EINE ÜBEREINKUNFT
Den Rest der Nacht verbrachten die caballeros damit, sich lauthals mit ihren künftigen Großtaten zu brüsten und Pläne zu schmieden, die sie Senor Zorro zu unterbreiten gedachten; und wenn es auch den Anschein hatte, als nähmen sie das Ganze als Scherz und Anlass zu Abenteuern, so fand sich doch in ihrem Gebaren ein Zug von Ernsthaftigkeit. Denn die Verhältnisse waren ihnen wohlbekannt, und sie wussten, dass die Dinge nicht waren, wie sie sein sollten, und in Wahrheit waren sie Verfechter der Gerechtigkeit für jedermann. Sie hatten über diese Dinge oft nachgedacht, hatten dem aber nie Taten folgen lassen, da niemand sie um sich geschart, da niemand sie angeführt hatte, und so hatte jeder junge caballero darauf gewartet, dass der andere den Anfang machte. Aber nun war dieser Senor Zorro im rechten Augenblick aufgetaucht — es konnte losgehen.
Don Diego wurde in den Stand der Dinge eingeweiht, und sein Vater klärte ihn seinerseits darüber auf, dass er sich zu beteiligen und seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen habe. Don Diego war nicht wenig aufgebracht und erklärte, etwas Derartiges wäre sein Tod, er werde es aber um seines Vaters willen tun.
Früh am nächsten Morgen nahmen die caballeros ein Mahl zu sich, das Don Alejandro hatte anrichten lassen, bevor sie sich, in Begleitung von Don Diego, der den Befehlen seines Vaters folgte, auf den Rückweg nach Reina de los Angeles machten.
Nichts sollte von ihrem Vorhaben verlauten. Sie sollten unter den restlichen der Dreißig, die die Verfolgung Senor Zorros aufgenommen hatten, Unterstützung rekrutieren. Einige würden sich bereitwillig anschließen, das stand fest, während gegenüber anderen, die uneingeschränkt dem Gouverneur die Treue hielten, das Vorhaben verschwiegen werden musste.
Sie ritten gemächlich dahin, wofür Don Diego, wie er anmerkte, zutiefst dankbar war. Bernardo folgte ihm immer noch auf dem Maultier und war ein wenig betrübt, weil Don Diego nicht länger im Haus seines Vaters geblieben war. Bernardo wusste, dass etwas Bedeutendes ausgebrütet wurde, konnte aber natürlich nicht erahnen, um was es sich dabei handelte, und wünschte, er könnte wie die anderen hören und sprechen.
Als sie auf der Plaza angekommen waren, stellten sie fest, dass die anderen beiden Gruppen bereits zurück waren, und diese gaben an, sie hätten den Räuber nicht einholen können. Einige behaupteten, sie hätten ihn in der Ferne gesehen, und einer gar, er habe einen Schuss auf ihn abgegeben, woraufhin diejenigen, die bei Don Alejandro gewesen waren, sich das Lachen verbissen und sich verschwörerisch ansahen.
Don Diego ließ seine Gefährten zurück und eilte in sein Haus, wo er sich umzog und erfrischte. Er hieß Bernardo seinen üblichen Geschäften nachgehen, die darin bestanden, in der Küche zu sitzen und zu warten, bis sein Herr nach ihm riefe. Und dann gab er Befehl, die Kutsche vorfahren zu lassen.
Diese Kutsche war eine der prächtigsten entlang des Camino Real, und warum Don Diego sie sich zugelegt hatte, war immer ein Rätsel gewesen. Einige sagten, er wolle seinen Reichtum zur Schau stellen, andere waren überzeugt, der Vertreter des Herstellers habe so lange auf ihn eingeredet, bis Don Diego den Auftrag erteilt habe, nur um ihn endlich loszuwerden.
Don Diego trat in seinen besten Gewändern aus dem Haus; doch er stieg nicht in die Kutsche. Wieder kam es auf der Plaza zu einem Getümmel, als Sargento Gonzales mit seinen Mannen einritt. Der Mann, den Capitán Ramón ihnen nachgesandt hatte, hatte sie schon bald eingeholt, denn sie waren langsam geritten und hatten nur eine geringe Wegstrecke zurückgelegt.
»Ha! Don Diego, mi amigo!«, rief Gonzales. »Noch immer in dieser stürmischen Welt zu Haus?«
»Wohl oder übel«, erwiderte Don Diego. »Habt Ihr diesen Senor Zorro gefasst?«
»Das feine Vögelchen ist uns entwischt, caballero. Scheint, als wäre er in jener Nacht nach San Gabriel geritten, während wir ihn in Richtung Pala jagten. Nun ja, was schadet schon ein kleiner Schnitzer? Unsere Rache wird nur umso größer ausfallen, wenn wir ihn dann endlich aufspüren.«
»Was habt Ihr denn jetzt vor, Sargento?«
»Meine Männer werden sich frisch machen, dann reiten wir weiter nach San Gabriel. Es heißt, der Strauchdieb hält sich dort auf, auch wenn an die dreißig junge Edelmänner ihn letzte Nacht nicht auffinden konnten, nachdem er den magistrado hat auspeitschen lassen. Ohne Frage hockte er irgendwo im Unterholz und lachte sich ins Fäustchen, als die caballeros vorüberritten.«
»Möge Euer Pferd schnell und Euer Arm stark sein«, sagte Don Diego, als er in die Kutsche stieg.
Zwei prächtige Pferde wurden vor die Kutsche gespannt, und ein Indianer in prunkvoller Livree lenkte sie. Don Diego ließ sich in die Kissen sinken und schloss die Augen halb, als die Kutsche anrollte. Der Kutscher fuhr über die Plaza und bog auf die Landstraße ein, als er sich auf den Weg zur Hacienda von Don Carlos Pulido machte.
Don Carlos, der auf der Veranda saß, sah die prachtvolle Kutsche sich nähern und ließ ein tiefes, kehliges Brummen hören, dann stand er auf und eilte ins Haus, um Frau und Tochter gegenüberzutreten.
»Senorita, Don Diego kommt«, sagte er. »Ich habe meine Ansichten bezüglich dieses jungen Mannes kundgetan, und ich gehe davon aus, dass du sie beherzigst, wie es sich für eine pflichtschuldige Tochter geziemt.«
Dann wandte er sich ab und trat wieder auf die Veranda hinaus, während die Senorita auf ihr Zimmer lief, wo sie sich auf eine Couch warf, um zu weinen. Die Heiligen wussten, sie wünschte nur zu sehr, sie könnte ein wenig Liebe für Don Diego empfinden und ihn heiraten, denn das wäre gut für die Geschicke ihres Vaters, und doch spürte sie, dass sie das nicht vermochte.
Warum nur konnte der Mann sich nicht benehmen wie ein caballero? Warum zeigte er nicht wenigstens ein klein bisschen gesunden Menschenverstand? Warum zeigte er nicht, dass er ein junger Mann war, der vor Gesundheit strotzte, anstatt sich zu benehmen wie ein gealterter Don, der schon mit einem Bein im Grab stand?
Don Diego stieg aus der Kutsche und winkte dem Kutscher zu, weiter zu den Stallungen zu fahren. Träge grüßte er Don Carlos, der überrascht feststellte, dass Don Diego eine Gitarre unter dem Arm trug. Er stellte die Gitarre zu Boden, nahm den Sombrero ab und seufzte.
»Ich habe meinen Vater aufgesucht«, verkündete er.
»Ich hoffe, Don Alejandro erfreut sich bester Gesundheit?«
»Der allerbesten, wie üblich. Er hat mir aufgetragen, in meinem Werben um Senorita Lolita nicht nachzulassen. Sollte ich nicht innerhalb einer festgesetzten Frist eine Frau vor den Altar führen, so sagt er, wird er seine Reichtümer bei seinem Ableben den Franziskanern vermachen.«
»Tatsächlich?«
»Das hat er gesagt, und mein Vater ist nicht der Mann, der seine Worte vergeudet. Don Carlos, ich muss die Senorita gewinnen. Ich kenne keine andere junge Frau, die meinem Vater als Schwiegertochter ähnlich willkommen wäre.«
»Ein bisschen Romantik, Don Diego, ist alles, worum ich Euch bitte. Seid nicht gar so pragmatisch, ich flehe Euch an.«
»Ich habe beschlossen, ihr den Hof zu machen, wie es andere Männer auch tun, obwohl ich überzeugt bin, dass es reichlich langweilig werden wird. Wie, schlagt Ihr vor, soll ich anfangen?«
»Es ist schwierig, in einem solchen Fall Ratschläge zu geben«, erwiderte Don Carlos, der verzweifelt versuchte, sich zu erinnern, wie es gewesen war, als er um Dona Catalina freite. »Ein Mann sollte einfach Erfahrung haben, oder aber er sollte jemand sein, dem diese Sachen ganz natürlich von der Hand gehen.«
»Ich fürchte, ich kann mit beidem nicht dienen«, seufzte Don Diego und hob seine müden Augen zu Don Carlos' Gesicht.
»Es wäre eine großartige Idee, die Senorita anzusehen, als würdet Ihr sie anbeten. Sprecht zunächst nicht von Heirat, sprecht von der Liebe. Versucht, in leisen, vollen Tönen zu sprechen, und sagt jene bedeutungslosen Nichtigkeiten, in denen sich einer jungen Frau ein Kosmos an Sinn erschließt. Eine galante Kunst — das eine zu sagen und das andere zu meinen.«
»Ich fürchte, sie übersteigt meine Fähigkeiten«, sagte Don Diego. »Und doch muss ich es natürlich versuchen. Ich darf die Senorita nun sehen?«
Don Carlos trat an den Eingang und rief nach Frau und Tochter, wobei Erstere Don Diego ermunternd zulächelte; Letztere lächelte ebenfalls, allerdings unter ängstlichem Zittern. Denn sie hatte ihr Herz an den unbekannten Senor Zorro verloren und konnte keinen anderen Mann lieben. Und sie konnte nicht heiraten, wo sie nicht lieben konnte, und sei es, um ihren Vater vor Elend zu bewahren.
Don Diego führte die Senorita zu einer Bank am Ende der Veranda und fing an, über die Zustände im Allgemeinen zu reden, während er an den Gitarrensaiten zupfte. Don Carlos zog sich mit seiner Frau an das andere Ende der Veranda zurück und hoffte, dass alles gutgehen würde.
Senorita Lolita war froh, dass Don Diego nicht über das Heiraten sprach, wie er es zuvor getan hatte. Stattdessen redete er über das, was sich im Ort ereignet hatte, von der Auspeitschung Fray Felipes und davon, wie Senor Zorro den magistrado bestraft hatte, wie er gegen ein Dutzend Männer gekämpft und das Weite gesucht hatte. Seiner einschläfernden Miene zum Trotz, war Don Diego ein anregender Erzähler, und die Senorita musste feststellen, dass er ihr lieber war als zuvor.
Er erzählte auch, wie er die Hacienda seines Vaters besucht hatte und wie die caballeros dort die Nacht mit Trinken und Frohsinn verbracht hatten; Senor Zorros Besuch aber und das Bündnis, das sich formiert hatte, erwähnte er, da er schließlich Stillschweigen geschworen hatte, mit keinem Wort.
»Mein Vater droht, mich zu enterben, sollte ich nicht binnen einer festgesetzten Frist eine Frau gefunden haben«, sagte Don Diego nun. »Wünscht Ihr, mich um mein Erbe gebracht zu sehen, Senorita?«
»Gewiss nicht«, erwiderte sie. »Viele Mädchen wären stolz, sich mit Euch zu vermählen, Don Diego.«
»Nicht jedoch Ihr?«
»Gewiss, ich wäre stolz. Aber kann ein Mädchen es ändern, wenn ihr Herz verschlossen bleibt? Erträumt Ihr Euch eine Frau, die Euch nicht liebt? Denkt an all die langen Jahre, die Ihr neben ihr verbringen müsstet, und da wäre keine Liebe, sie erträglich zu machen.«
»Ihr glaubt also nicht, dass Ihr mich jemals lieben könntet, Senorita?«
Plötzlich blickte das Mädchen ihn an, und sie sprach leiser und sehr ernst.
»Ihr seid ein caballero reinen Blutes, Senor. Kann ich Euch vertrauen?«
»Bis in den Tod, Senorita.«
»Dann muss ich Euch etwas mitteilen. Und ich bitte Euch, es als Euer Geheimnis zu bewahren. Es ist gewissermaßen eine Erklärung.«
»Sprecht weiter, Senorita.«
»Sollte mein Herz es mir befehlen, so würde mich nichts mit größerer Freude erfüllen, als Eure Gemahlin zu werden, Senor, denn ich weiß, es würde die Geschicke meines Vaters wieder ins Lot bringen. Doch vielleicht bin ich zu aufrichtig, zu heiraten, wo ich nicht liebe. Da ist ein unüberwindlicher Grund, weshalb ich Euch nicht lieben kann.«
»Euer Herz gehört einem anderen?«
»Ihr habt es erraten, Senor: Sein Bild erfüllt mein Herz. In solch einem Fall könnt Ihr mich unmöglich zur Gemahlin wollen. Meine Eltern ahnen nichts davon. Ihr müsst mein Geheimnis wahren. Ich schwöre bei den Heiligen, dass ich die Wahrheit sage.«
»Er ist ein würdiger Mann?«
»Ich bin gewiss, dass er das ist, caballero. Sollte sich herausstellen, dass das nicht der Fall ist, ich müsste vor Gram sterben, doch einen anderen lieben, das könnte ich nie. Versteht Ihr nun?«
»Ich verstehe vollkommen, Senorita. Darf ich der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass er sich als würdig erweist und beizeiten Euer Erwählter sein wird.«
»Ich wusste, dass Ihr ein wahrer caballero sein würdet.«
»Und falls ein Problem auftaucht und Ihr einen Freund braucht, Senorita, verfügt über mich.«
»Mein Vater darf gegenwärtig noch keinen Verdacht schöpfen. Wir müssen ihn glauben machen, Ihr würdet noch immer um mich werben, und ich werde vorgeben, Euch höher zu schätzen als bisher. Und allmählich könnt Ihr dann Eure Besuche einstellen …«
»Ich verstehe, Senorita. Und doch bringt mich das in eine missliche Lage. Ich bat Euren Vater um die Erlaubnis, Euch den Hof machen zu dürfen. Wenn ich jetzt aber einfach um die Hand eines anderen Mädchens anhalte, wird er mir mit berechtigtem Zorn in den Ohren liegen. Wenn ich aber nicht um ein anderes Mädchen freie, wird mein eigener Vater mir Vorhaltungen machen. Eine wirklich unangenehme Situation.«
»Sie wird sicher vorübergehen, Senor.«
»Ah! Ich habs! Was macht ein verschmähter Liebhaber? Er bläst Trübsal, er macht ein langes Gesicht, er weigert sich, an den Aufregungen und Vergnügungen des Lebens teilzuhaben. Senorita, Ihr habt mich gewissermaßen gerettet. Ich werde dahinsiechen, weil Ihr meine Liebe nicht erwidert. Und die Menschen werden glauben, den Grund zu kennen, wenn ich in der Sonne träume und sinniere, anstatt zu reiten und zu fechten wie ein Irrer. Ich werde endlich in Frieden meiner Wege gehen können, und ein Hauch Romantik wird mich umwehen. Eine großartige Vorstellung!«
»Senor, Ihr seid unverbesserlich!«, rief Senorita Lolita lachend aus.
Don Carlos und Dona Catalina hörten dieses Lachen, sahen sich um und tauschten rasche Blicke. Don Diego machte anscheinend hervorragende Fortschritte bei der Senorita.
Dann trieb Don Diego die Täuschung weiter, indem er auf seiner Gitarre spielte und eine Strophe aus einem Lied zum Besten gab, das von leuchtenden Augen und Liebe handelte. Don Carlos und seine Frau blickten sich wieder an, diesmal allerdings besorgt, und sie hofften, er möge wieder aufhören, denn der Spross des Hauses Vega war vielen unterlegen, sowohl was seine Sangeskunst als auch was seine Fähigkeiten als Musikant anging, und sie fürchteten, er würde die eben gewonnene Wertschätzung der Senorita sogleich wieder verlieren.
Wenn die Senorita allerdings die Gesänge des caballero geringschätzte, so sagte sie zumindest nichts dergleichen, und auch ihr Verhalten ließ nicht auf Verärgerung schließen. Es folgte noch etwas Konversation, und kurz bevor die Stunde der Siesta anbrach, wünschte Don Diego ihnen buenos dias und rollte in seiner prächtigen Kutsche davon. Von der Kehre in die Auffahrt aus winkte er noch einmal zurück.