Lisa Mascherl hat ihr kleines Hutgeschäft in der Nähe des Wiener Naschmarkts. Ein paar Treppen führen in den kleinen Laden im Untergeschoss hinunter. Sie ist eine grundehrliche Haut. Sie hat nur einen Fehler: Sie liebt Schanni, der, wie ihre Freundinnen vom Naschmarkt sagen, ein Hallodri ist. Von ihm stammt auch das kleine blasse Mädchen, das ihr in der Werkstatt hilft, wenn keine Schule ist, das Annerl.
Schanni geht tagsüber keiner geregelten Tätigkeit nach. Abends zieht er durch die Lokale und spielt auf seiner Quetsche Wiener Lieder – in Altstadtkneipen oder, wenn es den neuen Wein gibt, beim Heurigen in Grinzing.
Lisa verdient sich ihr Geld mühsam in der kleinen Putzmacherei, die sie von der Mutter übernommen hat. Zum Glück kommt es langsam wieder in Mode, Hüte oder verrückte kleine Kopfbedeckungen zu tragen.
Lisa dämpft gerade den Stumpen eines Filzhutes über einem Holzkopf, um ihm die gewünschte halbrunde Form zu verleihen, als die Glocke an der Werkstatttür bimmelt.
„Habe die Ehre, Frau Hofrat“, ruft Lisa überrascht und schaltet das Bügeleisen aus. „Der Hut für den Herrn Gemahl ist leider noch nicht fertig. Es fehlen die Eichelhäherfedern, die Sie draufhaben wollten.“
„Deswegen bin ich nicht hier“, beruhigt sie Helene Scherzl. „Es ist wegen Schanni.“
„Um Himmels willen. Er wird doch nix angestellt haben?“, ruft Lisa erschrocken. „Wenn Sie mir damals nicht geholfen hätten, dann säß er jetzt im Knast!“
„Nein, im Gegenteil!“, sagt Helene Scherzl. „Ich wollte Schanni um seine Mithilfe bitten. Er kennt sich doch aus in der Wiener Szene und weiß, wo man Sachen günstig kauft und verkauft. Ich wollt ihn einfach bitten, sich einmal umzuhören, ob irgendwo im Untergrund auf dem schwarzen Markt teure Juwelen angeboten werden. Vielleicht von einem, der aussieht wie der Mann auf dem Foto hier?“
„Der Wamperte?“, fragt das Annerl, das neben seine Mutter getreten ist.
„Nein, der Dünne daneben!“, erklärt die Hofrätin.
Lisa studiert das Bild mit Interesse.
„Ich hab’s in den Nachrichten gehört beim Bügeln“, seufzt sie. „Der Tigerpranken oder wie er heißt, hat auf dem Opernball Ihr Collier geklaut.“
„Es war nicht meines, es war nur geliehen“, sagt die Hofrätin. „Deshalb muss ich es unbedingt wiederhaben. Es soll euer Schaden nicht sein. Mein Mann sucht in der Firma einen zuverlässigen Boten, der sich in der Altstadt gut auskennt. Ein fester Job. Das wär doch was für Schanni, oder nicht?“
„Ja, er kennt sich aus“, seufzt Lisa. „Aber zuverlässig?“ Sie schnieft.
„Er wird es sein müssen, für dich und die Kleine“, sagt Helene Scherzl. „Ich werd ein energisches Wörtchen mit deinem Schanni reden müssen.“
„Da kommt er grad“, sagt Lisa und deutet auf die Tür, wo jetzt ein fröhlicher, etwa 30-jähriger Mann auftaucht. Die Zigarette hängt ihm schräg im Mundwinkel.
„Mach die Zigarette aus, die Kloane hat Husten“, fordert Lisa. „Warst scho in aller Herrgottsfrüh wieder beim Stammtisch?“ Sie schnuppert.
Jetzt erst bemerkt Schanni, dass sie nicht allein sind.
Lisa erklärt in wenigen Worten das Anliegen der Hofrätin. Dann nimmt sie das Annerl an der Hand und sagt: „Wir gehn jetzt Wäsche aufhängen!“
Sie lassen die beiden allein.
Helene Scherzl setzt all ihren Charme ein, um Schanni zu überreden, für sie nach einer Spur des Colliers zu suchen. Die Aussicht auf einen festen Job findet er überraschenderweise gar nicht so schlecht.
„Da wüsst i vielleicht scho was“, sagt er schließlich und kratzt sich hinter dem Ohr.
Und dann erzählt er von dem Mann, der in der vergangenen Woche in letzter Minute unbedingt noch einen Logenplatz für den Opernball haben wollte. Er hat einem Schwarzhändler bei der „Gräfin vom Naschmarkt“ sehr viel Geld dafür bezahlt.
„Er sah pfeilgrad aus wie der Mann auf dem Foto. Nur andere Klamotten.“
Ohne dass es die beiden bemerken, ist das Annerl wieder in die Werkstatt gekommen. Sie zeigt auf das Foto, das auf dem Werkstatttisch liegt, und sagt: „Ich hab den Mann gesehen. Mama hat gesagt, ich soll es sagen. Als ich am Samstag den Hut für eine Kundin ins Hotel Ambassador gebracht hab, war er am Empfang. Er hat sich vorgedrängelt. Dabei ist mir die Hutschachtel aus der Hand gefallen. Ich hab Angst gehabt, dass sie kaputtgeht, und war sauer auf ihn. Daher hab ich mir sein Gesicht gemerkt.“