu! Tote Menschen! Kommt und holt sie euch!«

»Er ist verrückt!«, hauchte einer der Männer.

Sie alle schauten durch das Fenster des Diners auf die ersten Toten, die über die Straße schlurften. Die Kreaturen müssen von den jüngsten Geräuschen von Fahrzeugen und Waffenfeuer angelockt worden sein. Sie suchten in alle Richtungen.

Die Männer waren für einen Moment wie betäubt von den sich nähernden Toten und machten sich so klein und niedrig wie möglich. Billy nahm sein Bein vom Tisch, schnappte sich seinen Rucksack und warf die beiden Wachen um, während er zur Tür rannte. Er stürmte auf die Straße und schrie in die Menge der Infizierten.

Im Inneren des Lokals drückte Masta G seine Zigarette aus. »Du«, sagte er und zeigte auf einen der Wachmänner, »hol ihn dir.«

Der Mann war ungläubig und deutete mit dem Daumen auf die Tür. »Da draußen?«

»Beeil dich lieber«, fügte Cyrus hinzu. »Bringt ihn nicht um.«

Der Mann schluckte hart, drehte sich auf dem Absatz um und sprintete aus dem Diner. Billy sah ihn und rannte nach rechts davon. Der Mann folgte, und die Horde folgte ihm.

Cyrus seufzte. »Das ist ärgerlich. Er entzieht sich weiterhin der Gefangennahme.«

»Für mich sah es so aus, als wüsste er wirklich nicht, wie er es macht«, flüsterte Masta G. Die drei Männer beobachteten, wie sich ein Runner durch das Gedränge kämpfte und verzweifelt versuchte, zu den Männern zu gelangen, die weggelaufen waren.

 

Billy bog um eine Ecke und stellte fest, dass er sich wieder in der Fell Street befand. Eine der Ladenfronten war auf die Straße gestürzt und das Gebäude stand durch den Raketenangriff in Flammen. Mehrere Tote wuselten umher und drehten sich zu ihm um, als er in Sicht kam. Der Schläger, der ihn verfolgte, setzte ihm sein Gewehr an die Schulter und zerstörte drei der Dinger.

»Hör lieber auf, du Arschloch!«

»Oder was? Werden Sie mich erschießen? Ich bin mir ziemlich sicher, dass Cyrus mich lebendig haben will!«

»Wie wäre es, wenn ich dir ein Loch ins Bein schieße? Glaubst du, der Geruch von Blut ist für die Toten okay?«

Daran hatte Billy nicht gedacht, also nahm er die Hände hoch und hörte auf zu rennen. Der Runner kam schreiend um das Ende des Gebäudes und der Mann schoss ihm in die Brust. Er rannte zu Billy hinüber und stieß ihn mit dem Lauf seiner Waffe an. »Weg da.«

»Äh, bist du sicher?« Billy zeigte den Weg zurück, den sie gekommen waren.

Die Vorhut der Horde strömte nun auf die Fell Street.

Die Augen des Mannes wurden groß. »Scheiße! Hier lang!«

Er zwang Billy, die Straße hinunterzulaufen, aber in jeder Richtung, in die er zu gehen versuchte, versperrte ihm ein Schwarm von Toten den Weg. Die Dinger kamen unter Autos hervor, aus offenen Türen und von der Straße herunter. Die Männer wurden in eine Gasse gezwungen, aber es war eine Sackgasse, auf der anderen Seite eine massive Backsteinmauer, vier Stockwerke hoch. Der Mann drückte Billy neben einem Müllcontainer nieder und richtete sein Gewehr auf seinen Kopf.

»Sag du es mir! Du sagst mir jetzt sofort, wie du es machst, oder ich werde es mir mit Cyrus verscherzen und dir deinen verdammten Kopf wegpusten!«

Billy blinzelte und der Mann schaute die Gasse hinunter. Eine Wand aus Fäulnis war eingetreten und war auf dem Weg.

»Sag es mir!«, schrie der Mann fast und stieß Billy mit dem Gewehr in den Kopf.

»Au! Okay, okay!« Billy rieb sich den Kopf, öffnete den Reißverschluss seines Rucksacks, griff hinein und kramte darin herum. Er holte ein Fläschchen mit etwas heraus und öffnete es. Er schüttete etwas von der dicken Lösung in seine Hand, verrieb sie mit der anderen Hand und trug sie dann auf sein Gesicht auf.

»Das war's? Das ist alles, was Sie tun müssen?«

»Ja, und sie werden dich nicht anfassen. Ich mache das schon seit Monaten.«

Der Mann warf einen Blick zurück in die Gasse und atmete unwillkürlich scharf ein. Er warf sich sein Gewehr über die Schulter, griff nach der Flasche, kippte sich sofort die Hälfte des Inhalts auf die Hände und rieb sich dann die Hände an den Händen.

»Vergiss deinen Kopf nicht«, sagte Billy und zeigte auf die Haare des Mannes.

Der verzweifelte Mann trug mehr von der Lösung auf sein Gesicht und seinen Kopf auf und schnupperte. »Es riecht wie …«

»Das ist es. Das ist alles, was ich je benutzt habe. Es funktioniert.«

»Sind Sie sicher?« Der Mann atmete schnell und hatte große Angst. Die Toten waren zwanzig Meter entfernt und wurden laut.

Billy nickte und machte mit seiner rechten Hand eine diagonale Schnittbewegung. »Völlig sicher. Ich bin immer noch am Leben und du weißt inzwischen, dass ich durch sie hindurchgehen kann, oder? Du musst allerdings aufhören zu reden«, fügte er hinzu, »sonst finden sie dich vielleicht heraus.«

Der Mann richtete sein Gewehr auf die herannahende Flut und begann zu schießen.

Billy schüttelte den Kopf. »Nicht schießen, sonst merken sie es!«

Billys Entführer nickte wütend. Der jüngere Mann lehnte sich gegen den Müllcontainer und begann, mit dem Zeigefinger an seinem Daumennagel zu zupfen. Der Tote ging direkt an Billy vorbei und auf den anderen Mann zu, der zurückwich. Er zog sich zurück, bis es keinen Ausweg mehr gab, eine feste Wand hinter ihm. Die Infektionswelle riss nicht ab, und Billy verdrehte die Augen, als der Mann zu schreien begann. Die Dinger zerrissen ihn, als er an der Wand stand, und der Druck der Menge sorgte dafür, dass er nie den Boden erreichte und im Stehen verschlungen wurde.

Es dauerte nicht lange, denn es gab viele Kreaturen. Was jedoch eine Weile dauerte, war Billys Flucht aus der Gasse. Die Toten im hinteren Teil der Gasse drängten nach vorne, selbst als die Mahlzeit beendet war, und hielten ihre Brüder, Schwestern und Billy gefangen. Als die Infizierten, denen die Nahrungsaufnahme verweigert worden war, merkten, dass sie etwas verpasst hatten und keine Nahrung mehr in Sicht war, zogen sie und der Rest der Horde so langsam zurück in die Gasse, wie sie gekommen waren. Der letzte der Toten, der weiterging, ein älterer Mann in einem schmutzigen Unterhemd und sonst nichts, blickte Billy kurz mit seinen purpurnen Augen an, als er an ihm vorbeiging. Billy nickte ihm zu.

Der lebende Mann bewegte sich zu dem, was von seinem Verfolger übrig geblieben war. Flecken auf dem verschmutzten Boden, zerrissene und blutige Kleidung, verstreute Knochen und ein Schädel waren alles, was übrig blieb.

Billy verzog das Gesicht. »Igitt, eklig.« Er schüttelte angewidert den Kopf. »Igitt.«

Er starrte auf das Militärgewehr des Mannes. Die gesamte Waffe war mit Blut verschmiert. Er griff nach unten, um sie an der Riemenscheibe aufzuheben, und als er sie anhob, tropfte sie vor Flüssigkeit.

»Ernsthaft?«

Er trug seinen gelben Rucksack vor sich her und kramte darin herum. Mit zwei Wasserflaschen konnte er den größten Teil der infizierten Flüssigkeiten abwaschen und die Waffe mit einer Socke abwischen. Die Schlinge war jedoch vom Blut durchtränkt und er warf sie weg. Im Rucksack des Toten befanden sich zwei zusätzliche Magazine, ein Messer an seinem Gürtel und verschiedene andere Utensilien, die er sich aneignen musste.

Billy legte die Waffe an seine Schulter und schaute auf das Visier. Im Schein des Mondes prüfte er, ob die Waffe gesichert war. Sie war die ganze Zeit entriegelt gewesen, und der Tote hatte nie geschossen. Billy lächelte und fand den Hebel für den Magazinauswurf. Er fand auch den Ladehebel, zog ihn ein Stück zurück und nickte. Er hatte noch nie ein Militärgewehr benutzt.

»Nur einen«, sagte er und feuerte einen Schuss in die Gasse ab. »Oooooh! Das ist schön.«

Sofort erkannte er seinen Fehler. Er wusste, dass sich die Gasse durch die Schüsse gleich wieder mit Toten füllen würde und er warten müsste, um wieder herauszukommen.

Er machte einen Schritt auf den Eingang der Gasse zu und kickte die leere Flasche, die er dem Schläger gegeben hatte. Billy schmollte. Bei seiner nächsten Mahlzeit würde er ohne Barbecue-Sauce auskommen müssen. Er liebte diese Soße auf allem, besonders auf Kartoffelchips, und sie war immer seltener zu finden. Er hoffte, die Toten hatten sie genossen.