AVALON

Avalon, die Nebelinsel, die Insel der Toten und gleichzeitig die Insel der Lebenden. Aus der keltischen Mythologie entstanden, waren schon die Gralsritter auf der Suche nach Avalon gewesen, die sie auch mit dem heiligen Gral, der Blutschale Christi, in Verbindung gebracht hatten. Selbst Parzival hatte nach Avalon gesucht.

»Die Vergessene von Avalon«

Wenn eine Serie wie JOHN SINCLAIR so lange auf dem Markt ist und sich dort auch halten will, dann muss sie sich entwickeln. Das wurde Jason Dark schon früh bewusst, sodass er nach dem Schwarzen Tod, Asmodina und der Mordliga den Schwerpunkt zunächst auf Atlantis und die Großen Alten legte, ehe er sich den Templern und damit dem Mysterium des Dunklen Grals zuwandte. Aibon, so müssen wir an dieser Stelle festhalten, hat in der Serie nie eine derart prominente Rolle gespielt, dass sie JOHN SINCLAIR in irgendeiner Phase dominiert hätte. Wohl auch, damit das fantastische Element in der Serie nicht überhandnimmt, da Jason Dark sie stets als Gruselserie verstand und dies heute noch tut. Und da, seien wir ehrlich, passt ein von Nebel umfangenes Eiland, das sich irgendwo westlich von Britannien in der Irischen See befinden soll, besser ins Bild als ein verwunschenes Reich voller Zwerge, Trolle und Elfen.

Avalon wurde erst ziemlich spät in der Serie thematisiert, kurz nach Band 600 (eine Zahl, die nur wenige Heftromanserien, zumindest aus dem Bereich der Fantastik, jemals erreicht haben). Dabei fügt sich Avalon nahtlos in den Serienverlauf ein, weil es dem Themenkomplex der Templer neue Aspekte verleiht. Bis Band 500 dreht sich die Handlung in den Templergeschichten hauptsächlich um das Mysterium des Dunklen Grals (übrigens nicht zu verwechseln mit dem Heiligen Gral), der auch bei Avalon eine erhebliche Rolle spielt. Darüber hinaus ist Avalon vor allem deshalb interessant, weil es der Handlung um Atlantis neuen Schwung verleiht. Bei der Nebelinsel soll es sich nämlich um eine atlantische Kolonie handeln, auf der einige Überlebende nach der Katastrophe Zuflucht gefunden haben. Mit seiner hügeligen Landschaft, den üppigen Wäldern und den geheimnisvollen Seen erinnert Avalon an den positiven Teil von Aibon. Auch hier gibt es Gebirge und sogar sandige Strände.

Die Insel ist nicht nur Heimat von Merlin, dem Sohn des Teufels, auf ihr befinden sich auch die Gräber von König Artus und seinen Rittern der Tafelrunde, die dort als Geister weiterexistieren.

Zum ersten Mal mit Avalon in Berührung kommt John Sinclair, als ihm eine blinde junge Frau namens Melusine de Lacre, »Die Vergessene von Avalon«, den Dunkeln Gral stiehlt, um mit seiner Hilfe auf die Nebelinsel zu gelangen. Als Strafe dafür, dass er den Gral nicht schützen konnte, altert John über Nacht um dreißig Jahre und flüchtet in den Hyde Park, wo er auf »Das Monstrum von der Nebelinsel« trifft. Bei dem berittenen Skelett handelt es sich um den Wächter von Avalon, den Riesen Dyfur, der schließlich von seinem eigenen Bruder Brân getötet wird – allerdings erst nachdem er auch John Sinclair nach Avalon gebracht hat. Leider ist dort selbst König Artus nicht in der Lage, John zu helfen. Erst als Kara, die Schöne aus dem Totenreich, mithilfe der Flammenden Steine den Spuk beschwört, ihr einen Tropfen vom Trank des Vergessens zu überlassen, gelingt John die Rückkehr. Doch obwohl sich der Dunkle Gral nun wieder in seinem Besitz befindet, bleibt er ein alter Mann (Band 621 bis 623). Kurz darauf nimmt Brân, dessen versteinerter Schädel in der Nähe von London bei einer Mülldeponie entdeckt wird, telepathisch Kontakt mit dem Geisterjäger auf. Er erklärt ihm, dass er seine Jugend zurückerhält, sobald Avalon dafür die Seele eines anderen Menschen bekommt. Ein Opfer, das die ehemalige Schauspielerin Nadine Berger, die im Körper eines Wolfes bei den Conollys lebt, gern erbringt. Sie begibt sich durch den Schädel nach Avalon, wo sie den magischen Kessel des Riesen durchqueren muss, der imstande ist, tote Menschen lebendig zu kochen. Daraufhin löst sich Brâns Schädel auf, und John erhält seine Jugend zurück (Band 624).

Obwohl Nadine tatsächlich wieder als Frau auf die Erde zurückkehrt, bleibt ihr Schic ksal eng mit der Nebelinsel verknüpft. Das muss auch John erkennen, als seiner ehemaligen Geliebten die »Flucht nach Avalon« gelingt (Sonder-Edition 134).

Aus Nadines Sicht ist diese Flucht ein logischer Schritt, wurde sie doch kurz nach ihrer Rückkehr auf die Erde nicht nur von Fenris, dem Götterwolf, gejagt (Band 627), sondern geriet auch in die Fänge von Dracula II , der sie zu einer Vampirin machte (Band 650 und 651). Nur dank ihres besonderen Schicksals und dem sogenannten »flüssigen Leben« gelang es John Sinclair und seinen Freunden, sie wieder in einen Menschen zurückzuverwandeln (Band 663 bis 667). Nadine kommt zu dem Schluss, dass sie in der »normalen« Welt stets eine Gejagte sein wird, und so beschließt sie, nach Avalon zurückzukehren und für immer dort zu bleiben. Für John Sinclair ist dieser Verlust durchaus ein Schock, erinnert ihre Entscheidung doch irgendwie an das Schicksal der ehemaligen Hexe Jane Collins.

Gleichzeitig führt Jason Dark mit dem oben erwähnten Roman »Flucht nach Avalon« ein weiteres Mysterium in die Serie ein, nämlich den sogenannten Glastonbury Tor . Obwohl es sich dabei tatsächlich um das Tor nach Avalon handeln soll, bezeichnet der Begriff kein Portal. Das Wort »Tor« ist keltischen Ursprungs und bedeutet so viel wie »konischer Hügel«.

Dabei war John schon lange klar, dass ihn das Schicksal eines Tages dorthin führen würde:

Überall waren Moore mit ihren Weidenbäumen und den kleinen Wasserrinnen, die wie Arme in das braune Grün hineingriffen, als wollten sie dafür sorgen, dass die Menschen hier immer genug zu trinken hatten. Torfrauch lag über dem Land.

Ich war hier, und ich hatte gewusst, dass es irgendwann einmal dazu kommen würde.

Ich befand mich in Glastonbury, einem kleinen Ort in der Provinz Somerset, der es allerdings in sich hatte und einen Namen besaß, den viele kannten, es aber kaum wagten, ihn auszusprechen.

Glastonbury, das englische Jerusalem.

Hier hatten die berühmten Mythen und Legenden ihren Ursprung. Hier entstand die weltberühmte Sage von König Artus, hier wurde die Legende um die Insel Avalon erschaffen, das Avalon des Grals, des Kelchs, denn hier hatte Parzival mit seiner Suche nach dem Heiligen Gral begonnen. Ein immergrünes Land, das schon zu Cornwall gehörte, das meist schicksalsschwer dalag, wie erdrückt von der Last einer gewaltigen mythischen Vergangenheit.

»Flucht nach Avalon«

Dass auch die Templer einen Weg nach Avalon kannten, erfährt John, als es ihm in New York gelingt, den geheimnisvollen Knochensessel zu ersteigern, der sich einst im Besitz des Templers Hector de Valois befunden haben soll (Band 771). Kurz darauf finden John und seine Freunde heraus, dass der Knochensessel aus den Gebeinen des letzten Großmeisters der Templer, Jacques de Molay, besteht und ein Tor nach Avalon darstellt. Der Knochensessel bleibt fortan bei dem erblindeten Templer-Führer Abbé Bloch in dem Kloster nahe des Dorfes Alet-les-Bains im Süden Frankreichs. Dort befindet sich übrigens auch die Kathedrale der Angst, in der das silberne Skelett von Hector de Valois ruht (Band 772 bis 774).

Im Verlauf des insgesamt neunbändigen Zyklus greift der Geist des Baphomet in Form eines schwarzen Nebels die Templer-Enklave in Südfrankreich an. Während Bloch seine Brüder in der Kathedrale der Angst versteckt, hält er mit Suko die Stellung, bis ihnen keine andere Wahl bleibt, als mit dem Knochensessel nach Avalon zu flüchten (Band 779 und 780). Bevor Baphomet den Sessel mithilfe wiedererweckter Skelette zerstören kann, erscheint John Sinclair und vernichtet die Gerippe mit seinem Kreuz (Band 782).

Schließlich begegnet John dem untoten Ritter Lomenius, von dem er erfährt, aus wessen Skelett der Knochensessel besteht (Band 783). Zusammen mit Bill Conolly folgt John den noch immer in Avalon verschollenen Freunden Abbé Bloch und Suko auf die Nebelinsel. Der blinde Templerführer erhält von Merlin sein Augenlicht zurück und erlebt gemeinsam mit Suko die Aufnahme von Lomenius in die Tafelrunde. Damit der Abbé und Suko Avalon verlassen dürfen, muss John dem Zauberer Merlin den Dunklen Gral überlassen (Band 784).

Danach wird es ein wenig ruhiger um Avalon, obwohl der Geisterjäger immer wieder mit dem geheimnisvollen Eiland in Berührung kommt, schließlich ist die Nebelinsel auch die Heimat der Riesen. Einem von ihnen begegnet er, als es um »Das Höllenbild« geht (Sonder-Edition Band 184). Andere machen Ärger, als nahe Glastonbury »Die Blutquellen« aufbrechen und »Avalons Riesen« auf die Erde gelangen (1065 und 1066).

Einer von ihnen gerät sogar unter den Einfluss von Luzifer, als dieser gemeinsam mit den Horror-Reitern die Nebelinsel erobern will. Das kann John zwar verhindern, indem er sich mithilfe von Excalibur ein mörderisches Duell mit Asmodis liefert (Band 2052 bis 2054), doch der veränderte Riese taucht später in dem Dorf Egloskerry in Cornwall wieder auf, gar nicht weit von Glastonbury entfernt.

Johnny Conolly, John Sinclairs mittlerweile erwachsenes Patenkind, macht zu dieser Zeit gerade Urlaub bei seiner Ex-Freundin Laura Patterson in Egloskerry. Gemeinsam mit Lauras jüngerem Bruder wird Johnny durch ein Sumpfloch nach Avalon gezogen, wo er feststellen muss, dass sich die Insel verändert hat. Der Sumpf ist schlammig, die Wälder sind verdorrt und die Geister der verstorbenen Ritter zu Monstern geworden. Wie sich herausstellt, wurde sogar Merlin von Luzifer verwandelt! Doch mithilfe eines goldenen Apfels gelingt es Johnny, den Hüter von Avalon von dem schwarzmagischen Keim zu befreien und die Nebelinsel zu erlösen. In der Zwischenzeit vernichtet Bill Conolly den Riesen in Egloskerry mit dem magischen Bumerang (Band 2110).

Was jedoch niemand ahnt, ist, dass das verseuchte Blut des Riesen eine schreckliche Wirkung auf die Fauna des Moores hat. Und so erlebt Egloskerry das Grauen auf tausend Beinen, als Mücken, Spinnen und Libellen zu übergroßen Monstern heranwachsen (Band 2195).

Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang eine Vorfahrin von John. Geraldine Sinclair wollte 1746 die Schlacht bei Culloden in den Highlands verhindern, wurde jedoch von ihren eigenen Leuten als Verräterin gefangen genommen und später von den Engländern befreit (Sonder-Edition Band 175). Schließlich führt sie ihr Weg nach Avalon. Doch in der realen Welt sollen über zwanzig Jahre vergehen, ehe die Leser wieder von ihr hören. Geraldine spielt eine wichtige Rolle im »Finale auf der Nebelinsel« (Band 2054) und wird schlussendlich zur Beschützerin von Timothy Patterson, dem sie sogar eines ihrer Schwerter schenkt (Band 2110). Gemeinsam mit ihrem Waffenbruder Suko kämpft sie am Ende von Band 2195 gegen eine mutierte Riesenspinne und rettet Timothy dadurch erneut das Leben.

Obwohl sich Avalon und seine Bewohner seitdem friedlich verhalten, wird das mit Sicherheit nicht so bleiben. Wie Atlantis und Aibon, so hütet auch Avalon noch jede Menge Geheimnisse, denen John und seine Freunde in den nächsten Jahren auf die Spur kommen werden.