Vorwort des Verfassers

Im Sommer des Jahres 1989 stand ein kleiner neunjähriger Junge im SPAR -Markt eines beschaulichen Dörfchens in der Lüneburger Heide und blockierte den Weg zur Kasse. Natürlich nicht komplett. Der Junge war zwar ein wenig pummelig, aber die Kundinnen und Kunden kamen trotzdem irgendwie an ihm vorbei. Nur eben etwas umständlicher. Dabei stand dieser Junge keineswegs aus purer Langeweile im Gang vor der Kasse, ganz im Gegenteil. Er war gebannt, vertieft und vollkommen in einer anderen Welt versunken. Derart versunken, dass ihn die Kassiererin irgendwann mit dem Heft und einem Marmeladenbrot in das Büro setzte, wo er in Ruhe weiterlesen durfte. Gerüchten zufolge hat er das überhaupt nicht mitbekommen, so gefesselt war der Knabe von dieser Welt. Einer Welt, in der es vor Geistern, Dämonen und Untoten nur so wimmelte.

Es war die Welt des Geisterjägers JOHN SINCLAIR . Und der Junge, der dort seinen ersten Roman in Händen hielt, Sie ahnen es schon, war ich, Florian Hilleberg. Bereits seit Wochen, Monaten, vielleicht sogar schon seit Jahren war ich fasziniert von den Titelbildern der Romane, die in den roten Ständern von Bastei (Lübbe) im Zeitschriftenregal standen. Bislang hatte ich mich mit dem Betrachten der bunten, zum Teil sehr plakativen und comichaften Darstellungen von Vampiren, Werwölfen und Monstern begnügt – unter anderem, weil ich noch nicht gut genug lesen konnte, um mir einen ganzen Roman zu Gemüte zu führen. Doch die Neugier hatte mich nicht losgelassen, und in der zweiten Woche des besagten Juli 1989 war es endlich so weit: Der kleine Florian stand im SPAR -Markt und las »Vampir-Gespenster«, geschrieben von einem Mann namens Jason Dark.

Damals hatte ich keine Ahnung, wer sich hinter diesem Namen verbarg. Ich wusste nur, wie fasziniert ich von der Geschichte war, in der Vampire ein kleines schottisches Dorf terrorisierten.

Ich ahnte auch nicht im Mindesten, dass ich gerade selbst mit dem Sinclair-Fieber infiziert worden war und an einem entscheidenden Wendepunkt meines Lebens stand. Meistens wissen wir erst hinterher, wie bedeutsam gewisse Begegnungen für unsere Zukunft sind. In meinem Fall dauerte es sogar fünfundzwanzig Jahre.

Fünfundzwanzig Jahre, in denen ich zu einem Fan der Serie herangewachsen bin. Es ist keine Übertreibung, wenn ich behaupte, dass mich JOHN SINCLAIR fast mein ganzes Leben lang begleitet hat. Gerade in einer Zeit, in der sich so viel veränderte; in der die Kindheit endete, die Pubertät begann und schließlich im Erwachsenendasein mündete (rein rechtlich betrachtet zumindest), bildete JOHN SINCLAIR eine der wenigen Konstanten. Egal was geschah oder wo ich mich gerade aufhielt, eines war so sicher wie das Amen in der Kirche: Spätestens am Dienstag würde ein neuer Roman mit meinem Lieblingshelden im SPAR -Markt, Bahnhofs-Kiosk oder wo auch immer ausliegen und nur darauf warten, von mir gelesen zu werden. Es war nicht immer klar, ob der Held wirklich gewann, fest stand nur, dass er und seine engsten Mitstreiter mehr oder weniger unversehrt aus den Abenteuern hervorgehen würden, um dem Bösen auch in der kommenden Woche die Stirn zu bieten. John Sinclairs Motto wurde auch meines: Nie aufgeben, nie unterkriegen lassen und immer weitermachen.

Als ich meinen ersten JOHN -SINCLAIR -Roman las, lagen insgesamt drei verschiedene Auflagen am Kiosk aus, dazu eine monatlich erscheinende Taschenbuchausgabe. Erst viel später wurde mir klar, dass dies alles nur ein einziger Mann geschrieben und erdacht hat. Ein Mann, der einen gewaltigen Kosmos erschaffen hat und mittlerweile bereits zwei Generationen das Gruseln lehrt: Jason Dark!

Am 13. Juli 1973 erschien als Band 1 einer neuen Grusel-Heftromanreihe »Die Nacht des Hexers«, in der John Sinclair seinen ersten Auftritt hatte. Damit trat Jason Dark eine Lawine los, die Tausende von Leserinnen und Lesern mitgerissen hat und bis heute begeistert.

Natürlich handelt es sich bei Jason Dark um ein Pseudonym. Dahinter verbirgt sich der gebürtige Sauerländer Helmut Rellergerd, der die Serie nicht nur erfunden, sondern auch jahrzehntelang allein gestemmt hat. Mittlerweile tritt Helmut »Jason Dark« Rellergerd ein wenig kürzer. Statt vier Heftromanen und einem Taschenbuch pro Monat sind es heute »nur« noch ein bis zwei Hefte, die er schreibt.

Um den Hunger der Fans, die wöchentlich nach neuen Abenteuern des Geisterjägers lechzen, dennoch zu stillen, wurden neue Autoren rekrutiert, die Jason Dark bei seiner Arbeit unterstützen.

Ich habe das Privileg, einer dieser Autoren sein zu dürfen und schreibe unter dem Alias Ian Rolf Hill mit. Fünfundzwanzig Jahre nachdem der kleine Florian seinen ersten Roman mit nach Hause genommen hat, durfte er also selbst einen Roman für die Serie beisteuern, die nicht nur fester Bestandteil seines Lebens geworden ist, sondern auch ein – wenn auch imaginärer – Hort der Beständigkeit in einer sich stetig verändernden Welt.

Mit dieser Meinung stehe ich übrigens nicht allein dar. JOHN SINCLAIR ist für viele Fans ein sicherer Hafen, in dem sie einmal pro Woche vor Anker liegen, um der Wirklichkeit zu entfliehen. Allerdings würde es dem Lebenswerk von Jason Dark und diesem gewaltigen Kosmos nicht gerecht werden, wenn man ihn auf bloßen Eskapismus reduzieren und herunterbrechen würde.

Über die Jahre hinweg hat sich die Serie zu einer Saga entwickelt, in deren Mittelpunkt natürlich der Serienheld selbst steht: der Geisterjäger John Sinclair, der Sohn des Lichts und der Träger des silbernen Kreuzes, das vom Propheten Hesekiel vor zweitausendfünfhundert Jahren im babylonischen Exil geschaffen wurde und das die Erzengel persönlich geweiht haben. John Sinclair ist der Auserwählte, der letzte in einer langen Reihe von Söhnen des Lichts, zu denen unter anderem Richard Löwenherz, aber auch der (fiktive) Templerführer Hector de Valois gehörten.

John hat den Untergang von Atlantis überlebt und den großen Brand von London im Jahr 1666 gelegt. Seine Gegner entstammen den verschiedensten Religionen und Mythologien. So kämpfte er bereits gegen den japanischen Sturm- und Meeresgott Susanoo, vernichtete den Lügenengel Belial und bot der finsteren Lilith die Stirn.

Darüber hinaus ist JOHN SINCLAIR aber auch ein Stück Zeitgeschichte, in das immer wieder Einflüsse der Popkultur mit einfließen. Vor über vierzig Jahren mussten John und seine Freunde noch durch unterirdische Tunnel kriechen, um in der ehemaligen DDR den Schwarzen Tod zu jagen, heute zählt ein ehemaliger Kommissar aus Leipzig zu seinen besten Freunden. Zur selben Zeit, als »The Fog – Nebel des Grauens« in den Kinos lief, bekam es John Sinclair mit dem Todesnebel zu tun. Und als AKTE X in aller Munde war, musste auch er sich einige Male mit einer außerirdischen Bedrohung auseinandersetzen.

Friedhelm Schneidewind hat das Phänomen JOHN SINCLAIR in »Das Lexikon von Himmel und Hölle« hervorragend auf den Punkt gebracht: Man muss sich darauf einlassen, dass bekannte Mythen, Monster und Dämonen ebenso zurechtgebogen und neu interpretiert werden wie religiöse oder literarische Gestalten und Topoi, seien es Lilith oder Merlin, Luzifer oder die Erzengel. Wenn man bereit ist, das Spiel mitzuspielen, gewinnt es seinen eigenen Reiz, bietet der Autor einen ungewöhnlich umfangreichen Fundus an Ideen, Figuren und Geschichten.

Diese Beschreibung trifft ausgezeichnet auf das Setting der Serie zu und zeigt gleichzeitig, dass JOHN SINCLAIR deutlich mehr ist als eine wöchentlich erscheinende Heftromanserie, in der Geschichten nach Schema F abgespult werden. Häufig wird dieser Literaturgattung vorgeworfen, ihren Figuren keine ausreichende Tiefe zu verleihen. Gegen dieses Argument sprechen knapp 2700 Ausgaben im Heftroman- und Taschenbuchformat, in denen sich John Sinclair auf eine Weise entwickelte, wie es in einem »gewöhnlichen« Buch gar nicht möglich ist. Dasselbe gilt natürlich auch für seine Freunde und sogar einige seiner Gegenspieler.

In den letzten fünfzig Jahren ist JOHN SINCLAIR zu einem multimedialen Phänomen geworden, das Menschen sämtlicher Altersklassen und Bildungsschichten begeistert und aus der deutschen Popkultur nicht mehr wegzudenken ist.

Auf den folgenden Seiten möchte ich Sie mitnehmen auf eine Reise durch diese faszinierende und vielschichtige Welt, die Jason Dark für uns erschaffen hat.

Egal ob Sie John Sinclair seit fünfzig Jahren die Treue halten oder die Serie erst jetzt für sich entdeckt haben; ganz gleich ob Sie jede Woche den neuen Roman verschlingen oder nur die Hörspiele hören – Sie alle sind herzlich eingeladen, mich zu begleiten. Lassen Sie mich Ihr Reiseführer durch das vielschichtige Sinclair-Universum sein.

Florian Hilleberg