Kairo: Warum man auf allen Hochzeiten tanzen muss

Die Ägypter sind ein hilfsbereites Volk: Gern weisen sie den Weg, besorgen die besten Falafel der Stadt oder eine fünftausend Jahre alte Mumie, schmieren einen Wärter oder heiraten dich – nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Ich bin also vorsichtig geworden, nach dem Weg zu fragen. Am Ende kriegt man gratis zu der Wegbeschreibung noch eine Pyramide dazu.

Aber diesmal habe ich mich rettungslos im Knäuel von Kairos Gassen verstrickt. Ein silberschläfiger Herr in magentarotem Hemd eilt zu Hilfe. Er stellt sich als ein Museumsdirektor vor und juchzt fast vor Freude, als er erfährt, dass ich Liebesgeschichten sammle.

»Meine Tochter …«, sagt er und muss vor Begeisterung erst mal Luft schnappen. »Meine Tochter heiratet morgen! Du musst unbedingt zur Hochzeit kommen!«

Es ist die dritte Hochzeit, zu der ich in den letzten vier Tagen eingeladen wurde, aber langsam wundert mich nichts mehr. Das Hochzeitsregister ist hier so dicht wie der Berliner Partykalender: Wenn es auf einer Hochzeit öde wird, geht man einfach auf eine andere. Auf vielen Hochzeiten zu tanzen ist kein Spleen, sondern eine Notwendigkeit: Hochzeiten sind Brautschauen, eine Petrischale für neue Hochzeiten. Kein Wunder: Unter den Hunderten eingeladenen Gästen werden sich sicherlich zwei einsame Herzen finden. Als ich einmal einem Ägypter erzählte, dass ich bisher nur auf einer deutschen Hochzeit war, die aus 40 Gästen bestand, schnaubte er verächtlich: »40? Das sind bei uns allein die eingeladenen Nachbarn!«

Der Direktor zupft an meinem Ärmel. »Am besten, du lernst meine Tochter sofort kennen«, drängt er. »Mein Museum ist nur drei Minuten von hier entfernt. Komm! Komm!«

Eigentlich habe ich mir geschworen, mich auf keine Einladungen mehr einzulassen, aber der alte Herr ist so aufrichtig begeistert, und ich bin schon ein wenig neugierig auf die Braut: Vielleicht zeigt sie mir ja ihr Hochzeitskleid, oder erklärt mir ein paar Bräuche …

Das Museum ist so klein und eng wie eine Küche. Entlang der Wände stehen Regale voller bedruckter bräunlicher Rollen, wie ich sie aus den Souvenirshops kenne, ein Bügelbrett und ein Klappsofa. Darauf sitzen zwei dicke Mittzwanziger mit dem gleichen apathischen Gesichtsausdruck, schauen fern und essen synchron Zwiebelringe aus einer Tüte. Sie sehen eher aus wie Geschwister und nicht wie Frischverliebte. Aber heißt es nicht, dass Liebende einander immer ähnlicher werden?

Sie lösen ihren Blick nur kurz vom Bildschirm, als ich eintrete. »Ja, das sind die Turteltäubchen!«, sagt der Direktor zu mir und dann etwas zu den beiden auf Arabisch. Sie umarmen sich.

Ich gratuliere zur bevorstehenden Hochzeit. Sie nicken, sodass sich ihre Kinne verdreifachen. Dann starren sie weiter in die Röhre. Außer einem Begrüßungsgrunzen kommt kein Laut aus dem Mund der Braut. »Sie ist sehr bescheiden«, erklärt der Direktor. »Und außerdem spricht sie kein Englisch. Wie heißt du eigentlich?«, fragt er mich dann.

»Wlada«, sage ich, und noch bevor die letzte Silbe verklungen ist, hat er mit dem Pinsel ein paar Hieroglyphen auf eine der Rollen gemalt: »Hier, ein Geschenk! Der Papyrus ist Hunderte Jahre alt. Kennst Du die Legende dahinter?«

»Danke, aber ich kann das leider wirklich nicht mitnehmen«, sage ich. »Ich habe eine weite Reise vor mir und die Gewichtsbeschränkungen …«

»Und wie heißt deine Mutter?«

»Ol… Nein! Bitte, keine Geschenke mehr!« Aber er hat schon die ersten Striche auf einem neuen Blatt gemacht.

»Ol… Und weiter?«

»Ich möchte bitte wirklich keinen Papyrus.«

»Aber doch sicher einen Tee?«

Schon steht eine Tasse mit Hibiskusblütentee vor mir, der so heiß ist, dass ich mindestens 20 Minuten im »Museum« bleiben muss, um ihn auszutrinken.

Der Museumsdirektor fängt an zu referieren: »Wir haben hier vorzügliche Exemplare aus dem …«

»Erzählen Sie mir bitte lieber von Ihrer Tochter.«

»Wieso von der?«

»Na, weil sie doch morgen heiratet«, sage ich.

»Ja, die Hochzeit! Die treibt die Eltern in den Ruin. Wie soll ich sie als armer Kunstliebhaber bezahlen? Normalerweise muss der Mann für die Wohnung aufkommen. Aber diese Weicheier heutzutage! Sie brauchen so lang, um das Geld zusammenzuhaben, dass die Braut fast eine Oma ist – und dann lassen sie sie fallen, weil sie 30 und nicht mehr heiratsfähig ist. Diese Kinder fressen mir die Haare vom Kopf! Wenn man seine Tochter an den Mann bringen will, muss man sich an allem beteiligen. Willst du denn nicht auch ein Hochzeitsgeschenk für die junge Liebe beisteuern?«

»Tut mir leid, ich habe leider kein Bargeld dabei.«

Das ist keine Lüge – nach meinem Ausflug in das ägyptische Dorf bin ich vollkommen blank. In meinem Portemonnaie sind ein paar kümmerliche Ägyptische Pfund, ein paar Euromünzen und ein Haargummi.

»Kein Problem! Du kannst dein Hochzeitsgeschenk auch mit Visakarte bezahlen«, sagt er und zieht aus einem Haufen Tassen, Pinseln und alten Zeitungen einen Kartenleser hervor.

»Entschuldigung, das geht wirklich zu weit!«

»Zu geizig für junge Liebe? Und wer bezahlt den Papyrus? Es kann gar nicht sein, dass du überhaupt kein Geld dabeihast!«

»Hier, bitte schön, Sie können nachschauen«, sage ich und halte ihm meinen offenen Geldbeutel hin.

Flink krallt er sich zwei Euromünzen und schabt den Rest des Geldes mit der Hand heraus. Dann beginnt er die Teetassen abzuspülen, obwohl meine noch halb voll ist.

»Wo ist denn die Hochzeit morgen?«

»Komm zum Bootsteg, dahin wo die Feluken abfahren«, sagt er und winkt in eine unbestimmte Richtung.

»Wann?«

»So gegen 23 Uhr. Oder 23.30 Uhr. Komm, wann du willst.«

»Meine Mutter heißt übrigens Olga.«

»Ach so?«, sagt der Museumsdirektor. »Also, dann … Wiedersehen!«

Zur Tür bringt er mich nicht. Nur die Braut winkt mit ihrer pummeligen Hand. Einen Ring entdecke ich daran nicht.