Das Schwierigste, was Rick in den fünf Wochen, die er in San Francisco verbracht hatte, getan hatte, war, seiner Tochter zu erklären, warum ihre Mutter nicht mit ihm aus Boston zurückgekommen war. Das zweite war zu erklären, warum ihre Freunde Chris und Dallas bei Fremden zurückgeblieben waren. Die kleine Sam hatte beide Erklärungen nicht gut verkraftet und war einen Monat lang mürrisch und wütend gewesen. Das Einzige, was sie zum Lächeln brachte, war ihre Katze Pickles.
Der Kater liebte sie, und sie ihn. Er war ein Kaliko, was für einen Kater äußerst selten war. Sie starrte ihn an, der auf dem Rücken liegend auf einer Fensterbank aus Schlackensteinen in der Sonne lag. Sie wischte sich über die Augen und schniefte. Sie hatte wieder geweint, weil ihre Mutter nicht zurückgekommen war, um bei ihr zu sein. Sam wusste, dass das, was ihre Mutter tat, wichtig war, aber es war ihre Mutter. Sie hätte mit ihrem Vater zurückkommen sollen! Sam seufzte.
»Komm her, du großer Nager«, forderte sie die Katze auf. Das Tier drehte den Kopf und sah sie an. Sie lächelte, weil er sich auf dem Rücken ausstreckte und die Pfoten in die Luft streckte. Wie es die meisten Katzen zu tun pflegen, machte er keine andere Bewegung, als sie anzustarren.
Sie hob eine Augenbraue und stemmte die Hände in die Hüften. »Ach ja?« Sie ging zu ihm hinüber und streichelte seine Nase mit ihrer eigenen. Er krallte sich in die Luft, als sie seinen Bauch streichelte. Sie setzte sich auf einen alten Metallstuhl und seufzte erneut. Pickles steckte plötzlich den Kopf in die Luft und starrte nirgendwo hin. Er ruckte mit dem Kopf und starrte aufmerksam auf die Tür, woraufhin Sam Bewegungen auf der Treppe unter ihr hörte. Sie hoffte, dass es nicht ihr Vater war. Ihr Vater würde sie umbringen, wenn er wüsste, dass sie hier drin war. Dies war der Sally Port, und er war verflucht. Sie wusste nicht genau, was verdammt bedeutete, aber sie glaubte, es bedeutete gefährlich . Sam war so wütend und verletzt von ihrer Mutter, weil sie die Rückreise nicht angetreten hatte, dass sie in den letzten Monaten mehrmals mit ihrer Katze hierhergekommen war, um von allen wegzukommen. Abgesehen davon, dass sie nicht in den Sally Port durfte (der einen Mädchennamen hatte und deshalb cool war), durfte niemand alleine irgendwohin gehen. Niemals. Sie war in den letzten Monaten mehrmals in Schwierigkeiten geraten, und das war untypisch für sie, aber was konnte man schon tun? Wie konnte man sie bestrafen?
Die Katze sprang vom Fensterbrett herunter, bewegte sich vorsichtig zur Tür und spähte erst nach links, dann nach rechts. Sam bewegte sich zur Tür und versteckte sich hinter einer niedrigen Mauer. Sie hörte eine Stimme.
»Ich bin's. Ja. Ja. Es sind jetzt über zweihundert Leute. Nein, das sind keine Neuankömmlinge. Das ist dieses Arschloch aus Texas. Ja, er hat sich über das Radio gemeldet. Die verantwortlichen Schwachköpfe freuen sich sehr auf seine Rückkehr.«
Dallas, dachte das junge Mädchen. Das muss Dallas sein! Sam verlagerte ihre Position, damit sie besser hören konnte.
»Nein, das würde ich nicht empfehlen. Noch nicht. Es sind viele Soldaten hier, außerdem die Polizei und sogar einige Navy SEALs. Da ist … Moment mal, ich dachte, ich hätte etwas gehört.«
Sam hörte, wie jemand langsam die wackelige Treppe hinaufkam. »Scheiße!« Sie hörte jemanden unterdrückt schreien und Pickles krabbelte aus dem Zimmer und die Treppe hinunter.
»Nein, es ist alles in Ordnung. Das war diese blöde Katze.«
Es gibt eine Katze? Sam konnte nun hören, dass der Mann vor der Tür ein Funkgerät benutzte.
»Ja, eine der Polizistinnen hat ein Kind, und sie kam am Anfang mit ihm herein. Also, der Dienstplan für die Rotationswache sieht folgendermaßen aus …«
Der Besitzer der Stimme, den Sam zu kennen glaubte, aber nicht genau zuordnen konnte, begann, die Treppe wieder hinunterzugehen und zu reden. Sie wusste nicht, warum, aber sie hatte große Angst. Nicht davor, dass sie im Sally Port erwischt werden würde, sondern davor, dass dieser Mann ein böser Mann war und dass er in der Nähe war.
Sam wartete, was ihr sehr lange vorkam, und machte sich dann auf den Weg die Treppe hinunter und hinaus in die sonnige, salzige Luft. Sie suchte nach Pickles, aber das Tier hatte sich aus dem Staub gemacht. Sam beschloss, mit ihrem Vater zu sprechen und den Nachmittag mit ihm zu verbringen. Sie sah ein paar umherstreifende Wachen und versteckte sich hinter einem Betonpfeiler. Die Männer blieben direkt neben ihr stehen und begannen zu reden.
»Kumpel, wenn du das nächste Mal für zehn Minuten abhaust, sage ich Meara, dass ich dich nicht verarschen will.«
»Oh, entspann dich. Ich musste mir einen abkneifen. Ich brauchte dich nicht, um mich zu beobachten.«
»Niemand allein. Niemals. Nie wieder . Es ist mir egal, was passiert. Nächstes Mal gehört dein Arsch Meara. Er will dich sowieso verhaften. Warum musst du alles in Frage stellen? Sie haben dich gerettet. Sie haben uns alle gerettet.«
Der zweite Mann lachte verächtlich. »Uns gerettet. Klar. Ich hatte vorher ein gutes Leben und jetzt … jetzt tue ich nur noch, was man mir sagt, für eine miese Suppe und eine schimmelige Matratze.«
»Du wärst auf andere Weise tot. Wenn du das herausfindest, wirst du diesen Leuten vielleicht dankbar sein. Ich glaube, unsere Rotation ist beendet. Lass uns zurückgehen«, sagte der erste Mann angewidert.
Die Männer schritten schweigend davon. Sam lugte aus ihrem Versteck hervor, konnte aber nicht erkennen, wer einer der Männer war. Der andere war der Typ, der sich immer beschwerte und den Leuten sagte, wie sie etwas tun sollten. Sie konnte sich nicht an seinen Namen erinnern.
Ihre Katze huschte hinter ihr über den Weg. Er verschwand im hohen Gras, ohne ihr auch nur einen Blick zuzuwerfen. Sam ging lächelnd zurück zu den Zellenblöcken. Sie wusste, dass sie Pickles nicht mehr finden würde. Als sie das große, weiße Gebäude betrat, fand sie ihren Vater, der mit seinem Freund Mike sprach. Mike war einer der Chefs hier.
Sie stürzten sich auf sie, als sie den Gehweg betrat. Ihr Vater lächelte. »Wo bist du gewesen, Peanut?«
»Hab mit Pickles gespielt.«
»Dallas kommt gerade mit einem Boot an«, sagte Rick zu ihr. »Willst du mit Anna und mir mitkommen und ihn abholen?«
»Ja«, lächelte sie, »das möchte ich.«
Ein paar Stunden später war Alcatraz ein glücklicher Ort. Dallas war zurückgekehrt, und er hatte einige Leute mitgebracht. Kapitän McInerney umarmte eine Frau, und sie weinten beide. Wenige Sekunden später warf sich der Kapitän auf Dallas und umarmte ihn ebenfalls. Dallas hatte, wie er versprochen hatte, Kapitän McInerneys Frau Clara nach Alcatraz begleitet. Das wiedervereinte Paar stand zusammen mit drei neuen Soldaten, einer jungen Frau und einem riesigen Bluthund namens Clyde auf dem Dock.
Der Sanitäter von der Florida unterbrach die Feierlichkeiten. »Tut mir leid, Leute, aber alle, die vom Festland zurückkehren, müssen sich einer zweitägigen Quarantäne unterziehen. Je schneller wir Sie einweisen, desto schneller können Sie wieder gehen.«
Rick, Captain McInerney und einige andere beschlossen, während ihrer kurzen Internierung bei den unter Quarantäne stehenden Leuten zu bleiben. Sie durften sich nicht in den Einzelzellen aufhalten, aber der Captain und seine Frau sprachen durch die Gitterstäbe und Rick spielte mit Dallas Karten. Die drei Soldaten stammten aus einer Enklave von Überlebenden in Montana. Sie gaben auch Informationen an Hauptmann McInerney weiter, und innerhalb weniger Stunden gab es Kurzwellenfunkgespräche von Kalifornien über Massachusetts bis nach Montana.
Dallas hatte von zwei Männern gesprochen, die ihn buchstäblich aus den Zähnen einer Horde von Infizierten gezogen hatten. Diese Männer hatten ihn, Clara und Claras Freundin Eleanor auch zu einer Gruppe gemischter Militärs begleitet, die ihrerseits die drei Zivilisten zurück nach Alcatraz eskortiert hatten. Die Männer waren auf dem Weg zu einer Ölplattform im Golf von Mexiko namens Atlantis. McInerney versuchte, Atlantis zu kontaktieren, aber die Plattform war entweder nicht willens oder nicht in der Lage, auf das Funkgerät zu antworten.
»Vielleicht können sie unser Signal nicht abfangen?«, fragte Dallas. »Irgendwelche Spuren?«
Rick sah nachdenklich aus, als er sagte: »Geh angeln. Vielleicht.« Er kniff die Augen zusammen und dachte weiter nach. »Wir können die Ostküste und Montana erreichen, aber nicht den Golf? Das klingt nicht gut.«
»Nein. Ganz und gar nicht.«
Die Gruppen unterhielten sich den ganzen Tag, und bis in den Abend hinein kamen Leute, um Dallas zu besuchen. Sam saß mit Anna und Rick zusammen, die vier spielten gemeinsam Karten durch die Gitterstäbe von Dallas' Quarantänezelle. Plötzlich stand ein Mann mittleren Alters mit Brille neben Rick. Pickles, der sich ausgerechnet neben dem Bluthund Clyde zusammengerollt hatte, sprang auf und schlich davon. Der Hund starrte seinem neuen Freund hinterher, während die Katze den Zellenblock hinunter trottete. Clara griff durch die Gitterstäbe und kraulte den Kopf des Hundes, während sie mit ihrem Mann sprach.
»Willkommen zurück, Mr. Dallas«, sagte der Neuankömmling. Sam keuchte und musste plötzlich pinkeln.
»Danke, aber es ist nur Dallas, bitte. Wie ist es Ihnen ergangen, Mr. Martingale?«
»Ich bin sehr dankbar, dass ich einen sicheren Ort zum Bleiben habe. Eure Reise muss schrecklich gewesen sein. Die anderen Mitglieder eurer Gruppe haben uns von euren Heldentaten berichtet.«
Dallas warf Rick einen Blick zu. »Das haben sie, hm? Es war eine Teamleistung.«
Der Mann lachte ein wenig. »Ja, natürlich. Willkommen zurück, so oder so.« Er schritt davon.
Sam starrte dem Mann hinterher, als er wegging. »Was ist los, Schatz?«, fragte Rick bemerkend.
»Ich mag ihn nicht«, sagte sie sofort.
»Ich auch nicht«, stimmte Dallas zu und zwinkerte dem Mädchen zu. Sie lächelte ihn an und starrte weiter auf Martingals Rücken, bis er die Treppe hinunterging.
Am nächsten Morgen stand der Navy-Sanitäter, der die Neuankömmlinge in die Quarantäne eingewiesen hatte, mit Meara und McInerney vor Dallas' Zelle.
»Dallas«, sagte McInerney mit einem seltsamen Gesichtsausdruck, »Sie haben einen Anruf.«
»Der Typ sagt, er kennt dich«, fügte Meara hinzu. »Er sagt, er hat dich in Montana getroffen.«
»Normalerweise würde ich das nicht erlauben«, sagte der Sanitäter zu der Gruppe, »aber keiner von Ihnen ist krank, und Sie kommen sowieso gleich wieder in Quarantäne, wenn Sie zurückkommen, also können Sie gehen.« Er holte einen Schlüssel hervor und öffnete das Schloss an den Ketten, die durch die Gitterstäbe gezogen waren.
Dallas sah verwirrt aus. »Wohin gehen?«
McInerney antwortete: »Um Ihren Freund zu treffen. Du kannst die anderen Männer, die mit dir gekommen sind, mitnehmen, wenn du willst.«
»Das würde ich. Danke, Käpt'n.«