Margot

»Können Sie etwas dazu sagen, warum Sie hier sind, Senatorin Cleary?«

»Präsidentin Moskalew wurde von einem Militärputsch entmachtet und aus ihrem Amt vertrieben, in das sie demokratisch gewählt wurde, Tunde. Das nimmt die Regierung der Vereinigten Staaten sehr ernst. Darf ich an dieser Stelle hinzufügen, wie erfreut ich bin, dass Sie die jüngere Generation an diese wichtigen geopolitischen Themen heranführen.«

»Die jüngere Generation muss schließlich in der Welt leben, die Sie aufbauen, Senatorin.«

»Das stimmt, und deshalb bin ich so erfreut, dass meine Tochter Jocelyn das Land mit mir als Teil der Delegation der Vereinten Nationen besucht.«

»Können Sie etwas zur jüngsten Niederlage der Truppen der Republik Bessapara gegen Nordmoldau sagen?«

»Das hier ist eine Party, mein Junge, keine Besprechung von Verteidigungsstrategien.«

»Sie müssen es ja wissen, Senatorin Cleary. Sie sitzen in … fünf strategischen Ausschüssen mittlerweile?« Er zählt sie an den Fingern ab: »Verteidigung, Auslandsbeziehungen, Heimatschutz, Staatshaushalt und Geheimdienst. Sie sind ein ganz schönes Machtzentrum, um einfach so an einer Party teilzunehmen.«

»Ich sehe, Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht.«

»Das habe ich, Ma’am. Nordmoldau wird vom saudischen Exilkönigshaus unterstützt, nicht wahr? Ist dieser Krieg mit Bessapara ein Testlauf, um Saudi-Arabien zurückzuerobern?«

»Die Regierung von Saudi-Arabien wurde demokratisch von ihren Bürgern gewählt. Die Vereinigten Staaten unterstützen die Demokratie auf der Welt und friedliche Regimewechsel.«

»Ist die Regierung der Vereinigten Staaten heute hier, um die Ölpipeline zu sichern?«

»In Moldau oder Bessapara gibt es kein Öl, Tunde.«

»Doch ein weiterer Regimewechsel in Saudi-Arabien könnte die Ölversorgung gefährden, nicht wahr?«

»Das kann nicht Thema sein, wenn wir über die Freiheit einer Demokratie sprechen.«

Fast hätte er gelacht. Ein feines Lächeln huscht über seine Lippen. »Nun gut«, sagt er. »Die Vereinigten Staaten wollen also lieber Demokratie fördern als Öl. Gut. Und was bedeutet Ihre Teilnahme an dieser Party heute Abend für den einheimischen Terrorismus in den USA?«

»Ich sage ganz deutlich«, erwidert Margot und blickt offen und aufrecht in Tundes Kamera, »die Regierung der Vereinigten Staaten hat keine Angst vor einheimischem Terrorismus oder den Menschen, die ihn finanzieren.«

»Und damit meinen Sie König Awadi-Atif von Saudi-Arabien?«

»Ich habe nichts weiter zu diesem Thema zu sagen.«

»Und können Sie mir sagen, warum man Sie hierher entsandt hat, Senatorin? Sie im Speziellen? Mit Ihren Beziehungen zu den NorthStar-Ausbildungslagern für junge Frauen? Hat man Sie deshalb ausgewählt?«

Margot lacht leise, was völlig ernst gemeint wirkt. »Ich bin nur ein kleiner Fisch, Tunde. Ich bin hier, weil ich eingeladen wurde. Und jetzt möchte ich gern die Party genießen und Sie doch sicher auch.«

Sie wendet sich ab und geht ein paar Schritte nach rechts. Wartet, bis sie hört, wie die Kamera ausgeschaltet wird.

»Machen Sie mir bloß keinen Ärger, mein Junge«, sagt sie aus dem Mundwinkel. »Ich bin auf Ihrer Seite.«

Tunde registriert die Worte »mein Junge«. Schweigt. Freut sich, dass die Tonaufnahme weiterläuft und er nur das Bild ausgeschaltet hat.

»Ich hätte Sie noch viel mehr in die Enge treiben können, Ma’am.«

Margot kneift die Augen zusammen. »Ich mag Sie, Tunde«, sagt sie. »Das Interview mit UrbanDox war gute Arbeit. Nach seiner Drohung mit Nuklearwaffen ist der Kongress aufgewacht und hat uns das Geld bewilligt, das wir brauchen, um das Land zu verteidigen. Haben Sie noch Kontakt zu diesen Leuten?«

»Manchmal.«

»Wenn Sie hören, dass man dort irgendetwas Großes plant, erzählen Sie es mir doch, nicht wahr? Es soll Ihr Schaden nicht sein. Sie wären sicher ein hervorragender PR-Berater für unsere Trainingslager.«

»Aha«, meint Tunde. »Ich lasse es Sie wissen.«

»Tun Sie das.«

Sie lächelt gewinnend. Zumindest will sie das. Doch sie hat das Gefühl, dass es eher wie ein anzügliches Grinsen wirken könnte. Warum müssen diese verdammten Journalisten auch so attraktiv sein. Sie kennt Tundes Videos; Maddy ist ein großer Fan, und er hat großen Einfluss auf die Wählerschaft zwischen achtzehn und fünfunddreißig.

Es ist wirklich seltsam, dass bisher noch keiner als Erfolg für Olatunde Edos Videos – neben seiner entspannten und zugänglichen Art – seine große Attraktivität genannt hat. In manchen Videos ist er halb nackt, vom Strand berichtet er in Badehose, und wie soll sie ihn denn jetzt noch ernst nehmen, da sie seine breiten Schultern und die schmale Taille gesehen hat, die Berge und Täler seiner Bauchmuskeln, sein wohlgeformtes Hinterteil … verdammt, sie braucht wirklich mal wieder Sex.

Himmel. Sie muss sich zusammenreißen. Unter den Teilnehmern der Delegation sind einige junge Männer; nach der Party wird sie ihnen einen Drink ausgeben, denn ihre Vorstellungskraft darf nicht jedes Mal Amok laufen, wenn sie einem hübschen Reporter gegenübersteht. Sie nimmt ein Schnapsglas vom Tablett eines vorbeieilenden Kellners und leert es in einem Zug. Ihre Beraterin Frances fängt ihren Blick durch den Raum auf und deutet auf ihre Armbanduhr. Es wird Zeit.

»Du musst zugeben«, flüstert sie Frances zu, als sie die Marmorstufen hinaufgehen, »hier weiß man, wie man herrschaftlich wohnt.«

Das Schloss wirkt, als hätte man es Stein für Stein aus Disneyland importiert. Vergoldete Möbel, sieben spitze Türmchen in verschiedenen Formen, manche sogar mit Goldspitze. Kiefernwälder im Vordergrund, Berge am Horizont. Ja, ja, ihr habt Geschichte und Kultur. Ja, ja, ihr seid jemand. Schon gut.

Tatjana Moskalew sitzt allen Ernstes auf einem Thron, als Margot den Raum betritt. Ein riesiges goldenes Ding, mit Löwenköpfen an den Armlehnen und einem roten Samtbezug. Margot unterdrückt ein Lächeln. Die Präsidentin von Bessapara trägt einen weiten weißen Pelzmantel und darunter ein goldenes Kleid. An jedem Finger blitzt ein Ring auf, zwei an jedem Daumen. Es wirkt, als hätte sie zu viele Mafiafilme gesehen. Vielleicht hat sie das ja auch. Hinter Margot schließt sich die Tür. Die beiden Frauen sind allein.

»Präsidentin Moskalew«, sagt Margot, »es ist eine Ehre, Sie kennenzulernen.«

»Senatorin Cleary«, erwidert Tatjana, »die Freude ist ganz auf meiner Seite.«

Die Schlange trifft den Tiger, denkt Margot; der Schakal grüßt den Skorpion.

»Bitte«, fährt Tatjana fort, »nehmen Sie sich ein Glas mit Eiswein. Der beste in ganz Europa. Von unseren Winzern in Bessapara.«

Margot trinkt einen Schluck und fragt sich, ob er wohl vergiftet sein könnte, verwirft den Gedanken aber schnell wieder. Es würde einen sehr schlechten Eindruck machen, wenn sie hier stürbe.

»Der Wein ist vorzüglich«, antwortet sie schließlich. »Ich habe aber auch nichts anderes erwartet.«

Tatjana lächelt schmallippig und distanziert. »Gefällt Ihnen Bessapara?«, fragt sie. »Haben Ihnen die Ausflüge gefallen? Musik, Tanz, der einheimische Käse?«

An diesem Morgen hatte Margot eine dreistündige Präsentation zur einheimischen Käseherstellung über sich ergehen lassen müssen. Drei Stunden. Über Käse.

»Oh, Ihr Land ist hinreißend, Präsidentin Moskalew – der Charme der alten Welt in Verbindung mit dem Ziel, gemeinsam die Zukunft anzugehen.«

»Ja.« Tatjana zeigt wieder ihr dünnes Lächeln. »Wir sind vielleicht das Land, das am meisten in die Zukunft denkt.«

»Oh, ja. Ich freue mich, morgen Ihren Technologiepark besichtigen zu dürfen.«

Tatjana schüttelt den Kopf. »Kulturell und sozial sind wir das einzige Land der Welt, das wirklich versteht, was dieser Wandel bedeutet. Ihn als Segen begreift. Als Einladung …« Sie sucht nach der richtigen Formulierung. »Eine Einladung zu einer neuen Lebensweise.«

Margot schweigt und nippt mit zustimmendem Gesichtsausdruck an ihrem Wein.

»Ich mag Amerika«, fährt Tatjana fort. »Mein verstorbener Ehemann Wiktor mochte die UdSSR, aber ich mag Amerika. Das Land der Freiheit. Das Land der Möglichkeiten. Gute Musik. Besser als russische.« Sie beginnt ein Lied zu singen, das Maddy zu Hause auch ständig gespielt hat: »When we drive, you so fast, in your car, all boom boom.« Ihre Stimme ist angenehm. Margot erinnert sich, irgendwo gelesen zu haben, dass Tatjana früher einmal Popstar werden wollte.

»Sollen wir eine Tour für die Band hier im Land organisieren?«

»Ich glaube, Sie wissen, was ich will. Senatorin Cleary, Sie sind eine kluge Frau.«

Margot lächelt. »Ich bin ganz sicher nicht dumm, aber ich kann keine Gedanken lesen, Präsidentin Moskalew.«

»Wir wollen«, antwortet Tatjana, »den amerikanischen Traum, hier in Bessapara. Wir wollen frei leben, nach unseren Vorstellungen. Wir wollen Möglichkeiten. Das ist alles.«

Margot nickt. »Das will jeder. Demokratie für alle ist Amerikas größter Wunsch für die Welt.«

Tatjana verzieht die Lippen zu einem hauchfeinen Lächeln. »Dann werden Sie uns also gegen den Norden unterstützen.«

Margot kaut einen Moment an ihrer Unterlippe. Jetzt wird es schwierig. Sie hatte gewusst, dass es darauf hinauslaufen würde.

»Ich … ich habe Gespräche mit dem Präsidenten geführt. Wir unterstützen Ihre Unabhängigkeit, nach dem Willen Ihrer Bevölkerung, doch wir können nicht in einen Krieg zwischen Nordmoldau und Bessapara eingreifen.«

»Sie und ich sind doch viel subtiler, Senatorin Cleary.«

»Wir können humanitäre Hilfe anbieten sowie Friedenstruppen.«

»Sie können im UN-Sicherheitsrat gegen jedwede Maßnahmen, die gegen uns beschlossen werden sollen, stimmen.«

Margot runzelt die Stirn. »Aber im UN-Sicherheitsrat werden doch gar keine Maßnahmen gegen Bessapara besprochen.«

Tatjana stellt ihr Glas betont beiläufig auf den Tisch vor sich. »Senatorin Cleary, mein Land wurde von einigen seiner männlichen Einwohner verraten. Wir wissen das. In der Schlacht bei Dnister sind wir unterlegen, weil der Norden wusste, wo unsere Truppen postiert sein würden. Männer aus Bessapara haben die Informationen an unsere Feinde im Norden verkauft. Manche haben wir gefunden. Manche haben gestanden. Wir müssen etwas unternehmen.«

»Das ist natürlich Ihr Vorrecht.«

»Sie werden nicht einschreiten. Sie werden unsere Pläne unterstützen.«

Margot lacht leise. »Ich bin nicht sicher, ob ich etwas so Drastisches versprechen kann, Präsidentin Moskalew.«

Tatjana steht auf und stellt sich ans Fenster. Ihre Silhouette zeichnet sich vor der hell erleuchteten Umgebung des Schlosses ab.

»Sie arbeiten mit NorthStar, nicht wahr? Private Streitkräfte. Sie sind ein Shareholder. Ich mag NorthStar. Mädchen zu Soldatinnen ausbilden. Sehr gut. Davon brauchen wir mehr.«

Oh. Das hatte Margot nicht erwartet. Doch es klingt vielversprechend.

»Ich verstehe nicht ganz, wo hier die Verbindung sein soll, Präsidentin Moskalew«, meint sie, auch wenn sie langsam eine ungefähre Vorstellung bekommt.

»NorthStar will das UN-Mandat, damit es eigene NorthStar-Truppen mit Soldatinnen nach Saudi-Arabien schicken kann. Die Regierung in Saudi-Arabien bricht zusammen. Der Staat ist instabil.«

»Wenn die UNO das Mandat genehmigt, wäre das für die Welt sicher sinnvoll, ja. Die Energieversorgung sichern, der Regierung durch eine schwierige Übergangsphase helfen.«

»Das Mandat würde leichter genehmigt«, sagt Tatjana, »wenn eine andere Regierung schon erfolgreich NorthStar-Truppen im Land stationiert gehabt hätte.« Tatjana verstummt, geht zum Tisch, gießt sich noch ein Glas Eiswein ein, ebenso wie für Margot. Sie wissen beide, auf was das hinausläuft. Ihre Blicke treffen sich. Margot lächelt.

»Sie wollen also selbst NorthStar-Frauen stationieren.«

»Als meine private Armee, hier und an der Grenze.«

Das wäre sehr lukrativ. Sogar noch lukrativer, wenn sie den Krieg gegen den Norden gewinnen und das Vermögen der Saudis beschlagnahmen. Wenn NorthStar als private Armee hier wäre, hätten sie ihr Ziel erreicht. Der Verwaltungsausschuss wäre nur zu gern bereit, die Zusammenarbeit mit Margot Cleary bis ins Unendliche fortzusetzen, wenn sie diesen Deal abschloss.

»Und im Austausch wollen Sie …«

»Wir werden unsere Gesetze ein wenig anpassen. Während dieser unruhigen Zeiten. Um zu verhindern, dass Verräter unsere Geheimnisse an den Norden verraten. Wir wollen, dass Sie an unserer Seite sind.«

»Wir wollen nicht in die Angelegenheiten einer unabhängigen Nation eingreifen«, erwidert Margot. »Kulturelle Unterschiede müssen respektiert werden. Ich weiß, dass der Präsident meinem Urteil in dieser Sache vertrauen wird.«

»Gut«, erwidert Tatjana und blinzelt langsam mit ihren grünen Augen. »Dann verstehen wir uns ja.« Sie verstummt. »Wir müssen uns nicht fragen, was der Norden tun wird, wenn er gewinnt, Senatorin Cleary. Das haben wir bereits in Saudi-Arabien gesehen. Wir beide sind auf der richtigen Seite.«

Sie hebt ihr Glas, und die beiden Frauen stoßen vorsichtig an.

Ein großer Tag für Amerika. Ein großer Tag für die Welt.

Der Rest der Party ist genauso langweilig, wie Margot erwartet hat. Sie schüttelt die Hände von ausländischen Würdenträgern und religiösen Führern sowie von Menschen, die gut und gern Kriminelle und Waffenhändler sein könnten. Sie wiederholt immer wieder dieselben Sätze, von »dem tiefen Mitgefühl der Vereinten Nationen mit den Opfern von Unrecht und Tyrannei und dem Wunsch nach einer friedlichen Lösung der Situation hier in dieser schwer geprüften Region«. Als Tatjana den Raum betritt, entsteht Unruhe, doch Margot kann den Grund dafür nicht erkennen. Sie bleibt bis halb elf Uhr abends – weder zu früh noch zu spät, um eine Party zu verlassen. Auf dem Weg zum Diplomatenwagen trifft sie wieder auf Tunde.

»Entschuldigung«, sagt er, als er etwas zu Boden fallen lässt und es sofort wieder aufhebt, sodass sie den Gegenstand nicht erkennen kann. »Entschuldigung. Tut mir leid … Ich … ich habe es etwas eilig.«

Sie lacht. Der Abend war schön. Sie berechnet im Kopf bereits den Bonus, den sie von NorthStar bekommen wird, wenn alles nach Plan läuft, und stellt sich die Spenden der verschiedenen Lobbygruppen für den nächsten Wahlkampf vor.

»Warum die Eile?«, fragt sie. »Laufen Sie doch nicht weg. Brauchen Sie eine Mitfahrgelegenheit?«

Sie deutet auf den Wagen, dessen Tür einladend offen steht. Er verbirgt seinen panischen Gesichtsausdruck hinter einem Lächeln, jedoch nicht schnell genug.

»Ein anderes Mal gern.«

Sein Pech.

Im Hotel spendiert sie einem der Juniormitarbeiter der amerikanischen Botschaft in der Ukraine ein paar Drinks. Er ist aufmerksam – warum sollte er das auch nicht sein? Von ihr wird man noch viel hören. Sie legt ihre Hand auf seinen festen jungen Hintern, als sie gemeinsam mit dem Fahrstuhl in ihre Suite fahren.