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DAS BLUT DER PULIDO

Die beiden Soldaten kehrten zurück in das Zimmer. Sie hätten das Haus genau durchsucht, berichteten sie, hätten keinen Winkel ausgelassen, doch sei keine Spur von einem lebenden Wesen aufzufinden gewesen, ausgenommen Fray Felipes indianische Diener, die aber durch die Bank viel zu verängstigt gewesen seien, um noch zu lügen, und ausgesagt hätten, sie hätten niemanden gesehen, der nicht hierhergehörte.

»Ha! Gut versteckt, kein Zweifel!«, sagte Gonzales. »Fray, was ist das in der Ecke da drüben?«

»Ein paar Ballen Leder«, erwiderte Fray Felipe.

»Ich habe sie mir mal angeschaut. Der Händler aus San Gabriel muss recht gehabt haben, als er sagte, die Häute, die er dir abgekauft hat, wären unsachgemäß behandelt worden. Wie steht es denn mit diesen da?«

»Ich bin sicher, Ihr werdet nichts daran zu beanstanden finden.«

»Und wieso haben sie sich dann bewegt?«, fragte Sargento Gonzales. »Dreimal habe ich gesehen, wie sich die Ecke eines Ballens rührte. Männer, sucht da drüben.«

Fray Felipe sprang auf.

»Genug mit diesem Unsinn«, rief er. »Ihr habt alles durchsucht und nichts gefunden. Untersucht noch die Scheunen, und dann geht. Lasst mich zumindest Herr in meinem eigenen Haus sein. Ihr habt meine Ruhe so schon mehr als genug gestört.«

»Willst du einen heiligen Eid schwören, fray, dass sich hinter diesen Lederballen kein lebendes Wesen verbirgt?«

Fray Felipe zögerte, und Sargento Gonzales grinste.

»Es scheint dir doch lieber zu sein, keinen Eid darauf zu leisten, wie?«, fragte der Feldwebel. »Ich hatte schon geahnt, dass du zögern würdest, mein lieber Mönch. Soldaten, durchsucht die Ballen.«

Die beiden Männer machten sich in die Ecke des Zimmers auf. Aber sie hatten noch nicht die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als Senorita Lolita Pulido hinter den Lederballen hervorkam und ihnen ins Gesicht sah.

»Ha! Da ist es ja doch noch ans Licht gekommen!«, rief Gonzales. »Da hätten wir dann wohl das Paket, das Senor Zorro bei dem fray zwischengelagert hat! Und was für ein hübsches Paket das doch ist! Zurück in den cárcel mit ihr! Diese Flucht wird das endgültige Urteil über sie nur umso härter ausfallen lassen!«

Aber in den Adern der Senorita floss das Blut der Pulido, und das hatte Gonzales nicht bedacht. Die Senorita trat an den Rand der aufgestapelten Häute, sodass sie im vollen Licht des candelero stand.

»Einen Augenblick, Senores«, sagte sie.

Sie brachte eine Hand, die sie hinter ihrem Rücken verborgen gehalten hatte, nach vorne. Ihre Finger umklammerten ein langes, scharfes Messer, wie man es zum Scheren der Schafe verwendet. Sie richtete die Spitze der Klinge gegen ihre Brust und sah ihnen mutig entgegen.

»Senorita Lolita Pulido wird nicht in den stinkenden cárcel zurückkehren, weder jetzt noch in Zukunft, Senores«, erklärte sie. »Eher versenkt sie dieses Messer in ihr Herz, um zu sterben, wie eine Frau von edlem Geblüt zu sterben hat. Wenn Seine Exzellenz eine tote Gefangene wünscht, die kann er haben.«

Sargento Gonzales machte seinem Ärger lauthals Luft.       

Er zweifelte nicht, dass die Senorita ihre Drohung wahr machen würde, sollten die Männer versuchen, sie zu ergreifen. Und obwohl er im Falle eines gewöhnlichen Gefangenen die Ergreifung wahrscheinlich nichtsdestotrotz angeordnet hätte, war er sich nicht sicher, dass der Gouverneur den Befehl in diesem Fall gutgeheißen hätte. Immerhin war Senorita Pulido die Tochter eines Don, und ihr Hinscheiden von eigener Hand könnte gewisse Unannehmlichkeiten für Seine Exzellenz zur Folge haben. Es könnte sich als der Funke erweisen, der das Pulverfass zum Explodieren brachte.

»Senorita, wer sich das Leben nimmt, riskiert die ewige Verdammnis«, mahnte der Feldwebel. »Fragt diesen fray, ob das nicht die Wahrheit ist. Ihr steht unter Arrest, doch man hat Euch weder für schuldig befunden noch eine Strafe über Euch verhängt. Solltet Ihr unschuldig sein, so wird man Euch ohne Zweifel in kürzester Zeit wieder auf freien Fuß setzen.«

»Dies ist nicht die Zeit für Lügenmärchen, Senor«, erwiderte das Mädchen. »Mir ist meine Lage nur allzu klar. Ich habe gesagt, ich werde nicht in den cárcel zurückkehren, und das war mein Ernst — und daran hat sich auch nichts geändert. Kommt mir auch nur einen Schritt näher, und ich bringe mich um.«

»Senorita —«, setzte Fray Felipe an.

»Es ist sinnlos, zu versuchen, mich zurückzuhalten, guter fray«, unterbrach sie. »Ich habe noch meinen Stolz, den Heiligen sei Dank. Wenn überhaupt, dann wird Seine Exzellenz nur meine Leiche bekommen.«

»Das ist ja wirklich eine schöne Bescherung«, rief Sargento Gonzales aus. »Da nehme ich doch glatt an, es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns zurückzuziehen und dieser Senorita ihren Willen zu lassen.«

»O nein, Senor!«, rief sie schnell. »Ihr seid gewitzt, aber nicht annähernd gewitzt genug. Ihr wollt Euch zurückziehen und Eure Männer weiterhin das Haus umstellen lassen? Ihr wollt nur eine günstige Gelegenheit abwarten, um mich dann doch noch zu verhaften?«

Gonzales knurrte, denn eben dies hatte er vorgehabt, und das Mädchen hatte ihn durchschaut.

»Ich werde diejenige sein, die geht«, erklärte sie. »Tretet zurück und stellt Euch gegen die Wand, Senores. Und zwar sofort, oder ich ramme mir dieses Messer in die Brust.«

Es blieb ihnen nichts übrig, als zu gehorchen. Die Soldaten starrten ihren Feldwebel in Erwartung eines Befehls an, und Gonzales hatte Angst, das Leben von Lolita Pulido aufs Spiel zu setzen, denn er wusste, der Gouverneur würde rasen vor Wut und ihm Stümperei vorwerfen. Vielleicht wäre es ja doch das Beste, die Senorita ziehen zu lassen. Man könnte sie später wieder einfangen, denn so ein Mädchen würde den Kavalleristen ja gewiss nicht entfliehen können.

Lolita behielt die Soldaten genau im Auge, während sie durch den Raum auf die Tür zueilte. Das Messer hielt sie sicher noch immer an die Brust.

»Fray Felipe, wollt Ihr mit mir kommen?«, fragte sie. »Man wird Euch womöglich bestrafen, wenn Ihr bleibt.«

»Und doch muss ich bleiben, Senorita. Ich kann nicht fortlaufen. Mögen die Heiligen Euch beistehen!«

Noch einmal blickte sie Gonzales und seinen Männern ins Gesicht.

»Ich werde durch die Tür gehen«, sagte sie. »Ihr werdet in diesem Zimmer bleiben. Draußen sind natürlich auch Soldaten, die versuchen werden, mich aufzuhalten. Ich werde ihnen sagen, dass ich von Euch die Erlaubnis habe zu gehen. Wenn sie nach Euch rufen und fragen, ob das stimmt, dann werdet Ihr das bestätigen.«

»Und wenn ich das nicht tue?«

»Dann benutze ich das Messer, Senor.«

Sie öffnete die Tür, drehte den Kopf einen Moment und blickte hinaus.

»Ich hoffe doch, Senor, Ihr reitet wirklich ein hervorragendes Pferd, ich habe nämlich vor, es mir zu nehmen«, erklärte sie dem Feldwebel.

Plötzlich sprang sie ins Freie und warf die Tür hinter sich zu.

»Ihr nach!«, schrie Gonzales. »Ich habe ihre Augen gesehen! Sie wird nicht zustoßen - sie hat Angst davor!«

Er wuchtete sich durch das Zimmer, gefolgt von den beiden Soldaten. Aber Fray Felipe war lange genug untätig gewesen. Jetzt schritt er zur Tat. Er hielt sich nicht damit auf, die Folgen zu überdenken. Er streckte ein Bein aus und brachte Sargento Gonzales zu Fall. Die beiden Kavalleristen stießen mit ihm zusammen, und alle fielen miteinander in einem Knäuel zu Boden.

Fray Felipe hatte ihr etwas Zeit verschafft, und das genügte. Die Senorita nämlich war zum Pferd gelaufen und in den Sattel gesprungen. Sie konnte reiten wie eine Indianerin. Ihre Füße reichten nicht bis zu den Steigbügeln des Feldwebels hinab, aber das beachtete sie gar nicht.

Sie riss den Kopf des Pferdes herum und trat ihm in die Flanke, als gerade einer der Soldaten um die Hausecke bog. Eine Pistolenkugel schwirrte an ihrem Kopf vorbei. Sie beugte sich tiefer über den Pferdehals und galoppierte los.

Inzwischen stand ein fluchender Feldwebel auf der Veranda, der seinen Männern zubrüllte, sie sollten aufsitzen und ihr folgen. Der Mond war wieder hinter einer Wolkenbank verschwunden. Es war nicht auszumachen, in welche Richtung die Senorita ritt, es sei denn, man horchte auf das Hufgeräusch. Und um das zu tun, musste man anhalten — und wer anhielt, verlor Zeit.