Aibon war eine Welt für sich. Es gab zahlreiche Legenden, die sich um dieses geheimnisvolle Land rankten. Angeblich war es beim ersten Kampf zwischen Gut und Böse entstanden. Während die mächtigen Dämonen, die Schwarzen Engel, in die tiefste Hölle gestürzt wurden, eben in das seelenlose Dunkel, rankten sich um Aibon andere Geschichten. Es war das Reich, das von den Menschen den Namen Fegefeuer bekommen hatte. Hier waren diejenigen hingefallen, für die die Hölle nicht als ewige Strafe gedacht war. Mitläufer der Mächtigen, die sich dann verändert hatten. Aus Engeln waren Feen, Elfen und Trolle geworden. Jene Wesen, die nicht unbedingt gut, aber auch nicht allzu böse waren. Dort hatten sie ein Reich errichtet, das aus eigentlich drei Teilen bestand. Es gab eine positive Seite, aber auch eine negative, in der die Hoffnung gestorben war. Sie wurde regiert von Guywano, einem mächtigen Druidenfürsten, der immer wieder versuchte, beide Seiten in seinen Besitz zu bekommen, was ihm bisher nicht gelungen war […].
In der Mitte existierte so etwas wie eine neutrale Zone, aber auch in sie war Guywano schon eingedrungen, was ich einige Male selbst erlebt hatte, denn ich kannte mich in dem Reich aus.
»Die Macht der Druidin«
Haftet bereits Atlantis der Hauch des Fantastischen an, so setzt Aibon dem Ganzen die Krone auf. Oder anders formuliert: Fantastischer geht’s kaum noch. Zwerge, Feen, Elfen, Trolle – alles, was in der High-Fantasy Rang und Namen hat, ist hier vertreten. Selbst Barbaren, Orks und Drachen sind in Aibon beheimatet. Angeblich inspirierte es Mozart zu seiner Oper »Die Zauberflöte« und auch Shakespeare.
Aibon ist zudem die Heimat der Banshees, jener sagenumwobenen Hexen aus der keltischen Mythologie, deren Schrei angeblich den Tod eines Menschen ankündigt. Die Sage von den Banshees ist vor allem in Irland weit verbreitet. John Sinclair hat nicht oft mit diesen Gestalten zu tun, doch wenn, dann geht es eigentlich immer um Aibon (Band 408, 1502, 2074).
Die gute, positive Seite ist dicht bewaldet, man geht über saftige Wiesen und erfreut sich an malerischen Seen. Außerdem gibt es dort Dörfer und Siedlungen, in denen die Bewohner Aibons leben, vor allem die Elfen und Feen. Behütet wird dieses lebensbejahende Land von dem Roten Ryan, der vergleichbar ist mit Shakespeares Luftgeist Ariel und Pate gestanden haben soll für den Papageno aus Mozarts Zauberflöte. Ein solches Instrument spielt auch der Rote Ryan, der seinen Namen den flammendroten Haaren zu verdanken hat. Sein Gewand hingegen sieht aus, als bestünde es aus zahllosen Blättern der unterschiedlichsten Farben und Formen.
Ihm zur Seite stehen die Trooping Fairies, berittene Elfen auf weißen Pferden. Sie haben helle, leuchtende Haut und tragen winzige Glöckchen um ihre Hälse. Bewaffnet sind sie mit Schwertern, Dolchen sowie Pfeil und Bogen. Ihr General ist ein zwei Meter großer, hünenhafter Elf mit wulstigen Gesichtszügen namens Namek.
Die dunkle, böse Seite von Aibon hingegen scheint aus einer schier endlosen Geröllwüste zu bestehen und ist von tiefen Schluchten, Kratern und Felsspalten durchzogen. Dort herrscht Guywano, ein finsterer Druidenfürst. Er führt Krieg gegen Ryan und die Trooping Fairies und setzt alles daran, das gesamte Land unter seine Herrschaft zu zwingen. Es gibt eine Hochebene aus erkalteter Lava und einen Schleimsee, der von Ghouls bevölkert wird, was impliziert, dass eine Verbindung zwischen Aibon und Atlantis beziehungsweise dem Planeten der Magier existieren muss, was mehrfach in der Serie thematisiert wird.
Zwischen der guten und bösen Seite liegt die neutrale Zone, das Zwischenreich, das von zahlreichen Flüssen und Seen durchzogen ist. Dort erhebt sich auch eine lange Gebirgskette, die in einer Steilküste im sogenannten Niemandsland endet.
Herrscher des Zwischenreiches ist der Monster-Troll Hook, ein gigantisches Ungeheuer mit überlangen Armen und Beinen. Seine grüne Haut ist mit Pusteln und Beulen übersät, der Schädel besteht fast ausschließlich aus einem breiten Maul. Der Hook kauert die meiste Zeit auf einer gewaltigen Stele, in der sich die Gesichter seiner Opfer abzeichnen (Band 601).
Im wahrsten Sinn des Wortes jenseits davon liegt Aibons Schattenreich, in das die Seelen der gestorbenen Bewohner des Landes eingehen (Band 2143).
Zum ersten Mal erwähnt wird Aibon in Band 261 »Vom Teufel besessen«. Allzu viel erfährt John zu diesem Zeitpunkt noch nicht über dieses mysteriöse Reich, außer dass es eng mit dem Geheimnis des Dunklen Grals verknüpft ist. Außerdem ist es die Heimat der medial begabten Miriam di Carlo, die John bereits von einem anderen Fall her kennt (Sonder-Edition Band 1). Später stellt sich heraus, dass auch Miriam di Carlo eine Banshee ist (Band 2074).
In dem oben genannten Roman versucht Asmodis, Aibon zu erobern und sich seine Kräfte nutzbar zu machen. Und es soll nicht das letzte Mal gewesen sein, dass die Hölle beziehungsweise Luzifer seine Klauen nach dem Paradies der Druiden ausstreckt. Sogar die Horror-Reiter sind bereits in das sagenumwobene Land eingefallen, wo sie sich einen mörderischen Kampf mit dem Monster-Troll geliefert haben (Band 600 und 601).
Die Hüter von Aibon sind die Männer in Grau, nicht zu verwechseln mit den gleichnamigen Antagonisten aus Michael Endes Kinderbuchklassiker »Momo«, obwohl gewisse Ähnlichkeiten nicht von der Hand zu weisen sind. Auch JOHN SINCLAIR s Männer in Grau sehen alle identisch aus. Sie haben nichtssagende, flache Gesichter, die man sofort wieder vergisst. Auffallend sind höchstens ihre grünen Augen, der einzige Hinweis auf Aibon. Ihre Haut ist gelblich.
Sie tragen graue Anzüge und sind mit magischen Steinen bewaffnet, durch die sie schwarze Strahlen verschießen können, die fast jedes Material verdampfen. John trifft das erste Mal auf sie, als sie Jagd auf die Druidin Bella Benson machen, die mit ihrer »Vampir-Kosmetik« Frauen in Blutsaugerinnen verwandelt. Dort geben sich die Männer in Grau als Hüter des Dunklen Grals aus, und von Aibon ist noch keine Rede (Band 240). Die Männer in Grau sind zunächst neutral, auch wenn sie später oft für Guywano arbeiten.
Guywano der Druidenfürst, der über die dunkle Seite des Landes herrscht, sieht aus wie ein alter Mann mit schlohweißem Haar. Seine Gesichtszüge sind hart, die Haut schimmert braungrün.
John Sinclair begegnet ihm zum ersten Mal, als sich Guywano für die Entweihung eines alten Druiden-Friedhofes rächen will, auf dem das Militär neue Waffensysteme testet (Band 301). Der Geisterjäger bekommt sogar die Gelegenheit, Guywano zu vernichten, verschont den Druidenfürsten jedoch, da er es sich nicht mit Aibon und dessen Kräften verscherzen will. Diese Menschlichkeit, die John natürlich auszeichnet, rächt sich allerdings schon bald, denn Guywano erweist sich als überaus mächtiger und gerissener Gegenspieler.
Ein Schlüsselroman ist das Taschenbuch »Aibon – Land der Druiden« (Sonder-Edition Band 54). Hier erfährt John Sinclair nicht nur Näheres über die Machtverhältnisse innerhalb des Landes, er sieht auch zum ersten Mal das geheimnisvolle Rad der Zeit. Es ist etwas größer als ein Mensch und besteht aus zwei Scheiben, die durch ein Hexagramm miteinander verbunden sind. Drumherum sind dieselben Zeichen wie in der Mitte von John Sinclairs Kreuz verewigt. Welche Bewandtnis es damit hat, ist bis heute nicht geklärt. John weiß nur, dass dieses Rad seinen Namen nicht umsonst trägt. Wer darauf festgebunden wird, kann nämlich in die Zukunft beziehungsweise in die Vergangenheit sehen, je nachdem, in welche Richtung es gedreht wird.
Zunächst befindet sich das Rad der Zeit im Besitz von Guywano, doch dann gelingt es dem Roten Ryan, es auf die gute Seite zu bringen (Band 960 und 961). Dort erlebt John später den Tod seiner Eltern mit, als er an das Rad gebunden wird, um in die Vergangenheit zu reisen (Band 1002).
Obwohl es offensichtlich eine Verbindung zwischen Aibon und Johns Kreuz geben muss, reagiert der Talisman nicht auf die Magie des Landes. Jedenfalls nicht so, wie es sich der Geisterjäger manchmal wünschen würde. Das Kreuz nimmt lediglich einen grünlichen Schimmer an, sobald es mit der Magie von Aibon in Berührung kommt, und warnt seinen Träger auf diese Weise. Aber vielleicht ist es auch ganz gut so, dass die weiße Magie des Kreuzes nicht zerstörerisch auf die Bewohner des Landes reagiert, die John ja nicht alle feindlich gesonnen sind.
Eng mit Aibon verknüpft ist die Schlangenmagie , die der Rote Ryan zu spüren bekommt, als ihn seine eigene Schwester Ziana in eine Riesenschlange mit menschlichem Kopf verwandelt (Band 420). Einige Jahre später stoßen John und seine Freunde auf die Ophiten, eine Sekte aus dem Altertum, deren Anhänger die Paradiesschlange verehren (Band 956 und 957). Wie sich zeigt, hat diese Sekte bereits Asmodina beziehungsweise Apep, die Höllenschlange, angebetet. Einer der Ophiten, ein Mann namens Eric Thonios, wird durch den Schlangenkeim zu einem Schlangenmenschen, der im Keller eines Restaurants mit dem bezeichnenden Namen Apophis eine neue Paradiesschlange heranzüchtet – sehr zum Missfallen von Lilith, die sich selbst als die einzig wahre Paradiesschlange ansieht und die Riesenschlange vernichtet (Band 1951).
Liliths Eingreifen an dieser Stelle ist insofern interessant, da sie ja die Zeichen in der Mitte von Johns Kreuz, die auf dem Rad der Zeit verewigt sind, einst gestohlen hat. Zudem spielt das Rad der Zeit eine wichtige Rolle, als die Symbole wieder zurückkehren (Sonder-Edition Band 100).
Schließlich wird der Kult der Ophiten von dem Schlangenpriester Fachan wiederbelebt, der, Sie ahnen es bereits, ebenfalls aus Aibon stammt (Band 2056 und 2060). Erst sehr viel später erfährt John Sinclair, dass schon Richard Löwenherz während des dritten Kreuzzugs mit den Ophiten aneinandergeraten ist (Band 2139) … nur einer von vielen Kreisen, die sich innerhalb der Serie schließen.
Der Kampf gegen Guywano bleibt dagegen lange Zeit unentschieden, bis es dem Roten Ryan schließlich auf recht unspektakuläre Weise gelingt, seinen Erzfeind zu vernichten (Band 1697). Eine Entscheidung bezüglich des Gleichgewichts zwischen Gut und Böse ist damit jedoch noch lange nicht herbeigeführt, denn es gibt genügend Anwärter, die bereit sind, den Platz von Guywano, dessen Grab im Schattenreich liegt, einzunehmen.
Einer von ihnen ist Dravotan, eine Kreatur der Finsternis, der es dank der aibonschen Magie sogar gelingt, dem aktivierten Kreuz zu widerstehen (Band 1957). Ein anderer Dämon, der sich anschickt, Guywanos Erbe zu übernehmen, ist der Elfenblutvampir Rog, der Anführer von Aibons Monsterwölfen. Rogs Leib besteht aus einer stinkenden, amorphen schwarzen Masse, in der kalkweiße Augen leuchten. Der Körper wird allein durch eine glänzende Rüstung in Form gehalten.
Beide Dämonen wurden von Rafael Marques ersonnen, der das Thema Aibon auf äußerst kreative und fantasievolle Weise fortgesetzt hat und noch weiter ausbaut.
Aibon mag keine so gewichtige Rolle spielen wie Atlantis, doch die Romane sind stets ein Garant für fantastische Geschichten mit dem gewissen »Sense of Wonder«.
Ebenso fantastisch, aber deutlich mystischer, vor allen Dingen jedoch geschichtsträchtiger geht es dagegen in einem anderen Themenkomplex zu, der, genau wie Atlantis, keine Erfindung von Jason Dark ist. Ebenso wie beim versunkenen Kontinent, handelt es sich auch hier um ein Eiland. Und zwar um ein besonderes. In einigen Überlieferungen wird es als Insel der Äpfel bezeichnet, in anderen schlicht als Nebelinsel. Die meisten kennen es jedoch unter dem Namen …