19
Gisèle hatte die Augen bereits geöffnet, bevor der Tag erwachte. Als die Sonne um zehn Minuten vor sechs ihr erstes Licht durch die Vorhänge schickte, stand sie auf und machte sich einen Kaffee. Während sie ihn trank, strich sie über den Brief, den sie mit nach Hause genommen hatte, und las ihn noch einmal durch.
Wehe, ihr Sünder, denn eure Verfehlungen blieben IHM nicht verborgen. Also seid bereit, wenn der Tag des Gerichts gekommen ist.
Gisèle schauderte. Die Weissagung machte ihr Angst. War das Ende der Welt tatsächlich nur noch einen Wimpernschlag entfernt? Auch wenn sie kein abergläubischer Mensch war, so gab es doch genügend Anzeichen, dass die Welt aus den Fugen geriet. Überall Katastrophen, Kriege, Hass. Selbst in ihrem schönen Frankreich gingen die Menschen auf die Straße, um Denkmäler anzuzünden und Geschäfte zu plündern. Und dann die vielen Angriffe auf Kirchen. Es war wohl das, was sie am meisten erschütterte.
Drei Kirchen, hatte sie neulich gelesen, wurden täglich Opfer von Vandalismus. Die Église Saint-Jacques in Grenoble hatte ebenso gebrannt wie die Pariser Saint-Sulpice im sechsten Arrondissement. Nicht immer war es Brandstiftung. Bei Notre-Dame in Paris hatte vermutlich ein Kurzschluss das Feuer entfacht, das den gesamten Dachstuhl zerstörte und die historischen Mauern durch die Hitze, den Rauch und das Löschwasser schwer beschädigt zurückließ.
Aber was war mit dem aufgebrochenen Tabernakel, dem verwüsteten Chorraum in Dijon, den in ein Kreuz aus Exkrementen gedrückten Hostien in Nîmes? Mit den Einschusslöchern an Kirchenfenstern, den beschädigten Marienstatuen und Kreuzen, den obszönen Schmierereien? Ja, selbst die Zahl des Teufels prangte an einem Altar. Der enthauptete Christus auf dem Hochaltar von Saint-Gilles-Croix-de-Vie hatte in der Öffentlichkeit kaum mehr als ein entsetztes Raunen ausgelöst. Früher hätte sich niemand so etwas getraut, es herrschten ein natürlicher Respekt und die Furcht vor der Strafe Gottes.
All das hatte nachgelassen – und niemand schien sich ernsthaft daran zu stören. In ihr entstand ein Gefühl der Haltlosigkeit in einer Zeit, in der es sie nach Halt verlangte.
Als sie dem Bürgermeister von der möglichen Furcht der Dorfbewohner erzählt hatte, da hatte sie in Wahrheit sich selbst gemeint. Monsieur le maire Marechal hatte recht gehabt. Das Beste wäre es, dieses Thema mit dem Pfarrer zu besprechen. Er hatte sicher die richtige Antwort und würde ihr etwas mit auf den Weg geben, das sie beruhigte.
Es war kurz nach sieben, als Gisèle die Haustür verschloss und auf den Chemin des Liserons trat. Sie atmete tief ein. Die Luft war bereits warm, aber noch trug sie die Sanftheit des Morgens mit sich.
Sainte-Valérie war menschenleer. In wenigen Minuten würden die ersten Lieferanten in ihren Kleinlaster über das Pflaster rumpeln und Gemüsekisten, Fleisch und Fisch zu den Restaurants und Bistros bringen. Madame Orset war sicher schon auf dem Rückweg vom Blumengroßmarkt in Carpentras, um ihre Ware zum Geschäft in der Rue du Porteil zu fahren, bevor die Straße für den Lieferverkehr gesperrt war.
Als Gisèle in die Rue du Pontis bog, sah sie Charlotte, die gerade vom Fahrrad stieg und es vor ihrer Épicerie abstellte. Sie trug ein helles, mit Blumen bedrucktes Kleid und hatte die kastanienbraunen Locken zu einem Zopf zurückgebunden. Sie sah sehr mädchenhaft aus, fand Gisèle, und dennoch hatte sie die Ausstrahlung einer Frau, die wusste, was sie wollte. Von Charlotte ging eine Energie aus, um die Gisèle sie beneidete. Sie selbst war, seit sie die Weissagung gelesen hatte, durchdrungen von einer bleiernen Schwere. Jeder Schritt war mühsam, und obwohl sie gerade mal sechzig Jahre alt war, fühlte sie sich wie eine Greisin.
Gisèle blieb stehen. Die Kirche war vielleicht noch gar nicht geöffnet, daher beschloss sie, einen kleinen Umweg zu machen, und folgte der Straße bis zur Épicerie .
»Bonjour , Charlotte«, sagte sie.
Die Angesprochene hob den Kopf, und von ihrem Lächeln ging ein Strahlen aus, das Gisèles Herz erwärmte.
»Bonjour , Gisèle. Ist das nicht ein herrlicher Morgen?«
»Noch, Mademoiselle Berg, noch. Im Radio haben sie davor gewarnt, sich ab dem Vormittag ohne Kopfbedeckung draußen aufzuhalten. Und man solle viel trinken.«
Charlotte griff in den Korb auf dem Gepäckträger und hob eine Wasserflasche an. »Voilà , es ist für alles gesorgt.« Sie lächelte. »Gut, dass ich Sie treffe, ich hatte ohnehin vor, Sie aufzusuchen. Es geht um das Schreiben, das Sie neulich erwähnt haben. Die Einladung zur außerordentlichen Gemeinderatssitzung an Pierre.«
»Und?« Gisèle spürte, wie sich eine aufgeregte Röte auf ihre Wangen legte.
»Ich habe gestern noch mit Pierre telefoniert und ihn gefragt, ob er es jemals erhalten hat. Aber er meinte, es sei nie angekommen.«
»Tatsächlich?« Die Röte verstärkte sich.
»Vielleicht ist es irgendwo hängen geblieben. Pierre sagte, er wäre der Einladung gerne nachgekommen. Aber nun ist es ja egal, nicht wahr? Die Suspendierung ist endlich aufgehoben.«
»Tatsächlich?«, antwortete Gisèle. Dann erinnerte sie sich an das Telefonat des Bürgermeisters mit dem Präfekten, von dem sie kaum mehr als ein paar Satzfetzen verstanden hatte. »Dann hat Monsieur le préfet Fardoux unseren Bürgermeister wohl überzeugt.«
»So ist es. Das ist eine große Erleichterung für uns alle.«
Sie verabschiedeten sich, und Gisèle ging weiter die Gasse hinauf bis zur Église Saint-Michel .
Pierre Durand war also wieder im Amt. Dennoch wollte sich die Freude darüber nicht in ihr ausbreiten. Am Ende blieb das Misstrauen. Der Brief sei nie angekommen, hatte Charlotte erzählt. Hatte der Bürgermeister diese Aussprache tatsächlich verhindern wollen? Hatte er sein Amt missbraucht, um seine eigenen Interessen zu verfolgen? Mit Vehemenz drückte sie die Empörung hinunter.
Sicher war alles nur ein riesengroßes Missverständnis. Am Ende zählte das Ergebnis. Jetzt, da Monsieur Durand bald seinen alten Posten wiederaufnehmen würde, war alles gut.
Sie würde sich nun um die Belange der Dorfgemeinschaft kümmern und mit Monsieur le curé François Reneuve reden, um ihrer Sorge über die Weissagungen Ausdruck zu verleihen.
Die Église Saint-Michel war ein imposanter Bau, dessen Turmspitze sich über die rostbraunen Dächer der umliegenden Häuser erhob, so als würde sie – so kam es Gisèle vor – sich emporrecken, um über das Dorf zu wachen.
Aufrecht ging sie die Stufen zum Portal hinauf und drückte den Griff hinunter. Es war offen, und sie trat ein.
Im Inneren war es angenehm kühl. Das Gemäuer aus dickem Stein sperrte die Hitze der vergangenen Tage aus.
Die Kirche war leer. Bei den Messen war es kaum anders. Gisèle dachte, es war einige Jahre her, dass sie das Gotteshaus voll erlebt hatte. Außer an den Festtagen, wo sich die Menschen sogar in den Gängen und auf den Stufen zur Empore drängten. Ansonsten kamen kaum mehr als zehn, zwölf Personen, vorwiegend ältere Menschen. Und ab und zu der Bürgermeister mit seiner Familie.
Abgesehen natürlich von den Touristen. Doch die zählten nicht. Für sie war die Kirche bloß ein Ort zum Staunen und Fotografieren. Manch einer mochte die alten Fresken und die ikonische Malerei bewundern oder eine Kerze anzünden, um der Verstorbenen zu gedenken. Aber die wenigsten standen sonntags in der Früh auf, um der Messe zu lauschen, die bereits um neun Uhr begann. Viel zu früh für die Gäste, deren Lachen noch bis weit in die Nacht über das Pflaster schallte.
Ja, es hatte sich einiges geändert in den vergangenen Jahrzehnten. Und wenn sie es genau bedachte, dann war es kein Wunder, dass sich niemand öffentlich erhob, um die mutwillige Zerstörung der Kirchen zu beklagen. Es war ja kaum noch jemand da, der sich ihnen verbunden fühlte.
Gisèle tauchte die Finger in das Weihwasserbecken an der Wand neben dem Eingang und bekreuzigte sich, bevor sie durch die Reihen ging. Kurz vor dem Altar machte sie einen tiefen Knicks und schlug noch einmal ein Kreuz vor ihrer Brust. Dann ging sie weiter in Richtung Sakristei, aus der schleifende Geräusche drangen.
»Monsieur le curé ? Sind Sie da?«
Ein Hüsteln erklang, dann Schritte. François Reneuve trat in den Chorraum, er trug eine schwarze Soutane, zusammengehalten von einer seidenen Schärpe. Er sah gut aus, weise und erhaben, obwohl er höchstens Anfang fünfzig war. Er war jemand, der sein Amt ernst nahm, selbst in seiner Freizeit, wo er stets eine schwarze Hose samt Collarhemd mit weißem Kragen trug.
Auch das war heutzutage nicht mehr selbstverständlich. Gisèle hatte schon erlebt, dass Pfarrer im Alltag schlecht sitzende Pullover anzogen und sich einen Kreuzanstecker an die Brust hefteten, um sich als Geistliche zu erkennen zu geben. Offenbar wollten sie sich modern und weltoffen präsentieren. Sie seufzte unhörbar. Die modernen Zeiten waren nichts für sie, das musste sie zugeben, und es kam immer häufiger vor, dass sie sich wie ein Fossil fühlte, das einer längst vergangenen Epoche entstammte.
»Meine liebe Gisèle. Wie schön, Sie hier zu sehen!« François Reneuve nahm ihre Rechte in beide Hände und umschloss sie warm.
»Ich habe ein Anliegen«, flüsterte sie, plötzlich befangen. Sie entzog ihm ihre Hand, nahm den Umschlag aus der Tasche und reichte ihn dem Pfarrer. »Der Bürgermeister sagte, Sie möchten sich den Text einmal ansehen. Einige Gemeindemitglieder sind sicher beunruhigt.«
Er warf ihr einen erstaunten Blick zu, dann zog er die Seiten heraus. Seine Augen glitten über das Papier, er wiegte den Kopf und ließ die Blätter schließlich sinken.
»Woher haben Sie das?«
»Es handelt sich um eine Weissagung, die zurzeit als Kettenbrief in Umlauf ist. Sagen Sie, ist sie … echt? Ist mit der stigmatisierten Nonne Bernadette, von der sie stammen soll, die heilige Bernadette Soubirous von Lourdes gemeint?«
»Nein, das ist keine ihrer Voraussagen. Sie enthalten zwar auch Prophezeiungen, die sich bereits erfüllt haben, und eine davon erzählt sogar vom Ende der Welt, wie wir sie kennen. Von einer fürchterlichen Schlacht, auf die ein neues Zeitalter des Glaubens folgt, ein Jahrhundert des Friedens und der Freude.«
Gisèle nickte eifrig. »Ja, ich kenne ihre Weissagungen, aber kann es sein, dass diese hier bisher unentdeckt war? Oder existiert noch eine andere Bernadette, die auch Marienerscheinungen hatte?«
»Nein, ganz sicher nicht. Der Text entstammt auch nicht der Bibel, bis auf den Beginn der ersten Prophezeiung. Im Psalm 133 steht wörtlich: ›Siehe, wie schön und wie lieblich ist es, wenn Brüder beieinander wohnen‹ . Das gilt sowohl für leibliche Geschwister als auch für die geistliche Gemeinschaft der Gläubigen. Es geht um die Einheit, die Vermeidung von Spaltung und Hass.«
»Und der restliche Teil?«
Er hob noch einmal den Brief an und schüttelte schließlich den Kopf. »Das da bezieht sich meines Erachtens auf die Offenbarung des Johannes. Doch es gibt kaum ein Buch der Bibel, das so häufig missverstanden wurde wie dieses. So auch hier.« Er tippte auf das Papier. »Der ganze Inhalt handelt nur von der Dunkelheit und vergisst dabei das Licht, das am Ende steht.«
Gisèle schöpfte Hoffnung »Sie glauben also, es handle sich nur um eine Interpretation.«
»Ja, aber dabei ist dem Verfasser einiges durcheinandergeraten.« Der Pfarrer lächelte sanft. »Viele Menschen machen sich ihren eigenen Reim auf das Buch des Johannes und missbrauchen Gottes Wort für ihre Zwecke. Wie viele haben sich schon darum bemüht, die Zeilen ihren eigenen Wahrnehmungen entsprechend zu interpretieren, selbst innerhalb der katholischen Kirche! Auch das Internet ist voll mit solchen Auslegungen, es ist eine Schande, wie sehr das Ganze verzerrt wird. Manch einer versteigt sich sogar darauf, die Kirche als angebliche Hure Babylons zu enttarnen, weil er sie auf die Skandale reduziert und damit alle ehrbaren, das Wort Gottes lebenden, das Licht verkündenden Diener mit den wenigen Sündern gleichsetzt.« Er hob seufzend die Schultern. »Ich gebe zu, die starken Bilder und Gleichnisse, mit deren Hilfe Johannes die Ankündigung eines Weltgerichtes beschreibt, laden dazu ein. Aber sie dient nicht der Warnung vor einer düsteren Zukunft oder gar dem Ende der Welt, sondern beschreibt einen Zustand. Die Offenbarungen des Johannes waren ein Schreiben an die christlichen Gemeinden, verfasst gegen Ende des ersten Jahrhunderts, zum Trost und zur Hoffnung. Es waren dunkle, bedrohliche Zeiten, in denen die Christen verfolgt wurden. Eine gottlose Welt, in der man die Gläubigen abschlachtete, den Tieren zum Fraß vorwarf oder sie als Fackeln verbrannte. Zur Belustigung des Mobs.«
Gisèle stieß einen spitzen Schrei aus und schlug die Hände vor den Mund. »Das ist ja schrecklich!«
»Oh ja. Auch heute werden christliche Gemeinden wieder bedroht, vor allem in islamischen Ländern, zunehmend auch in China.«
Gisèle nickte eifrig. »Ich habe darüber gelesen. Mehr als zweihundert Millionen Christen weltweit werden verfolgt, und obwohl die Öffentlichkeit davon weiß, kenne ich kein einziges christlich geprägtes Land, das dagegen protestiert. Eigentlich müssten wir uns dagegen erheben. Aber alle sind wie gelähmt.«
Der Pfarrer sah sie mit väterlichem Blick an. »Das ist nicht unsere Aufgabe. Die Bibel lehrt uns Barmherzigkeit und die Feindesliebe.«
»Und was ist mit den Opfern?«
Er lächelte. »Wir sind das Lamm … und das Lamm ist das Licht und wird am Ende an Gottes Seite sitzen. Apokalypse bedeutet nämlich nichts anderes als Offenbarung, und hier ist es die Aussicht auf ein gutes Ende, auf den Sieg Gottes, eine Verheißung seiner Gerechtigkeit. Auf Schutz und Schirm der Gottesmutter, unter dem wir gerettet werden.«
Gisèle nickte, sie wusste, worauf er anspielte. Der Beginn des zwölften Kapitels war Teil der Marienfeste. »›Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel‹«, flüsterte sie. »›Eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf seinem Haupt.‹«
François Reneuves Lächeln wurde noch sanfter. »Es ist ein schönes Bild, nicht wahr? Derer gibt es noch viel mehr, doch sie finden keinen Platz in diesem stümperhaften Text.« Er hob die Hand und schüttelte den Brief.
Gisèle folgte seiner Bewegung und mühte sich, aus den Worten des Pfarrers Trost zu ziehen. Aber sie erschienen ihr so fern, erreichten ihr Herz nicht. Hatte Gott wirklich gewollt, dass wir uns lammgleich dem schrecklichen Schicksal ausliefern, ohne jede Gegenwehr? Würden dann nicht am Ende die Guten und Sanften von den Aggressiven und Bösen ausgelöscht?
»Jemand ist zu Tode gekommen, Monsieur le curé «, wandte sie mit fester Stimme ein. »Man hat einen Mann aufgefunden, mit geschwärztem Gesicht.«
Der Pfarrer erstarrte. Er schlug ein Kreuz vor der Brust, bevor er wieder zu sprechen begann.
»Das ist eine Anspielung auf Kain. Die schwarze Farbe ist sein Mal. Auch dieses Detail wird gern aus dem Zusammenhang gerissen. Jemanden anzuschwärzen bedeutet heutzutage, einen Sünder zu verraten. Aber der Brudermörder wurde in Gottes Güte geschwärzt, damit seine Gegner ihn erkannten und nicht erschlugen. Dieses Zeichen ist kein Schandfleck, es ist ein Schutz gegen Blutrache.« Er reichte ihr den Brief. »Haben Sie keine Furcht, Gisèle. Derjenige, der das hier geschrieben hat, mag ein leidlich guter Dichter sein, aber er ist kein mit der Bibel vertrauter Christ. Ich bin froh, dass Sie die Prophezeiungen angesprochen haben, ich werde sie in meiner nächsten Messe erwähnen und dafür Sorge tragen, dass dieser Schmutz keine weitere Verbreitung findet.«
Gisèle trat einen Schritt zurück und ließ die Arme sinken. Sie würde diesen Brief nicht mehr anrühren.
»Ich danke Ihnen«, flüsterte sie. Damit drehte sie sich um und eilte hinaus.
Erst nachdem sie die Kirche verlassen hatte, wagte sie aufzuatmen.
Das Gespräch ließ sie aufgewühlt zurück. Sie hatte sich Erleichterung erhofft, ein gestärktes Herz. Stattdessen verspürte sie eine nie gekannte Ohnmacht.
Gisèle schüttelte sich, als könne sie sich so davon befreien. Sie beschloss, das furchtbare Gefühl der Ohnmacht einfach hierzulassen und dann weiterzugehen, ganz schnell, bevor es sie wieder einholte.
Mit jedem Schritt, den sie in Richtung der mairie ging, spürte sie, wie ihre alte Kraft wieder erstarkte. Nein, sie war kein Lamm. Und sie würde auch nicht darauf warten, bis die Bösen ihr Werk getan hatten. Sie würde sich aufrichten und ihm entgegentreten.
Als sie wenig später die Tür des Bürgermeisteramtes aufschloss, war sie fest entschlossen, endlich der Sache mit dem verloren gegangenen Schreiben an Pierre Durand nachzugehen. Ob es nun noch notwendig war oder nicht – es war eine Frage der Gerechtigkeit.