DER HAFTBEFEHL
Der Kurier, den Capitán Ramón mit einem Brief an den Gouverneur nach Norden gesandt hatte, träumte von ausgelassenen Tagen in San Francisco de Asis, bevor er wieder in die Garnison in Reina de los Angeles zurückkehren müsste. Er war dort mit einer gewissen Senorita vertraut, deren Liebreiz sein Herz erglühen ließ.
Und so ritt er, nachdem er das Dienstzimmer des Kommandanten verlassen hatte, los wie der Teufel, wechselte in San Fernando und auf einer Hacienda auf dem Weg die Pferde und galoppierte eines Abends, gerade bei Sonnenuntergang, in Santa Barbara ein, um dort noch einmal die Pferde zu wechseln, sich in der Garnison mit Fleisch, Brot und Wein zu versorgen und dann so schnell wie möglich weiterzuziehen.
In Santa Barbara wurde jede Hoffnung, sich im Lächeln der Senorita aus San Francisco de Asis sonnen zu können, grausam zerschlagen. Denn vor der Pforte der Garnison hielt eine prachtvolle Kutsche, gegen die jene Don Diegos wie eine einfache carreta wirken musste, und daneben standen an die zwanzig Pferde angebunden, und mehr Soldaten, als üblicherweise in Santa Barbara stationiert waren, liefen lärmend und lachend über die Landstraße.
Der Gouverneur war in Santa Barbara.
Seine Exzellenz hatte San Francisco de Asis einige Tage zuvor verlassen, um sich auf eine Inspektionsreise zu begeben, die ihn bis nach San Diego de Alcalá im Süden führen sollte und auf der er seine politische Stellung zu festigen gedachte, indem er Freunde belohnte und Feinden ihre Strafe zukommen ließ.
Er war vor einer Stunde in Santa Barbara eingetroffen und hörte sich gerade den Bericht des örtlichen comandante an, um danach die Nacht bei einem Freund zu verbringen. Seinen Kavalleristen musste selbstverständlich in der Garnison das Quartier bereitet werden, und am nächsten Morgen sollte die Reise weitergehen.
Hauptmann Ramón hatte dem Kurier eingeschärft, der Brief sei von äußerster Wichtigkeit, weshalb er zum Dienstzimmer des Kommandanten eilte, das er wie ein Mann von Stand betrat.
»Capitán Ramón, Garnisonskommandant in Reina de los Angeles, schickt mich mit einer wichtigen Botschaft für Seine Exzellenz«, berichtete er in Habtachtstellung.
Der Gouverneur murrte und nahm den Brief an, während der Kommandant dem Kurier bedeutete, sich zurückzuziehen. Seine Exzellenz las den Brief eilends durch, und als er geendet hatte, zeigte sich ein ruchloses Leuchten in seinen Augen, und er zwirbelte den Schnurrbart mit allen Anzeichen lebhafter Befriedigung. Doch dann las er den Brief ein zweites Mal und runzelte verärgert die Stirn.
Die Vorstellung, Don Carlos Pulido noch weiter ins Verderben zu ziehen, behagte ihm, der Gedanke aber, dass sich Senor Zorro, der ihn so despektierlich behandelt hatte, noch immer auf freiem Fuß befand, missfiel ihm außerordentlich. Er stand auf und lief eine Weile im Zimmer auf und ab, dann wandte er sich unvermittelt dem Kommandanten zu.
»Ich werde bei Sonnenaufgang nach Süden aufbrechen«, erklärte er. »Meine Anwesenheit in Reina de los Angeles ist dringend erforderlich. Ihr kümmert Euch um alles. Sagt dem Kurier, er wird mit meiner Eskorte zurückkehren. Ich werde jetzt das Haus meines Freundes aufsuchen.«
Und so machte sich am nächsten Morgen der Gouverneur, eskortiert von zwanzig ausgesuchten Kavalleristen und dem Kurier in ihrer Mitte, auf den Weg nach Süden. Er reiste rasch und fuhr eines Vormittags unangekündigt auf der Plaza von Reina de los Angeles ein. Es war eben jener Vormittag, an dem Don Diego sich mit der Gitarre in seiner Kutsche zur Hacienda Pulido aufgemacht hatte.
Der Reiterzug hielt vor der Taverne an, und den dicken Wirt hätte beinahe der Schlag getroffen, war er doch nicht auf das Kommen des Gouverneurs vorbereitet und fürchtete so, dieser könne womöglich das Gasthaus betreten und es in schmutzigem Zustand vorfinden.
Der Gouverneur aber machte keinerlei Anstalten, die Kutsche zu verlassen und die Taverne zu besuchen, sondern ließ die Blicke mit großer Aufmerksamkeit über den Platz schweifen. Er war sich der Männer von Stand in diesem Ort nie sicher; er hatte das Gefühl, sie nicht richtig im Griff zu haben.
Jetzt beobachtete er sorgsam, wie die Nachricht seiner Ankunft sich verbreitete und wie manche der caballeros auf die Plaza eilten, ihn zu begrüßen und willkommen zu heißen. Er merkte sich die, die aufrichtig zu sein schienen, registrierte, wer es nicht sonderlich eilig hatte, ihm seine Ehrerbietung entgegenzubringen, und stellte fest, dass einige ganz fehlten.
Den Geschäften habe seine erste Aufmerksamkeit zu gelten, erklärte er, und er müsse daher raschestens in die Garnison. Hinterher allerdings wäre er liebend gerne bei einem von ihnen zu Gast. Er nahm eine der Einladungen an und gab dem Kutscher Befehl, weiterzufahren. Er dachte an den Brief von Capitán Ramón und daran, dass er Don Diego Vega nicht auf der Plaza gesehen hatte.
Sargento Gonzales war mit seinen Männern natürlich noch auf der Jagd nach Senor Zorro, daher nahm Capitán Ramón höchstpersönlich den Gouverneur am Garnisonstor in Empfang. Dort salutierte er mit ernster Miene, verneigte sich tief vor ihm und gab dem Anführer der Eskorte Order, das Gebäude in seine Obhut zu nehmen und zu Ehren des Gouverneurs Wachen aufzustellen.
Er führte Seine Exzellenz in sein Dienstzimmer, wo der Gouverneur sich setzte.
»Was sind die neuesten Nachrichten?«, fragte er.
»Meine Männer sind ihm auf der Spur, Exzellenz. Aber wie ich Euch schon schrieb, dieser gottverfluchte Senor Zorro hat Freunde - und die sind eine Legion, wie es aussieht. Mein Feldwebel hat mir zweimal berichtet, er habe ihn mit einer Bande im Gefolge aufgestöbert.«
»Ausrotten muss man sie, abschlachten!«, schrie der Gouverneur. »So ein Mann wird immer Anhänger finden und immer mehr Anhänger, bis er eines Tages so stark wird, dass er uns ernsthafte Schwierigkeiten machen kann. Hat er denn irgendwelche weiteren Gräueltaten begangen?«
»Das hat er, Exzellenz. Gestern hat man hier einen fray aus San Gabriel wegen Betrugs ausgepeitscht. Senor Zorro hat die Zeugen der Anklage auf der Landstraße abgefangen und sie beinahe zu Tode geprügelt. Und dann ist er bei Sonnenuntergang ins Dorf geritten und hat den magistrado auspeitschen lassen. In dem Moment waren meine Männer unterwegs, um ihn zu suchen. Es hat also ganz den Anschein, als würde dieser Senor Zorro jeden Schritt meiner Leute verfolgen und dann immer gerade dort zuschlagen, wo sie nicht sind.«
»Es gibt also Spione, die ihn warnen?«
»So sieht es aus, Exzellenz. Letzte Nacht erst sind dreißig junge caballeros ihm nachgesetzt, aber sie konnten einfach keine Spur von dem Schuft finden. Heute Morgen kamen sie zurück.«
»War Don Diego Vega unter ihnen?«
»Er ist nicht mit ihnen losgeritten, aber er kehrte mit ihnen zurück. Offenbar haben sie ihn auf der Hacienda seines Vaters aufgegabelt. Ihr habt womöglich erraten, dass ich in meinem Brief von den Vega sprach. Inzwischen allerdings, Exzellenz, bin ich überzeugt, dass mein Verdacht in dieser Richtung ungerechtfertigt war. Dieser Senor Zorro ist sogar eines Nachts, als Don Diego nicht daheim war, in sein Haus eingedrungen.«
»Wie das?«
»Allerdings waren Don Carlos Pulido und seine Familie dort.«
»Ha! In Don Diegos Haus? Was hat das zu bedeuten?«
»Es ist höchst amüsant«, sagte Capitán Ramón mit einem süffisanten Lächeln. »Wie ich hörte, hat Don Alejandro Don Diego aufgefordert, sich eine Frau zu suchen. Nun ist der junge Mann aber nicht gerade einer, der um eine Frau zu werben versteht. Er ist ein wenig schlaff.«
»Ich kenne den Mann. Fahrt fort.«
»Er also reitet geradewegs zur Hacienda von Don Carlos und bittet um Erlaubnis, dessen einziger Tochter den Hof machen zu dürfen. Senor Zorro trieb in der Gegend sein Unwesen, und Don Diego, der geschäftlich zu seiner eigenen Hacienda unterwegs war, bat Don Carlos, er möge mit seiner Familie nach Reina de los Angeles kommen, wo es weniger gefährlich sei, und bis zu seiner Rückkehr Don Diegos Haus als das seine ansehen. Die Pulido konnten natürlich nicht ablehnen. Und Senor Zorro ist ihnen allem Anschein nach gefolgt.«
»Ha! Und weiter?«
»Ist es nicht zum Totlachen, dass Don Diego sie hierhergeholt hat, damit sie nicht Senor Zorros Zorn zum Opfer fallen, wo sie doch in Wirklichkeit Hand in Hand mit ihm zusammenarbeiten? Wie Ihr Euch erinnern werdet, ist dieser Senor Zorro auf der Hacienda Pulido gewesen. Wir wurden durch einen Indianer verständigt und hätten ihn beinahe geschnappt. Er war zum Essen gekommen. Er hatte sich in einem Wandschrank versteckt, und als ich dort allein war, weil meine Männer die Wege absuchten, sprang er aus dem Schrank, durchbohrte mir von hinten die Schulter und machte sich davon.«
»Dieser hinterhältige Hund!«, stieß der Gouverneur aus. »Aber glaubt Ihr denn, es wird zur Heirat zwischen Don Diego und Senorita Pulido kommen?«
»Ich vermute, in dieser Hinsicht besteht kein Grund zur Sorge, Exzellenz. Ich denke doch, dass Don Diegos Vater ihm die Leviten gelesen hat. Er wird Don Diego auf die Tatsache hingewiesen haben, dass Don Carlos nicht gerade Euer Exzellenz Wohlwollen genießt und dass es Töchter gibt, bei deren Vätern das anders ist.
Wie dem auch sei, die Pulido sind nach Don Diegos Rückkehr wieder auf ihre Hacienda gereist. Don Diego besuchte mich hier in der Garnison und schien Wert darauf zu legen, dass ihm keine verräterischen Absichten unterstellt würden.«
»Ich bin froh, das zu hören. Die Vega sind eine mächtige Familie. Sie genießen nicht mein volles Vertrauen, aber sie haben doch nie die Hand gegen mich erhoben, ich kann mich also nicht beschweren. Es ist in jedem Falle sinnvoll, sie sich gewogen zu halten, sofern das möglich sein sollte. Aber was diese Pulido angeht —«
»Sogar die Senorita scheint diesem Verbrecher Beistand zu leisten«, sagte Capitán Ramón. »Sie brüstete sich vor mir mit dem, was sie seinen Mut nannte. Sie hat die Soldaten verhöhnt. Don Carlos und ein paar von den frailes beschützen den Mann, sie geben ihm zu essen und zu trinken, verstecken ihn und lassen ihm Nachrichten über den Aufenthaltsort der Kavallerie zukommen. Die Pulido versuchen unsere Anstrengungen, den Schurken zu schnappen, zunichte zu machen. Ich hätte schon längst die nötigen Schritte veranlasst, aber ich dachte, es wäre das Beste, Euch zunächst zu unterrichten und Eure Entscheidung abzuwarten.«
»In diesem Fall kann es nur eine einzige Entscheidung geben«, verkündete der Gouverneur hochmütig. »Ganz gleich, wie edel das Blut eines Mannes auch sein mag oder in welcher Stellung er sich befindet - wir dürfen niemals zulassen, dass jemand Hochverrat begeht, ohne dafür zu büßen. Ich hätte gedacht, Don Carlos hätte seine Lektion gelernt, aber offenbar ist das nicht der Fall. Ist noch jemand von Euren Männern in der Garnison?«
»Ein paar kranke, Exzellenz.«
»Euer Kurier ist mit meiner Eskorte zurückgekehrt. Kennt er die Gegend hier?«
»Natürlich, Exzellenz. Er ist schon eine ganze Weile hier stationiert.«
»Dann wird er den Weg weisen. Schickt auf der Stelle die Hälfte meiner Eskorte auf die Hacienda von Don Carlos Pulido. Sie soll den Hausherrn festnehmen und im cárcel einkerkern. Das wird ein Schlag gegen seine hohe Herkunft sein. Ich habe mich lange genug von diesen Pulido an der Nase herumführen lassen.«
»Und die hochnäsige Dona, die mich verhöhnte, und die stolze Senorita, die die Soldaten verspottete?«
»Ha! Das ist ein guter Gedanke. Ich werde allen in diesem Ort eine Lehre erteilen. Lasst sie in den cárcel bringen, sie sollen ebenfalls eingekerkert werden«, entschied der Gouverneur.