Diese Dinge geschehen alle gleichzeitig. Sie sind eins. Sie sind die unausweichliche Folge dessen, was bisher passiert ist. Die Kraft sucht ein Ventil. Diese Dinge haben sich schon zuvor ereignet, und das werden sie auch wieder. Ein endloser Kreislauf.
Der vormals strahlend blaue Himmel überzieht sich mit grauschwarzen Wolken. Ein Gewitter wird kommen. Es hat sich schon lange angekündigt, der Boden ist staubig, dürstet nach wirbelnden Wassermassen. Denn die Erde ist voller Gewalt, und alle Lebewesen sind vom Weg abgekommen. Im Norden und im Süden, im Osten und im Westen sammelt sich das Wasser am Himmel.
Im Süden schließt Jocelyn Cleary das Verdeck ihres Jeeps, während sie eine verborgene Abzweigung nimmt und über einen Schotterweg fährt, der zu etwas Interessantem führen könnte. Im Norden wachen Olatunde Edo und Roxanne Monke bei Regen auf, der auf das Blechdach ihres Unterschlupfes trommelt. Im Westen blickt Mother Eve, die man früher Allie nannte, hinaus in das dräuende Gewitter und fragt sich: Ist die Zeit gekommen? Und hört sich selbst antworten: Nach was sieht’s denn aus?
Im Norden war es zu einem Massaker gekommen; die Gerüchte stammen aus zu vielen Quellen, um sie zu ignorieren. Tatjanas eigene Truppen waren die Täterinnen, denen die Macht zu Kopf gestiegen war, die verrückt geworden waren über Verzögerungen und den ständigen Parolen, jeder Mann könne einen verraten, jeder könne für den Norden arbeiten. Oder hatte Tatjana sich einfach nie die Mühe gemacht, ihre Soldatinnen in Schach zu halten? Vielleicht wäre sie sowieso wahnsinnig geworden, ganz egal, was Mother Eve mit ihr angestellt hat.
Roxy ist verschwunden. Tatjana hat ihre Truppen nicht mehr unter Kontrolle. Innerhalb weniger Wochen wird es einen Militärputsch geben, wenn niemand die Sache in die Hand nimmt. Dann wird Nordmoldau in das Land einmarschieren und Zugriff auf die chemischen Waffen in den Städten im Süden bekommen.
Allie sitzt in ihrem ruhigen Arbeitszimmer, blickt auf den aufziehenden Sturm hinaus und zieht Bilanz.
Die Stimme sagt: Ich habe dir immer gesagt, dass dir Großes bevorsteht.
Allie antwortet: Ja, ich weiß.
Die Stimme sagt: Man bringt dir nicht nur hier, sondern überall Respekt entgegen. Frauen aus der ganzen Welt würden hierherkommen, wenn du über das Land herrschen würdest.
Allie antwortet: Ich weiß, das habe ich doch gesagt.
Die Stimme sagt: Worauf wartest du dann noch?
Allie antwortet: Die Welt versucht, zu ihrer alten Form zurückzufinden. Was wir getan haben, war noch nicht genug. Es gibt immer noch Männer mit Geld und Einfluss, die damit ihren Willen durchsetzen können. Selbst wenn wir gegen den Norden gewinnen. Was setzen wir hier in Gang?
Die Stimme sagt: Du willst die ganze Welt auf den Kopf stellen.
Allie antwortet: Ja.
Die Stimme sagt: Ich verstehe dich, aber ich weiß nicht, wie ich es noch sagen soll. Von hier aus erreichst du diesen Punkt nicht. Du musst neu anfangen. Wir müssen noch mal vollständig von vorne beginnen.
Allie fragt: Eine Sintflut?
Die Stimme sagt: Das wäre eine Möglichkeit. Aber du hast noch andere Optionen. Denk darüber nach. Sobald du es getan hast.
Es ist spät in der Nacht, Tatjana sitzt an ihrem Schreibtisch und unterzeichnet Befehle an ihre Generäle. Sie wird weiter gegen den Norden ankämpfen, was in einem Desaster enden wird.
Mother Eve stellt sich hinter sie und legt ihr tröstend eine Hand auf den Rücken, wie schon so oft. Tatjana Moskalew fühlt sich dann ruhiger, auch wenn sie nicht genau sagen kann, warum.
Tatjana sagt: »Ich tue das Richtige, nicht wahr?«
Allie antwortet: »Gott wird immer an deiner Seite sein.«
Der Raum wird von versteckten Kameras überwacht. Ein weiteres Zeichen von Tatjanas Paranoia.
Eine Uhr schlägt. Ein, zwei, drei Mal. Es ist an der Zeit.
Allie beruhigt mit ihrem ganz speziellen Sinn die Nerven in Tatjanas Hals, Schultern und Schädel. Die Präsidentin schließt die Augen, ihr Kopf sinkt nach vorne.
Plötzlich greift Tatjanas Hand, als gehöre sie gar nicht zu ihr, als wüsste sie nicht, was sie da tut, nach dem kleinen scharfen Brieföffner, der auf den Dokumenten liegt.
Allie spürt, wie ihr die Muskeln und Nerven zu widerstehen versuchen, doch sie sind an ihre Anwesenheit gewöhnt, ebenso wie sie an ihre Gegenwehr. Hier die Reaktion etwas abschwächen, da verstärken. Wenn Tatjana nicht so viel getrunken und ein Mittel nach Allies eigener Rezeptur genommen hätte, das Roxy in ihrer Drogenfabrik für sie zusammengebraut hat, wäre es nicht so einfach. Ganz leicht ist es jetzt auch nicht, aber machbar. Allie nimmt Kontakt zu Tatjanas Hand mit dem Brieföffner auf.
Ein Geruch nach vergorenem Obst breitet sich im Raum aus. Doch dieser entgeht den versteckten Kameras.
Tatjana Moskalew schlitzt sich mit dem kleinen scharfen Messer die Kehle auf, wahnsinnig geworden über ihren drohenden Machtverlust, so schnell, dass Mother Eve nicht eingreifen kann. Und niemand hätte es vorhersehen können.
Mother Eve weicht mit einem Aufschrei zurück, ruft um Hilfe.
Tatjana Moskalew verblutet über ihrem Schreibtisch. Ihre rechte Hand zuckt, als sei sie noch am Leben.