Wie ein unheilvoll drohender Schatten lag die Dunkelheit über dem Land.
Mit diesem Satz begann vor fünfzig Jahren eine Erfolgsgeschichte, niedergeschrieben von einem jungen Mann namens Helmut Rellergerd unter dem Pseudonym Jason Dark. Es war der erste Satz der allerersten Ausgabe einer neuen Heftromanreihe, mit welcher der renommierte Bastei-Verlag das Horror-Genre erobern wollte.
Die Reihe trug den markigen Namen GESPENSTER -KRIMI mit dem Untertitel »Zur Spannung noch die Gänsehaut«. Aus heutiger Sicht erscheint es fast wie Ironie, dass sich anfangs niemand fand, der den ersten Band schreiben wollte – bis sich Rellergerd, der zu dieser Zeit als Redakteur im Verlag angestellt war, selbst an die Schreibmaschine setzte und »Die Nacht des Hexers« zu Papier brachte. Der Inhalt ist schnell erzählt: Ein mehr oder weniger geistig labiler Wissenschaftler, der titelgebende Hexer, namentlich Professor Ivan Orgow, erweckt mithilfe seines Mediums Lara die Toten des schottischen Dorfes Middlesbury zu untotem Leben. Scotland Yard wird auf die Vorfälle aufmerksam und schickt einen Spezialisten für übernatürliche Fälle – Inspektor John Sinclair.
Der Roman erschien am 13. Juli 1973, kostete eine Mark – und war ein voller Erfolg.
Wie lange die Erfolgsgeschichte weitergehen würde, ahnte zu diesem Zeitpunkt indes noch niemand. Am allerwenigsten der Verfasser selbst, der bereits zwei Monate nach dem Start der Reihe seinen zweiten GESPENSTER -KRIMI beisteuerte. Es war die Nummer 5 mit dem Titel »Bei Vollmond holt dich der Vampir«, eine Geschichte ohne John Sinclair. Der tauchte erst in Rellergerds drittem Roman »Mörder aus dem Totenreich« wieder auf, gemeinsam mit Sinclairs bestem Freund, dem Reporter Bill Conolly.
Von diesem Zeitpunkt an stand für den Autor fest, dass Sinclair, von seinen Freunden scherzhaft »Geisterjäger« genannt, auch in seinen nächsten Romanen der Protagonist sein würde – er hatte schlicht und ergreifend keine Lust, sich jedes Mal einen neuen Helden auszudenken.
Auch seinem Pseudonym Jason Dark blieb der am 25. Januar 1945 in Dahle geborene Rellergerd treu. Von 1973 bis 1977 schrieb er insgesamt fünfzig Romane, in denen John Sinclair gegen die Mächte der Finsternis antrat und die alle als GESPENSTER -KRIMI erschienen. Später kam noch ein weiterer Roman hinzu, der Jubiläums-Band 500, mit dem reißerischen Titel »Ihr Mann, der Zombie«. Übrigens wieder ohne John Sinclair, denn der hatte im Jahr 1978 aufgrund der hohen Verkaufszahlen seine eigene Serie bekommen, deren gelbes Logo mit der zittrigen, leicht zerlaufenden Schrift bald zu einem unverwechselbaren Markenzeichen wurde.
Am 17. Januar 1978 ging es los. »Im Nachtclub der Vampire« heißt die Geschichte, in der John Sinclair mit einer Eichenbolzen verschießenden Druckluftpistole Jagd auf drei Vampirinnen machte, die im Übrigen ganz ohne männlichen Leithammel auskamen.
Und obwohl Sinclair zu diesem Zeitpunkt bereits eine erhebliche Zahl an Freunden und Mitstreiterinnen um sich geschart hatte, darunter den Chinesen Suko, die Privatdetektivin Jane Collins sowie den deutschen Kommissar Will Mallmann, agierte er im ersten Band der Serie allein. Das erleichterte potenziellen Neuleserinnen und -lesern den Einstieg erheblich.
Alle vierzehn Tage erschien nun ein neues Abenteuer, ab Band 26 dann bereits wöchentlich. Dabei schrieben anfangs noch weitere Autoren (Walter Appel, Fritz Tenkrat, Richard Wunderer, Martin Eisele) unter dem Verlagspseudonym Jason Dark. Erst ab Band 184 übernahm Rellergerd die alleinige Autorenschaft.
Ab diesem Zeitpunkt schrieb nie wieder ein anderer Autor unter dem Pseudonym, das ebenfalls schon eine Marke für sich darstellt.
Ebenfalls neu war »Jason Darks Leserseite«, auf der Briefe der Fans abgedruckt und vom Autor beantwortet wurden. Die sogenannte Leserkontaktseite (LKS ) war ein einfaches und effektives Instrument, das es Leserinnen und Lesern ermöglichte, mit dem Autor in Kontakt zu treten. So etwas gab es bis dato in keiner anderen Bastei-Serie. Schnell fanden sich über diese Seite Gleichgesinnte. Brieffreundschaften entstanden, und bald schossen erste Grusel- und Fan-Clubs aus dem Boden. Anscheinend gab es schon damals, lange bevor die ganze Welt durch das Internet miteinander verbunden war, ein inneres Bedürfnis, sich mitzuteilen und vielleicht sogar in irgendeiner Form an der Lieblingsserie mitzuwirken – oftmals beinhalteten die Leserbriefe nämlich Vorschläge und Ideen zum weiteren Serienverlauf.
Waren die Fälle im GESPENSTER -KRIMI noch abgeschlossen, so zog sich in der eigenständigen Serie schon sehr bald ein roter Faden durch die Geschichten. John Sinclair bekam es in Gestalt eines riesigen pechschwarzen Gerippes, dem Schwarzen Tod, mit einem scheinbar übermächtigen Gegner zu tun, dessen Wurzeln im alten Atlantis lagen. Der Kampf gegen diesen Unhold bestimmte die ersten einhundert Bände, bis es zur finalen Schlacht auf dem Friedhof am Ende der Welt kam, der in einer epischen Trilogie endete, die noch heute die Ranglisten der beliebtesten Romane anführt.
Im Laufe der Jahre bauten die Geschichten immer mehr aufeinander auf, erschienen häufiger Zwei-, Drei- und sogar Vier- und Fünfteiler, ohne dabei unnötig kompliziert zu sein. Tatsächlich waren die meisten Geschichten selbst dann noch verständlich, wenn man den ersten oder zweiten Teil verpasst hatte.
John Sinclair erbeutete spezielle Waffen, die ihm im Kampf gegen immer mächtiger werdende Gegner helfen sollten, und schloss neue Freundschaften. Doch er musste auch Niederlagen einstecken. Die Frau seines deutschen Freundes Will Mallmann wurde am Tag ihrer Hochzeit vom Schwarzen Tod ermordet, die Schauspielerin Nadine Berger fiel ebenfalls einem dämonischen Attentat zum Opfer, woraufhin ihre Seele in den Körper eines Wolfes schlüpfte, und schließlich wechselte sogar Jane Collins die Seiten und wurde zur Hexe in Satans Diensten.
Solche Dramen bewegten die Fans, ließen sie mit dem Helden mitfiebern und mitleiden.
Umso mehr, da Helmut Rellergerd beschloss, mit Band 6 der eigenständigen Serie, »Schach mit dem Dämon«, die auktoriale Perspektive zu verlassen und Sinclair seine Abenteuer in der Ich-Form erzählen zu lassen, so wie es JERRY COTTON vorgemacht hatte.
Die Nähe zu den Fans durch die Leserkontaktseite, die immer komplexer werdenden Geschichten und vor allen Dingen John Sinclairs Menschlichkeit begeisterten eine stetig wachsende Fangemeinde.
Bereits im August 1980 erschien eine zweite Auflage, beginnend mit »Die Nacht des Hexers«, was zu einer Nummerierung führte, die bis heute viele Neueinsteiger verwirrt, denn dadurch trägt die eigentliche Nummer 1 der Serie, »Im Nachtclub der Vampire«, in sämtlichen späteren Auflagen die Nummer 51. Es folgten noch eine dritte und sogar eine vierte Auflage im September 1991, damit auch die Leserinnen und Leser aus den neuen Bundesländern von Anfang an dabei sein konnten. Die Nachfrage nach den Abenteuern von John Sinclair und seinen Freunden war so groß, dass im April 1981 sogar eine begleitende Taschenbuchreihe herauskam. Die schmalen, knapp 160 Seiten umfassenden Bände erschienen monatlich und wurden hauptsächlich in Bahnhofsbuchhandlungen, an Kiosken und in Supermärkten verkauft – eben überall dort, wo auch die Hefte auslagen. Insgesamt wurden 312 Ausgaben veröffentlicht, die alle von Jason Dark geschrieben wurden.
Im Juni 1983 waren dann die ersten Hörspiele zu kaufen, damals natürlich noch auf Kassette, produziert von dem Wiesbadener Tonstudio Braun. Insgesamt brachte es die Reihe auf 107 Folgen und einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde. Im Februar 2021 wurde die Serie schließlich mit Folge 108, »Doktor Tods Rache«, komplettiert. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits zwei weitere Hörspielserien, beide von Lübbe Audio. Neben der Hauptserie JOHN SINCLAIR , die im Jahr 2000 als gleichnamige Edition startete, wurde noch eine Classics-Serie mit den GESPENSTER -KRIMI s ins Leben gerufen, die es auf fünfzig Folgen brachte.
Zur selben Zeit wurden die Romane in dicken Taschenbüchern mit einem Umfang von jeweils achthundert Seiten nachgedruckt. Es gab Comics, ein Computerspiel, einen Fernsehfilm und sogar eine (mäßig erfolgreiche) Fernsehserie. Mittlerweile gibt es nicht nur einen eigenen JOHN -SINCLAIR -Fan-Shop (www.dergeisterjaeger.de ) mit zahlreichen Merchandising-Artikeln, angefangen von T-Shirts über Kaffeebecher bis hin zu handbemalten Sammlerfiguren, sondern auch einen YouTube-Kanal mit Talk-Format und ein überaus beliebtes Jugendbuch-Spin-Off namens JOHNNY SINCLAIR . Darüber hinaus fanden in den Jahren 2016 und 2018 zwei äußerst erfolgreiche JOHN -SINCLAIR -Conventions statt.
Doch woher kommt dieser enorme Erfolg? Was unterscheidet JOHN SINCLAIR von anderen Horror- und Heftroman-Serien? Was macht den Reiz der Geschichten aus? Genau diesen Fragen möchte ich auf den Grund gehen. Beginnen werde ich bei der Hauptfigur und ihren kulturellen und medialen Einflüssen. Anschließend werden wir einen näheren Blick auf Johns Freunde und Familie werfen, um uns schließlich seinen Gegnern zu widmen, und zu guter Letzt auch den Waffen, mit denen er sie bekämpft, sowie den Dimensionen, Mythen und Religionen, denen seine Feinde entstammen.
Dass es dabei zu Spoilern kommen wird, versteht sich von selbst. Ich werde es auch nicht jedes Mal ankündigen können, obwohl ich mich bemühe, nur so viel wie unbedingt nötig zu verraten.
Ein weiterer Hinweis zum Inhalt: Dies ist weder ein Lexikon noch ein Serien-Guide, trotzdem kann es vorkommen, dass ich Namen und Begriffe verwenden muss, die sich nicht in einem Nebensatz erklären lassen. Damit Sie, liebe Leserinnen und Leser, die Kapitel dennoch unabhängig voneinander genießen können, finden Sie am Ende des Bandes ein Glossar, in dem die wichtigsten Termini kurz und bündig erläutert werden.
Nichtsdestotrotz kann dieses Buch nur einen groben Überblick über das gigantische Sinclair-Universum bieten, es erhebt also keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Abschließend bleibt mir nur noch, Ihnen viel Spaß auf der Reise durch die Welt von JOHN SINCLAIR , mit all seinen DUNKLEN LEGENDEN , zu wünschen.