DAS CHRISTENTUM

Haben wir nicht schon zu viel Blut vergossen? Morgen erobern wir Jerusalem, übermorgen entreißen es uns die Sarazenen wieder. Und so geht es in einem fort. Spielen wir damit den Dämonen nicht letztendlich in die Hände? Sollten wir, statt uns zu bekriegen und zu entzweien, nicht zusammenhalten und gemeinsam kämpfen?

Richard Löwenherz (»Im Tempel der Schlange«)

Es überrascht wohl wenig, dass in einer Serie, in der die wichtigste Waffe des Helden ein Kreuz ist, das Christentum, neben der jüdischen Mythologie, die größte Rolle spielt. Hier dürfte die Konfession von Jason Darks Alter Ego Helmut Rellergerd maßgeblich gewesen sein.

In den Romanen lesen wir immer wieder von alttestamentarischen Überlieferungen und Götzen oder von Bedrohungen biblischen Ausmaßes. Dabei wird sich in erster Linie auf das Alte Testament und die Schöpfungsgeschichte berufen. Das Neue Testament spielt eine eher untergeordnete Rolle. Eine Ausnahme stellt selbstverständlich die Offenbarung des Johannes dar, deren Kapitel 12, Vers 9 immer wieder gern in Romanen, Filmen und Hörspielen zitiert wird:

Und es wurde hinausgeworfen, der große Drache, die alte Schlange, die da heißt: Teufel und Satan, der die ganze Welt verführt, und er wurde auf die Erde geworfen, und seine Engel wurden mit ihm dahingeworfen.

Das Zitat wird zu Beginn des Hörspiels »Das Mädchen aus Atlantis« der Edition 2000 genannt und steht auch am Anfang des ersten Teils der Täufer-Trilogie (Band 2014).

Die Verse dienen zunächst als unheilvolle Prophezeiung. Es wirkt eben alles eine Spur mystischer und epischer, wenn aus der Bibel zitiert wird.

In erster Linie ist es jedoch die christliche Symbolik, die in Horror-Heftromanen im Allgemeinen und speziell in der Serie JOHN SINCLAIR eine große Rolle spielt, inspiriert unter anderem von den Filmen der britischen HAMMER -Studios, auf die bereits in Kapitel 1 und 3 eingegangen wurde. So reagieren die meisten Vampire allergisch auf Kreuze. Oft reicht es schon, zwei Stuhlbeine kreuzweise aneinanderzuhalten, so wie Bill Conolly es bei einem von Lady Ladugas Blutsaugern macht (2. Auflage Band 4). Auch das Wort Gottes oder ein schlichtes Gebet können einen Vampir in die Flucht schlagen oder zumindest lange genug in Schach halten, bis man sich in Sicherheit gebracht oder bewaffnet hat. Marie, die Frau von Frantisek Marek, dem Pfähler, hat es vorgemacht:

In ihrer wahnsinnigen Angst fielen ihr plötzlich wieder die alten Gebete ein. Automatisch murmelten ihre Lippen die Worte. Sie sprach lauter, schleuderte dem Vampir das Credo des Guten ins Gesicht und sah, wie Silva Varescu zusammenzuckte, den Kopf zwischen die Schultern zog und anfing zu greinen. Die Worte des Guten schienen ihr körperliche Schmerzen zu bereiten. Beide Hände presste sie gegen die Ohren, und Marie dachte gar nicht daran, aufzuhören. Es war plötzlich eine Kraft in ihr, die ihr nur jemand eingegeben haben konnte, der weit über den Dingen stand. Marie Marek wusste plötzlich, was sie zu tun hatte.

»Der Pfähler«

Der Absatz ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen zeigt er anschaulich, dass Gebete, »die Worte des Guten«, nicht nur innere Stärke und Zuversicht verleihen, sondern unter Umständen sogar als Waffe eingesetzt werden können. Zum anderen wird deutlich, dass das Übernatürliche nicht ausschließlich von den Mächten der Finsternis ausgeht. Die Botschaft dahinter ist unmissverständlich: Wer brav seine Gebete spricht, dem kann das Böse nichts anhaben, denn der Allmächtige selbst wacht über ihn. Andersherum laufen Ungläubige eher Gefahr, Opfer von Dämonen und Untoten zu werden, da sie in der Regel weder christliche Symbole bei sich tragen noch Gebete kennen. Schlussendlich wird Silva Varescu durch die bloße Berührung mit einem hölzernen Prozessionskreuz, das mit Weihwasser besprenkelt wurde, erlöst. Dass selbst Holzkreuze zu tödlichen Waffen werden, sofern sie geweiht sind, ist keine Ausnahme innerhalb der Serie.

John Sinclair und Karel Marek, ein Vorfahre von Frantisek, verhindern so die Rückkehr des Vampirs Fariac in die Horror-Gruft (Band 140), und auch Vampirkater Mickey haucht auf diese Weise sein unseliges Dasein aus (Band 585). Selbst einige Dämonen wurden schon mit Holzkreuzen gebannt, obwohl Vampire am heftigsten auf diese Symbole ansprechen. Werwölfe, Zombies und Ghouls zeigen sich davon gänzlich unbeeindruckt, sofern das Kreuz nicht aus Silber besteht, und selbst dann ist es eher die Wirkung des Metalls, die ihnen zu schaffen macht.

Kirchen sind beliebte Rückzugsorte bei einem dämonischen Großangriff oder einer Belagerung. So evakuieren John und seine Freunde die Bewohner des Dorfes Grynexxa in die Dorfkirche, als der Todesnebel erscheint (Band 132). Allerdings mit mäßigem Erfolg, was jedoch nur die Gefährlichkeit der Gegner unterstreicht. Dennoch bilden Kirchen beliebte Bollwerke gegen das Böse, und Pfarrer sind für John Sinclair stets willkommene Verbündete. Zum einen, weil sie die Existenz des Übernatürlichen und des personifizierten Bösen meistens fraglos anerkennen, und zum anderen, weil sie oft am besten über die lokalen Mythen und Legenden informiert sind. Mit Father Ignatius und Abbé Bloch stehen dem Geisterjäger gleich zwei geistliche Vaterfiguren als Mentoren und Ratgeber zur Seite. Ersterer zunächst noch im Kloster St. Patrick, später dann sogar im Vatikan, wo er sich der Weißen Macht anschließt, die das Ziel hat, die sagenumwobene Bundeslade zu finden. In ihr sollen sich die Gesetzestafeln befinden, die Moses einst von Gott persönlich erhalten hat.

Auch Abbé Bloch bildet zusammen mit seinen Templern und dem dazugehörigen Kloster einen christlichen Fels in der dämonischen Brandung. Zwar gibt es auch unter den Geistlichen Abtrünnige, so wie Matthias, einen ehemaligen Agenten der Weißen Macht, der von Luzifer umgedreht wird (Band 1575), doch diese schwarzen Schafe sind die Ausnahme. Oft ist es nicht einmal ihre Schuld, sondern sie sind Opfer einer Intrige. So wie Monsignore Ernesto Bentini, der Gründer der Weißen Macht, dessen Tochter sich als Dienerin des Götzen Baal entpuppt (Sonder-Edition Band 155).

Baal begegnet uns in der Serie vor allem als Götze. Ein Begriff, der gerade im Zusammenhang mit dem Alten Testament synonym für besonders mächtige Dämonen verwendet wird, denen gottgleiche Eigenschaften zugesprochen werden.

Ursprünglich ist Baal (oder auch Ba’al) ein Fruchtbarkeitsgott der Sumerer und Phönizier. Sein Name bedeutet übersetzt so viel wie »Herr«, »Meister«, »Besitzer«, »König« oder eben »Gott«. Der Begriff wurde weniger als Name, sondern vielmehr als Titel benutzt, der für jeden Gott verwendet werden konnte. Die Philister verehrten Baal-Zeebub, woraus im Judentum schließlich Beelzebub wurde (Hebräisch: Ba’al zevuv für »Herr/Gott der Fliegen«). Es handelt sich dabei um eine Verballhornung des ursprünglichen Namens Baal Zebul (»erhabener Herr«). Dadurch wurde der heidnische Gott abgewertet und zum Dämon erklärt. Laut Herodot war Baal (in diesem Fall Bel) identisch mit Zeus. Selbst Marduk, der Stadtgott von Babylon, trug diesen Titel. Ganz gleich welcher Baal auch immer gemeint war, im Christentum galt seine Anbetung im Sinne des ersten Gebotes (»Du sollst keine anderen Götter neben mir haben«), als Dienst am Götzen. Er wird unter anderem mit dem Stierbild assoziiert, dem Goldenen Kalb, das das Volk Israel anbetete, während Moses auf dem Berg Sinai die Gesetzestafeln empfing. Baal ist auch der Götze, der John Sinclair des Öfteren das Leben schwermacht. So lässt er dessen Seele durch seinen Diener Okastra in den Körper des Barbaren Torkan fahren und stiehlt ihm den silbernen Dolch, der sich später als Baals Opferdolch entpuppt (Band 317 bis 320). Dieser Götze hat nichts mit der von Johann Weyer in seiner Schrift »Pseudomonarchia Daemonum« karikierten Version von Baal zu tun, der laut dem Verfasser nicht nur der höchste Herrscher der Hölle sein soll, sondern auch ein Rechtsexperte, der Wortgefechte liebt. Belial und Beelzebub sind bei JOHN SINCLAIR eigenständige Charaktere, wohingegen der stets im Zusammenhang mit AEBA und den Horror-Reitern genannte Bael mit dem oben erwähnten Götzen identisch ist.

Auch die Horror-Reiter sind biblischen Ursprungs und basieren auf den apokalyptischen Reitern aus der Offenbarung des Johannes, während Beelzebub zwar im Neuen Testament bei Matthäus (12,24) erwähnt wird, seine Interpretation als »Prinz der Dämonen« und »Herr der Fliegen« aber, wie bereits beschrieben, auf dem jüdischen Glauben basiert. Dasselbe gilt im Übrigen auch für Asmodis und Belial.

Lilith wird im Alten Testament lediglich an einer Stelle im Buch des Propheten Jesaja erwähnt (34,14), und selbst dort wird sie in der Übersetzung von Martin Luther verleugnet, indem nur von einem ominösen »Nachtgespenst« die Rede ist. Der Name Lilith wurde in der Übersetzung kurzerhand gestrichen.

Nichtsdestotrotz trifft man in der Serie immer wieder auf Namen und Begriffe aus der Bibel. So wird die Götzendienerin Isebel (Englisch: Jezebel ) zur Namensgeberin einer Dämonin mit Vorliebe für Insekten (Sonder-Edition Band 186). »Jericho« entpuppt sich überdies als indianischer Traum-Dämon namens Kajuara, dessen Stadt von den Erzengeln mit Trompeten zum Einsturz gebracht wird (Sonder-Edition Band 116). Astarte, die Gemahlin Baals, begegnet uns als »Die Braut des Spuks« (Sonder-Edition 123), die von ihrem Gatten als Strafe für den Ehebruch in einen Berg verwandelt wurde. Und »Absalom«, in der Bibel ein Sohn von König David, hilft John dabei, die Gebeine von Maria Magdalena zu finden (Band 1250 bis 1252), neben der Bundeslade nur ein weiteres von zahlreichen biblischen Artefakten, denen John im Laufe seiner Karriere hinterherjagt. Ein weiteres ist die Lanze des Longinus, die der römische Legionär verwendete, um zu prüfen, ob Jesus von Nazareth wirklich tot war. In Zusammenhang mit diesem Fall lernt John auch seine Halbschwester Lucy kennen (Band 1395 und 1396).

Den biblischen Barabbas und den Drachen Barrabas (Band 111 und 112) verbindet außer ihren ähnlich klingenden Namen dagegen nichts, außer vielleicht dass sie beide üble Gesellen waren. Im Falle von Letzterem mag das kaum überraschen, da Drachen und Schlangen in der Serie, ganz im Sinne des oben genannten Bibelzitats, oft mit dem Bösen assoziiert werden. Hier sei noch mal an die Schlangensekte der Ophiten (siehe Kapitel 5) erinnert, deren Anhänger die Paradiesschlange verehren. Richard Löwenherz begegnet ihnen »Im Tempel der Schlange« während des Dritten Kreuzzugs (Band 2139).

Selbst »Kain« wird nicht verschont, auch wenn der Roman in erster Linie eine Hommage an die Musiker-Gruppe CAIN ist, die den Bonussong »Age of Darkness« zur ersten Staffel der neuen JOHN SINCLAIR -Hörspiele beisteuerte (Band 1802):

Kain war seit dem Alten Testament und der Genesis ein Begriff. Fast jeder kannte den Brudermörder. Kain war nicht vergessen. Es gab jemanden, der ihn ganz besonders mochte – und der liebte auch den Teufel. Und so kam es zwischen Kain und dem Teufel zu einer schlimmen Allianz.

Kain, beziehungsweise seine Töchter, begegnen uns, als Lilith die Erweckung ihrer vier Engel der Unzucht und Hurerei vorbereitet. Einer von ihnen, Naema, gilt als erste Tochter von Kain (meistens begegnet einem in diesem Zusammenhang die Schreibweise Naama, was mit »die Liebliche« übersetzt wird). Sie soll Frauen und Mädchen dazu animiert haben, zu singen und zu tanzen, sich zu schminken und schöne Kleider zu tragen, um die Männer zu verführen. Naemas Anhängerinnen nannten sich daraufhin Töchter des Kain. Suko begegnet ihnen im Zuge einer Mordermittlung in einer Escort-Agentur. Sie sind identisch mit Liliths Vollstreckerinnen (Band 2290).

Schließlich finden noch die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes Erwähnung, als der Dämon Namtar stellvertretend für sie vier Menschen opfert, um »Die Rückkehr des Schwarzen Tods« in die Wege zu leiten.

Halten wir also fest, dass die christliche Mythologie einen erheblichen Einfluss auf die Serie hatte und noch immer hat. Immerhin stellt die Heilige Schrift eine schier unerschöpfliche Quelle an Namen, Begriffen und Mysterien dar, die nur darauf wartet, ausgeschöpft zu werden.