Darrell

»Sie haben mich aus dem Büro hergeschickt«, sagt die schwerfällige Irina. »Eine Soldatin ist auf einem der Wege hinter dem Grundstück.«

Verdammt.

Zurück im Büro blicken sie auf den Überwachungsbildschirm. Die Fabrik befindet sich acht Meilen von der Hauptstraße entfernt, die Einfahrt ist hinter Hecken und Wald verborgen. Man muss wissen, wonach man sucht, um sie zu finden. Doch da ist tatsächlich eine Soldatin, ein Stück vom Zaun entfernt. Sie scheint allein zu sein. Die Fabrik ist noch weit weg, von ihrem Standpunkt aus kann sie sie nicht sehen. Aber sie ist da, geht am Zaun entlang und fotografiert mit ihrem Handy.

Die Frauen im Büro sehen zu Darrell.

Alle denken: Was würde Roxy tun? Als stünde es auf ihre Stirn geschrieben.

Darrell spürt, wie der Strang in seiner Brust zu pochen und zu zucken beginnt. Immerhin hat er auch damit trainiert. Ein Teil von Roxy ist hier, und dieser Teil weiß, was zu tun ist. Er ist stark. Stärker als jeder andere. Er darf den Frauen nicht zeigen, wozu er imstande ist, Bernie hat sich da sehr deutlich ausgedrückt, diese Katze darf noch nicht aus dem Sack gelassen werden. Bis er bereit ist, den höchsten Bietern in London vorgeführt zu werden als Beispiel dessen, was möglich ist … bis dahin muss er es geheim halten.

Der Strang flüstert ihm zu: Sie ist nur eine Soldatin. Geh raus und jag ihr einen Schrecken ein.

Macht weiß, was zu tun ist. Kennt die Logik dahinter.

Er sagt, ihr da, beobachtet den Bildschirm. Ich gehe raus.

Als er den langen Kiespfad entlanggeht und das Tor des Zauns öffnet, spricht er mit seinem Strang.

Lass mich jetzt nicht im Stich. Ich habe viel Geld für dich bezahlt. Wir können das gemeinsam schaffen, du und ich.

Der Strang gehorcht, an Darrells Schlüsselbein geschmiegt wie früher an Roxys, summt und zischt. Ein gutes Gefühl, das Darrell zwar erwartet, das sich bisher aber noch nicht bestätigt hatte. Ein bisschen, als wäre man betrunken, aber auf gute Art, bei der man sich stark fühlt. Als könnte man es mit jedem aufnehmen, und in diesem Fall kann man das ja auch.

Der Strang spricht zu ihm.

Er sagt: Ich bin bereit.

Er sagt: Komm schon, mein Junge.

Er sagt: Was du auch brauchst, ich habe es.

Der Kraft ist es egal, wer sie nutzt. Der Strang rebelliert nicht gegen ihn, weiß nicht, dass er nicht sein rechtmäßiger Besitzer ist. Er sagt nur: Ja. Ja, ich bin bereit. Ja. Alles unter Kontrolle.

Er formt einen kleinen Lichtbogen zwischen Daumen und Zeigefinger. An das Gefühl hat er sich immer noch nicht gewöhnt. Es kitzelt unangenehm auf der Haut, doch in seiner Brust fühlt es sich stark und richtig an. Er sollte sie einfach gehen lassen, doch er kann es mit ihr aufnehmen. Das wird ihnen zeigen, dass mit ihm nicht zu spaßen ist.

Als er einen Blick zurück zur Fabrik wirft, drängen sich die Frauen an den Fenstern und beobachten ihn. Ein paar sind ihm auf den Weg gefolgt, um ihn im Auge zu behalten. Hinter vorgehaltener Hand flüstern sie sich etwas zu. Eine formt einen langen Bogen zwischen den Handflächen.

Hinterhältige Fotzen, so wie sie ihm folgen, stetig näher rücken. Roxy war all die Jahre viel zu nachsichtig mit ihnen gewesen, hat ihnen ihre komischen kleinen Zeremonien gestattet und Glitter in ihrer Freizeit. Bei Sonnenuntergang gehen sie in den Wald und kommen erst im Morgengrauen zurück, und er kann noch nicht mal was dagegen sagen, weil sie pünktlich sind und ihre Arbeit machen, doch irgendwas geht vor sich, er riecht es geradezu. Sie haben hier eine verdammte Kultur aufgebaut, und er weiß, dass sie über ihn reden, und er weiß auch, dass er ihrer Meinung gar nicht hier sein sollte.

Er duckt sich so tief, dass sie ihn nicht kommen sehen kann.

Hinter Darrell versammeln sich immer mehr Frauen.