GHOULS UND LEICHENFRESSER

Die Gestalt war ein qualliges Wesen und sah aus wie eine wabernde, kugelförmige Masse. Sie schimmerte grünlich-gelb, war teilweise durchsichtig, und unter dieser geleeartigen Haut zogen sich dicke Aderstränge kreuz und quer wie das Netz einer Spinne. Ein Gesicht hatte das Wesen nicht, und wenn, dann zerfloss es von einer Sekunde zur anderen und formte immer neue Gebilde.

Überlange Arme reichten bis zum Boden. Wenn sie Kontakt hatten, sonderten sie eine Flüssigkeit ab, die organische Substanzen aufnahm und verdaute.

Zum Beispiel Käfer und Hasen. Vielleicht auch Wölfe – und Menschen.

Ja, auch Letztere.

Denn dieses Wesen war ein Ghoul!

Es gehörte zu den schlimmsten Dämonen, die man sich vorstellen konnte. Ghouls wurden selbst von den eigenen Mitgliedern der Dämonenfamilien verstoßen. Man ließ sie nur unwillig am Leben, und sie hausten meist auf alten Friedhöfen, tief unter der Erde, wo sie sich Gänge von einem Grab zum anderen gruben.

»Dracula gibt sich die Ehre«

Das ist die Beschreibung eines klassischen Ghouls in der Serie JOHN SINCLAIR . Gebräuchlich ist hier übrigens die Schreibweise mit »ou«. Der Plural lautet Ghouls. Wir sprechen also weder von Ghuls noch von Ghoulen. Schlägt man den Begriff in einschlägigen Wörterbüchern nach, begegnet einem mitunter sogar ein femininer Artikel. Die Rede ist also von der ghul , einem weiblichen Dämon aus dem persisch-arabischen Kulturkreis, der zu den Dschinns zählt und sich von Menschenfleisch ernährt. Einige Quellen nennen auch Ghula als weibliches Pendant zum Ghul. Andere Überlieferungen verweisen auf den Qutrub als männliches Gegenstück.

Alle Ghouls, Ghule und Ghulas haben gemeinsam, dass sie sich von Menschenfleisch ernähren. Unterschiede gibt es jedoch in der Beschreibung. Sie können sowohl in tierischer als auch in menschlicher Gestalt in Erscheinung treten, andere berichten von Mischwesen aus Mensch und Tier, die in Wüsten leben und über einsame Wanderer herfallen. Geläufiger ist jedoch die Version, nach der die Ghouls auf Friedhöfen hausen, wo sie die Gräber auf der Suche nach menschlichen Überresten durchwühlen. Mit der oben genannten Beschreibung haben sie alle nichts gemein. Selbst die leichenfressenden Dämonen, die H. P. Lovecraft unter anderem in seiner Geschichte »Pickmans Modell« beschreibt, unterscheiden sich rein äußerlich stark von den qualligen Gesellen, die Sinclair oft genug das Leben schwer machen.

Eine der ersten und bedeutendsten Beschreibungen eines Ghouls findet sich übrigens in der Märchensammlung »Tausendundeine Nacht«. Auch hier treten sie als böse Geister in Erscheinung, die in verfallenen Häusern und Ruinen leben und auf Vorübergehende warten, um sie zu überfallen. Erst wenn niemand ihren Weg kreuzt, suchen sie Friedhöfe auf, um sich an den Leichen zu vergreifen.

In der zeitgenössischen englischsprachigen Literatur und im Kino begegnen uns Ghouls oder Ghule als Synonym für Zombies, so zum Beispiel titelgebend im 1933 erschienen »The Ghoul« mit Boris Karloff und in »The Mad Ghoul« aus dem Jahr 1943, Universals erster Zombie-Film, in dem der Unhold durch ein Nervengift der Maya zu untotem Leben erweckt wird und nur durch den Verzehr menschlicher Herzen weiterexistieren kann.

Bei SINCLAIR ist der Ghoul eindeutig vom Zombie zu unterscheiden, wenngleich er kaum noch etwas mit dem persisch-arabischen Vorbild gemein hat, mal abgesehen von der Tatsache, dass er sich gern auf beziehungsweise unter Friedhöfen herumtreibt. Es handelt sich um reinrassige Dämonen, deren quallige Körper ein ätzendes Sekret absondern, das penetrant nach Leichen stinkt. Einige Ghouls, wie der Bestattungsunternehmer Mister Abbot (2. Auflage Band 8) oder auch Mister Grimes (Band 58), können sogar menschliche Gestalt annehmen. Für den Profi ist ihre Maske dennoch einfach zu durchschauen, denn sie schwitzen stark und stinken weithin nach verwesendem Fleisch. Einige versuchen, dieses Manko durch Parfüm zu kaschieren, allerdings mit mäßigem Erfolg (Band 741).

Ghouls sind für John Sinclair und seine Freunde relativ leicht zu vernichten. Sie reagieren äußerst allergisch auf geweihtes Silber, das für eine sofortige Austrocknung der Leichenfresser sorgt. Es sei denn, es handelt sich um besondere Exemplare wie den durch Abwässer mutierten Riesen-Ghoul aus der Sonder-Edition 61 »Ihr Freund, der Ghoul«, der getroffene Körperpartien oder Extremitäten einfach abstoßen kann.

Jason Darks Ghouls reagieren sehr empfindlich auf Feuer. Das muss Mister Abbot am eigenen Leib erfahren, und auch die Leichenfresser, die sich zum »Totenchor der Ghouls« zusammengefunden haben, werden mit Molotow-Cocktails ins dämonische Jenseits befördert (Band 181).

Mit dem bereits erwähnten Xorron bekommen die Ghouls schließlich einen Anführer. Bis dahin mussten sie fast ausnahmslos als Kanonenfutter herhalten. Interessant ist die Entstehungsgeschichte, die ihnen Jason Dark andichtet. Demzufolge stammen die Ghouls nämlich vom sogenannten Planeten der Magier, der den Kontinent Atlantis umkreiste und mit ihm zusammen unterging (Band 310 bis 312). Theoretisch müsste die Zahl der Ghouls also begrenzt sein, allerdings hat sich Pandora, die Unheilbringerin der griechischen Mythologie, die einst Xorrons Schutzpatronin war, angeschickt, sein Erbe fortzuführen. Und Pandora besitzt die Fähigkeit, Menschen und Tiere mithilfe ihres Füllhorns in Ghouls zu verwandeln (Band 2223 und 2254). Mit einer »Königin der Ghouls« bekommt es John Sinclair übrigens auch in Band 1924 zu tun. Trotz Xorrons und Pandoras Ambitionen, die Leichenfresser zu vereinen, fristen sie in der Serie weiterhin eher ein Dasein als geächtete Einzelgänger – ganz im Gegensatz zu der nun folgenden Gruppe, die es durchaus verstanden hat, sich erfolgreich zu organisieren.