DAS SINCLAIR-TEAM: GEMEINSAM STARK

Fragt man Menschen, die JOHN SINCLAIR nur gelegentlich lesen oder hören, nach den besten Freunden des Geisterjägers, können die meisten zumindest einen Namen nennen: Suko !

Er ist nicht nur schlicht und einprägsam, sondern fast schon genauso sehr Kult wie der Serienheld selbst. Dabei ist der kampferprobte Chinese gar nicht von Anfang mit von der Partie gewesen. Suko, der Mann ohne Nachnamen, tritt erst in Sinclairs neununddreißigstem Abenteuer auf, zwar noch im GESPENSTER -KRIMI , aber bereits auf der Schwelle zur eigenständigen Serie. Damals war das Sinclair-Team, wie wir es heute kennen, fast schon komplett. Es ist »Die Nacht des Schwarzen Drachen«, als John von einem chinesischen Geschäftsmann um Hilfe gebeten wird, weil dessen Tochter Suzi entführt wurde.

Li Tse Fengs Chauffeur stand vor einem Rolls-Royce. Der Mann war ein Kraftpaket. Er trug zwar die graue Chauffeuruniform und hatte die Schirmmütze vorschriftsmäßig unter den Arm geklemmt, aber schon bei der Verbeugung, die er machte, als John einstieg, sah der Oberinspektor das Spiel seiner gewaltigen Muskeln. Dieser Mann musste Kräfte wie ein Bär haben.

»Ich bin Suko, Sir«, sagte er mit leiser, gar nicht zu seinem Äußeren passenden Stimme.

John nickte Suko freundlich zu. Der Chinese hatte ein etwas breites Gesicht, das immer lächelte.

Bei Sukos Einführung erfährt der Leser oder die Leserin kaum etwas über die Vergangenheit der Figur. Vielmehr scheint Suko zunächst sogar auf seine kämpferischen Fähigkeiten reduziert zu werden, denn er ist, fast ein wenig klischeehaft, Meister des unbewaffneten Nahkampfes. Trotzdem bittet ihn John nach dem gemeinsam erlebten Abenteuer, das Sukos damaligen Chef das Leben kostet, für ihn zu arbeiten. Finanziell unterstützt wird er dabei von den Conollys. Erst nachdem er sich in zahlreichen Einsätzen bewährt hat, wird Suko in einem Sonderverfahren zum Inspektor von New Scotland Yard ernannt (Band 189).

Es war ein feierlicher Augenblick. Nicht für mich, sondern für meinen chinesischen Freund Suko. Er hatte seinen großen Tag. Endlich, nach einem langen Hin und Her, hatte sich Scotland Yard entschlossen, Suko in die Reihen dieser traditionsreichen Polizeiorganisation aufzunehmen. Sir James Powell, unser gemeinsamer Chef, hatte dabei ein großes Wort mitgesprochen und sich beim Innenminister persönlich dafür eingesetzt, dass man Suko einstellte. Erfolge hatte er genug aufzuweisen gehabt. Wie oft hatte er mit mir Seite an Seite gekämpft und gegen die Mächte der Finsternis gestritten. Wir hatten große Siege errungen, aber auch harte Niederlagen einstecken müssen, und an den Erfolgen war der Chinese ebenso beteiligt wie ich. Das konnte keiner bestreiten.

Suko selbst würde auch aufatmen. So hatte die finanzielle Abhängigkeit von den Conollys endlich ihr Ende gefunden, denn das war Suko nie recht gewesen.

Nach und nach erfahren die Fans schließlich mehr über die Vergangenheit des schweigsamen Chinesen mit dem asketischen Lebenswandel. Er wuchs in einem Kloster in der Nähe von Hongkong auf, in dem er auch ausgebildet wurde. Später hat es ihn in die Stadt verschlagen, wo ihn ein Geschäftsmann namens Li Shen unter seine Fittiche nahm. Schließlich kam er nach London, wo er in die Dienste von Li Tse Feng trat, der sich mit dem Geheimbund des Schwarzen Drachen anlegte und starb.

Suko ist Motorrad- und Autofan. Viele Jahre lang fährt er eine Harley Davidson, ehe sie in der Hexenwelt verschollen bleibt (Band 435 und 436). Er ist passionierter Teetrinker, nimmt nur selten Alkohol zu sich und wohnt mit seiner Partnerin Shao direkt neben John Sinclair. Dank seiner Ausbildung im Kloster ist er nur sehr schwer aus der Ruhe zu bringen. Suko ist der Fels in der Brandung, der ruhende Pol, der selbst dann die Nerven behält, wenn andere längst aufgegeben haben. Seine einzige Schwachstelle ist Shao, die er in Hongkong kennenlernt (Band 50 und 51).

Nach ihrem vermeintlichen Tod durch einen Anschlag des Dämonen-Trommlers Ondekoza, einem Diener des japanischen Sturm- und Meeresgottes Susanoo, erleben die Leserinnen und Leser den Publikumsliebling von einer ungewohnt emotionalen Seite (Band 450 und 451):

Sukos Knie gaben nach. Der harte Karatekämpfer, der weder Tod noch Teufel fürchtete, war vor der Leiche seiner Partnerin zu einem willenlosen Bündel aus Schmerz und Verzweiflung geworden. Zu sehr hatte er sich in der letzten Zeit zusammenreißen müssen. Jetzt konnte er einfach nicht mehr und schluchzte wie ein kleines Kind, das auch seine Tränen nicht mehr zurückhalten konnte.

Apropos Kind. Auch Suko muss einige schwere Schläge einstecken und wird immer wieder Ziel dämonischer Angriffe. So verwandelt ihn Asmodis persönlich durch das Seelenschwert äußerlich in ein Kind (Band 708 bis 710). Erst mithilfe einer abtrünnigen Hexe namens Yannah gelingt es ihm, wieder seine ursprüngliche Gestalt zurückzuerlangen (Band 721 und 722).

Auch über Sukos Familie erfahren die Fans im Laufe der Jahre ein wenig mehr. Im Taschenbuch »Die Grabräuber« (1984) muss er sich zunächst einem untoten Ahnherrn stellen, bevor er es in »Babylon in Hongkong« (1990) sogar mit seinem leiblichen Vater zu tun bekommt, der sich ebenfalls dunklen Mächten zugewandt hat.

Das Übernatürliche ist bei JOHN SINCLAIR stets präsent, und so kommen Jahre später weitere Geheimnisse aus Sukos Vergangenheit ans Licht. Beispielsweise gibt es zwei Mitschüler aus dem Kloster, die Pakte mit Dämonen geschlossen haben: Ai Wei, der letztendlich dafür verantwortlich war, dass Suko das Kloster verlassen hat (Band 518), und Huang, der seinem alten Weggefährten später in Shanghai eine Falle stellt (Band 741).

Sogar eine frühere Geliebte macht ihm und Shao in Band 1991 das Leben zur Hölle, und so wird Amara »Sukos grausame Feindin«. (Zugegeben, diese Episoden wirken alle ein wenig aus dem Hut gezaubert, nach all den Jahren, die Suko nun schon an Johns Seite in London verbracht hat.) Licht in das Dunkel bringt schließlich der Band 2120 »Abrechnung im Reich der Mitte«.

In diesem Roman erfahren die Leserinnen und Leser, wie Suko das Kloster verlässt, Li Shen begegnet und Amara kennenlernt, bis es ihn schließlich nach London verschlägt, nachdem ihn Amara verraten hat. Dank Li Shens Kontakten findet er in London Arbeit bei Li Tse Feng. Und so schließt sich der Kreis, der dennoch Spielraum für weitere Episoden aus Sukos Vergangenheit lässt.

Doch eines steht jetzt schon fest: Suko ist nicht nur einer der beliebtesten Charaktere der Serie, er hat auch die größte Entwicklung durchgemacht. Daher überrascht es nicht, dass Jason Dark zahlreiche Romane geschrieben hat, in denen der Chinese ohne John Sinclair ermittelt.

Interessant ist auch die Motivation, die hinter Darks Entscheidung stand, aus Suko einen Chinesen zu machen. In den Siebzigerjahren, als der Kalte Krieg in vollem Gange war, herrschte eine deutlich spürbare Feindseligkeit gegenüber dem (Fernen) Osten. Dem wollte der Autor eine positiv behaftete, unpolitische Figur gegenüberstellen, die nicht stellvertretend für irgendeine Ideologie steht. Betrachtet man sich das aktuelle Weltgeschehen, wird einem schnell klar, wie wichtig solch eine Figur auch heutzutage ist.

Untrennbar mit Suko verbunden ist seine Partnerin Shao , die selbst der Tod nicht von ihrem Freund scheiden kann. Dabei spielt auch ihre eigene Vergangenheit beziehungsweise Abstammung eine große Rolle, denn wie sich herausstellt, ist Shao die letzte Nachfahrin der japanischen Sonnengöttin Amaterasu (Band 226). Was im ersten Moment befremdlich klingt, immerhin ist Shao Chinesin, relativiert sich schnell, wenn man bedenkt, dass Grenzen (egal ob politischer oder kultureller Natur) in erster Linie in unseren Köpfen existieren und von Menschen gemacht werden. Warum sollten sich Götter und Dämonen darum scheren?

Ihre Abstammung wird Shao zum Verhängnis, als Amaterasus Bruder Susanoo sie umbringen lässt (Band 450 und 451). Wie sich kurz darauf zeigt, ist dies jedoch nicht das Ende. Shao kehrt als »Phantom aus dem Jenseits« (Band 456) zurück, um fortan für Amaterasu gegen Susanoo und dessen Verbündeten Shimada zu kämpfen, den Fächer der Sonnengöttin zurückzuerobern und sie aus der Dunkelwelt zu befreien. Erst nach sieben Jahren ist Shao wieder dauerhaft an Sukos Seite, genau genommen ab Band 835 »Im Kreisel der Angst«, allerdings ein wenig motivationslos und auch ohne ihren Auftrag erfüllt zu haben. Es hat den Anschein, als hätte Jason Dark ihr durch ihre Abstammung etwas mehr Tiefe verleihen wollen, letztendlich aber keine Ambitionen gehegt, das Potenzial in Gänze auszuschöpfen. Zwar kommt es zu einigen denkwürdigen Abenteuern mit Shao, in denen sie als Phantom aus dem Jenseits agiert, dennoch tritt sie in den folgenden Jahren mehr und mehr in den Hintergrund. Daran ändert auch die Tatsache, dass sie »Die Geliebte des Dämons« Kataya ist, nicht viel (Band 324). Kataya ist eine chinesische Entität, vergleichbar mit Luzifer, der sich während der »Abrechnung im Reich der Mitte« wieder in Erinnerung ruft. Auch »Auf der Insel der Bestien« (Band 2162) steht er Shao zur Seite, und wir dürfen gespannt sein, wann er erneut in Erscheinung tritt, um seine vermeintliche Braut endgültig auf seine Seite zu ziehen.

Was Shao für Suko ist, ist für John Sinclair lange Zeit Jane Collins . Ihren ersten Auftritt hat die Privatdetektivin mit dem weizenblonden Haar in dem GESPENSTER -KRIMI »Hochzeit der Vampire« aus dem Jahr 1975. Und bis auf ihren ungewöhnlichen Beruf deutet zunächst auch nicht viel darauf hin, dass sie einmal zu einem der wichtigsten Menschen in John Sinclairs Leben werden soll. Tatsächlich bedient sie anfangs noch so ziemlich jedes Klischee, dass zu jener Zeit und in dieser Literaturgattung leider nur allzu oft vorkommt: Bis auf den Umstand, dass sie blond und gut aussehend ist, erfährt man nur wenig über sie. Immerhin trägt sie zur Lösung des Falles bei, indem sie John Sinclair befreit, der von einem Handlanger seines Erzfeindes Doktor Tod in einem Burgverlies an die Wand gekettet wurde. Allerdings sinkt sie ihm danach schluchzend in die Arme. Viel mehr passiert in diesem Roman auf zwischenmenschlicher Ebene nicht. Erst im übernächsten Roman, »Wenn der Werwolf heult …«, kommen sie sich auf der Feier, die anlässlich von Johns Beförderung stattfindet, näher. Daraufhin ist Jane häufiger mit von der Partie. Sie lernt, Dämonen und Untote als Teil der Welt zu akzeptieren, und trägt immer öfter zur Lösung der Fälle bei – nicht zuletzt, weil sie zur Abwechslung dem Geisterjäger das eine oder andere Mal das Leben rettet. Eine weitere Besonderheit ereignet sich in Band 97 »Der unheimliche Richter«. Darin vernichtet Jane einen Gegner, der John Sinclair zuvor mehrere Male durch die Lappen gegangen ist. Die Rede ist von Grimes, dem Ghoul.

So etwas war im Heftroman Anfang der 1980er-Jahre nicht unbedingt üblich. Damals herrschte noch das ungeschriebene Gesetz, dass der Titel- oder Serienheld die Bösewichte unschädlich zu machen hatte.

Insofern stellt Jane Collins’ Sieg ein Novum dar.

Doch nicht nur deshalb gehört sie bis heute zu einer der beliebtesten Figuren der Serie. Auch ihr Schicksal als Hexe, auf das ich bereits im vorherigen Kapitel kurz eingegangen bin, hat die Gemüter erregt. Vor allen Dingen, weil Jane Collins am Ende nicht stirbt, sondern es den Freunden tatsächlich gelingt, die Seele von Jack the Ripper aus ihrem Körper zu vertreiben (Band 335 bis 339). Aber selbst nachdem ihr in San Francisco ein künstliches Herz implantiert wurde (Band 361 bis 363), kann sie nicht in ihr altes Leben und an Johns Seite zurück. Zunächst verbringt sie einige Zeit in San Francisco bei dem türkischen Ninja Yakup Yalcinkaya, ehe sie in Band 426 wieder nach London und zu ihren Freunden heimkehrt. Bloß ist sie auch dort nicht vor den Nachstellungen ihrer Hexenschwestern, die dem Teufel huldigen, sicher. Und so zieht sie schließlich in Band 446 zu Lady Sarah Goldwyn, der Horror-Oma, nach Mayfair, wo sie noch heute wohnt. Nach Lady Sarahs Tod erbt Jane das Haus und ein nicht unbeträchtliches Vermögen. Sie arbeitet sogar wieder als Privatdetektivin und unterstützt John Sinclair bei einigen seiner Fälle, wenn auch nicht mehr so häufig wie früher. Zwischendurch flammt ein wenig von der alten Leidenschaft zwischen John und Jane auf, doch mehr als Freundschaft plus wird daraus nicht. Schließlich lernt Jane den Geologen Chris Ainsworth kennen, und die beiden gehen eine Beziehung ein (Band 2050 und 2051).

Die zweite Frau an Johns Seite heißt Glenda Perkins .

Eingeführt im GESPENSTER -KRIMI »Zirkus Luzifer«, der 1976 erschien, als Johns Sekretärin, die ihm zwar den Morgenkaffee bringen darf, sonst aber zunächst nur eine rein praktische Funktion erfüllt. Sie ist die typische Vorzimmerdame, deren einziger Daseinszweck es zu sein scheint, gut auszusehen, Kaffee zu kochen und den Serienhelden anzuhimmeln. In Glendas Fall wird das Klischee sogar noch auf die Spitze getrieben, indem es zu einem Running Gag wurde, der sich bis heute gehalten hat.

Glenda Perkins kocht den weltbesten Kaffee und ist immer nach der neuesten Mode gekleidet, was oft genug minutiös beschrieben wird. Allerdings wäre es ein Fehler, sie darauf zu reduzieren. Scheint es zu Beginn der Serie noch so, als wäre es ihr Schicksal, stets in Bedrängnis zu geraten oder gar entführt zu werden, so ändert sich das schlagartig, als Jane Collins zur Hexe wird. Bereits in Band 224, nachdem John Sinclair den »Satan mit vier Armen« vernichtet hat, schläft er mit seiner Sekretärin. Daraufhin wird Glenda zur Zielscheibe für Janes mörderische Eifersucht. Die zur Hexe mutierte Privatdetektivin versucht mehrfach, Glenda zu töten, beispielsweise in dem Taschenbuch »Liebe, die der Teufel schenkt«, aber auch beim »Hexenabend mit Jane Collins« (Band 235). Obwohl aus Glenda und John kein richtiges Paar wird (das Trauma von Janes Verlust sitzt offenbar zu tief), wird sie doch zu einer für ihn wichtigen Freundin und zu einem festen Bestandteil des Teams. Dieser Wandel könnte sich auch daran ablesen lassen, dass im Zusammenhang mit Glenda immer öfter von einer Assistentin die Rede ist, nicht mehr nur von der Sekretärin. Bloß Kaffee kochen muss sie bis heute noch.

In Band 1367 wird Glenda das »Serum des Satans« injiziert, das sie in die Lage versetzen soll, mit Toten zu kommunizieren, doch das Experiment schlägt fehl. Stattdessen entwickelt Glenda eine andere, fast noch bemerkenswertere Fähigkeit: die der Teleportation. Ab sofort kann sie sich kraft ihrer Gedanken von einem Punkt der Erde an einen anderen versetzen und sogar Dimensionsgrenzen überwinden, anfangs allerdings noch nicht gezielt und auch später nur in erheblichen Stresssituationen. Dennoch führt diese Fähigkeit dazu, dass sie immer häufiger als Deus ex machina Anwendung findet.

Schlussendlich verliert Glenda ihre Kraft wieder, nachzulesen in Band 2005 »Im Reich der gequälten Seelen« – übrigens sehr zur Erleichterung vieler Fans, denen eine solche Gabe zu fantastisch erschien. Trotzdem kann sich Glenda ganz gut wehren, wie sie bereits mehrfach unter Beweis gestellt hat.

Ebenfalls zum Sinclair-Team gehört die Graue Eminenz im Hintergrund: der Organisator im Kampf gegen das Böse, Johns Chef, Superintendent Sir James Powell . Neben dem Serienhelden ist er die dienstälteste Figur im SINCLAIR -Universum, auch wenn er, ähnlich wie Glenda Perkins, anfangs nur eine rein funktionelle Rolle innehat, nämlich John seine Aufträge zuzuschustern oder ihm mit seinen Kontakten aus einer bürokratischen Bredouille zu helfen. Obwohl er von Beginn an dabei ist, wird er für John nie ein väterlicher Freund. Die professionelle Distanz bleibt stets gewahrt, auch weil Sir James (in Band 44 »Das Trio des Teufels« wird er endlich geadelt) der Prototyp des englischen Gentlemans ist. Davon merkt man ihm bei seinem ersten Auftritt in »Die Nacht des Hexers« jedoch reichlich wenig an:

Superintendent Powell saß wie ein Pavian hinter seinem Schreibtisch und blickte den eintretenden Inspektor durch seine dicken Brillengläser scharf an. Powell war ein korpulenter Typ, der Asthma hatte und Alkohol verabscheute. Solche Menschen musste es auch geben. Trotzdem war er der geborene Taktiker und Organisator.

Ein Bild, das sich bereits in den nächsten Romanen schnell wandelt. Von dem Asthma ist keine Rede mehr, ebenso wenig von Powells Korpulenz. Dafür wird ihm ein Magenleiden angedichtet, das ihn dazu zwingt, stilles Wasser zu trinken. Nur das Pavian-Image soll ihm noch lange Zeit anhaften. Heute würde ihn freilich niemand mehr als Affen bezeichnen. Seine erste größere Rolle spielt der Superintendent in dem GESPENSTER -KRIMI »In Satans Diensten«, wo ihn ein Doppelgänger von John Sinclair im Auftrag von Doktor Tod buchstäblich unter die Erde bringen will. Später ist er dabei, als sein bester Mann »Das Phantom von Soho« unschädlich macht. Aber auch die Mächte der Finsternis haben Sir James mittlerweile auf dem Schirm, und so gehört er zu denjenigen von Johns Freunden und Verbündeten, die vom Schwarzen Tod auf den Friedhof am Ende der Welt entführt werden, wo die Entscheidungsschlacht zwischen dem Geisterjäger und seinem bis dato ärgsten Widersacher stattfindet (Band 100 bis 102). Übrigens kann man die Auswahl des Schwarzen Tods durchaus als exemplarisch betrachten, was das Sinclair-Team, also den inneren Kreis von Johns Freunden, betrifft.

Der eingefleischte Beamte, der für seine Mitarbeiter ständig erreichbar ist und einen Großteil seiner Freizeit in einem Club am Ufer der Themse verbringt, wird immer wieder in die heiklen Fälle des Geisterjägers hineingezogen. Im Taschenbuch »Kassandras Fluch« offenbart sich sogar, dass er mit einer Mitarbeiterin des Geheimdienstes verheiratet ist, Agathe Stanhope, die allerdings auf Gibraltar wohnt. Ihr Deckname Kassandra rührt daher, dass sie über hellseherische Kräfte verfügt.

Dass er durchaus in der Lage ist, auch selbst Ermittlungen durchzuführen, beweist er schließlich in Band 2285 »Die irre Agnes«, in dem er den Tod des Sohnes eines alten Freundes untersucht.

Obwohl er nicht in London lebt und John anfangs sogar sehr skeptisch gegenübersteht, gehört auch der deutsche Kommissar Will Mallmann zum inneren Kreis des Sinclair-Teams. Zugleich ist er eine der tragischsten Figuren der Serie. Der Mann mit den ausgeprägten Geheimratsecken und der charakteristischen Römernase tritt zum ersten Mal in dem GESPENSTER -KRIMI »Der Voodoo-Mörder« auf. Nach anfänglichen Reibereien mit John wird er schnell zu einem guten Freund, der den Geisterjäger knapp ein Jahr später sogar offiziell um Amtshilfe bittet (2. Auflage Band 41).

Fortan ist Will Mallmann, Kommissar beim Bundeskriminalamt (BKA ), regelmäßig mit von der Partie. Er ist dabei, als John Sinclair das erste Mal dem Schwarzen Tod begegnet (Band 7), und jagt mit ihm das »Trio des Teufels«. Will ist Junggeselle und interessiert sich ausschließlich für seinen Opel Manta und seine HiFi-Anlage, bis er in Band 71 »Knochen-Saat« während eines Urlaubs im Bayrischen Wald seine große Liebe, die Grundschullehrerin Karin Becker, kennenlernt. Kurz darauf verloben sich die beiden, und auch mit der Heirat warten sie nicht lange. Für John und seine Freunde, insbesondere Will Mallmann, wird die Hochzeit zu einem einschneidenden Erlebnis, und bis heute gehört »Der Sensenmann als Hochzeitsgast« (Band 81) zu den schockierendsten und eindringlichsten Romanen der gesamten Serie:

Ich habe lange überlegt, ob ich diese Geschichte überhaupt niederschreiben soll. Sie ist so schrecklich und grauenhaft, dass mir manches Mal die richtigen Worte gefehlt haben. Dann sagte ich mir, dass ich es meinen treuen Lesern schuldig war, über diese Begebenheit zu berichten. Und so fühlte ich mich dazu verpflichtet, meine Freunde daran teilhaben zu lassen. Die Geschichte handelt von Mord, Grauen und Tod – aber auch von einer unerschütterlichen Liebe …

Kurz nach der Trauung erscheint der Schwarze Tod und tötet Karin Mallmann mit dem Hieb seiner Sense. Zwar gelingt es John Sinclair im Lauf der Geschichte, seinen Erzfeind zu vertreiben, dennoch bleibt Will Mallmann als gebrochener Mann zurück. Doch damit nicht genug, das Schicksal hält noch eine weitere schwere Bürde für ihn bereit … Auf dem Friedhof am Ende der Welt begegnet er seiner Frau schließlich wieder. Inzwischen ist sie eine untote Dienerin des Schwarzen Tods und stellt ihn vor die Wahl, sich ihr anzuschließen und seine Freunde zu verraten oder gemeinsam mit ihnen zu sterben. Will Mallmann trifft eine Entscheidung, und so wird der finale Dreiteiler um den Schwarzen Tod zu seiner ganz persönlichen Katharsis, als er Karin Mallmann mit einer silbernen Kugel erlöst.

Wills Leidensweg ist damit aber noch nicht zu Ende. Jahre später wird er von der Vampirin Reva gebissen und selbst in einen Untoten verwandelt, der sich zu einem von John Sinclairs größten Widersachern mausert: Dracula II (Band 569 und 570).

Ebenfalls erwähnt werden muss an dieser Stelle Lady Sarah Goldwyn , die Horror-Oma. Die Figur ist Jason Darks Hommage an eine seiner Lieblingsschauspielerinnen Margaret Rutherford (u. a. Miss Marple). Ähnlich schrullig, wie die englische Schauspielerin die Romanfigur von Agathe Christie in den Kultfilmen der 1960er-Jahren verkörperte, ist auch Lady Sarah. John Sinclair begegnet der schmuckbehangenen Witwe, die unter dem Dach ihrer Villa in Mayfair ein riesiges Archiv an Horror-Romanen, -Filmen und Sekundärliteratur eingerichtet hat, zum ersten Mal in Band 130 »Mr. Mondos Monster«. Darin verständigt sie die Polizei, weil sie der Meinung ist, dass auf ihrem Dachboden ein Werwolf sein Unwesen treibt. Die Beamten lachen sie aus, informieren aber dennoch den Geisterjäger. Nun, wie sich herausstellt, hat die alte Lady recht gehabt. Der Rest ist Geschichte. Lady Sarah steht für schrullige Liebenswürdigkeit, ohne dabei kitschig oder albern zu wirken. Lange Jahre fungiert sie sogar als Johns Ratgeberin, die ihm so manch wertvollen Tipp gibt. Mit dem Erwerb des Buches »Sieben Siegel der Magie« bringt sie schließlich den Stein ins Rollen, der John hilft, eines der größten Geheimnisse seines silbernen Kreuzes zu lüften. Später kommt ihr eine weitere wichtige Funktion zu, als sie der abtrünnigen Hexe Jane Collins Unterschlupf in ihrer geräumigen Villa bietet. Aus den beiden so unterschiedlichen Frauen werden gute Freundinnen. So gute, dass Lady Sarah Jane zur Haupterbin macht. »Der Angriff« (Band 1324) zweier Vampirfledermäuse sorgt schließlich dafür, dass das Testament schneller greift, als den Betroffenen lieb ist. Ein weiterer schwerer Verlust, den John Sinclair in seinem Leben verkraften muss.

Die Liste wäre nicht vollständig ohne seinen ältesten Freund Bill Conolly . Der jungenhafte Reporter mit dem losen Mundwerk ist neben Sir James Powell am längsten dabei. Seinen ersten Auftritt absolviert er in John Sinclairs zweitem GESPENSTER -KRIMI »Mörder aus dem Totenreich«. Seine Charakterisierung geht jedoch nicht über eine oberflächliche Beschreibung hinaus: »John wandte sich um und sah einen leger gekleideten, schwarzhaarigen Burschen auf sich zukommen.«

Unstimmigkeiten herrschen über das Kennenlernen der beiden Freunde. In der Serienchronologie wird diese denkwürdige Begegnung in Form einer Rückblende erzählt, in der John Sinclair als frischgebackener Inspektor den Serienmörder Monty Parker dingfest macht, nachzulesen im neundundzwanzigsten GESPENSTER -KRIMI .

Unwillkürlich sah er (John Sinclair) sich den Mann genauer an. Er war in seinem Alter, hatte eine wallende Haarmähne und ein sympathisches, offenes Gesicht. Seine hellblauen Augen blitzten.

Doch mit dem Erscheinen des ersten großen Horror-Buches mit John Sinclair, »Hexenküsse«, aus dem Jahr 1984, kommt es zu einem weiteren »ersten« Kennenlernen. In der Bonusstory »Mein erster Fall« begegnen sich John und Bill als Studenten im Haus von Gilda Osborne.

Die Tür wurde geöffnet. Neugierig schaute ich auf die Person, die auf der Schwelle stand.

Es war ein junger Mann. Ungefähr in meinem Alter. Er hatte braunes Haar und trug es relativ lang. Seine Jeans waren eng, das karierte Hemd stand offen, und darüber trug er eine abgewetzte Lederweste. Lässig lehnte er am Türrahmen.

In der vierten und fünften Auflage der Hefte wurde versucht, den vermeintlichen Widerspruch auszumerzen, indem in Band 29 »Das Phantom von Soho« eine neue Szene eingefügt wurde.

»Du hast dich verdammt lange nicht mehr gemeldet, Bill«, sagte John.

Bill war die Freude über das Wiedersehen am Gesicht abzulesen.

»Die Arbeit«, sagte er achselzuckend. »Man muss immer am Ball bleiben, wenn man in seinem Job etwas erreichen will.«

John nickte. »Das ist wohl in jedem Job so.« Er legte Bill Conolly die Hand auf die Schulter. »Ich muss in den Gerichtssaal, Bill. Wartest du drüben in der Kneipe auf mich? Wir haben uns eine Menge zu erzählen.«

»Okay, John. Bis gleich.«

John wandte sich ab. Er ging die breite Treppe hinauf und betrat den hohen Gang, von dem die Türen zu den einzelnen Verhandlungssälen abzweigten.

Seine Gedanken waren noch bei Bill Conolly. Sie hatten sich als Studenten kennengelernt, als sie ihre Bude zusammen bei einer gewissen Mrs. Gilda Osborne gehabt hatten. Damals hatte John praktisch seinen ersten Fall gelöst, denn der Mann der Osborne war ein Zombie gewesen und hatte im Keller des Gebäudes gehaust.

Danach war John wieder zu seinen Eltern gezogen. Später dann hatte er sein Studium in Oxford fortgesetzt. Mit Bill Conolly jedoch hatte er sich immer wieder getroffen, wenn sich die Gelegenheit ergeben hatte. John nahm sich vor, ihn ab jetzt häufiger zu treffen, denn er wusste, dass er nie einen besseren Freund gehabt hatte als Bill.

[…]

Nach der Verhandlung ging John Sinclair zu der Kneipe hinüber, die dem Gerichtsgebäude gegenüberlag. Bill Conolly saß an einem kleinen Tisch am Fenster und winkte ihm zu.

John setzte sich und bestellte sich einen Kaffee. Während er auf den Kaffee wartete, erzählte er Bill, was alles geschehen war, seit er bei Scotland Yard angefangen hatte.

Auch Bill Conolly berichtete von sich.

John hatte das Gefühl, nie länger als einen Tag von Bill getrennt gewesen zu sein. Er konnte es nicht erklären, aber er verstand sich mit Bill wie mit jemandem, den er seit ewigen Zeiten kannte – wie mit einem Bruder, mit dem man aufgewachsen war.

Die Zeit verging wie im Fluge. Sie verabredeten, dass sie sich schon am nächsten Tag wieder treffen wollten, dann trennten sie sich, weil Bill Conolly in seine Redaktion musste.

Zu dieser Zeit ist Bill also noch Angestellter bei einer Zeitung. Das soll nicht lange so bleiben, denn schon während seines dritten Auftritts, im fünften GESPENSTER -KRIMI mit John Sinclair, lernt er seine große Liebe, Sheila Hopkins, kennen. »Sakuro, der Dämon« ermordet nicht nur deren Verlobten Kenneth Brandon, er tötet auch Sheilas Vater Gerald Hopkins, der seiner Tochter einen Chemiekonzern hinterlässt. Zu diesem Zeitpunkt ist Sheila bereits mit Bill Conolly liiert, der seinem besten Freund am Ende des Romans von der Verlobung erzählt. Bei ihrem nächsten gemeinsamen Abenteuer, als es um »Das Rätsel der gläsernen Särge« geht, haben Sheila und Bill bereits geheiratet. Und mit dieser Eheschließung kehrt tatsächlich ein Hauch von Normalität in die Serie ein.