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Der junge Mann an der Rezeption schaute an mir vorbei, obwohl er mit mir sprach. »Bitte füllen Sie dieses Formular aus.« Er schob mir den Meldezettel und einen dunkelroten Kugelschreiber hin und schaute wieder auf den Bildschirm vor ihm. »Zimmer 202, hier ist der Schlüssel. Rechts um die Ecke befindet sich der Aufzug. Zweiter Stock, rechte Hand.«
Ich bedankte mich, nahm die Karte, die mein Schlüssel sein sollte, und begab mich auf das Zimmer. Es war ein kleines, günstiges Hotel in der Nähe des Bahnhofes. Den würde ich mir gleich noch einmal genauer anschauen. Mein Reiseführer schrieb, dass er sehenswert sei. Ich wuchtete meinen kleinen Koffer auf den Hocker, der neben dem schmalen Bett stand, und packte aus. Für drei Tage hatte ich das Zimmer gebucht, mit Option zu verlängern. Meine Kleidungsstücke hängte ich auf die vorgesehene Stange. Für einen Schrank war das Zimmer zu klein. Ich blieb einen Moment unschlüssig im Raum stehen und setzte mich auf das Bett.
Sollte ich sie jetzt anrufen? Ich kramte nach meinem Handy und suchte die Leipziger Nummer. Mein Herz raste. Ich drückte die Taste und wartete, bis die Verbindung stand.
»Sauer?«, erklang die bekannte Stimme.
»Hier ist Jessica Laumann. Ich bin gerade angekommen. Wie geht es Ihrem Mann?«
Kurz und bündig. Ich war hier, um etwas zu erfahren, und nicht um Höflichkeiten mit einer fremden Frau auszutauschen.
»Das ist aber eine Überraschung! Wie schön. Ewald geht es den Umständen entsprechend gut. Ich habe ihm erzählt, dass Sie kommen. Es hat ihn sehr gefreut. Er ist erschöpft, man hat ihm Beruhigungsmittel gegeben, aber er ist ansprechbar. Sollen wir ihn vielleicht morgen besuchen? Zum Glück ist alles gar nicht so schlimm, wie es gestern noch schien. Er ist hier aber auch in den besten Händen. Sie bleiben doch ein paar Tage, oder? Wo sind Sie untergekommen?«
»In einem Hotel direkt am Bahnhof. Im A & O.«
»Dann sind Sie ja mittendrin. Und so ein schöner Bau. Unser ehemaliges Reichspostgebäude der Kaiserzeit. Steht unter Denkmalschutz.« Sie machte eine Pause. Ob sie eine Erwiderung erwartete? »Darf ich Sie vielleicht für heute Abend zu uns nach Hause zum Essen einladen? Das ist Ewalds Idee gewesen, und ich würde mich sehr freuen, Sie kennenzulernen. Ich hab Sie ja schließlich hierhin gelockt.« Sie lachte.
Ich überlegte. Eine fremde Stadt, in der ich niemanden kannte. Einen Rundgang durch Leipzig hatte ich mir heute Nachmittag vorgenommen. Sonst gab es nichts für mich zu tun. »Ich möchte Ihnen keine Umstände bereiten.«
»Ach, ich bitte Sie. Darf ich Sie abholen?«
Ich nickte und sagte: »In Ordnung. Wann?«
»Um halb acht? Warten Sie vor dem Hotel? Ich freue mich.« Ihre Stimme klang wirklich, als ob sie es so meinte.
Ich wusste nicht, wie ich mich fühlen sollte, und legte auf.