4. Junkie-Bruder

Mama fand direkt vor dem Hotel einen Parkplatz. Ich hatte Domenicos Lederjacke fest unter den Arm geklemmt und folgte Mama ahnungslos durch die Eingangstür in den Empfangsraum.

Als wir reinkamen, erkannten wir sofort, dass etwas passiert war. Wir sahen es an den nassen Fußspuren auf dem abgewetzten Teppich, an Domenico, der wie ein begossener Pudel mit feuchten Klamotten und nassem Haar an der Rezeption stand und irgendwas stammelte, an den bösen Blicken der Frau hinter dem Schalter, und vor allem an dem aufgebrachten und wutschnaubenden Ehepaar, das neben ihm stand.

«Wie kann man nur zwei Junkies hier aufnehmen!», donnerte die scharfe Stimme des Mannes. «So eine Sauerei!»

«Der halbe Flur steht unter Wasser!», rief die Frau hysterisch. «Es ist sogar durch die Ritzen in unser Zimmer gedrungen!»

Ich war heilfroh, dass Mama geübt darin war, Ruhe zu bewahren. Paps wäre mit Sicherheit ausgerastet. Was mich betraf, kam es mir vor, als sei ich schon daran gewöhnt, dass Nicki und Mingo sich von einer Katastrophe in die nächste manövrierten. Was hatten sie diesmal wieder angestellt?

«Man sollte die Polizei rufen!» Das war wieder der verbiesterte Mann.

«Ey, ich bring das in Ordnung, echt!», beteuerte Domenico verzweifelt. «Bitte. Mein Bruder … er kann nichts dafür …»

Ich bahnte mir sofort einen Weg zu ihm, indem ich versuchte, die nassen Spuren zu umgehen. «Nicki! Was ist los?»

Er sah mich an und stieß erleichtert Luft aus, als hätte ich ihn gerade vor dem Ertrinken gerettet.

«Maya! Mann, du glaubst nicht, was passiert ist. Mingo hat die totale Schweinerei angerichtet. Die wollen die Polizei rufen!» Er heulte fast.

«Was hat er denn gemacht?»

«Er hat das Wasser im Bad laufen lassen. Sitzt voll zugedröhnt in der Wanne, verstehst du, und das Wasser läuft und läuft, und er pennt ein, und irgendwann steht hier alles unter Wasser, der ganze Teppich nass, einfach alles. Und ich hab geschlafen, weißt du, war voll weg. Hab nix mitgekriegt. Irgendwann haben 'n paar Leute an die Tür gepoltert, davon bin ich dann wach geworden. Ey, bin total fertig mit den Nerven! Alle unsere Sachen sind klatschnass …»

«Oh Schreck!», stöhnte ich. Das war irgendwie mal wieder echt Mingo! Mama trat neben uns und musterte Domenico.

«Wann war das?», fragte sie.

«Weiß nicht, vor zwei Stunden ungefähr … Mingo konnte nicht mehr pennen, weil er so auf Entzug kam. Mann, ich will nicht, dass sie ihn einsperren! Er hat's doch nicht absichtlich gemacht …», sagte er verzweifelt.

«Schon klar. Tja, was machen wir da?» Mama war nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. Oder zumindest ließ sie es sich nicht anmerken.

«Also gut, ich versuche mal mit den Leuten zu reden. Geht ihr besser nach oben und seht nach dem Rechten.»

«Wo ist Mingo?», fragte ich.

«Auf dem Bett. Der ist so was von zu, er checkt wieder nix mehr. Mann, ich sag dir, hab schon wieder Kopfschmerzen, dauernd geht das so, ey! Komm …»

Auch wenn ich nicht wusste, in welchem Stock die Zwillinge einquartiert waren – man konnte es sofort an dem Chaos erkennen, das im Flur herrschte. Bettwäsche, Handtücher, Klamotten, Tasche – alles war offensichtlich in hastiger Panik auf den Gang geschmissen worden. Der ganze Teppich war von einer einzigen dunklen Lache durchtränkt. Bei den Nachbarzimmern standen die Türen offen.

«Es ist schlimm, ich weiß», sagte Domenico heiser. Seine Stimmbänder schienen wieder arge Probleme zu haben.

Im Zimmer sah es nicht besser aus als im Flur. Die Jungs hatten es komplett auseinandergenommen. Alles war zerwühlt und zerrupft, die Bettlaken waren rausgerissen, die Kissen, Klamotten und der sonstige Kram lagen überall verstreut rum. Als hätte jemand fieberhaft nach etwas gesucht.

Mingo lag mit nacktem Oberkörper auf dem Bett und hatte die Arme von sich gestreckt. Der silberne Totenkopf glänzte auf seiner Brust.

«Oh!» Ich wandte mich verlegen ab und wurde ganz rot. Wenigstens hatte er seine Jeans an.

Domenico warf Mingo ein halbwegs trockenes T-Shirt zu.

«Los, zieh dir was an, Bruder, wir haben 'n Mädchen im Zimmer!»

«Mann, Nic … stress nich rum!» Mingo richtete sich schwerfällig auf und schlüpfte in das T-Shirt. «Das Zeug is mir voll bescheuert eingefahren, ey!»

«Ja, danke für die Neuigkeit, das seh ich!», knurrte Domenico. «Nach Rohypnol und Alk wär ich auch sternhageldicht!»

«Du musst ja grad was sagen! Nimmst ja selber von den Pillen!» Mingo schlurfte mit bloßen Füßen und schwerem Kopf an mir vorbei Richtung Bad.

«Ja, wenn ich nicht einpennen kann, aber sicher nicht am helllichten Tag», knirschte Domenico mit zusammengebissenen Zähnen und vermied es, mich anzuschauen.

«Was soll ich denn machen, ey? Du hast ja gesagt, dass ich vor Mittag den Rest Eitsch nich haben darf. Hast du gesagt!»

«Ja, weil wir erst Kohle auftreiben müssen!»

«Und was soll ich denn sonst machen, wenn ich auf Turkey komm, Mann? Bleibt mir ja nix andres übrig, als Pillen einzuwerfen!»

«Ja, aber dann setzt man sich nicht in die Badewanne und lässt einfach das Wasser laufen! Ey, du hättest übrigens ertrinken können, ist dir das vielleicht klar?»

«Nerv doch jetzt nich rum, Nic!», stöhnte Mingo. «Mi sentu mali! Ich bin völlig fertig, siehst du das nich?»

Domenico verdrehte die Augen. «Ist ja gut, Mingo.» Er kramte ein kleines Zellophanbeutelchen aus seiner Hosentasche und warf es seinem Bruder zu. «Aber keine Spritze, okay?»

Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, als ich ins Badezimmer zu Mingo trat. Alles stand unter Wasser, der Duschvorhang hing schief in der Wanne, Badeschaum klebte überall an den Wänden, und sogar von der Decke tropfte das Wasser.

«Jungs … das glaub ich einfach nicht», seufzte ich. Mingo saß auf dem nassen Badewannenrand und hantierte mit Feuerzeug und Alufolie rum.

«Jetzt machen wir hier erst mal sauber, ja?», schlug ich vor. Wie das funktionieren sollte, wusste ich allerdings nicht. Ich nahm das Bad in Augenschein und überlegte, womit ich als Erstes anfangen sollte. Es gab nichts Trockenes mehr, womit man das Wasser aufwischen konnte. Ich stand also vor einer ziemlichen Herausforderung.

Von Mingos Alufolie kam ein merkwürdiger Geruch. Er hatte irgendwas darauf erwärmt und inhalierte es mit einem Röhrchen.

«Rauchst du jetzt Heroin?», fragte ich entsetzt. Mingo sah mit einem glasigen Blick zu mir hoch.

«Verschwinde!», blaffte er unerwartet heftig.

Ich erschrak so über seinen aggressiven Ton, dass ich entsetzt zurückwich und dabei über die Türschwelle stolperte. Bevor ich hinfallen konnte, wurde ich von zwei starken Armen festgehalten, die mich behutsam wieder auf die Beine stellten. Ich hob meinen Kopf und schaute in Domenicos unergründliche Augen. Er hatte seine feuchten Haare mit Gel gestylt und seine Lederjacke angezogen. In dem Augenblick, als ich in seine Augen sah, dachte ich an das, was Frau Galiani heute früh erzählt hatte. Jugendarrestanstalt. Und daran, dass er mir das nie erzählt hatte. Es versetzte mir einen bitteren Stich, und er sah es. Seine Augen wurden ganz dunkel, als würde jemand das Licht ausschalten. Er ließ mich vorsichtig los und wandte seinen Blick von mir ab. Zornig trat er auf seinen Bruder zu.

«Mingo, wenn du noch ein einziges Mal aggressiv zu ihr bist, dann kriegst du's echt mit mir zu tun, ist das klar? Und lass das Rauchen hier drin gefälligst! Ma ssi scemu completamente? Bist du bescheuert? Die Putzleute können jeden Moment kommen! Geh im Flur aufs Klo, wenn du's nicht lassen kannst!» Er packte Mingo am Handgelenk und schob ihn aus dem Badezimmer.

Im selben Augenblick klopfte jemand laut und hart an die Tür. Domenico musterte mich schweigend und ging dann öffnen. Der Reinigungstrupp stand draußen.

«Könnt ihr bitte Platz machen?» Drei Männer in blauen Anzügen schoben ein riesiges Gerät durch die Tür. Hinter ihnen erschien Mama. Mingo war im Flur verschwunden.

«Maya, wo seid ihr?» Mamas Stimme kam mir vor wie die eines rettenden Engels. Sie bahnte sich behutsam einen Weg durch die herausgerissenen Bettlaken. «Los, wir müssen das Zimmer freigeben. Habt ihr eure Sachen?»

«Nee …», stöhnte Domenico.

In Windeseile stopften wir den nassen Kram der Zwillinge in die Sporttasche. Den Rest mussten wir im Chaos zurücklassen. Die Fachkräfte standen ungeduldig da und warteten darauf, dass wir uns endlich verdrückten.

«Das wird uns eine schöne Stange Geld kosten», sagte Mama auf dem Weg durch den Flur. Ich versuchte, aus ihrer Stimme rauszuhören, ob dies nur eine Feststellung war oder ein Vorwurf. Ich fühlte mich irgendwie mies, so als wäre ich schuld an dem ganzen Desaster.

Mama sah sich nach Domenico um. «Wo ist dein Bruder?»

«Was weiß ich, wo der wieder steckt!»

«Ist er nicht auf die Toilette im Flur gegangen?», fragte ich. «Er wollte irgendetwas rauchen.»

«Ja, vermutlich …» Domenico knallte die Tasche in eine Ecke und stapfte zur Toilette, die am Ende des Flurs lag. Er legte sein Ohr an die Tür und lauschte.

«Mingo? Ssi ca dintra?»

«Jaaaa …», kam es von drinnen.

«Beeil dich mal!»

«Ca sugnu … ma \6unn me siddiari! …» Eine Weile später hörten wir die Klospülung rauschen. Nach einer weiteren langen Weile trat Mingo endlich zur Tür heraus.

Was immer es gewesen war, was Mingo sich da reingezogen hatte, es hatte jedenfalls eine gewisse Wirkung gezeigt. Er war nicht mehr so quengelig wie vorher.

«Geht's jetzt wieder?», fragte Domenico.

«Mhmm …» Mingo rieb sich die Augen und gähnte.

Mama, die gerade eben noch ein paar Worte mit dem nörgelnden Ehepaar von vorhin gewechselt hatte, gesellte sich nun zu uns.

«Oh, hallo!», sagte sie, als sie Mingo erblickte. Ihr Gesicht war schwer zu deuten. War sie schockiert über Mingo oder verblüfft über die Ähnlichkeit der Zwillinge?

«Du bist also Mingo. Von dir habe ich schon viel gehört. Ihr zwei seht euch ja enorm ähnlich.» Sie streckte ihm ihre Hand hin. «Ich bin Mayas Mutter. Deinen Bruder kenne ich schon!»

Domenico lächelte verlegen, doch Mingo blickte zur Seite, als würde ihn das Ganze nichts angehen. Er spielte verstohlen mit seinem Armband und rückte dicht an mich heran, fast so, als suche er Schutz in meiner Nähe.

«He, Mingo, das ist meine Mutter!» Ich zupfte ihn vorsichtig am Ärmel.

«Er ist schüchtern …», erklärte Domenico entschuldigend.

«Also, ich beiße nicht», sagte Mama sanft. Sie hielt ihre Hand immer noch ausgestreckt.

«Hey, Mingo!» Domenico knuffte seinen Bruder in die Seite.

Schließlich reichte Mingo Mama scheu die Hand.

«Dann lasst uns endlich gehen. Ihr habt sicher Hunger», sagte Mama anschließend.

«Oh ja …» Domenico machte auf dem Absatz kehrt und ging zurück, um die Tasche zu holen. Als er sie auf seine Schultern hieven wollte, musste er einen Moment innehalten. Irgendetwas schmerzte ihn offenbar wieder. Er legte die Hand auf seine Brust und hielt mit gequältem Gesicht die Luft an. Mingo sah es und ging ihm entgegen.

«Gib schon her, Nic!», brummte er und nahm ihm die Tasche ab. Ich warf Domenico einen besorgten Blick zu, den er mit einem abweisenden Funkeln erwiderte.

Mama war schon unten und unterhielt sich mit der Frau an der Rezeption. Die Dame sah schon nicht mehr so unfreundlich aus. Offenbar hatte Mama mal wieder eines ihrer berühmten Wunder bewirkt.

Die Zwillinge nahmen mich wieder in ihre Mitte, als wir beim Ausgang warteten. Mingo fummelte an seinem CD-Player rum und entwirrte die verknoteten Kopfhörer. Domenico schaute sich suchend um. Als er offenbar kein Rauchverbotsschild entdeckte, zündete er sich eine Zigarette an und schloss die Augen. Ich traute mich irgendwie nicht, ihn anzusprechen, und hatte keine Ahnung, weshalb.

«Hey!» Mingo berührte mich auf einmal sanft am Rücken. Ich drehte mich zu ihm um und blickte in seine Augen, die für einen Moment ein wenig hinter dem Nebel hervorkamen.

«Wollt dich nich anmachen vorhin! War nur wegen … Na ja, weißt du ja! Hab zu viel von den blöden Pillen eingeworfen. Mir is fast der Schädel geplatzt!» Er tippte sich an die Stirn.

«Ach, Mingo», seufzte ich. «Was machst du nur immer für Sachen?»

Er grinste mich zerknirscht mit seinen gepiercten Lippen an und stöpselte sich einen der Kopfhörer ins Ohr.

«Magst du?» Er hielt mir das andere Teil hin.

«Was?» Ich war mal wieder schwer von Begriff.

«Mithören!»

«Oh, danke … aber ich steh nicht so auf Heavy Metal.»

«Weiß ich ja. Aber das letzte Lied da drauf is schön. Is nich so heftig. Wird dir gefallen. Is mein Lieblingslied! Magst du es mit mir anhören?»

Seine Augen ließen mich nicht mehr los. Ich nahm zögernd den Stöpsel aus seiner Hand und setzte ihn in mein Ohr. Mingo musste sich dicht neben mich stellen, damit das Kabel reichte.

«Warte …» Er klickte auf den Tasten rum.

Ich schloss die Augen. Sanfte Gitarrenklänge leiteten die rockige alte Ballade ein. Das Lied kam mir bekannt vor. Bestimmt hatte ich es schon im Radio gehört.

«Magst du es?»

Ich nickte. «Ja, es ist schön.» Das stimmte auch. Ich hätte es gern zu Ende gehört, aber auf einmal wurde der Hörer mit einem Ruck aus meinem Ohr gerissen. Der CD-Player war mit einem lauten Scheppern zu Boden gefallen und hatte seinen Deckel und noch ein paar andere Teile verloren.

«Mist!», brummte Mingo. Fast gleichzeitig tauchten wir runter, um den CD-Player wieder aufzuheben. Doch entweder verkalkulierte sich Mingo, oder ich passte nicht auf, denn prompt schlugen wir mit unseren Köpfen aneinander.

«Oh, sorry …», murmelte Mingo verlegen.

«Auch sorry …» Ich rieb mir die schmerzende Stirn.

«Tut's weh?» Er streckte die Hand nach mir aus.

«Geht so … schon okay!»

«Is mal wieder typisch wir zwei, was?»

Allerdings. Wenn man mit Mingo zusammen war, kam man um solche Aktionen nicht drum herum. Davon hatte ich auch auf Sizilien einige gehabt. Ich musste auf einmal lachen. Es musste komisch aussehen, wie wir da wie zwei Idioten auf dem Boden rumkrabbelten. Mingo grinste auch. Ich hielt ihm das zerbrochene Gerät hin.

«Da. Dein CD-Player ist kaputt.»

«Nenti cci fa … äh, ich mein … macht nix! Den mach ich wieder ganz!» Mingo stopfte das Gerät zurück in seine Jackentasche, und wir standen wieder auf.

«Stell dir vor, mir ist vor ein paar Tagen dasselbe mit meinem CD-Player passiert», seufzte ich. «Jetzt ist er kaputt.»

Mingo zeigte sein Grübchenlächeln. «Echt? Voll kaputt? Kann ich dir reparieren. So was kann ich nämlich gut! Gibst du ihn mir nachher? Ich mach ihn wieder ganz für dich, ja?»

Domenico beobachtete uns schweigend und blies Rauchkringel in die Luft. Mama war fertig mit ihrer Unterredung und rief uns zu sich.

«Also, ich bin mit den Leuten übereingekommen, dass wir für die Selbstbeteiligungssumme aufkommen werden, die die Versicherung nicht abdeckt», sagte sie draußen. «Ein Glück, dass ihr noch minderjährig seid, da sind die Leute etwas nachsichtiger. Ob sie von einer Anzeige absehen, kann ich allerdings nicht versprechen.»

«Tut uns wirklich voll leid», murmelte Domenico beschämt. Mama musterte ihn schweigend. Ich war echt froh, als wir endlich im Auto saßen. Ich fühlte mich eigenartig. Die sonst so sanfte, stille Entschlossenheit schien von Mama gewichen zu sein. Sie wirkte unsicher.

Der Himmel zog sich zu einer milchigen Suppe zusammen, als wir in die Stadt hineinfuhren. Das trübe Grau war ein krasser Kontrast zu den goldenen und blauen Farben auf Sizilien, die ich in so schöner Erinnerung hatte. Ich fing Domenicos wehmütigen Blick im Rückspiegel auf. Offensichtlich dachte er etwas Ähnliches. Wir fuhren in das City-Parkhaus und stiegen aus.

«Wo gehen wir denn jetzt hin?», fragte Domenico.

«Ich denke, meine Mutter will was mit uns essen gehen.»

«In ein Restaurant oder so?» Er sah mich zweifelnd an. Ich zuckte mit den Schultern. Mingo blieb hinter uns zurück und hantierte mit dem Feuerzeug rum. Domenico wandte sich zu ihm um.

«Vieni, Mingo!»

«Mann, Nic, geht ihr mal ohne mich. Ich geh zum Park. Mir is kotzübel.» Mingo schlenderte mit blassem Gesicht heran.

«Ja, ist auch kein Wunder bei dem Zeug, das du dir dauernd reinziehst!»

«Nee, das Blech vorhin war zu wenig. War ja nur noch 'n Rest. Ich brauch was Richtiges!»

«Komm schon! Wir holen ja nachher was. Aber jetzt gehen wir erst mal essen. Bitte! Poi cci penzu iu e' sordi, ah?» Domenico streckte bittend seine Hand aus, und Mingo übergab ihm die angefangene Zigarette.

«Ma comu?», stöhnte Mingo.

«Mir fällt schon was ein!» Domenico nahm einen tiefen Zug und gab Mingo die Zigarette wieder zurück. Was heckten die beiden bloß wieder aus? Warum konnte ich kein Italienisch?!

«Kommt ihr nun endlich?» Mama klang etwas ungeduldig. Sie stand schon an der Straße.

«Vieni, Mingo!» Domenico legte Mingo versöhnlich den Arm um die Schultern und schnorrte noch einen Zug von seiner Zigarette. Mama steuerte zu meinem Erstaunen direkt das «Little Joe's» an. Ich war krass erstaunt. Wir gingen selten in solche Imbissbuden. Mama war eine eiserne Verfechterin von gesunder Ernährung, aber mir war klar, dass wir mit den Jungs nicht in ein normales Restaurant gehen konnten.

Doch schon beim Eingang gab es wieder Ärger. Als mich ein großer Junge bei der Drehtür derb anrempelte, fuhr Mingo sofort herum und packte ihn ziemlich brutal am Kragen.

«Mann, du Schrotthirn, kannste nich aufpassen? Du hast ihr voll wehgetan!»

«Tschuldige, Junkie!», höhnte der Junge herablassend.

«Ey!» Mingo funkelte den Jungen wütend an. «Ich stech dich voll ab, wenn du das noch mal machst!»

«Mingo, bitte mach hier keinen Ärger!» Domenico packte seinen Bruder schnell am Arm und schleifte ihn mit sich durch die Drehtür, ehe das Ganze ausarten konnte. Drinnen ließ er Mingo vorsichtig los und sah mich besorgt an.

«Geht's, Maya?», fragte er sanft. «Hat der dir wehgetan?»

«Schon okay», versicherte ich. «Ist nicht so schlimm.»

«Ey, der hat sie voll krass angerempelt!», sagte Mingo, und seine Augen waren ganz glasig. «Ich mach den fertig!»

«Ist ja gut, Mingo, beruhig dich. Mann, ich will nicht, dass wir hier drin schon wieder Ärger kriegen, okay?»

Am Tresen fragte Mama, was wir essen wollten. Mein Menu stand sofort fest: «Hamburger mit Pommes!» Insgeheim genoss ich die Gelegenheit, mal wieder so richtig ungesundes Essen in mich reinzustopfen. Domenico nickte.

«Okay, ich auch. Du, Mingo?»

«Mann, kann doch jetzt nich essen, Nic! Weißt ja, dass ich gleich wieder kotze, wenn ich auf Turkey bin, oder?» Mingos Gesicht war wieder so blass, dass ich wirklich Angst hatte, er würde sich gleich übergeben. Außerdem fror er. Er hatte ja nur seine dünne Jacke mit diesem Metallica-Schriftzug an.

«Ach, Mingo», seufzte Domenico. «Ich glaub das einfach nicht mehr.»

«Hör auf, Nic. Du weißt nich, wie das ist!»

«Ja, ich weiß. Aber jetzt sind wir hier zum Essen eingeladen, also benimm dich.»

«Dann gib mir wenigstens was zu rauchen!», quengelte Mingo weiter.

«Ich hab doch keine mehr, du Dödel … du hast ja gerade die letzte geraucht.»

«Ey, was hab ich? Du hast sie geraucht!» Mingos Stimme wurde ziemlich laut. «Solltest eh mal weniger rauchen, Nic, du mit deiner kranken Lunge!»

«Du musst ja grad was sagen! Hör du erst mal auf mit den beknackten Drogen, dann muss ich auch weniger rauchen, um meine Nerven wieder zu beruhigen!»

Mein Alarmpegel stieg. Die Zwillinge waren gereizt und unausstehlich, und das verhieß nichts Gutes.

«Jungs … Nicki, Mingo … bitte!», versuchte ich die aufwallenden Wogen zu glätten. Die Zwillinge starrten mich beide mit glühenden Augen an. Für einen Moment dachte ich an Leon und an seine Blicke aus den tiefblauen Augen, die mich nie so aufgewühlt, aber auch nie so angestrengt hatten.

«Sorry …», murmelte Domenico. Mingo trat nervös von einem Bein aufs andere. Wir rückten ein Stück in der Schlange vor.

«Ist alles klar mit euch?», fragte Mama besorgt.

«Mein Bruder ist ziemlich mies drauf», erklärte Domenico schüchtern. «Wir müssen nach dem Essen los!»

Kühle Luft wehte herein, als eine Gruppe kichernder Mädchen das Lokal betrat. Domenico nahm sie sofort ins Visier. Er neigte ganz leicht seinen Kopf und zog seine Haarsträhnen ins Gesicht. Jetzt ging sein Spiel wieder los! Ich schaute ganz genau zu, wie er es machte. Eigentlich machte er nicht viel. Es genügte einfach, dass er die Mädchen ansah, und schon bekamen sie weiche Knie. Genau wie ich …

«Wo stecken die beiden jetzt schon wieder?» Mama schaute sich kopfschüttelnd und leicht ungeduldig um.

«Mingo war eben noch da!» Ich drehte mich um. Na toll. Jetzt war Mingo auch schon wieder verschwunden!

«Komm, hilf mir mal.» Mama verteilte das Essen auf zwei Tabletts. Als wir uns nach einem freien Tisch umsahen, gesellte sich Domenico wieder zu uns, der seine Mission offenbar beendet hatte.

«Maya …»

«Da bist du ja! Was hast du gemacht?», fragte ich streng.

Wortlos streckte er mir seine Handfläche entgegen, auf der ein paar Münzen lagen. Es waren ungefähr vier, fünf Euro.

«Du bist mir echt ein Rätsel!», zischte ich wütend. «Hast du das Geld von den Mädchen abgebettelt? Ich find das so bescheuert!»

Er schwieg. Seine Lippen waren fest zusammengepresst. In seinem Blick lag etwas Trotziges. Seine Augen hielten mich wie an einem unsichtbaren Faden fest. Unsere Blicke tanzten auf den Wogen des Sturmes auf und ab, lieferten sich einen stummen Ringkampf. Ich musste mich abwenden, damit meine Beine nicht ihren Dienst versagten. Ich dachte an gestern Nacht. An die Bilder, die ich in seiner Jackentasche gefunden hatte. Meine Brust wurde ganz eng. Ich würde das nicht lange aushalten, allzu viel mit Nicki zusammen zu sein, wenn er so was mit mir anstellte.

«Besser als Klauen, oder?», fragte er schließlich leise.

«Wo ist Mingo?», fragte ich, um mich schnell einem anderen Thema zuwenden zu können.

«Draußen am Rauchen.» Domenico folgte mir an den freien Tisch, auf dem Mama unser Essen deponiert hatte. Ich hatte Angst, dass sie allmählich die Geduld verlieren würde, doch sie ließ sich nichts anmerken. Ach, sie war so cool!

«Komm, lass es dir schmecken», sagte sie zu Domenico, nachdem wir uns gesetzt hatten. «Du und Mingo, ihr seht echt aus, als hättet ihr schon lang nichts Richtiges mehr gegessen.»

«Haben wir auch nicht …», murmelte Domenico und biss hungrig in seinen Hamburger.

Schließlich kam Mingo mit verdrossener Miene herangebummelt und blieb vor uns stehen.

«Mann, Nic, können wir mal los?», drängelte er ungeduldig. «Muss jetzt echt dringend was auftreiben, bevor ich noch ganz krass auf Turkey komm!»

«Ey, und ich will vielleicht mal was essen, klar?», erwiderte Domenico schroff. «Setz dich doch jetzt mal hin!»

Ich rutschte in meiner Bank ein wenig nach innen, um Mingo Platz zu machen. Er setzte sich neben mich. Seine Augen sahen aus, als hätte er Fieber. Er tat mir trotz allem leid. Es musste schlimm sein, so abhängig zu sein …

Er kramte in seiner Hosentasche und legte Domenico drei Zigaretten vor die Nase. «Da. Hab ich dir mitgebracht.»

«Danke!» Domenico stopfte sie schnell in seine Jackentasche und schob Mingo den noch übrig gebliebenen Hamburger zu. «Komm: Cerca di manciari!»

Mingo nahm vorsichtig einen Bissen. Doch dann krümmte er sich wie ein sterbender Schwan über dem Tisch zusammen, so dass seine Stirnfransen die Tischplatte berührten. «Krieg nix runter, Nic!»

«Komm, versuch's bitte», sagte ich. «Du musst doch was essen. Du bist so dünn! Magst du vielleicht lieber Pommes?» Ich schob ihm die Tüte zu. Mingo pickte sich gehorsam zwei, drei Pommes raus und schob sie mit zitternder Hand in den Mund. Auf seiner Stirn glänzten Schweißperlen.

«Ey, ich zisch mal, Nic», murmelte er mit brüchiger Stimme. Er stand ächzend auf und knallte mit dem Oberschenkel direkt in die Tischkante rein. Alles wackelte, meine Cola fiel um und ergoss sich über meine Pommes und über meinen Schoß.

«Statti ccà, Mingo!» Domenico sprang ebenfalls auf und zerrte Mingo am Ärmel zurück. «Du kannst doch noch zehn Minuten auf mich warten!»

«Nee, lass mich, Nic!»

«Spinnst du? Ich will nicht, dass du ohne mich gehst!»

«Ich weiß doch, wo der Park ist, Mann!»

«Es geht nicht darum! Ich will nicht, dass du auf den Strich gehst oder sonst irgend 'nen Mist anstellst, capisti?»

«Ey, was soll's, is doch voll egal, wo ich hingehe.» Mingo schüttelte Domenicos Arm ab.

«Mir ist es nicht egal! Mensch, Mingo! Kannst du dich nicht mal für ein paar Minuten zusammenreißen? Cc'haju fami! Ich muss was essen. Sonst klapp ich noch zusammen.»

«Dann iss was! Kann doch allein gehen.»

«Nein, du gehst nicht allein!» Domenico packte beide Handgelenke seines Bruders und sah ihm in die Augen. «Weil ich genau weiß, dass ich nachher wieder deinen Mist ausbaden muss. Ich kenn dich! Du beklaust jemanden oder stellst sonst 'nen Blödsinn an. Und ich hab echt genug davon. Ich hab's echt satt, kapierst du das?»

«Dann bring ich mich halt um!», brüllte Mingo los. «Ist doch eh voll beknackt, alles!»

«Bist du verrückt? Schrei hier nicht so rum, Mann!»

«Doch! Ich krepier ja eh bald! Dann bist du mich los. Dann haste keinen Ärger mehr. Bin ja eh nur dein Junkie-Bruder.»

Domenico reagierte blitzschnell, indem er Mingo den Arm auf den Rücken drehte.

«Ich will so was nie wieder hören, Mingo, ist das klar?», knirschte er zornig. «Nie wieder, hast du verstanden?»

Mingo warf seinen Kopf zurück und wand sich in Domenicos eisernem Griff. Ich konnte richtig sehen, wie tot und leer seine Augen waren. Richtig krass. Ich hatte diesen Blick schon mal gesehen. Das passierte immer dann, wenn er dabei war, auszuklinken. Hinüberzugleiten in den Wahnsinn. Es war der pure Abgrund in seinen Augen.

«Mingo …», flüsterte Domenico auf einmal mit veränderter, verzweifelter Stimme und sah seinen Bruder mit verwundeten Augen an. «Mingo, du bist mein Zwillingsbruder! Ich liebe dich! Das weißt du. Und alles, was ich will, ist, dass du von den Drogen runterkommst. Es macht mich einfach fertig, verstehst du?»

Aber Mingo war zu weit unten. Domenicos Worte drangen nicht mehr zu ihm durch, nicht in diesem Zustand, in dem er sich jetzt befand. Er brauchte Drogen, das war wichtiger als alles andere. Wichtiger als sein geliebter Zwillingsbruder. Und das war es letztendlich, was die beiden entzweite.

Mingo riss seine Faust hoch. Domenico versuchte sein Gesicht rechtzeitig zurückzuziehen, aber er war eine Millisekunde zu spät. Und Mingo sah offenbar nicht, wohin er schlug. Der Schrei blieb mir im Hals stecken, als seine Faust mitten in Domenicos Gesicht krachte. Domenico fiel nach hinten und prallte mit dem Kopf mitten auf eine Tischplatte. Mingos Augen irrten für einen Moment verlassen umher, als wüsste er nicht mehr, wo er sich befand. Dann stürmte er Hals über Kopf davon. Ich hörte nur noch ein ersticktes Würgen aus seiner Kehle, als er zum Ausgang floh.

Ich wagte mich kaum zu rühren. Ich schloss resigniert die Augen, als könnte ich damit das schreckliche Szenario einfach ausradieren. Nicki und Mingo waren echt in der Sackgasse. Auf dem absoluten Tiefpunkt.

Mama hatte sich neben Domenico niedergekniet und seinen Kopf auf ihren Schoß gelegt. Aus seiner Nase strömte Blut, ganz viel Blut. Auch ich kauerte mich bebend neben ihm hin. Er stöhnte. Die linke Seite neben seiner Nase war dabei, sich blau zu verfärben. Und er weinte! Seine Augen waren ganz nass.

«Maya, reich mir bitte mal meine Tasche», bat Mama.

Ich gehorchte und riss die Tasche vom Stuhl. Mama packte ein kleines Etui mit Verbandszeug aus und holte blutstillende Watte hervor.

«Und könntest du rasch an der Theke Eiswürfel und ein Handtuch verlangen, Maya?»

Ich nickte und rannte gleich los. Überall begegneten mir die verängstigten Blicke der Leute, die die Schlägerei mitbekommen hatten. Ein paar Minuten später rannte ich mit einem Becher voll Eiswürfel und einem Lappen zu Mama zurück.

Mama hatte Domenico zwei blutstillende Wattebäusche in die Nase gestopft. Sein Kopf ruhte immer noch auf ihrem Schoß. Sie wickelte ein paar Eiswürfel in den Lappen und presste das Bündel auf die geschwollene Stelle. Domenico stöhnte leise.

«Ich hoffe, da ist nichts gebrochen …»

«Bitte … bitte denkt nicht schlecht über ihn … er kann nicht anders … er ist so mies drauf …»

«Schon gut, Domenico», sagte Mama sanft und strich ihm das verklebte Haar aus dem Gesicht. Sie legte prüfend die Hand auf seine Stirn. Domenico schloss die Augen. Ein paar Leute kamen und erkundigten sich, ob sie uns helfen könnten, doch wir versicherten ihnen, dass wir keine Hilfe bräuchten.

Nach einer Weile, als das Nasenbluten endlich aufgehört hatte, verpackte Mama die geschwollene Stelle unter einem fetten Pflaster. Langsam ging es Domenico besser, und er richtete sich auf.

«Geht's wieder?», fragte ich besorgt.

«Mhmm», murmelte er und tastete nach dem Verband.

«Wo ist Mingo nun hin?»

«Ach, wohin wohl? Flippt irgendwo in der Szene rum und besorgt sich den nächsten Schuss.» Er rappelte sich langsam auf die Beine und hielt sich vorsorglich an einer Tischplatte fest.

«Wir fahren wohl am besten erst mal mit dir in die Praxis», sagte Mama behutsam. «Es hat wohl keinen Zweck, jetzt nach Mingo zu suchen, sehe ich das richtig?»

Domenico nickte ergeben. Ich begann, den Abfall und die Essensreste einzusammeln und die verschüttete Cola aufzuwischen. Nachdem alles sauber weggeräumt war, verließen wir die Bude.

«Passiert so was öfters?», fragte Mama draußen.

«Dass Mingo mich schlägt? Kommt vor, ja.»

«Hmm …» Mama seufzte. «Ich finde das unglaublich. Wie wirst du denn mit all dem fertig?»

Domenico zuckte mit den Schultern.

«Dein Bruder braucht unbedingt psychologische Behandlung. All das, was ich heute gesehen habe, gibt mir wirklich zu denken. Du kannst das doch nicht allein tragen!»

«Mein Bruder würde niemals in 'ne Klinik gehen.»

«Aber wie will er sonst von den Drogen wegkommen?»

«Ach, das rafft der nicht mehr. Ich hab das auch aufgegeben. Ich glaub, außer Methadon gibt's keine Hoffnung für den.»

«Das ist aber gar nicht gut», sagte Mama besorgt.

Domenico schwieg.

«Nein, im Ernst, Domenico. Du kannst so nicht weiterleben. Du gehst doch daran zugrunde! Martin hat mir ja auch viel über euch beide erzählt.»

Er zog fröstelnd seine Schultern zusammen, doch er machte keine Anstalten, den Reißverschluss seiner Jacke zu schließen. Schnell zog ich meinen Schal aus und wickelte ihn um seinen Hals. Er lächelte schwach und wurde ein wenig rot.

Auf der Heimfahrt lehnte Domenico sich erschöpft an die Fensterscheibe. Seine Augen wirkten im düsteren Licht beinahe schwarz.

«Wie war er denn früher?» fragte Mama, als wir uns auf der Hauptstraße befanden. «Bevor er Drogen genommen hat?»

«Ach, der war schon immer irgendwie abgedreht. Er hat auch schon total früh irgendwelches Zeug genommen. Als Kind hat er Hustensaft gekippt oder Leim geschnüffelt. Er fand das total geil. Dann hat er wie ein Irrer angefangen zu lachen. Ich hatte manchmal richtig Angst, dass der nicht wieder normal wird.»

Mama nickte nachdenklich.

«Wenn unser Ex-Stiefvater uns verdroschen hat, dann hat Mingo immer was gesucht, das ihn wieder zum Lachen brachte. Er hat dann manchmal das Lachgas aus den Patronen von den altmodischen Sahnespendern eingeatmet. Wenn man das macht, kriegt man 'nen richtigen Flash. Ich hab's manchmal auch gemacht, aber nicht so oft. Es ist total schädlich! Macht das Herz kaputt …»

Es kam nicht oft vor, dass Domenico so freimütig von sich erzählte.

«Also kämpft er schon von Kindheit an mit Suchtmitteln», murmelte Mama. «Das ist wirklich unglaublich!»

Und da sagte Domenico sehr leise und mit einer ganz veränderten Stimme, die ich noch nie gehört hatte: «Ja, was willst du da machen? Wenn du nun mal keine Eltern hast, die dich haben wollen, dann bleibt dir ja nix anderes übrig …»

Der leise und zerbrochene Klang in seiner Stimme würde noch lange in mir nachhallen. Ich wandte mich um und sah ihn an. Sein Gesicht, an die Fensterscheibe gelehnt, lag im Schatten. Er hatte die Augen geschlossen.