BENJAMIN LAY WAR NUR KNAPP ÜBER 1,20 METER GROSS, er war bucklig und ging gebeugt, hatte einen übergroßen Kopf, eine gewölbte Brust und Beine, die so spindeldürr waren, dass man ihnen nicht zutraute, diesen Körper tragen und fortbewegen zu können. In England aufgewachsen, hatte er als Junge zunächst auf der Farm seines Bruders gearbeitet und war anschließend bei einem Handschuhmacher in die Lehre gegangen, wo er das Leder bearbeitete und die fertigen Stücke vernähte. Mit 21 Jahren fuhr er zur See. In seiner Hängematte las er bei Kerzenlicht Bücher. Lay bezeichnete sich selbst gerne als «armen einfachen Seemann und ungebildeten Menschen», aber in Wirklichkeit war er sehr belesen und weitgereist. Als Seemann gelangte er bis nach Syrien und in die Türkei, wo er «vier Männer» kennenlernte, «die 17 Jahre lang Sklaven gewesen waren» – Engländer, die von Muslimen versklavt worden waren. Er schrubbte Decks gemeinsam mit Männern, die zuvor auf britischen Sklavenhandelsschiffen gefahren waren, deren Fracht aus Afrikanern bestand. Er hörte Geschichten von finsteren und furchtbaren Grausamkeiten. Lay gelangte 1718 nach Barbados, wo er sah, wie Menschen mit Brandzeichen markiert, gefoltert, geprügelt, ausgehungert und gebrochen wurden. Er kam zu dem Ergebnis, dass alles, was mit diesen Zuständen zu tun hatte, ein Verstoß gegen Gottes Ordnung sei, der «nicht andere Menschen schuf, damit sie unsere Sklaven sind».[1]
Lay und seine ebenfalls körperbehinderte Frau – eine Quäkerpredigerin mit einem krummen Rücken – verließen Barbados nach einem nur achtzehnmonatigen Aufenthalt und kehrten nach England zurück. Vielleicht hatte es etwas damit zu tun, dass sie so stark gebeugt gingen, so leicht zu übergehen und beiseitezuschieben waren, was sie gegen das Grauen der Sklaverei angehen ließ, gegen das Zugrunderichten und das Abschlachten von Menschen. Das Ehepaar schiffte sich 1732 nach Pennsylvania ein, um sich dort William Penns «Heiligem Experiment» anzuschließen. In Philadelphia wurde Lay zum Buchhändler, er verkaufte Bibeln und Abc-Fibeln, dazu die Werke seiner Lieblingsdichter, zu denen John Miltons Paradise Lost zählte, und seiner Lieblingsphilosophen, wie Senecas Morals (Epistulae morales), Gedanken eines antiken römischen Stoikers zu ethischen Fragen.[2] Er reiste, stets nur zu Fuß – er wollte keinem Pferd die Sporen geben –, von Ort zu Ort und von Kolonie zu Kolonie, um vor Gouverneuren, Geistlichen und Kaufleuten die Sklaverei anzuprangern. «Was für ein Haufen von Heuchlern und Betrügern sind wir doch», sagte er.[3] Seine Argumente stießen auf taube Ohren. Nach dem Tod seiner Frau ließ Lay jegliche Zurückhaltung fahren. 1738 ging er zu einer Quäkerversammlung nach New Jersey und nahm eine Bibel mit, deren Seiten er entfernt hatte; in die leere Buchhülle hatte er eine mit knallrotem Beerensaft gefüllte Schweinsblase gelegt. «Oh, ihr ganzen Negermaster, die ihr selbstzufrieden eure Mitgeschöpfe im Zustand der Sklaverei haltet», rief er aus, als er das Versammlungshaus betrat, «ihr, die ihr bekundet, ‹alle Menschen so zu behandeln, wie ihr selbst von ihnen behandelt werden wolltet›, euch wird Gerechtigkeit widerfahren im Angesicht des Herrn, der alle Nationen und Hautfarben mit gleicher Achtung betrachtet und respektiert.» Dann nahm er die Bibel aus seinem Mantel, zog ein Schwert aus seinem Gürtel und durchbohrte die Bibel mit dem Schwert. Die verblüfften Gemeindemitglieder sahen Blut aus der Buchhülle strömen, Blut, das, als wäre eben ein Wunder geschehen, ihre Köpfe bespritzte und ihre Kleider befleckte, während Lay, seinem winzigen Körper trotzend, donnerte: «So soll Gott das Blut derjenigen Menschen vergießen, die ihre Mitgeschöpfe versklaven.»[4]
Im darauffolgenden Monat druckte Benjamin Franklin Lays Buch All Slave-Keepers That keep the Innocent in Bondage, Apostates, eine weitschweifige und wütende, 300 Seiten umfassende Polemik. Franklin verkaufte das Buch in seinem Laden, ein Exemplar für zwei Schillinge, ein Dutzend Exemplare für 20 Schillinge. Lay verschenkte Exemplare des Buches.[5] Danach wurde er zum Einsiedler. Unweit von Philadelphia grub und meißelte er sich eine Höhle aus einem Berg. Dort stellte er seine Bibliothek auf: 200 Bücher aus den Themenbereichen Theologie, Biografie, Poesie und Geschichte. Er hatte beschlossen, gegen die Sklaverei zu protestieren, indem er sich weigerte, irgendetwas zu essen, zu trinken, als Kleidung zu tragen oder zu benutzen, was durch Zwangsarbeit hergestellt worden war. Er lebte von Wasser und Milch, gerösteten Rüben und Honig. Er hielt sich Bienen, spann Flachs und nähte seine Kleider selbst. Franklin besuchte ihn immer wieder in seiner Höhle. Zu dieser Zeit war Franklin der Besitzer eines «Negerboys» namens Joseph. 1750 besaß er zwei weitere Sklaven, Peter und Jemima, ein Ehepaar. Lay setzte ihn immer wieder unter Druck, indem er fragte: Mit welchem Recht?
Franklin, selbst ein ehemals Entlaufener, wusste wie jeder andere Drucker und wie auch jeder Zeitungsleser, dass jede Tageszeitung auf ihren Seiten auch Erzählungen über Revolution enthielt, Fluchtgeschichten, wie sie jeden Tag vorkamen. Zu diesen Geschichten gehörten in jenen Jahren die hier folgenden. Bett, die «eine große Narbe auf der Brust hatte», lief 1750 von einem Mann in Long Island weg. Im bitterkalten Januar trug sie bei dieser Flucht nur einen Unterrock und eine Jacke. Der 37 Jahre alte Primus, dem ein Glied an einem großen Zeh fehlte, möglicherweise aufgrund einer Bestrafung für einen früheren Fluchtversuch, lief 1753 aus Hartford weg und nahm dabei seine Geige mit. Jack, «ein großer, schlanker Bursche, sehr schwarz, und er spricht gut Englisch», verließ Philadelphia im Juli 1754. Sam, ein Zimmermann, 30 Jahre alt, «ein dunkelhäutiger Mulatte», lief im Winter 1755 aus einer Werkstatt im Prince George’s County, Maryland, weg. «Er soll sich im Charles County versteckt halten», schrieb sein Besitzer, «wo eine Mulattin lebt, die er schon seit einiger Zeit als seine Ehefrau bezeichnet hat; aber weil er ein schlauer Kerl ist und lesen und schreiben kann, ist es wahrscheinlich, dass er versuchen wird, aus der Provinz zu entkommen.» Will, 40 Jahre alt, flüchtete im Sommer 1756 von einer Plantage in Virginia. Er hatte, wie sein Besitzer mitteilte, «viele Narben auf dem Rücken, die von einer Peitsche stammen».[6]
Als Benjamin Franklin 1771 mit der Niederschrift seiner Autobiografie begann, verwandelte er die Geschichte seiner eigenen Flucht – er lief aus der Lehre bei seinem Bruder James weg – in eine Metapher für den zunehmenden Unmut in den Kolonien, der sich gegen die Herrschaft des Parlaments richtete. Franklin schrieb über seinen Bruder James: «Ich glaube, dass sein barsches und tyrannisches Gebaren mir gegenüber vorwiegend dazu beigetragen haben mag, mich mit jener Abneigung gegen willkürliche Gewalt zu erfüllen, die ich während meines ganzen Lebens nicht verlor.»[7] Aber das traf auch auf die Geschichte eines jeden entlaufenen Sklaven zu, jede dieser Anzeigen, eine nach der anderen, legte zugleich Zeugnis ab über eine Abneigung gegen willkürliche Gewalt.
Franklin entwarf im April 1757, bevor er eine Seereise nach London antrat, ein neues Testament, in dem er Peter und Jemima versprach, dass sie nach seinem Tod freigelassen werden würden. Zwei Monate später schrieb er bei seiner Ankunft in London an seine Frau Deborah: «Ich frage mich, wie Du an Ben. Lays Bild gekommen bist.» Sie hatte zu Hause ein Ölporträt des Einsiedlerzwerges an der Wand hängen, das ihn vor seiner Höhle stehend zeigt, in einer Hand ein aufgeschlagenes Buch.[8]
Die Amerikanische Revolution begann nicht 1775, und sie war nicht zu Ende, als der Krieg vorbei war. «Der Erfolg von Mr. Lay beim Ausbringen der Saat einer … Revolution auf den Gebieten der Moral, des Handels und der Regierungsführung in der Neuen wie in der Alten Welt sollte die Wohltäter der Menschheit lehren, nicht zu verzweifeln, wenn sie die Früchte ihrer wohlwollenden Vorschläge oder Unternehmungen zu eigenen Lebzeiten nicht mehr zu sehen bekommen», schrieb der in Philadelphia lebende Arzt Benjamin Rush später. Rush gehörte zu den Unterzeichnern der Unabhängigkeitserklärung und diente als Generalstabsarzt der Kontinentalarmee. Für ihn begann die Revolution mit der Saat, die von Menschen wie Benjamin Lay ausgebracht worden war. «Ein Teil dieser Saat trägt schon nach kurzer Zeit Früchte», schrieb Lay, «aber der wertvollste Teil davon wächst, wie die ehrwürdige Eiche, jahrhundertelang.»[9]
1758, als Benjamin Lays Porträt in Benjamin Franklins Haus hing, verurteilte die Quäkergemeinde von Philadelphia den Sklavenhandel in aller Form; mit Quäkern, die Menschen kauften und verkauften, wollte man nichts mehr zu tun haben. Als Lay von diesem Beschluss erfuhr, sagte er: «Jetzt kann ich in Frieden sterben», schloss die Augen und tat seinen letzten Atemzug.[10] Noch bevor ein Jahr vergangen war, veröffentlichte Anthony Benezet, ein weiterer Quäker aus Philadelphia, ein kleines Buch mit dem Titel Observations on the Inslaving, Importing and Purchasing of Negroes, in dem er die Ansicht vertrat, dass die Sklaverei «nicht mit der Botschaft Christi übereinstimmt, dem Naturrecht und dem allgemeinen Empfinden der Menschlichkeit widerspricht und unendliches Unglück hervorbringt».[11] Bett und Primus und Jack und Sam und Will waren nicht umsonst weggelaufen.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts gab es nicht nur eine, sondern zwei amerikanische Revolutionen: den Kampf um die Unabhängigkeit von Großbritannien und den Kampf um die Beendigung der Sklaverei. Nur eine der beiden war erfolgreich.
BENJAMIN FRANKLIN VERFASSTE ein neues Testament, bevor er 1757 die Seereise nach London antrat, weil Großbritannien und Frankreich gegenseitig ihre Schiffe attackierten und er befürchtete, dass seines versenkt werden könnte. Die Kämpfe waren bereits drei Jahre zuvor ausgebrochen, nur wenige Wochen, nachdem Franklin seine «JOIN, or DIE»-Schlange gedruckt hatte, die sich über eine Seite wand. Die Gefechte hatten nicht auf hoher See, sondern an Land begonnen, in Franklins Heimatkolonie Pennsylvania. Großbritannien forderte mit Entschiedenheit Land im Ohio Valley, das die Franzosen bereits für sich beansprucht hatten, und beklagte: «Die Franzosen haben uns in Nordamerika mehr als neun Zehntel des Landes weggenommen und uns nur einen schmalen Küstenstreifen an der Atlantikküste übriggelassen.»[12] Englische Siedler hatten mittlerweile diesem Küstenstreifen den Rücken gekehrt und waren immer weiter ins Landesinnere vorgedrungen, in Gebiete, die von indigenen Völkern bewohnt, aber von Frankreich reklamiert wurden. Die Franzosen hatten entlang ihrer Gebietsgrenzen Forts errichtet, um das Vorrücken der Siedler zu stoppen. Zum unvermeidlichen Gefecht kam es im Mai 1754, als eine kleine Streitmacht von Milizionären aus Virginia und ihre indianischen Verbündeten unter der Führung des 21-jährigen Oberstleutnants George Washington ein in einem Talgrund angelegtes französisches Lager aus dem Hinterhalt angriffen.
Washington, 1732 in Westmoreland County, Virginia geboren, hatte sein erstes menschliches Eigentum im Alter von zehn Jahren geerbt, war als junger Mann nach Westindien gereist und trat seine erste Offiziersstelle mit 20 Jahren an. Der hochgewachsene, stattliche und ernsthafte Mann gab ein eindrucksvolles Bild ab. Er war zu dieser Zeit noch unerfahren, und sein erstes Gefecht verlief für die Virginia-Milizionäre katastrophal. Sie zogen sich bis zu einem nahegelegenen Wiesengelände zurück und errichteten dort eilends einen kleinen Stützpunkt aus grob gezimmerten Holzbauten, dem sie den passenden Namen Fort Necessity gaben. Nachdem er an einem einzigen Tag ein Drittel seiner Männer verloren hatte, die wie Kornbüschel unter der Sense fielen, kapitulierte der junge Oberstleutnant. Nur wenige Wochen später kamen Delegierte aus den Kolonien in Albany zusammen, um über Franklins Vorschlag zur Gründung eines Verteidigungsbündnisses zu beraten, dem sie dann auch zustimmten. Aber die Assemblies in den Kolonien lehnten ihn ab.
Zum Krieg kam es dennoch, zu einem Krieg um den Handel in Ostindien, um Fischereirechte vor der Küste Neufundlands, um die Schifffahrtsrechte auf dem Mississippi und um die Zuckerplantagen auf den Westindischen Inseln. Die Armen trugen, wie bei allen kriegerischen Auseinandersetzungen, die Hauptlasten dieses Konflikts. Sie stellten die Kämpfer, während die Händler, die Waffen verkauften und Soldaten lieferten, Gewinne machten. «In England wird der Krieg erklärt – bei den Händlern herrscht eitel Freude», schrieb ein New Yorker 1756.[13] Die Kolonisten sprachen vom «French and Indian War», nach den Völkern, gegen die sie in Nordamerika kämpften, aber die Kriegsschauplätze reichten von Bengalen bis nach Barbados, schlossen auch Österreich, Portugal, Preußen, Spanien und Russland ein, und es kämpften Armeen und Kriegsflotten im Atlantik und Pazifik, im Mittelmeer und in der Karibik. Der Franzosen- und Indianerkrieg bewirkte das, was Franklins Holzschnitt nicht gelungen war: Er führte Großbritanniens Kolonien in Nordamerika zusammen, bis nach Neuengland hinauf. Er führte, nicht unerheblich, auch zur Veröffentlichung eines American Magazine, das in Philadelphia gedruckt und an Abonnenten von Jamaika bis Boston verschickt wurde. Die Herausgeber rühmten sich: «Unsere Leser sind eine zahlreiche Gemeinde, sie setzt sich aus Angehörigen aller Parteien und Überzeugungen zusammen, in ganz Britisch-Amerika».[14]
In früheren Kriegen zwischen Großbritannien und Frankreich hatten die Kolonisten zumeist ihre eigenen Kämpfe ausgetragen und Kleinstadtmilizen und Provinzarmeen zu den Waffen gerufen. Aber 1755 entsandte Großbritannien reguläre Armeeregimenter nach Amerika, die unter dem Oberbefehl des eigensinnigen und ungestümen Generals Edward Braddock standen. Franklin deutete die Ernennung Braddocks als Versuch der Krone, die Kolonien in einem Zustand dauerhafter Schwäche zu halten. Er schrieb: «Da die britische Regierung der Vereinigung der Kolonien, wie sie in Albany vorgeschlagen worden war, ihre Zustimmung nicht erteilen und diese Union nicht mit ihrer eigenen Verteidigung betrauen wollte, damit die Provinzen dadurch nicht zu kriegerisch und sich ihrer eigenen Stärke bewusst werden sollten, … sandte sie den General Braddock mit zwei Regimentern regulärer englischer Truppen zu diesem Zweck herüber.»[15] Braddocks Auftrag lautete, die französischen Truppen zurückzudrängen, und er begann mit den Vorbereitungen für einen Kampf um Fort Duquesne am Oberlauf des Ohio River, an der äußersten Westgrenze der Kolonien. Franklin warnte den General, dass seine geplante Marschroute, die so gewunden war wie die Spur einer Schlange, den Indianern gute Gelegenheiten für Angriffe auf seine Truppen bieten würde. «Die schmale, beinahe vier Meilen lange Kolonne, die Ihre Armee bilden muss, dürfte sie Überfällen und Überrumpelungen in ihren Flanken und der Gefahr aussetzen, wie ein Faden in mehrere Stücke geschnitten zu werden, die … nicht zeitig genug aufrücken können, um einander zu unterstützen», erklärte er. Braddock hatte für diesen Hinweis nach Franklins Eindruck nur ein herablassendes Lächeln übrig, ein Lächeln von der Art, die der König im Umgang mit Untertanen zeigte. Der General erwiderte: «Diese Wilden mögen allerdings für eure rohe amerikanische Miliz ein furchtbarer Feind sein, allein auf des Königs reguläre und wohldisziplinierte Truppen, Sir, werden sie unmöglich irgendeinen Eindruck machen.»
Braddock und seine Truppen begannen ihren Marsch. Unterwegs plünderten sie die Bewohner der Ansiedlungen aus. Schon bald fürchteten viele Kolonisten die britische Armee genauso sehr wie die Franzosen. «Dies war genug, um uns über den Nutzen derartiger Verteidiger aufzuklären, wenn wir je welcher bedurft hätten», lautete Franklins bitterer Kommentar.[16] Braddocks Truppen erlitten eine schmähliche Niederlage, der General selbst wurde schwer verwundet. Beim Rückzug trug Washington den sterbenden General vom Schlachtfeld.
Der unverzagte William Pitt, der neue leitende Minister der britischen Krone, war entschlossen, den Krieg zu gewinnen und Großbritanniens Ansprüche in Nordamerika ein für allemal durchzusetzen. Als britischen und amerikanischen Truppen schließlich die Einnahme von Fort Duquesne gelang, benannten sie es zu Ehren des Ministers in Fort Pitt um. Aber Pitts dauerhaftes Vermächtnis sollte in Wirklichkeit mit den gewaltigen Kriegskosten verbunden sein. Schon bald standen in Nordamerika 45.000 Soldaten im Kampf; nur die Hälfte von ihnen waren Briten, die andere Hälfte stellten die Amerikaner selbst. Pitt versprach den Bewohnern der Kolonien, der Krieg werde «auf Kosten seiner Majestät» geführt werden. Der Bruch dieses Versprechens und die Erhebung neuer Steuern in den Kolonien waren letztlich die Beweggründe, die die Kolonisten dazu veranlassten, mit England zu brechen.
Doch schon zuvor hatte der teuerste Krieg der Geschichte Großbritannien die Loyalität seiner nordamerikanischen Kolonisten gekostet. Britische Truppen plünderten ihre Häuser und überfielen ihre Farmen. Wie zuvor bereits General Braddock spotteten sie über die Unfähigkeit der kolonialen Milizen und der Provinzarmeen. In engen Quartieren oder auf den gemeinsamen Märschen entging beiderseits kaum jemand der Unterschied, der zwischen britischen und amerikanischen Soldaten bestand. In den Augen der Briten waren die Kolonisten unerfahren, undiszipliniert und aufsässig. Aber für die Amerikaner, von denen nur wenige jemals in Großbritannien gewesen waren, lagen die Defizite auf Seiten der Briten: lüstern, lästerlich, tyrannisch.[17]
Ein Zusammenstoß war absehbar. In der britischen Armee drehte sich alles um den Dienstgrad. Britische Offiziere waren wohlhabende Gentlemen, einfache Soldaten wurden aus den Reihen der armen Bevölkerung rekrutiert. Bei den Kolonialtruppen gab es dagegen kaum Unterscheidungen nach Dienstgrad. In Massachusetts leistete während des Siebenjährigen Krieges jeder dritte Mann Militärdienst, und das galt für mittellose Handlungsgehilfen ebenso wie für reiche Kaufleute. Unterschiede nach Titeln und Dienstgraden, die in Großbritannien gemacht wurden, gab es in den Kolonien nicht, zumindest nicht unter freien Männern. In England besaß weniger als ein Fünftel der Männer das Wahlrecht; in den Kolonien lag der Anteil der wahlberechtigten Männer bei zwei Dritteln. Mit dem Stimmrecht verbundene Anforderungen an Besitz und Vermögen erfüllten so viele Männer, dass Thomas Hutchinson, der 1749 vergeblich für das Amt des Gouverneurs kandidierte, sich beklagte, die Stadt Boston sei eine «absolute Demokratie».[18]
«In Amerika gibt es mehr Gleichheit an Stand und Vermögen als in jedem anderen Land unter der Sonne», erklärte Charles Pinckney, der Gouverneur von South Carolina. Das traf zu, solange niemand in dieser Rechnung – Pinckney sollte das niemals tun – Menschen berücksichtigte, die selbst Eigentum waren, eine Zahl, die auch Pinckneys 45 Sklaven auf der Snee Farm einschloss, 45 Menschen, die die Quelle des Reichtums der Gouverneursfamilie bildeten. Zu diesen Menschen zählten Cyrus, ein Zimmermann (dessen Wert von Pinckney mit 120 £ veranschlagt wurde), Cyrus’ Kinder Charlotte (80 £), Sam (40 £) und Bella (20 £), seine Enkelin Cate (70 £) und eine sehr alte Frau namens Joan, die Cyrus’ Mutter gewesen sein könnte. Pinckney gab den Wert dieser Urgroßmutter mit null an; für ihn war sie wertlos.[19]
Britische und amerikanische Truppen besiegten die Franzosen 1759 in Quebec. Es war ein erstaunlicher Sieg, der die Irokesen dazu veranlasste, ihre lange Zeit bewahrte Neutralität aufzugeben und ein Bündnis mit den Engländern einzugehen, was zu einer entscheidenden Wende im Kriegsgeschehen führte. Im August 1760 nahmen die Engländer Montreal ein, und der nordamerikanische Teil des Krieges endete nur 1000 Kilometer von dem Ort entfernt, an dem er begonnen hatte, am äußersten Westrand des Britischen Empires.
Nur wenige Wochen später wurde der junge Georg III. zum König von Großbritannien gekrönt. Der erst 22 Jahre alte, merkwürdig schüchterne Monarch war ein jungenhafter, in Gold gewandeter Mann, der in seinen Schuhen mit weißen Schnallen Mühe hatte, nicht über die eigene Hermelinschleppe zu stolpern. Er präsentierte sich einer unruhigen Welt als Verteidiger des protestantischen Glaubens und der englischen Freiheiten. Noch als Prince of Wales hatte er verkündet: «Der Stolz, der Ruhm Großbritanniens und das unmittelbare Ziel seiner Verfassung ist die politische Freiheit.»[20] Aber mittlerweile mochten sich seine Untertanen in Amerika, während sie die Krönung ihres neuen Königs begrüßten, auch an eine Spruchweisheit erinnern, die Franklin zwanzig Jahre zuvor im Poor Richard’s Almanack abgedruckt hatte: «Auch der größte Monarch auf dem stolzesten Thron sieht sich gezwungen, auf seinem eigenen Arsch zu sitzen.»[21]
Kartografen spitzten ihre Federn, um die Karte Nordamerikas neu zu zeichnen, als 1763 Friede geschlossen wurde. Mit dem Friedensvertrag trat Frankreich Kanada und das gesamte Gebiet Neufrankreichs östlich des Mississippi an Großbritannien ab; Frankreich gab außerdem all seine als Louisiana bezeichneten Besitzungen westlich des Mississippi an Spanien ab, während Spanien Kuba zurückerhielt, dafür aber Florida Großbritannien überließ. Der britische Siedlungsgürtel entlang der Atlantikküste bot jetzt einen Anblick wie Stoffballen, die man auf dem Werkstattboden des Schneiders entrollt hatte.
«Wir in Amerika haben mit Sicherheit überreichlich Grund zur Freude», schrieb James Otis jr., der führende Rechtsanwalt in Massachusetts, 1763 aus Boston. «Die britische Herrschaft und Macht reicht jetzt buchstäblich von einer Meeresküste bis zur anderen und vom großen Fluss bis zum Ende der Welt.» Der Krieg hatte die Beziehungen der Kolonisten zum Empire auf eine harte Probe gestellt, doch der Friede hatte das Empire wie auch die Bindung der Kolonisten an es gestärkt. Otis sah das so: «Die wahren Interessen des Empires und seiner Ansiedlungen sind gegenseitiger Natur, und was von der göttlichen Vorsehung vereinigt wurde, das soll kein Mensch entzweizureißen wagen.»[22]
Aber Großbritannien war durch den Krieg an den Rand des Bankrotts geraten. Die Kämpfe hatten die Staatsschulden fast verdoppelt, und Pitts Versprechen geriet ins Wanken. Schließlich kamen die Minister des Königs auch noch zu dem Ergebnis, dass für die Verteidigung der neuen Grenzen des Empires in Nordamerika 10.000 Soldaten gebraucht würden, vielleicht auch mehr, gerade jetzt, nachdem ein Bündnis von Indianerstämmen unter der Führung eines Ottawa-Häuptlings namens Pontiac britische Forts an den Großen Seen und im Tal des Ohio eingenommen hatte. Pontiac, so hieß es, sei durch eine Prophezeiung zum Handeln getrieben worden: Ein «Himmel, in dem es keine weißen Menschen gab»,[23] sollte auf Erden geschaffen werden. Georg III. fürchtete die Kosten, die mit der Unterdrückung weiterer Indianeraufstände verbunden waren, und erließ eine Proklamation, mit der verfügt wurde, dass sich westlich der Appalachen keine Kolonisten niederlassen dürften – westlich einer Linie also, die viele Kolonisten bereits überschritten hatten.
Das britische Parlament verabschiedete 1764 den – auch als Sugar Act bezeichneten – American Revenue Act, mit dem man die Kriegsschulden begleichen und die Verteidigung der Kolonien finanzieren wollte. Die Assemblies in den Kolonien hatten bis 1764 ihre eigenen Steuern erhoben; das Parlament hatte die Handelspolitik bestimmt. Als das Parlament den Sugar Act verabschiedete, mit dem in erster Linie die striktere Durchsetzung früherer Maßnahmen verbunden war, kritisierten einige Kolonisten dies mit dem Argument, das Parlament habe kein Recht, ihnen Steuern aufzuerlegen, weil die Kolonien nicht durch eigene Abgeordnete im Parlament vertreten seien. Der Sugar Act war nicht radikal; radikal war die Reaktion darauf, eine Konsequenz der wachsenden Macht kolonialer Assemblies in einer Zeit, in der der Gedanke einer parlamentarischen Vertretung neue Kraft gewann.
Steuern sind das, was die Menschen an einen Herrscher zahlen, damit dieser die Ordnung bewahrt und das Reich verteidigt. In den alten Zeiten bezahlten die Landbesitzer mit einem Teil ihrer Ernteerträge oder mit Vieh, die Landlosen mit ihrer Arbeitskraft. Das Erheben von Steuern machte europäische Monarchen des Mittelalters reich; erst ab dem 17. Jahrhundert gaben die Monarchen die Macht zur Erhebung von Steuern nach und nach an die Legislative ab.[24] Die Besteuerung wurde also mit parlamentarischer Vertretung verbunden, und das genau zu der Zeit, in der England in Nordamerika und in der Karibik Kolonien gründete und in der Engländer nach und nach den Sklavenhandel zu dominieren begannen. Die beiden Themen vermischten sich in den 1760er Jahren auch rhetorisch. Samuel Adams, Abgeordneter in Massachusetts, sagte: «Wenn uns in irgendeiner Form Steuern auferlegt werden, ohne dass wir dort, wo sie erhoben werden, eine rechtmäßige Vertretung haben, werden wir dann nicht vom Rang eines freien Untertanen auf den elenden Zustand tributpflichtiger Sklaven herabgestuft?»[25]
Eine Besteuerung ohne parlamentarische Vertretung («taxation without representation»), argumentierten Männer wie Adams, ist eine Gewaltherrschaft, und Gewaltherrschaft ist gleichbedeutend mit Sklaverei. Dieses Argument war teilweise auch mit der Schuldenfrage verbunden. «Der Entleiher ist der Sklave des Geldgebers», hatte Franklin es einst im Poor Richard’s Almanack formuliert.[26] Schuldner konnten verhaftet und ins Schuldgefängnis gesperrt werden.[27] Schuldgefängnisse waren in England sehr viel verbreiteter als in den Kolonien, die in vielerlei Hinsicht Asyle für Schuldner waren.[28] Aber in den Kolonien herrschte nicht nur eine ungewöhnliche Toleranz im Umgang mit Schuldnern, die Schulden waren auch ungewöhnlich hoch, und in den 1760er Jahren waren sie plötzlich noch sehr viel höher. Der Gouverneur von Massachusetts berichtete, dass «ein Stopp für alle Kredite erwartet wurde», ja sogar «ein allgemeiner Bankrott».[29] Das Ende des Siebenjährigen Krieges führte zu einem deutlichen Rückgang bei der Kreditvergabe, auf den eine schwere Wirtschaftskrise und, vor allem im Süden, mehrere Jahre mit Missernten folgten. Die Besitzer von Tabakplantagen im Einzugsgebiet der Chesapeake Bay gerieten in massive Schulden bei Kaufleuten in England, die, ihrerseits knapp bei Kasse, durchaus Anstrengungen unternahmen, diese Schulden auch einzutreiben. Vor allem solche Pflanzer empfanden es als politisch nützlich, sich selbst als Sklaven ihrer Kreditgeber darzustellen.[30] Genau zur gleichen Zeit erlebten jedoch die Zuckerkolonien in der Karibik eine wirtschaftliche Blütezeit, was nicht zuletzt daran lag, dass mit dem Sugar Act ein Monopol durchgesetzt wurde: Nach den Bestimmungen dieses Gesetzes mussten die Kolonisten auf dem Festland ihren Zucker aus Britisch-Westindien beziehen.[31] Dieser Unterschied blieb nicht unbemerkt. «Auch kommen aus unseren Tabakkolonien keine Pflanzer nach Hause, die so wohlhabend sind wie die, welche häufig von unseren Zuckerinseln zurückkehren», schrieb Adam Smith in Der Wohlstand der Nationen.[32]
Das nächste vom Parlament erlassene Steuergesetz sorgte für noch heftigere Reaktionen. Ein Stamp Act von 1765 verfügte das Anbringen von regierungsamtlichen Gebührenmarken auf allen Arten von bedrucktem Papier, auf amtlichen Dokumenten ebenso wie auf Kreditbriefen und Spielkarten. Gebührenmarken wurden im gesamten britischen Empire verlangt, und nach diesen Maßstäben war die in den Kolonien erhobene Steuer preisgünstig: Die Kolonien zahlten nur zwei Drittel dessen, was die Briten selbst zu zahlen hatten. Aber in den mit Krediten belasteten Kolonien auf dem amerikanischen Festland erwies sich die Steuer als schwere Last. Gegner des Gesetzes stellten sich jetzt als «Sons of Liberty» dar (nach dem Vorbild der Sons of Liberty im Irland der 1750er Jahre) und sahen sich als Rebellen gegen Sklaverei. Ein Kreditgeber war «Herr über das Portemonnaie eines anderen Mannes». Hatten nicht britische Kreditgeber, ja sogar das Parlament selbst Schuldner in Nordamerika um ihr Geld und auch um ihre Freiheit betrogen? Machte sie das Parlament nicht zu Sklaven? John Adams, ein 29-jähriger Rechtsanwalt in Boston und Anführer der Opposition gegen den Stamp Act, schrieb: «Wir werden nicht ihre Neger sein.»[33]
Die Kolonien waren in einer sich verschärfenden Kreditkrise gefangen, die noch das gesamte britische Empire erfassen sollte, von den Pflanzern in Virginia über die schottischen Bankiers bis zu den Teeexporteuren der East India Company. Aber es gab auch amerikanische Besonderheiten: Mit dem Stamp Act, einer Abgabe auf jede Art von bedrucktem Papier, auch auf Zeitungen, erhob das Parlament in London eine Steuer, die für die Menschen am kostspieligsten war, die sich am besten darüber beschweren konnten: die Drucker von Zeitungen. «Die Drucker wird sie stärker betreffen als alle anderen», warnte Franklin und bat das Parlament dringend, sich die Sache noch einmal zu überlegen.[34] Drucker von Boston bis Charleston erklärten, das Parlament versuche, die Kolonisten auf den Status von Sklaven herabzustufen, indem es die Pressefreiheit zerstöre. Die Drucker der Boston Gazette verweigerten den Kauf von Gebührenmarken und änderten das Motto des Blattes: «Eine freie Presse bewahrt die Majestät des Volkes.» In New Jersey gab der Drucker William Goddard eine Zeitung namens Constitutional Courant heraus, die Franklins gegliederte Schlange im Impressum führte. Die Kolonisten beschlossen diesmal, die Frage «Join or Die» mit «Join!» zu beantworten.
Im Oktober 1765, dem Monat vor dem angekündigten Inkrafttreten des Stamp Act, versammelten sich 27 Delegierte aus neun Kolonien zum Stamp Act Congress in der New Yorker City Hall, wo John Peter Zenger 1735 und Caesar 1741 vor Gericht gestanden hatten. Der Stamp Act Congress erklärte kollektiv, «dass es ein untrennbar mit der Freiheit eines Volkes verbundenes Grundrecht und das unbezweifelbare Recht der Engländer ist, dass ihnen ohne ihre persönlich erteilte oder durch ihre Abgeordneten übermittelte Zustimmung keine Steuern auferlegt werden».[35] Nach dem Essen ließen die Delegierten die übriggebliebenen Speisen den Schuldnern bringen, die im Gefängnis im Dachgeschoss des Gebäudes einsaßen. So verbanden sie symbolisch ihre Sache mit Männern, die von Kreditgebern ihrer Freiheit beraubt worden waren.[36]
Die Volkssouveränität, die Pressefreiheit, die Verbindung zwischen parlamentarischer Vertretung und Besteuerung, Schulden als Sklaverei: Jeder dieser Begriffe, deren Ursprünge in England lagen, fand einen Platz im Widerstand der Kolonisten gegen den Stamp Act. Dennoch zeigte sich das Parlament überrascht. Benjamin Franklin trat 1766 im House of Commons auf, um dort zu erklären, warum die Kolonisten die Entrichtung der Steuer verweigerten. Der sechzigjährige Franklin präsentierte sich bei dieser Gelegenheit gleichermaßen als Mann von Welt wie auch als amerikanischer Provinzler, schlau und offenherzig, kultiviert und bodenständig zugleich.
«In welchem Licht pflegten die Menschen in Amerika des Parlament Großbritanniens zu betrachten?», wollten die Parlamentarier wissen.
«Sie betrachteten das Parlament als das große Bollwerk und den Schutz ihrer Freiheiten und Privilegien und sprachen stets mit höchstem Respekt und ebensolcher Verehrung von ihm», lautete Franklins Antwort.
«Und empfinden sie nicht mehr den gleichen Respekt vor dem Parlament?»
«Nein, er ist erheblich vermindert.»
Wenn die Kolonisten den Respekt vor dem Parlament eingebüßt hatten, wie konnte es dazu kommen? Aus welchen Gründen lehnten sie die Stempelsteuer ab? In der Charter für Pennsylvania stand nichts, was dem Parlament die Ausübung dieser Befugnis verbot.
Das stimme, räumte Franklin ein, in der Charter der Kolonie war nichts Einschlägiges enthalten. Stattdessen zitierte er ihr Verständnis «der allgemeinen Rechte der Engländer, wie sie in der Magna Carta festgelegt wurden», als seien die Kolonisten die Barone von Runnymede, König Georg ihr König Johann und die Magna Carta ihre Verfassung.
«Was war immer der Stolz der Amerikaner?», begehrte das Parlament zu wissen.
«Sich nach der Mode und Manufaktur Großbritanniens zu richten.»
«Was ist heute ihr Stolz?»
«Ihre alten Kleider so lange zu tragen, bis sie sich neue machen können.»[37]
Poor Richard, da war er wieder, abermals mit seinen Sprüchen und Redensarten.
Und doch erstreckte sich diese Auflehnung nicht bis nach Quebec oder bis auf die Zuckerinseln, wo die Belastung durch die Stamp Tax höher ausfiel. Dreizehn Kolonien schüttelten schließlich die britische Herrschaft ab; rund dreizehn weitere taten das nicht. Die Kolonisten auf dem Festland organisierten Proteste, bildeten einen Kongress und verweigerten die Entrichtung der Stempelsteuer. Aber die britischen Pflanzer auf den Westindischen Inseln äußerten kaum einmal eine Beschwerde, mit Ausnahme einiger vager und halbherziger Einwände, die aus Nevis und St. Kitts kamen. (South Carolina, dessen Ökonomie mehr mit Britisch-Westindien gemeinsam hatte als mit den anderen Festlandskolonien, nahm eine unentschlossene Haltung ein.) Sie waren zu besorgt, vielleicht einen weiteren Sklavenaufstand auszulösen.[38]
Auf dem Festland übertrafen die Weißen die Schwarzen im Verhältnis von vier zu eins. Auf den Inseln lebten dagegen achtmal mehr Schwarze als Weiße. Ein Viertel aller britischen Soldaten in Britisch-Amerika war auf den Westindischen Inseln stationiert, wo sie die englischen Kolonisten vor der allgegenwärtigen Bedrohung durch einen Sklavenaufstand schützten. Als Gegenleistung für diesen Schutz waren die Pflanzer auf den Westindischen Inseln nur allzu gern bereit, eine Steuer auf Gebührenmarken zu entrichten. Die Pflanzer auf Jamaika hatten sich noch nicht vom letzten Aufstand im Jahr 1760 erholt, bei dem ein Akan-Mann namens Tacky Hunderte bewaffnete Männer angeführt hatte, die Plantagen niederbrannten und rund 60 Sklavenhalter töteten, bis man sie schließlich gefangen nahm. Die Repressalien waren fürchterlich. Tackys Kopf wurde auf einen Pfahl gesteckt und zur Schau gestellt, während man einige seiner Anhänger in Ketten erhängte und andere auf dem Scheiterhaufen verbrannte. Dennoch nahmen die Rebellionen kein Ende, und die Pflanzer auf den Inseln begannen jetzt den Kolonisten auf dem Festland Vorwürfe zu machen: Begriffen die Söhne der Freiheit überhaupt, was sie da zum Besten gaben? «Kann es einen überraschen, dass die Neger auf Jamaika sich um die Wiedererlangung ihrer Freiheit bemühen», tobte ein Kaufmann, «wenn sie täglich von den Tischen ihrer Herren her zu hören bekommen, wie viel Beifall die Amerikaner für ihren Einsatz für die eigene Freiheit erhalten?»[39]
Es war keine Überraschung, dass die Weigerung der Pflanzer auf den Inseln, sich den Protesten gegen den Stamp Act anzuschließen, die Sons of Liberty außerordentlich enttäuschte. «Ihre Neger scheinen mehr Freiheitssinn mitbekommen zu haben als sie selbst», schimpfte John Adams und fragte: «Kann man sich keine Strafe für Barbados und Port Royal auf Jamaika ausdenken?» Adams war der seltene Fall eines Mannes, dessen große Ambitionen seinen Begabungen entsprachen. Er sollte noch lernen, seine Leidenschaft besser zu zügeln. Aber in den 1760er Jahren war er in seinem Zorn auf diejenigen, die dem Widerstand ihre Unterstützung verweigerten, nicht zu bremsen. Die Sons of Liberty einigten sich schließlich auf eine Strafe in Gestalt eines Boykotts von Waren aus der Karibik. Patriotisch gesinnte Drucker verurteilten mit einer Sprache, die noch hitziger ausfiel als Adams’ Tiraden, «die SKLAVISCHEN Inseln Barbados und Antigua – armselige, böswillige, feige, heimtückische Kreolen» – wegen «ihrer niederträchtigen Fahnenflucht von der Sache der Freiheit, ihrer fügsamen Preisgabe der Rechte der Briten, ihrer armseligen, feigen Resignation vor der Sklaverei».[40]
Die Pflanzer empörten sich über die Angriffe und hatten zugleich mit den Auswirkungen des Boykotts zu kämpfen. «Uns wird es vermutlich elend ergehen, weil es uns an Holz und an Versorgungslieferungen aus dem Norden fehlt, denn die Nordamerikaner sind entschlossen, sich dem Stamp Act nicht zu unterwerfen», schrieb ein Pflanzer auf Antigua.[41] Aber er und seinesgleichen gaben nicht nach. Und einige von ihnen hielten ihre nördlichen Nachbarn für bloße Aufschneider. «Für mich sind sie nur Hunde, die bellen, aber nicht beißen», höhnte ein Pflanzer aus Jamaika.[42]
Zudem lagen die Pflanzer auf den Westindischen Inseln auch keineswegs falsch mit ihrer Einschätzung, dass eine Art der Rebellion die andere befeuern würde. Die Sons of Liberty marschierten durch die Straßen von Charleston und skandierten: «Freiheit und keine Stempel!», aber ihnen folgten Sklaven, die riefen: «Freiheit! Freiheit!» Und nicht wenige Söhne der Freiheit vollzogen genau diesen Schritt nach, der sie vom Kampf für die eigene Freiheit zum Kampf für ein Ende der Sklaverei führte. «Die Kolonisten sind von Natur aus frei geboren, wie alle anderen Menschen auch, ob weiß oder schwarz», betonte James Otis jr. in einer glühenden, 1764 veröffentlichten Schrift mit dem Titel Rights of the British Colonists, Asserted, nur wenige Monate, nachdem er die Erweiterung des Britischen Empires bejubelt hatte. Brillant, aber labil, sollte Otis später den Verstand verlieren (vor seinem Tod durch einen Blitzschlag im Jahr 1783 war er nackt durch die Straßen seines Wohnorts gerannt). Aber in den 1760er Jahren sah er klarer als all seine Zeitgenossen die logische Erweiterung der Auseinandersetzungen über naturgegebene Rechte. Er empfand es als absurd, zu glauben, es könne «richtig sein, einen Menschen zu versklaven, weil er schwarz ist» oder weil er «kurzes Kraushaar hat, wie Wolle». Die Sklaverei, insistierte Otis, «ist der schockierendste Verstoß gegen das Naturrecht» und außerdem eine Quelle politischer Kontamination. «Diejenigen, die Tag für Tag anderer Leute Freiheit verschachern, werden sich schon bald nur wenig um die eigene kümmern», warnte er.[43]
Otis’ Leser pickten sich aus seinem Text die Teile heraus, denen sie zustimmten, und ebenso die, die aus ihrer Sicht entbehrlich waren. Aber es war etwas in die Welt entlassen worden, ein Set an widersetzlichen Gedanken über Freiheit, Gleichheit und Souveränität. Als Benjamin Franklin 1763 eine Schule für schwarze Kinder besuchte, räumte er ein, dass sich seine Ansichten geändert hätten. Einem Freund schrieb er: «Ich … habe eine höhere Meinung von den natürlichen Fähigkeiten der schwarzen Rasse entwickelt, als ich jemals zuvor hatte». In Virginia kamen George Mason nach und nach Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Sklaverei, und im Dezember 1765 schickte er George Washington einen Essay, in dem er die Ansicht vertrat, die Sklaverei sei «die Hauptursache für die Zerstörung der blühendsten Regierung, die es jemals gab» – er meinte die römische Republik –, und davor warnte, dass sie auch zur Zerstörung des Britischen Empires führen könnte.[44]
Schulden, Steuern und die Sklaverei waren nicht die einzigen Probleme, die in den politischen Debatten der 1760er Jahre zur Sprache kamen. Die Intensität der Debatte stärkte auch neue Gedanken zur Frage der Gleichheit und Gleichberechtigung. «Männer und Frauen sind alle eins in der Wahrheit Christi», hatte Benjamin Lay erklärt und damit einen Gedanken formuliert, der sich auf eine Vielzahl von Quäkerschriften des 17. Jahrhunderts zum Thema der spirituellen Gleichheit bezog. «Sind die Frauen nicht so frei geboren wie die Männer auch?», fragte Otis.[45] Selbst Benjamin Franklins lange leidende Schwester Jane beschäftigte sich jetzt mit diesem Gedanken. Jane Franklin verlor 1765 ihren Ehemann, einen Sattler und Tunichtgut namens Edward Mecom, der im Schuldgefängnis chronisch erkrankt war, und sie hatte Mitglieder der Massachusetts Assembly als Pensionsgäste aufgenommen. «Ich maße mir nicht an, über Politik zu schreiben», ließ Jane ihren Bruder einmal wissen, «doch ich höre ihnen gerne zu.»[46] Das war falsche Bescheidenheit, eine «Lobfischerei», für die ihr Bruder sie oft tadelte. An ihrem häuslichen Tisch gab es für sie viel zu hören, als Otis 1766 zum Sprecher der Massachusetts Assembly gewählt wurde, der vom König ernannte Gouverneur sich aber weigerte, das Wahlergebnis anzuerkennen. Wenn Jane Franklin bis dahin noch nicht gewillt war, über Politik zu schreiben, so hatte sie doch viel mitbekommen, worüber nachzudenken sich lohnte. Nicht lange nachdem der Gouverneur das Wahlergebnis vom Tisch gewischt hatte, schrieb sie an ihren Bruder und bat ihn, er möge ihr doch «all die Pamphlete und Papiere schicken, die von Deinen Schriften bisher gedruckt wurden».[47] Sie beschloss, sich gründlicher mit Politik zu beschäftigen.
Das Parlament hob den Stamp Act 1766 wieder auf. Diese Aufhebung «hat nahezu allen öffentlichen Protest zum Schweigen gebracht und sämtliche Wogen allgemeiner Unruhe zu einer sanften und friedfertigen Windstille geglättet», schrieb John Adams in sein Tagebuch.[48] «Ich gratuliere Dir & meinen Landesleuten zu der Aufhebung», schrieb Franklin an seine Schwester.[49] In der Woche nach dem Eintreffen der Nachricht in Boston stimmte die Stadtversammlung für «die vollkommene Abschaffung der Sklaverei unter uns».[50] Einige Verfasser von Flugschriften plädierten jetzt für ein Gesetz zur Abschaffung der Sklaverei, das für die gesamte Kolonie gelten sollte; andere rieten zum Abwarten, bis die Auseinandersetzung mit dem Parlament beendet war, weil das Parlament parallel zur Aufhebung der Stempelsteuer den Declaratory Act verabschiedet hatte, mit dem seine Rechte als Gesetzgeber unterstrichen wurden, und zwar «ohne Einschränkung in allen Fällen». Im darauffolgenden Jahr verabschiedete das Parlament die Townshend Acts, mit denen Steuern auf Blei, Papier, Farben, Glas und Tee erhoben wurden. Als auch diese Gesetze zu Aufruhr und Boykotten führten, schickte der Premierminister zwei reguläre Regimenter der britischen Armee nach Boston, um die Gesetze durchzusetzen.
«Alle Gespräche an diesem Ort drehen sich um Politik», berichtete Jane ihrem Bruder. Die Stadtversammlung in Boston kam zu dem Ergebnis, dass «eine Reihe von Vorkommnissen … hinreichende Gründe für die Annahme bietet, dass ein raffinierter und entschlossener, von imperialem Despotismus geprägter Plan zur Beseitigung aller bürgerlichen Freiheiten entwickelt – und teilweise bereits ausgeführt – worden ist». Als Soldaten im März 1770 in eine Menschenmenge feuerten und dabei fünf Männer töteten, bezeichneten die Sons of Liberty dies als «Massaker» und riefen um Hilfe gegen die Tyrannei eines stehendes Heeres. Aber die Pflanzer auf den Inseln Westindiens verlangten nicht nach weniger, sondern nach mehr militärischer Präsenz. So bat die Assembly auf St. Kitts den König um die Entsendung von Soldaten zum Schutz der Kolonisten vor «der aufrührerischen und wilden Veranlagung der Schwarzen, die immer zu Aufständen und zur Rebellion neigen.»[51]
Aber dennoch stellte sich mit der Begeisterung für die Sache der Freiheit auch die Frage nach dem Ende der Sklaverei. Das Town Meeting in Worcester forderte ein Gesetz, mit dem die Einfuhr und der Kauf von Sklaven verboten wurden; 1766 war der Massachusetts Assembly ein Gesetz gegen die Sklaverei vorgelegt worden. Viele Menschen in Massachusetts, denen bewusst war, wie die Frage der Sklaverei die Inselkolonien vom Festland abgeschnitten hatte, waren zugleich in Sorge, dass eine weitere Agitation gegen die Sklaverei die nördlichen Kolonien von den südlichen trennen würde. «Wenn dieses Gesetz verabschiedet wird, dürfte das eine ungünstige Wirkung auf die Einheit der Kolonien haben», schrieb 1771, als das entsprechende Gesetz zur Abstimmung anstand, ein Abgeordneter der Assembly an John Adams.[52] Im darauffolgenden Jahr verhandelte der Court of King’s Bench in London über den Fall Somerset v. Stewart. Charles Stewart, ein britischer Zollbeamter in Boston, hatte einen afrikanischen Mann namens James Somerset gekauft. Als Stewart 1769 nach England zurückbeordert wurde, nahm er Somerset mit. Somerset entkam, wurde aber gefasst. Stewart beschloss daraufhin, seinen Sklaven nach Jamaika zu verkaufen, und ließ ihn einstweilen auf einem Schiff einsperren. Somersets Freunde brachten den Fall vor Gericht, wo der Richter, Lord Mansfield, im englischen Common Law nichts fand, was Stewarts Rechtsauffassung stützte. Somerset wurde freigelassen.
Der Fall Somerset hielt für Menschen, die in Sklaverei festgehalten wurden, zwei Lehren bereit: Erstens könnten sie möglicherweise vor Gericht ihre Freiheit erstreiten, und zweitens hatten sie in Großbritannien bessere Aussichten auf Erfolg als in irgendeiner seiner Kolonien. Sie wurden aktiv. Unter Berufung auf die von James Otis jr. entwickelte Logik riefen sie die Gerichte an, ihnen die Freiheit zu gewähren: «Wir erwarten große Dinge von Menschen, die gegen die Pläne ihrer Landsleute, sie selbst zu versklaven, eine so ehrenwerte Haltung eingenommen haben», war in einem Gesuch zu lesen, das vier schwarze Männer im April 1773 in Boston bei Gericht einreichten. Und sie versuchten nach England zu entkommen: «In Virginia floh in jenem September ein Sklavenehepaar in der Hoffnung, die Freiheit zu gewinnen, indem sie London erreichten, eine Vorstellung, die inzwischen unter den Negern allzu weit verbreitet ist», hielt ein zeitgenössischer Beobachter fest.[53]
Dieser Kampf um die Freiheit ging verloren, weil die Kolonisten es vorzogen, zu ihren Auseinandersetzungen mit dem Parlament zurückzukehren. Die in London ansässige East India Company stand vor dem Bankrott, was auch mit dem Boykott in den Kolonien, mehr jedoch mit einer Hungersnot in Bengalen und den dort anfallenden Militärausgaben zu tun hatte, hinzu kam noch ein steil abstürzender Aktienkurs im Gefolge der das gesamte Empire erfassenden Kreditkrise von 1772. Das Londoner Parlament verabschiedete im Mai 1773 den Tea Act, der – in der Absicht, die East India Company zu retten – die Teesteuer senkte, jedoch erneut das Recht des Parlaments auf eine Besteuerung der Kolonien geltend machte. Bürger von Philadelphia bezeichneten jeden, der Tee importierte, als «Feind des Landes». Teehändler gaben aus Furcht ihre Tätigkeit auf. In jenem Herbst trafen drei mit Tee beladene Schiffe in Boston ein. Dutzende als Mohawk-Krieger – Indianer auf dem Kriegspfad – verkleidete Kolonisten enterten die im Hafen ankernden Schiffe und warfen Teekisten über Bord. Das Parlament verabschiedete als Strafe für die Stadt die Coercive Acts, mit denen der Hafen von Boston geschlossen und, mit Wirkung ab Juni 1774, die Charter für Massachusetts annulliert wurde.
In Virginia beobachtete James Madison jr., 23 Jahre alt, die Ereignisse in Massachusetts von Montpelier aus, der Plantage seiner Familie in der Piedmont-Region östlich der Blue Ridge Mountains. Er hatte zwei Jahre zuvor sein Studium in Princeton abgeschlossen und war jetzt zu Hause, um seine jüngeren Geschwister zu unterrichten. Weit weg vom Ort des Geschehens hatte er begierig alle Nachrichten aufgenommen und sich den Kopf über die Frage zerbrochen, warum die nördlichen und mittleren Kolonien so ganz anders auf die Teesteuer reagiert hatten als der Süden. In Princeton, einem Presbyterianer-College – einem College von Glaubensabweichlern –, hatte er eine Studie über Religionsfreiheit verfasst, und nachdem die Teeladungen im Meer gelandet waren, kam er zu dem Schluss, dass Massachusetts und Pennsylvania sich deshalb der Amtsgewalt des Parlaments auf eine Art widersetzt hatten, auf die Virginia verzichtete, weil es in den weiter nördlich gelegenen Kolonien keine Staatsreligion gab. Religiöse Freiheit, folgerte Madison, ist ein Wert an sich, weil sie unabhängiges Denken fördert, aber auch, weil sie politische Freiheit ermöglicht. Als er von der Verabschiedung der Coercive Acts erfuhr, dachte er zum ersten Mal an Krieg. Er schrieb an seinen engsten Freund William Bradford in Philadelphia und fragte ihn, ob es nicht besser wäre, «so bald wie möglich mit unserer Verteidigung zu beginnen».[54]
George Washington, der 1758 in die gesetzgebende Versammlung Virginias gewählt worden war, hatte sich unterdessen in Mount Vernon vornehmlich mit der Verwaltung seiner umfangreichen Tabakpflanzungen beschäftigt.[55] Bis zur Verabschiedung der Coercive Acts hatte ihn der zunehmende Widerstand der Kolonien gegen die Autorität des Parlaments nicht sonderlich bewegt. Im September 1774 trafen sich 56 Delegierte aus zwölf der dreizehn Festlandskolonien in einem Zunfthaus der Zimmerleute in Philadelphia zum Ersten Kontinentalkongress. Washington war einer der Delegierten aus Virginia. Der Protest gegen den Stamp Act hatte die Kolonien zwar für eine gewisse Zeit geeint, aber die Coercive Acts empfanden viele Delegierte als ein Problem, das allein Massachusetts betraf. Auf die Virginier wirkten die Abgesandten aus Massachusetts maßlos und unbeherrscht, ja sogar fanatisch, vor allem wenn sie die Möglichkeit einer eventuellen Unabhängigkeit von Großbritannien zur Sprache brachten. Ein erleichterter Washington verlieh im Oktober, nachdem er zu den «Menschen in Boston» gesprochen hatte, seiner Zuversicht Ausdruck, er könne «es als eine Tatsache verkünden, dass es weder der Wunsch noch das Interesse jener Regierung oder von irgendjemandem sonst auf diesem Kontinent ist, sich einzeln oder gemeinschaftlich in der Unabhängigkeit einzurichten». Er war sich so sicher, «wie ich mir meiner Existenz sicher sein kann, dass nichts dergleichen von irgendeinem denkenden Menschen in ganz Nordamerika gewünscht wird».[56]
James Madisons Freund William Bradford plauderte aus Philadelphia faszinierende Details über das Geschehen rund um den Kontinentalkongress aus. Bradford erwies sich als findiger Reporter und noch besserer Spürhund. Vom Bibliothekar der Library Company of Philadelphia – die den Kongress mit Büchern versorgte – hatte er gehört, dass die Delegierten fleißig «Vattel, Burlamaqui, Locke und Montesquieu» lasen, was Bradford dazu veranlasste, Madison zu versichern: «Daraus dürfen wir vielleicht schließen, dass ihre Maßnahmen weise durchdacht sein werden, weil sie wie Philosophen darüber debattieren.»[57]
Weise mögen die Delegierten gewesen sein, aber diese Philosophen bekamen es sofort mit einer sehr schwierigen Frage zu tun, die der Union fortan und bis heute zugesetzt hat. Der Kongress sollte eine repräsentative Körperschaft sein. Wie ließ sich Repräsentation rechnerisch ermitteln? Der Delegierte Patrick Henry aus Virginia, ein mitreißender Redner mit einem scharfen, strengen Blick, schlug vor, dass die Delegierten eine Zahl von Stimmen abgeben sollten, die anteilig jeweils der Zahl weißer Einwohner ihrer Kolonien entsprach. Da es aber an genauen Bevölkerungszahlen fehlte, hatten die Delegierten kaum eine andere Wahl, als etwas sehr viel Einfacheres zu tun – nämlich jeder Kolonie genau eine Stimme zuzusprechen. Man kam jedenfalls in der Absicht zusammen, mehr zu werden als nur eine Ansammlung von Kolonien und die Summe ihrer Klagen und Beschwerden: Das Ziel war ein neues Gemeinwesen. «Die Unterscheidung zwischen Virginiern, Pennsylvaniern, New Yorkern und Neuengländern gibt es nicht mehr», sagte Henry. «Ich bin kein Virginier, sondern ein Amerikaner.»[58] Ein Wort auf einer vor langer Zeit angefertigten Karte war zu einer Idee herangewachsen.
DER KONTINENTALKONGRESS litt weder unter der Uneinigkeit und dem Chaos des Kongresses von Albany, noch verfiel er in das ehrerbietige Bitten des Stamp-Act-Kongresses. Dieser neue, ambitioniertere und weiter ausgreifende – Kontinental- – Kongress appellierte an die Kolonisten, ihre Milizen einzuberufen und Waffenlager anzulegen. Er befürwortete außerdem einen Boykott aller britischen Importe und ein Verbot jeglichen Handels mit Westindien, ein Kappen der Verbindungen zu den Inseln. Die Assembly von Jamaika schickte in dem Monat, in dem der Boykott beginnen sollte, eine Petition an den König, die mit einer Verbeugung und einem Hofknicks überbracht wurde. Die Jamaikaner begannen mit einer Versicherung, dass die Insel nicht die Absicht habe, sich der Rebellion anzuschließen: «Schwach und angreifbar, wie diese Kolonie ist, mit einer sehr kleinen Zahl weißer Bewohner und in ihrer besonderen Lage mit der Belastung durch mehr als 200.000 Sklaven, ist nicht davon auszugehen, dass wir jetzt die Absicht haben – oder jemals die Absicht gehabt haben könnten –, uns Großbritannien zu widersetzen», erklärten die Jamaikaner. Und dennoch, so fuhren sie fort, stimmten sie mit der grundsätzlichen Klage der Kolonisten auf dem Festland überein und erklärten es «zum ersten anerkannten Grundsatz der Verfassung, dass das englische Volk ein – tatsächlich auch ausgeübtes – Recht auf Beteiligung an der Gesetzgebung für sein Land hat.»[59]
Der von dieser Erklärung wenig beeindruckte Kongress entbot den Jamaikanern einen halbherzigen Salut: «Wir empfinden wärmste Dankbarkeit für Ihre einfühlsame Vermittlung in unserem Namen bei der Krone.» Weder der König noch das Parlament zeigten irgendein Interesse an einer Überprüfung der Coercive Acts. Die Steuerlast, gegen die sich die Kolonisten wehrten, war lächerlich gering, und ihre rechtschaffene Selbstgerechtigkeit war entnervend. Lord North, der Premierminister, beauftragte den berühmten Schriftsteller Samuel Johnson mit der Abfassung einer Erwiderung auf die Klagen des Kontinentalkongresses. Das einfachste Argument, das sich gegen die Kolonisten vorbringen ließ, war, sie der Heuchelei anzuklagen. In seinem Essay Taxation, No Tyranny fragte Johnson trocken: «Warum hören wir die lautesten Schreie nach Freiheit ausgerechnet aus den Reihen der Antreiber der Schwarzen?» Johnsons Ablehnung der Sklaverei war mehr als nur rhetorischer Natur; ein freier Jamaikaner, ein schwarzer Mann namens Francis Barber, war sein Gefährte, Mitarbeiter und Erbe. («Auf den nächsten Aufstand der Neger auf den Westindischen Inseln», erklärte Johnson in einem Trinkspruch, den er während des Krieges ausbrachte.) Aber Johnsons Vorwurf der Heuchelei bewirkte auch nicht mehr als die anklagenden Worte, die der Arzt Benjamin Rush ein Jahr zuvor in Philadelphia vorgetragen hatte: «Wo liegt der Unterschied», fragte sich Rush, «zwischen dem britischen Senator, der seine Mituntertanen in Amerika zu versklaven versucht, indem er ihnen gegen Recht und Gerechtigkeit Steuern auferlegt, und dem amerikanischen Patrioten, der seine afrikanischen Geschwister zur Sklaverei herabwürdigt, im Widerspruch zu Gerechtigkeit und Menschlichkeit?»[60]
Mittlerweile hatte die von Benjamin Lay ausgebrachte Saat Früchte getragen, und die Quäker hatten die Sklaverei offiziell verboten – wer für sich in Anspruch nahm, einen anderen Menschen als sein Eigentum zu besitzen, wurde aus ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen. Am 14. April 1775, einen Monat vor dem Termin für den Beginn des Zweiten Kontinentalkongresses in Philadelphia, gründeten zwei Dutzend Männer, darunter 17 Quäker, in der Stadt die «Society for the Relief of Free Negroes Unlawfully Held in Bondage». Aber wieder einmal wurde, wie schon 1773, die Aufmerksamkeit aller Kolonien abgelenkt, so dringlich die Abschaffung der Sklaverei auch sein mochte. Fünf Tage nach der Gründungsversammlung der Gesellschaft, am 19. April 1775, wurde auf feuchtem, dunklem Frühlingsgras Blut vergossen, in Lexington Green.
Es begann, als General Thomas Gage, der Kommandeur der britischen Truppen, vor den Toren von Boston, im nahegelegenen Charlestown und in Cambridge, dort eingelagerte Munitionsvorräte beschlagnahmen ließ und 700 Soldaten mit gleichlautendem Auftrag nach Lexington und Concord schickte. 70 bewaffnete Milizionäre, sogenannte Minutemen – Farmer, die sich verpflichtet hatten, in Windeseile auf Abruf einsatzbereit zu sein – stellten sich ihnen in Lexington entgegen, und weitere Milizionäre eilten nach Concord. Die britischen Soldaten töteten zehn von ihnen und verloren selbst dabei zwei Mann. Die Streitkräfte der Rebellen belagerten anschließend das von der britischen Armee besetzte Boston. Die Loyalisten blieben in der Stadt, aber davon gab es in Boston nur wenige: 12.000 der 15.000 Einwohner versuchten zu fliehen, die Eleganten und die Zerlumpten, Alte und Junge, die ersten Flüchtlinge des Krieges.
John Hancock, John Adams und Samuel Adams ritten eilig nach Philadelphia. Durch die Evakuierung wurden Familien auseinandergerissen. Benjamin Edes, der Drucker der Boston Gazette, kutschierte seine Druckerpresse und die Lettern mit einem Karren zum Charles River und ruderte über den Fluss, während sein 18 Jahre alter Sohn in Boston in Kriegsgefangenschaft geriet.[61] Jane Franklin, nun 63, verließ die Stadt mit einer Enkelin in einem Wagen und ließ einen Enkel zurück. «Ich hatte das gepackt, was ich erwartete, mitnehmen zu können, in der Absicht, zusammen mit einhundert anderen mein Glück zu versuchen, ohne zu wissen, wohin», schrieb sie an ihren Bruder, der nach Jahren in England auf dem Rückweg nach Amerika war, um sich dort dem Kongress anzuschließen.[62]
Jetzt, wo Schüsse gefallen waren, erhielten die Debatten beim zweiten Kontinentalkongress, der in jenem Mai zusammenkam, eine sehr viel größere Dringlichkeit als beim ersten. Jene, die weiterhin auf eine Aussöhnung mit Großbritannien hofften – was nach wie vor auf die Mehrzahl der Delegierten zutraf –, mussten jetzt den bedrückten, radikaler eingestellten Delegierten aus Massachusetts Rede und Antwort stehen, die von ihren Sorgen und Nöten berichteten. «Ich fühle aufrichtig mit Dir und den Menschen meiner Heimatstadt und meines Heimatlandes», schrieb Benjamin Franklin an seine Schwester. «Dein Bericht von der Not, die mit ihrer Flucht verbunden war, bewegt mich sehr.»[63] Der Kongress beschloss im Juni, zwei Monate, nachdem in Massachusetts die ersten Schüsse gefallen waren, die Aufstellung einer Kontinentalarmee; John Adams schlug George Washington für das Amt des Befehlshabers vor. Der resolute und nahezu allseits bewunderte Washington, ein Mann von unvergleichlichem Auftreten und obendrein ganz und gar Virginier, wurde nach Massachusetts geschickt, um dort das Kommando zu übernehmen – schon sein Ritt dorthin sollte symbolisch für die Geschlossenheit von Nord und Süd stehen.
Den ganzen Herbst hindurch war der Kongress mit den Kriegsmaßnahmen beschäftigt, der Aushebung von Rekruten und der Ausrüstung der Soldaten. Die Frage der Unabhängigkeitserklärung wurde aufgeschoben. Die meisten Kolonisten standen weiterhin loyal zum König. Wenn sie den Widerstand unterstützten, dann taten sie das zur Verteidigung ihrer Rechte als Engländer, nicht für ihre Unabhängigkeit als Amerikaner.
Ihre Sklaven kämpften jedoch einen anderen Kampf. «Man stellt sich das hier so vor, dass unsere Regierung heimlich mit den Sklaven verhandelt und in Erwägung gezogen hat, sich ihrer im Fall eines Bürgerkrieges in großem Umfang zu bedienen», schrieb der junge James Madison aus Virginia an seinen Freund William Bradford in Philadelphia. Lord Dunmore, der vom König eingesetzte Gouverneur von Virginia, hatte vor, Sklaven, die sich für die britische Armee meldeten, die Freilassung anzubieten. «Das ist, ehrlich gesagt, der einzige Punkt, an dem diese Kolonie verwundbar ist», räumte Madison ein, «und sollten wir unterworfen werden, dann werden wir wie Achilles von der Hand eines Mannes fallen, der dieses Geheimnis kennt.»[64]
Aber die Verwundbarkeit der Kolonisten durch einen Sklavenaufstand, jene Achillesferse, war schwerlich ein Geheimnis: Es definierte sie geradezu. Madisons eigener Großvater, Ambrose Madison, der erste Siedler auf Montpelier, war 1732 im Alter von 36 Jahren von Sklaven ermordet – offensichtlich vergiftet – worden. In Madisons County waren Sklaven 1737 und 1746 erneut wegen Vergiftung ihrer Herren verurteilt worden. Im ersten Fall wurde der verurteilte Mann enthauptet, sein Kopf wurde auf einen Pfahl gesteckt und vor dem Gerichtsgebäude zur Schau gestellt, «um andere davon abzuschrecken, es ihm nachzutun»; im zweiten Fall wurde eine Frau namens Eve bei lebendigem Leib verbrannt.[65] Die Körper der Verurteilten wurden in Schaustücke verwandelt.
Keine Besitzung war ohne diese Achillesferse. George Washington waren spätestens ab 1760 immer wieder Sklaven weggelaufen. Insgesamt flohen mindestens 47 von ihnen zu verschiedenen Zeitpunkten.[66] 1763 geriet ein 23 Jahre alter, in Gambia geborener Mann in Washingtons Besitz; Washington nannte ihn Harry und gab ihm Arbeit bei der Trockenlegung eines Sumpflandes, das als Great Dismal Swamp bekannt war. Harry Washington gelang 1771 die Flucht, doch er wurde wieder gefangen genommen. Im November 1775 versorgte er die Pferde seines Besitzers in den Stallungen von Mount Vernon, als Lord Dunmore die Bekanntmachung herausgab, vor der sich Madison gefürchtet hatte: Er bot allen Sklaven die Freilassung an, die sich den Truppen seiner Majestät anschlossen, deren Auftrag lautete, die amerikanische Rebellion niederzuschlagen.[67]
George Washington erhielt in Cambridge, wo er die Kontinentalarmee zusammenzog, einen Bericht über die Sklaven in Mount Vernon. «Es gibt keinen einzigen Mann hier, der uns nicht verlassen würde, wenn er glaubte, dass er entkommen könnte», schrieb Washingtons Cousin in jenem Winter und fügte noch hinzu: «Die Freiheit ist süß.»[68] Harry Washington wartete auf eine passende Gelegenheit, aber schon bald sollte er sich den 500 Männern anschließen, die ihren Besitzern wegliefen, um zu Dunmores Truppen zu stoßen. Zu den geflüchteten Sklaven zählten auch ein Mann namens Ralph, der von Patrick Henry weglief, und acht von 27 Personen im Besitz von Peyton Randolph, der als Präsident des Ersten Kontinentalkongresses fungiert hatte.[69]
Edward Rutledge, ein Mitglied der Delegation South Carolinas für den Kontinentalkongress, fand, Dunmores Erklärung habe «mehr für eine dauerhafte Trennung zwischen Großbritannien und den Kolonien bewirkt als jede andere erdenkliche Maßnahme».[70] Nicht die Steuern und der Tee, nicht die Schüsse in Lexington und Concord, nicht die Belagerung von Boston; eher war es dieser Schritt, Dunmores Angebot der Freilassung an die Sklaven, das den Ausschlag zugunsten der amerikanischen Unabhängigkeit gab.
Es war aber nicht so, dass sich die Gewichte dadurch endgültig verschoben hätten. John Adams schätzte, dass ein Drittel der Kolonisten Patrioten seien, ein Drittel Loyalisten, und ein Drittel habe sich in der Unabhängigkeitsfrage zu keinem Zeitpunkt eindeutig entschieden.[71] Neben Dunmores Proklamation der Freiheit für Sklaven ging der stärkste Anstoß für die Unabhängigkeit vom grüblerischen und unermüdlichen Thomas Paine aus, der 1774 aus England kommend in Philadelphia eingetroffen war. Paine veröffentlichte im Januar 1776 unter dem Titel Common Sense ein anonymes Pamphlet, 47 Seiten voller schneidig vorgetragener politischer Argumente. «Da es meine Absicht ist, auch für diejenigen verständlich zu sein, die kaum lesen können, werde ich auf jede literarische Ausschmückung verzichten und eine Sprache benutzen, die so einfach ist wie das Alphabet», erklärte Paine. Mitglieder des Kongresses mochten Philosophen gewesen sein, die Locke und Montesquieu lasen. Aber einfache Amerikaner lasen die Bibel, Poor Richard’s Almanack und Thomas Paine.
Paine schrieb mit Ungestüm, und er schrieb feurig. «Die Sache Amerikas ist in hohem Maße die Sache der ganzen Menschheit», tat er kund. «Dies ist nicht die Angelegenheit einer Stadt, eines Landes, einer Provinz oder eines Königreiches, sondern die eines Kontinents – von mindestens einem Achtel des bewohnbaren Erdkreises. Dies betrifft nicht einen Tag, ein Jahr oder ein Zeitalter: die Nachwelt ist unmittelbar in diesen Kampf verwickelt, und sie wird mehr oder weniger bis ans Ende der Zeit von den jetzigen Vorgängen beeinflusst werden.»
Sein Empirismus war hausgemacht, seine Metaphern bezog er aus Küche und Scheune. «Es ist wirklich absurd, wenn man sich vorstellt, dass ein Kontinent auf die Dauer von einer Insel regiert werden sollte», schrieb er und stellte dabei die Logik des englischen Imperialismus auf den Kopf. «Man könnte dann ebenso behaupten, dass ein Kind, das bisher bei Milch bestens gedieh, niemals Fleisch essen dürfe.»
Aber es fehlte Paine nicht an philosophischen Kenntnissen. Er bereitete Locke für die Alltagslektüre auf und erklärte die Vorstellung vom Naturzustand. «Da alle Menschen nach der Ordnung der Schöpfung ursprünglich gleich waren, kann diese Gleichheit nur durch spätere Ereignisse zerstört worden sein», schrieb er im Stil eines Lehrers, der sich an seine Schüler wendet. Die Herrschaft einiger weniger über viele andere, die Unterscheidungen zwischen arm und reich: Die Formen der Ungleichheit waren weder naturgegeben, noch entsprangen sie einer religiösen Vorschrift; sie waren die Folgen von Handlungen und Gebräuchen. Und die allerunnatürlichste Unterscheidung überhaupt, erklärte er, ist «die Unterscheidung von Menschen in Könige und Untertanen».[72]
Paine bediente sich auch der Magna Carta und argumentierte: «Die Charta, die diese Freiheit in England sichert, entstand nicht im Senat, sondern im Felde; und das Volk bestand darauf, sie wurde nicht von der Krone gewährt.» Er forderte die Amerikaner auf, ihre eigene Magna Carta zu schreiben.[73] Allerdings bietet die Magna Carta keine Rechtfertigung für offene Rebellion. Paine war klar: Die beste und nützlichste Strategie ergab sich nicht aus Hinweisen auf Präzedenzfälle oder Doktrinen, sondern aus der Natur, aus dem Beharren auf einem naturgegebenen Recht auf Revolution, das so natürlich war wie ein Kind, das seine Eltern verlässt. «Wir wollen uns in folgende Situation hineinversetzen: In irgendeinem abgeschiedenen Teil der Erde, ohne Verbindung mit der übrigen Welt, siedeln sich einige Menschen an, die somit die allerersten Bewohner eines Landes oder auch der ganzen Welt repräsentieren», setzte er ein, als würde er einem Kind ein Märchen aus alter Zeit erzählen.[74] Diese Menschen werden eine Regierung einsetzen, die ihre Sicherheit und ihre Freiheit gewährleisten soll. Und wenn diese Regierung nicht mehr für Sicherheit und Freiheit sorgt, leuchtet es wohl ein, dass die Menschen sie absetzen können. Sie behalten dieses Recht für alle Zeit.
Eine sehr ähnliche Sprache floss in Resolutionen ein, die auf kolonialen Konventen verabschiedet wurden, die eigens eingerichtet worden waren, um ohne Einschränkungen von britischer Seite neue Regierungsformen erproben zu können. «Alle Menschen sind von Natur aus gleichermaßen frei und unabhängig und haben gewisse unveräußerliche Rechte, die sie, wenn sie in den Zustand einer Gesellschaft eintreten, ihren Nachkommen nicht wegnehmen und die sie auch nicht anderweitig vergeben können», hieß es in der «Virginia Declaration of Rights and Form of Government», die der kecke George Mason entworfen hatte. «Alle Macht ist dem Volk gegeben und leitet sich deshalb folgerichtig von ihm her.» James Madison, halb so alt wie Mason, war als Abgeordneter aus Orange County in diese Versammlung gewählt worden. Er schlug eine Überarbeitung von Masons Erklärung vor. Wo Mason geschrieben hatte, dass «alle Menschen bei der Ausübung ihrer Religion sich vollständiger Toleranz erfreuen sollten», schrieb Madison den entsprechenden Abschnitt zu einer Garantie um, nach der «alle Menschen das gleiche Recht zu ihrer vollständigen und freien Ausübung haben». Die vorgeschlagene Änderung wurde angenommen, und Madison wurde zum Autor der weltweit ersten in einer Verfassung festgeschriebenen Garantie religiöser Freiheit, die in den Rang eines Grundrechts erhoben und nicht nur als etwas bezeichnet wurde, das zu tolerieren sei.[75]
Die Sklaverei warf unweigerlich einen langen und furchtbaren Schatten auf diese Grundsatzerklärungen: Die Sklaverei nämlich hatte diese Erklärungen überhaupt erst ermöglicht. Masons ursprünglicher Entwurf hatte die Passage über Rechte, die von Menschen erworben werden, «wenn sie in den Zustand einer Gesellschaft eintreten», gar nicht enthalten; diese Worte wurden erst hinzugefügt, nachdem Mitglieder der Versammlung die Befürchtung geäußert hatten, das Original «hätte die Wirkung einer Abschaffung» der Sklaverei.[76] Wenn alle Menschen, die einem bürgerlichen Gemeinwesen angehören, frei und gleich sind, wie kann es dann Sklaverei geben? Es müsse sich wohl so verhalten, lautete die Antwort des Konvents von Virginia, dass Afrikaner nicht zum bürgerlichen Gemeinwesen gehörten, weil sie sich niemals aus dem Naturzustand gelöst hätten.
Im politischen Denken des 18. Jahrhunderts existierten auch die Frauen außerhalb des Vertrags, durch den das bürgerliche Gemeinwesen gebildet wurde. Abigail Adams schrieb im März 1776 aus Massachusetts an ihren Mann John und stellte ihm die Frage, ob dieser Zustand nicht behoben werden könne. «Ich wünsche mir, dass Du Dich der Frauen erinnerst und ihnen mehr Großzügigkeit und Wohlwollen erweist als Deine Vorfahren», begann sie und spielte damit auf die lange Abfolge von Übergriffen an, die Männer Frauen angetan hatten. «Lege nicht so viel unbegrenzte Macht in die Hände der Ehemänner», schrieb sie und sprach von Tyrannei: «Denke daran, dass alle Männer Tyrannen wären, wenn sie nur könnten.» Und sie forderte ihn auf, der Logik des Grundsatzes der Repräsentation zu folgen: «Wenn den Frauen keine besondere Sorgfalt und Aufmerksamkeit zuteilwird, sind wir entschlossen, einen Aufstand zu schüren, und wir werden uns nicht an irgendwelche Gesetze gebunden fühlen, die uns weder eine Stimme noch eine parlamentarische Vertretung zugestehen.»
Ihr Ehemann hielt überhaupt nichts von solchen Vorschlägen. «Was Dein außergewöhnliches Gesetzbuch betrifft, so kann ich darüber nur lachen», erwiderte er. «Uns wurde gesagt, dass unser Kampf die Bindung an die Regierung überall gelockert habe. Dass Kinder und Lehrlinge ungehorsam seien – dass sich an Schulen und Universitäten Unruhe ausgebreitet habe – dass Indianer ihre Vormunde beleidigten und Neger sich unverschämt gegen ihre Herren verhielten. … Verlasse Dich darauf, wir kennen etwas Besseres als die Zurücknahme unserer männlichen Ordnung.»[77] Dass Frauen in den Gründungsdokumenten der Nation unerwähnt blieben, auch in den Vorstellungen ihrer Gründer von einem bürgerlichen Gemeinwesen keinen Platz fanden – weil sie, wie Sklaven, als im Naturzustand verhaftet galten –, sollte der politischen Ordnung des Landes noch jahrhundertelang Probleme bereiten.
AUF DEM KONTINENTALKONGRESS im Juni entwarf John Dickinson, ein Delegierter aus Pennsylvania, die Articles of Confederation. «Der Name dieser Konföderation soll ‹Die Vereinigten Staaten von Amerika› sein», schrieb er und benutzte dabei möglicherweise erstmals diesen Ausdruck. Es kann sein, dass Dickinson den Begriff «die vereinigten Staaten» in einem vom Kongress verwendeten Buch über Verträge fand; dort war auch von einem Vertrag aus dem Jahr 1667 die Rede, der sich auf eine Konföderation unabhängiger niederländischer Staaten bezog, auf «die vereinigten Staaten der Niederlande». In Dickinsons Entwurf sollten die – jetzt als Staaten bezeichneten – Kolonien «zu ihrer gemeinsamen Verteidigung, zur Sicherung ihrer Freiheiten und zu ihrem gegenseitigen und allgemeinen Wohlergehen» ein Freundschaftsbündnis schließen. Der erste Entwurf, der dem Kongress vorgelegt wurde, forderte jeden einzelnen Staat auf, einen Beitrag zu den Kriegskosten zu leisten sowie zu den Kosten für die Regierung, die entsprechend der Bevölkerungszahl zusammengesetzt werden sollte. Um diese Zahl zu ermitteln, war alle drei Jahre eine Volkszählung vorgesehen. Es bedurfte noch zahlreicher Überarbeitungen und einer eineinhalb Jahre dauernden Debatte, bis sich der Kongress auf eine endgültige Fassung einigen konnte. Das abschließende Dokument strich aus Dickinsons Original die meisten Befugnisse, die seine Version dem Kongress eingeräumt hatte; die endgültigen Konföderationsartikel gleichen eher einem Friedensvertrag, der ein Verteidigungsbündnis souveräner Staaten etabliert, als einer Verfassung, die ein Regierungssystem begründet. Vieles war nur provisorisch. Die Bestimmung für eine gemeinsame Volkszählung in allen Staaten wurde beispielsweise zugunsten einer Abmachung gestrichen, mit der eine gemeinsame Staatskasse eingerichtet werden sollte, «entsprechend dem Wert allen Landes auf dem Gebiet jedes Staates». Da aber niemand diesen Wert kannte, blieb die Entscheidung über den jeweiligen Beitrag den Staaten selbst überlassen.[78]
Dessen ungeachtet drängten diese frisch vereinigten Staaten in Richtung Unabhängigkeit. Der Delegierte Richard Henry Lee, ein Hitzkopf aus Virginia, legte am 7. Juni 1776 eine Resolution vor, nach deren Wortlaut «diese Vereinigten Kolonien freie und unabhängige Staaten sind und rechtmäßig sein sollten». Eine Abstimmung über die Resolution wurde verschoben, aber der Kongress beauftragte einen aus fünf Männern bestehenden Ausschuss mit dem Entwurf für eine Erklärung: Benjamin Franklin, John Adams, Thomas Jefferson, den New Yorker Delegierten Robert R. Livingston und Roger Sherman, einen Delegierten aus Connecticut. Jefferson übernahm den Auftrag, einen ersten Entwurf vorzulegen.
Die Unabhängigkeitserklärung war keine Kriegserklärung; der Krieg hatte schon mehr als ein Jahr zuvor begonnen. Sie war ein Staatsakt, der auf eine völkerrechtliche Wirkung abzielte. Die Unabhängigkeitserklärung zeigte auf, wofür die Kolonisten kämpften; sie war ein Versuch zu erläutern, dass die Ursache der Revolution darin lag, dass der König sein Volk einer willkürlichen Ausübung von Macht ausgesetzt und die Menschen in einen Zustand der Sklaverei gezwungen hatte: «Die Geschichte des gegenwärtigen Königs von Großbritannien ist eine Geschichte wiederholten Unrechts und wiederholter Übergriffe, die alle auf die Errichtung einer absoluten Tyrannei über diese Staaten zielen.» Viele Leser empfanden diese Worte als nicht überzeugend. Der englische Philosoph und Jurist Jeremy Bentham bezeichnete 1776 die Theorie der Regierung, auf die sich die Unabhängigkeitserklärung bezog, als «absurd und überspannt». Ihre «self-evident truths» hielt er weder für selbstverständlich noch für wahr. Er betrachtete sie vielmehr als «umstürzlerisch für jede bestehende oder vorstellbare Art der Regierung».[79]
Aber das, was Bentham als absurd und überspannt empfand, verkörperte die Summe aus Jahrhunderten politischen Denkens und politischen Experimentierens. «Es findet sich kein Gedanke in ihr, der nicht schon im Kongress zwei Jahre lang gedroschen worden wäre», schrieb Adams später, neidisch auf den Zuspruch, den Jefferson für seinen Text erhielt. Jefferson räumte das auch selbst ein und verwies darauf, dass in seinem Auftrag von neuartigem Gedankengut nicht die Rede gewesen sei. Zur Erklärung selbst teilte er mit: «Sie zielte weder auf eine Originalität der Grundsätze noch der Gefühlslage, noch war sie von irgendeiner einzelnen und vorhergehenden Schrift übernommen, die damit verbundene Absicht war, die amerikanische Denkweise auszudrücken.»[80] Aber ihre Ideen, dieser Ausdruck der amerikanischen Denkweise, waren dennoch älter.
«Wir erachten diese Wahrheiten als heilig & unbestreitbar», begann Jefferson, «dass alle Menschen gleich & unabhängig geschaffen sind, dass sie, weil sie gleich geschaffen sind, natürliche & unveräußerliche Rechte besitzen, zu denen die Erhaltung des Lebens & Freiheit & das Streben nach Glück gehören; dass zur Sicherung dieser Ziele Regierungen unter den Menschen eingerichtet werden, die ihre rechtmäßige Macht aus der Zustimmung der Regierten herleiten; dass, wenn irgendeine Regierungsform sich für diese Zwecke als schädlich erweist, es das Recht des Volkes ist, sie zu ändern oder abzuschaffen und eine neue Regierung einzusetzen.» Jefferson hatte sich bei der von George Mason verfassten Virginia Declaration of Rights bedient und diese dabei erheblich verbessert. Nachdem klargestellt war, dass es unter bestimmten Bedingungen ein Recht auf Revolution gab, blieb jetzt noch aufzuzeigen, dass diese Bedingungen gegeben waren. Der größte Teil von Jeffersons Entwurf bestand aus einer Liste von Beschwerden und Anklagen gegen den König, der unter anderem beschuldigt wurde: «des Auferlegens von Steuern ohne unsere Einwilligung», der Auflösung von Volksvertretungen, der Unterhaltung eines stehenden Heeres «ohne Zustimmung unserer gesetzgebenden Versammlung», «des Entzuges der Vergünstigungen eines ordentlichen Gerichtsverfahrens», der Verletzung von Rechten also, die bereits in der Magna Carta festgeschrieben worden waren. In der längsten Passage des Entwurfs gab Jefferson dann Georg III. die Schuld an der Versklavung von Afrikanern und beschuldigte den König der Führung eines «grausamen Krieges gegen die menschliche Natur selbst, der Verletzung der heiligsten Rechte auf Leib & Leben in der Gestalt eines weit entfernt lebenden Volkes, das ihm niemals etwas zu Leide getan hatte, der Gefangennahme & Verschleppung dieser Menschen in die Sklaverei», der Verhinderung eines Verbots des Sklavenhandels durch die Kolonien, und «mit diesem Sammelsurium des Grauens stachelt er jetzt genau diese Menschen dazu an, sich in Waffen gegen uns zu erheben». Der Kongress strich diese Passage, denn man wollte dieses Sammelsurium des Grauens nicht im Gründungsdokument der Nation heraufbeschwören.
Die vom Kongress verabschiedete Erklärung war eine erstaunliche rhetorische Leistung, ein Akt außergewöhnlichen politischen Mutes. Sie steht auch für ein kolossales Scheitern des politischen Willens, für das Zurückhalten einer Welle der Opposition gegen die Sklaverei, indem man sie um einer Union willen ignorierte, die letztlich nicht von Dauer sein konnte und sollte.
Die Unabhängigkeitserklärung wurde im Juli von den Rathäusern und an Straßenecken laut vorgelesen. Menschenmengen jubelten. Kanonen wurden abgefeuert. Kirchenglocken läuteten. Statuen des Königs wurden vom Sockel gestürzt und für Kugeln eingeschmolzen. Als wenige Wochen später in Jamaika ein großer Sklavenaufstand begann, beschuldigten Sklavenbesitzer die Amerikaner, sie hätten ihn angefacht. In Pennsylvania ließ ein wohlhabender Kaufmann, der vom Zeitgeist leidenschaftlich bewegt war, nicht nur seine Sklaven frei, sondern gelobte außerdem, sein restliches Leben dem Aufspüren der Menschen zu widmen, die er einst besessen und verkauft hatte, einschließlich ihrer Kinder, und sie freizukaufen. Und im August 1776, einen Monat, nachdem die Delegierten des Kontinentalkongresses beschlossen hatten, dass es im Verlauf der Menschheitsgeschichte manchmal für ein Volk notwendig wird, die Bande zu lösen, die es mit einem anderen verbinden, erklärte Harry Washington seine eigene Unabhängigkeit. Er floh aus Mount Vernon, um sich Dunmores Regiment anzuschließen. In dieser Einheit trug er eine weiße Schärpe mit der aufgestickten Losung «Liberty to Slaves».[81]
WÄHREND DES KRIEGES lief fast jeder fünfte Sklave in den Vereinigten Staaten seinem Besitzer weg, floh aus der amerikanischen Sklaverei auf der Suche nach der britischen Freiheit. Ein amerikanischer Flüchtling gab sich selbst den neuen Namen «British Freedom». In London entstand ein neuer Text für «Yankee Doodle» mit dem Titel «The Negroes Farewell to America». In dieser Neufassung verlassen flüchtige Sklaven die Vereinigten Staaten «for old Englan’ where Liberty reigns/Where Negroe no beaten or loaded with chains» («fürs alte England, wo Freiheit herrscht/Wo man Neger nicht schlägt, nicht mit Ketten beschwert»).[82]
Nicht vielen gelang es, das Land zu erreichen, wo die Freiheit herrschte, oder auch nur hinter die britischen Linien zu kommen. Stattdessen wurden sie gefangen genommen und bestraft. Ein Sklavenbesitzer, der ein fünfzehnjähriges Mädchen einfing, das auf dem Weg zu Dunmores Regiment war, bestrafte seine Gefangene mit 80 Peitschenhieben und streute dann heiße Asche auf die aufgeplatzten Striemen.[83] So verzweifelt und wenig aussichtsreich eine Flucht auch gewesen sein mochte, muss sie dennoch wie eine gute Chance gewirkt haben; die klügsten Beobachter rechneten mit einem britischen Sieg, nicht zuletzt, weil die Briten diesen Kampf mit 32.000 disziplinierten und kampferprobten Soldaten aufnahmen, im Vergleich zu Washingtons 19.000 Mann, die bunt zusammengewürfelt und schwer zu befehligen waren. Ein amerikanischer Sieg mutete wie eine absurde Vorstellung an. Aber den regulären britischen Soldaten, die weit von der Heimat entfernt kämpften, mangelte es an Nachschub, und William Howe, der Oberbefehlshaber der britischen Streitkräfte, nahm zunächst New York und anschließend Philadelphia ins Visier, um dann festzustellen, dass seine Siege ihm nur wenig einbrachten. Im Unterschied zu den europäischen Nationen hatten die Vereinigten Staaten keine allgemein anerkannte Hauptstadt, deren Einnahme zu einer Kapitulation der Amerikaner geführt hätte. Und was noch wichtiger war: Howe versäumte es immer wieder, auf eine letzte, entscheidende Niederlage der Amerikaner zu drängen, weil er die Materialverluste für die eigenen Soldaten ebenso fürchtete wie die Gefahr einer hohen Zahl von Toten und Verwundeten an einem Ort, an dem Verstärkungen so weit weg waren.
Die britischen Streitkräfte waren zudem ausgedünnt und über den ganzen Globus verstreut, sie führten Krieg an vielen Fronten. Für die Briten war die Amerikanische Revolution nur eine Front in einem sehr viel größeren Krieg, einem Krieg für ein Empire, einem Weltkrieg. Wie der French and Indian War wurde dieser Krieg in erster Linie in Nordamerika ausgetragen, aber er breitete sich auf andere Schauplätze aus, nach Westafrika, Südasien, ins Mittelmeer und in die Karibik. Howe nahm 1777 Philadelphia ein, während im Norden der britische Befehlshaber John Burgoyne in der Schlacht von Saratoga eine demütigende Niederlage erlitt. Dieser amerikanische Sieg verhalf John Jay, John Adams und Benjamin Franklin, die in Frankreich als Diplomaten dienten, zum Abschluss eines wichtigen Vertrags: Frankreich trat 1778 als Verbündeter der Vereinigten Staaten in den Konflikt ein, und zu diesem Zeitpunkt erwog Lord North, dem es besonders wichtig war, Großbritanniens sehr viel reichere Kolonien in der Karibik vor französischen Angriffen zu schützen, sich vom amerikanischen Kriegsschauplatz einfach zurückzuziehen. Spanien schloss sich 1779 dem französisch-amerikanischen Bündnis an. Deutschland trat durch die Entsendung von bezahlten Söldnern, die von den Amerikanern «Hessen» genannt wurden, in den Konflikt ein. Ein Grund unter anderen für die britische Kriegserklärung an Holland 1780 waren die holländischen Waffen- und Munitionslieferungen an die Amerikaner. Durch die Beteiligung Frankreichs dehnten sich die Kämpfe auf die wohlhabenden Westindischen Inseln aus, wo die Franzosen ab 1778 die britischen Kolonien Dominica, Grenada, St. Vincent, Montserrat, Tobago, St. Kitts sowie die Turks- und Caicosinseln einnahmen. Die Einstellung des Handels zwischen dem Festland und den britischen Besitzungen in der Karibik brachte eine weitere schwere Belastung für Großbritanniens profitable Zuckerkolonien mit sich: Afrikaner verhungerten. Allein auf Antigua starb während des Krieges ein Fünftel der Sklavenbevölkerung.[84]
Für die Amerikaner war der Revolutionskrieg kein Welt-, sondern ein Bürgerkrieg zwischen denjenigen, die für die Unabhängigkeit waren, und den vielen, für die das nicht galt. John Adams schätzte über den Daumen, dass jeder dritte Kolonist loyal gegenüber der Krone blieb und ein weiteres Drittel für sich noch keine Entscheidung getroffen hatte, aber Adams’ Schätzung ließ die noch größere Zahl von Loyalisten völlig außer Acht, die von den Briten zu den eigenen Verbündeten gezählt wurden: die gesamte amerikanische Sklavenbevölkerung und nahezu alle indigenen Völker Amerikas. Ein Grund, der die Briten immer wieder daran hinderte, ihre Vorteile auszuspielen, war ihr ständiges Bemühen, den Kampfplatz in einen Teil der Kolonien zu verlegen, in dem sie sich mehr Unterstützung durch Loyalisten erhofften, und zwar nicht nur bei Händlern, Rechtsanwälten und Farmern, die weiterhin treu zur Krone standen, sondern auch bei ihren afrikanischen und indianischen Verbündeten. Howes Nachfolger Henry Clinton glaubte, in dieser Schlacht gehe es darum, «die Herzen zu gewinnen & das amerikanische Denken zu unterwerfen».[85] Diese Strategie scheiterte. Und als diese Strategie scheiterte, verlor Großbritannien Amerika nicht, es gab diesen Ort auf.
Die Krone warb zunächst um Einvernehmen. Der König entsandte 1778 Beauftragte, die befugt waren, die Rücknahme aller vom Parlament seit 1763 verabschiedeten Gesetze anzubieten, die in den Kolonien abgelehnt worden waren, aber als der Kongress die Anerkennung der amerikanischen Unabhängigkeit durch den König verlangte, weigerten sich dessen Gesandte. Zu diesem Zeitpunkt verlagerte sich der Hauptkriegsschauplatz, obwohl Clinton New York City hielt und westlich der Stadt weiterhin gekämpft wurde, nach Süden: Die britischen Minister beschlossen, die Rettung der reichen Zuckerinseln zur obersten Priorität zu erheben, die nördlichen und mittleren Kolonien auf dem Festland aufzugeben und die südlichen Kolonien nach Möglichkeit zu behalten, um von dort aus die Westindischen Inseln wieder mit Nahrungsmitteln versorgen zu können. Clinton nahm im Dezember 1778 die Stadt Savannah in Georgia ein und richtete dann seine Ambitionen auf Charleston in South Carolina, die größte Stadt im Süden. Im Kongress führte dies zu einer Debatte über die Bewaffnung von Sklaven. Der Kongress schlug im Mai 1779 vor, 3000 Sklaven in South Carolina und Georgia für die Streitkräfte anzuwerben und sie mit ihrer Freiheit zu entlohnen. «Ihr Negerbataillon wird niemals angenommen», warnte John Adams. «S. Carolina würde bei der kleinsten Andeutung einer solchen Maßnahme außer sich geraten.»[86] Mit dieser Einschätzung hatte er uneingeschränkt Recht. Die gesetzgebende Versammlung von South Carolina lehnte den Vorschlag ab und erklärte dazu: «Wir sind äußerst empört.»[87] Clinton nahm Charleston im Mai 1780 ein.
Der britische General Lord Cornwallis ließ 1781 in der Hoffnung, die Chesapeake-Region einnehmen zu können, Yorktown in Virginia zum Marinestützpunkt ausbauen und befestigen. Seine Truppen wurden dort schon bald von einer gemischten französisch-amerikanischen Streitmacht belagert und mit Artillerie beschossen. Die Franzosen unterstanden dem Befehl des glänzenden Marquis de Lafayette, zu dessen Diensten für die Kontinentalarmee und leidenschaftlichem Eintreten für die amerikanische Sache auch das Werben um französische Unterstützung gehört hatte. Cornwallis’ Streitkräfte waren verwundbar, weil die britische Marine in der Karibik gebunden war. Er kapitulierte am 19. Oktober, ohne dabei zu wissen, dass britische Streitkräfte genau an jenem Tag in New York in See stachen, um ihn zu unterstützen. Cornwallis’ Niederlage in Yorktown bedeutete das Ende der Kämpfe in Nordamerika, nicht aber das Ende des Krieges. Das tatsächliche Ende kam für Großbritannien erst 1782 in Westindien mit der Schlacht von Les Saintes in den Kleinen Antillen, bei der die Briten eine französische und spanische Invasionsflotte gegen Jamaika besiegten – ein Ergebnis, das nicht die Schwäche des Empires offenlegte, sondern dessen Prioritäten. Großbritannien behielt die Karibik, aber gab Amerika auf.
Die Friedensbedingungen erwiesen sich wenig überraschend als ebenso ungeordnet und ausufernd wie der vorhergehende Krieg. Die Loyalisten standen vor der gleichen Frage wie das Empire selbst: ob sie Amerika aufgeben sollten. «To go or not to – is that the question?», lautete ein an Shakespeare angelehnter holpriger Vers. «Whether ’tis best to trust the inclement sky … or stay among the Rebels!/And, by our stay rouse up their keenest rage» («Ob’s am besten ist, dem unfreundlichen Himmel zu vertrauen … oder bei den Rebellen zu bleiben!/Und durch unser Bleiben ihren heftigsten Zorn zu erregen»). Die meisten von ihnen waren auch nicht annähernd so unentschlossen wie Hamlet und gingen, wenn sie konnten: 75.000 Kolonisten – etwa jeder vierzigste Einwohner der Vereinigten Staaten – zogen mit den britischen Truppen ab. Sie gingen nach Großbritannien und Kanada, nach Westindien und Indien: Sie halfen beim Aufbau des Britischen Empire mit. «Hier gibt es keine Neuigkeiten, nur die von der Evakuierung», schrieb ein Patriot aus New York. «Einige zeigen ein Lächeln, andere Melancholie, eine dritte Gruppe ist wütend.» Keine Gruppe hatte es so eilig, die Vereinigten Staaten zu verlassen, wie die 15.000 bis 20.000 ehemaligen Sklaven, die ein Teil dieses Exodus waren. Es war die größte Sklavenbefreiung der amerikanischen Geschichte, bis Abraham Lincoln 1863 die Erklärung zur Sklavenbefreiung (Emancipation Proclamation) unterzeichnete.[88] Harry Washington, der schon Jahre zuvor aus Mount Vernon weggelaufen war, um sich Dunmores Regiment anzuschließen, schaffte es im Juli 1783 nach New York City, wo er an Bord des britischen Schiffes L’Abondance ging, das nach Nova Scotia segeln sollte. Ein Schreiber hielt seine Abreise in einer als «Book of Negroes» ausgewiesenen Kladde fest, in der die Namen von 2775 entlaufenen schwarzen Männern, Frauen und Kindern verzeichnet sind, die in jenem Sommer zusammen mit den Briten aus der Stadt abzogen: «Harry Washington, 43, feiner Bursche. Früher im Besitz von General Washington; verließ ihn vor 7 Jahren.»[89]
Als Cornwallis in Yorktown kapitulierte, versuchten 60.000 Loyalisten in größter Eile, hinter die britischen Linien zu gelangen. Im Wissen, dass ihr Eigentum beschlagnahmt werden würde, sofern das nicht bereits geschehen war – oder dass sie selbst ergriffen werden würden, als Eigentum eines anderen –, entschieden sie sich dafür, die Vereinigten Staaten zu verlassen, um nach Großbritannien oder in andere Teile des Britischen Empires zu reisen. Ihre Ziele waren zunächst New York, Savannah oder Charleston, Städte, die noch von den Briten gehalten wurden und aus denen sie sich schon bald zurückzogen. Von 9127 Loyalisten, die von Charleston aus in See stachen, waren 5327 entlaufene Sklaven. In Virginia marschierten die 2000 schwarzen Soldaten unter Cornwallis’ Kommando, die die Belagerung überlebt hatten und als «Horden von Negern» bezeichnet wurden, durch Sumpfland und Wälder in der Hoffnung, auf ein britisches Kriegsschiff zu gelangen, dem Washington nach den Kapitulationsbedingungen die Fahrt nach New York zugestanden hatte. Diese Soldaten litten an Erschöpfung; sie litten an Hunger; sie litten an Krankheiten. Von 30 Menschen, die aus Thomas Jeffersons Landsitz Monticello entkamen, starben 15 an den Pocken, bevor sie Cornwallis erreichten. Andere geflohene Sklaven suchten Schutz bei den Franzosen. «Wir hatten hier einen beachtlichen Zulauf von Dienstboten», schrieb ein überraschter französischer Offizier. Bewaffnete Sklavenpatrouillen verfolgten die Entflohenen und nahmen Hunderte von Cornwallis’ Soldaten mit ihren Familien wieder gefangen, einschließlich zweier Personen aus dem Besitz von Washington und fünf weiterer, die Jefferson gehörten. An dem Wettlauf in Richtung der britischen Linien beteiligten sich auch schwangere Frauen in der Hoffnung, dass ihr Neugeborenes durch ein «BB»-Zertifikat die Freiheit erlangen würde, eine Bescheinigung mit dem Vermerk «Born Free Behind British Lines».[90]
Erreichten sie dann New York oder Charleston oder Savannah, war dies erst der Beginn ihrer Reise. In New York vernahm Boston King, ein entlaufener Sklave aus South Carolina, ein Gerücht, nach dem alle Sklaven in der Stadt, etwa 2000 Menschen, «an ihre Besitzer ausgeliefert werden sollten», und ihn peinigte die Furcht vor amerikanischen Sklavenbesitzern, die durch die Stadt marschierten «und Sklaven in den Straßen festnahmen oder sie sogar aus ihren Betten zerrten». King, ein Zimmermann, schrieb in seinen Lebenserinnerungen, dass Schwarze in der Stadt zu verängstigt waren, um noch schlafen zu können. Ein hessischer Offizier berichtete, dass sage und schreibe 5000 Sklavenhalter in die Stadt gekommen seien, um ihre Sklaven wieder in Besitz zu nehmen. George Washington selbst hatte die Führung des «Book of Negroes» angeordnet, damit die Besitzer später dann für die Sklaven, die ihnen auf britischen Schiffen entkommen waren, Schadenersatz beantragen konnten. In Charleston patrouillierten Soldaten an den Anlegestellen, um die Hunderte von Menschen zurückzuhalten, die verzweifelt versuchten, das zu nutzen, was für die meisten von ihnen die letzte Chance sein würde, in den Genuss der Segnungen der Freiheit für sich selbst und ihre Nachkommen zu gelangen. Trotz der Patrouillen sprangen Dutzende von Menschen von den Kais und schwammen zu den letzten Beibooten, die zu den britischen Kriegsschiffen hinausfuhren, zu denen auch ein Fahrzeug mit dem treffenden Namen Free Briton zählte. Die Schwimmer griffen nach der Reling der überfüllten Boote und versuchten, an Bord zu klettern. Wenn sie nicht losließen, drohten die britischen Soldaten an Bord der Boote, ihnen die Finger abzuhacken.[91]
Die Revolution war dort am radikalsten, wo sie die Institution der Sklaverei herausforderte, und dort am konservativsten, wo sie bei dieser Herausforderung scheiterte. Dennoch hatte die Institution Risse bekommen, wie eine Glasscheibe, die schon mit Sprüngen überzogen, aber noch nicht zerbrochen ist. Als Lafayette im Januar 1783 erfuhr, dass die Unterhändler in Paris kurz vor dem Abschluss eines Friedensvertrags stünden, schrieb er an Washington, um ihm zu gratulieren und zugleich vorzuschlagen, das Werk zu vollenden, das mit der Revolution begonnen hatte. «Lassen Sie uns gemeinsam ein kleines Anwesen kaufen, wo wir den Versuch unternehmen können, die Neger freizulassen», schlug er vor. «Ein solches Beispiel von Ihrer Seite könnte dies zur allgemeinen Vorgehensweise machen; und wenn wir in Amerika Erfolg haben», dann könnte man das Experiment auf die Westindischen Inseln bringen. «Bei einem so lobenswerten Werk würde ich mich Ihnen mit Freuden anschließen», schrieb Washington zurück und schlug eine Zusammenkunft vor, bei der man die Einzelheiten besprechen könne.[92]
Kein denkender Mensch blieb unberührt von der Herausforderung, die der Kampf um die Freiheit für die Institution der Sklaverei bedeutete, Amerikas Achillesferse. James Madison schied 1783 aus dem Kongress aus, packte in Philadelphia seine Sachen und bereitete sich auf die Rückkehr nach Montpelier vor. Er war sich nicht sicher, wie er mit Billey verfahren sollte, einem 23 Jahre alten Mann, den er zu seiner ersten Amtszeit als Delegierter beim Kontinentalkongress aus Virginia mitgebracht hatte. Billey war seit seiner Geburt im Jahr 1759 Eigentum des nur acht Jahre älteren Madison gewesen. Die gesetzgebende Versammlung Pennsylvanias verabschiedete 1777 das erste Gesetz in der westlichen Welt zur Abschaffung der Sklaverei, mit dem verfügt wurde, dass jedes Kind einer in Sklaverei gehaltenen Frau, das nach dem 1. März 1780 geboren wurde, nach 28 Jahren in Sklaverei frei sein würde, und das generell den Verkauf von Sklaven verbot. Der New Yorker John Jay erklärte, dass Widerstand gegen die Sklavenbefreiung für Amerika gleichbedeutend damit sei, dass «seine Gebete zum Himmel für die Freiheit gottlos sein werden».[93] Virginia verabschiedete 1782 ein Gesetz, dass es Sklavenbesitzern erlaubte, ihre Sklaven freizulassen: Ein Quäker in Virginia sagte anlässlich der Freilassung seiner Sklaven, dass er «vollkommen davon überzeugt worden sei, dass Freiheit ein natürliches Recht aller Menschen und dass es überdies meine Pflicht ist, andere so zu behandeln, wie ich gerne in der gleichen Situation behandelt werden würde».[94] Nicht viele folgten seinem Beispiel. Madison hatte 1782 in Philadelphia einen Büchervorrat gekauft, darunter auch ein Exemplar von Hobbes’ Leviathan, obwohl er knapp bei Kasse war und beklagte, er werde sich schon bald «genötigt sehen, einen Neger zu verkaufen», womit er Billey meinte.[95]
Die grausame Ironie eines Mannes, der die Verfassung der Vereinigten Staaten entwerfen sollte und jetzt einen Sklaven verkaufen wollte, um sich philosophische Bücher leisten zu können, wurde von den Bestimmungen des 1780 in Pennsylvania verabschiedeten Abolitionsgesetzes vereitelt. Madison konnte Billey in Philadelphia nicht verkaufen. Als er 1783 seine Rückreise von Philadelphia nach Virginia vorbereitete, war es nach der Rechtslage in Pennsylvania keineswegs gesichert, dass er Billey auf legale Weise dazu zwingen konnte, ihn zu begleiten. «Ich habe es jetzt für das Klügste gehalten, Billey nicht zur Rückkehr nach Virginia zu zwingen, selbst wenn dies möglich wäre», berichtete Madison seinem Vater. «Meiner Überzeugung nach ist sein Denken zu gründlich beeinträchtigt, um ihn noch zu einem angemessenen Umgang für andere Sklaven in Virginia zu machen.» Mit anderen Worten: Billey, der Madison dreieinhalb Jahre lang in Philadelphia gedient hatte, einer Stadt, in der viele Afroamerikaner frei waren, wäre auf einer Plantage in Virginia ein Problemfall: Er würde zum Aufruhr anstacheln. In Pennsylvania war der Sklavenhandel illegal. Madison hätte versuchen können, Billey aus dem Staat herauszuschmuggeln, um ihn weiter nach Süden oder in die Karibik zu verkaufen, aber er schrieb an seinen Vater, er sei nicht gewillt, «daran zu denken, ihn durch Deportation zu bestrafen, nur weil er diese Freiheit begehrt, für die wir mit so viel Blut bezahlt haben und die wir so oft zum Recht und zum ehrenwerten Bestreben eines jeden Menschen erklärt haben.» Madison beschloss letztlich, ihn zu verkaufen, aber nicht als Sklaven, sondern als vertraglich gebundenen Diener («indentured servant»), der sieben Jahre lang an diese Abmachung gebunden war. Billey gab sich den Namen William Gardener, diente seine sieben Jahre ab, wurde ein freier Mann, arbeitete als Beauftragter eines Händlers und gründete eine Familie zusammen mit einer Frau, die, wenn Jefferson sich in Philadelphia aufhielt, Jeffersons Kleidung wusch.[96]
Gardener fand seine Freiheit in Philadelphia. Andere Männer und Frauen erlitten schlimmere Schicksale. Fast 30.000 Loyalisten waren auf dem Seeweg von New York nach Nova Scotia gereist, unter ihnen auch Harry Washington. Washington ließ sich gemeinsam mit 1500 Familien, der größten freien Gemeinschaft von Afroamerikanern in Nordamerika, in Nova Scotia nieder, wo sie sich um einen Methodistenprediger namens Moses Wilkinson und einen Baptisten namens David George scharten. Aber für die freie schwarze Gemeinschaft war das Leben in unmittelbarer Nachbarschaft zu 1200 schwarzen Sklaven, die von weißen Loyalisten nach Nova Scotia gebracht worden waren, mit ständigen Problemen verbunden. «Die Weißen waren gegen mich», berichtete George. Nachdem er versucht hatte, einen weißen Mann und eine weiße Frau zu taufen, attackierte ihn ein weißer Mob auf seiner Kanzel. «Man weiß aus Erfahrung, dass diese in Knechtschaft und Sklaverei aufgewachsenen Personen den Beistand und den Schutz eines Herrn suchen, der sie glücklich machen soll», schrieb ein weißer Bewohner Nova Scotias über freie Schwarze. Betrüger übernahmen ihre Landzuteilungen und verkauften «das Land der Schwarzen ohne den Schatten einer Lizenz», wie ein bestürzter Landvermesser festhielt. Die freie schwarze Gemeinschaft zerfiel nach und nach. «Viele der armen Leute waren gezwungen, ihre besten Kleider für fünf Pfund Mehl zu verkaufen, um etwas zu essen zu haben. Als sie alle ihre Kleider weggegeben hatten, ja sogar ihre Decken, brachen einige von ihnen, vom Hunger geschwächt, tot auf der Straße zusammen», berichtete Boston King. «Manche töteten und aßen ihre Hunde und Katzen.»[97] Es war ein ebenso schreckliches Desaster wie in Jamestown.
Während amerikanische Exilanten in Kanada ums Überleben kämpften, verhandelte Benjamin Franklin in Paris über die Friedensbedingungen. «Du hast wirklich großartige Arbeit geleistet, gelobt sei Gott», schrieb ihm seine Schwester Jane.[98] Die amerikanische Delegation unterzeichnete im September 1783 den Friedensvertrag von Paris. Großbritannien erkannte darin die Unabhängigkeit und Souveränität der Vereinigten Staaten an. Die Amerikaner wiederum sagten zu, ihre Schulden bei britischen Gläubigern zu begleichen. Es wurden auch Regelungen für Loyalisten und ihr Eigentum und für die Freilassung von Kriegsgefangenen getroffen. Spanien und Frankreich blieben bei diesen Verhandlungen weitgehend außen vor, und der Vertrag brachte ihnen auch nur sehr wenig ein, während Großbritannien jetzt ein ganz anderes und weiter verzweigtes Empire besaß als noch im Jahr 1775.
Die Friedensbedingungen reduzierten die Zahl der afrikanischen Sklaven im Britischen Empire auf die Hälfte, was wiederum bedeutete, dass die Antisklavereibewegung in England jetzt ein aufmerksameres Publikum hinzugewann, während die Lobby der Befürworter enorm geschwächt wurde. Für die Vereinigten Staaten wiederum galt das genaue Gegenteil. Durch die Amerikanische Revolution gewannen die Sklavenbesitzer in Staaten wie South Carolina politische Macht, während Sklavenbesitzer auf den Westindischen Inseln sie einbüßten. Pflanzer in Westindien waren entsetzt über die britische Entscheidung, jeden Handel zwischen den Inseln und den Vereinigten Staaten zu verbieten, eine Entscheidung, die zu Unruhen führte. Eine ganz erhebliche Zahl freigelassener Sklaven, die die Vereinigten Staaten verließen, um sich in anderen Teilen des Empire niederzulassen, landete schließlich in der Karibik. In Jamaika verlangten sie das Wahlrecht: Sie argumentierten, Besteuerung ohne parlamentarische Vertretung sei Tyrannei. Die amerikanische Kampfansage an das Empire trug letztlich zu einer politischen und moralischen Kritik der Sklaverei bei, die im Britischen Empire sehr viel tiefer empfunden wurde als in den Vereinigten Staaten.[99]
Nach dem Friedensschluss zog George Washington auf einem grauen Pferd in die Stadt New York ein, wo an einem Fahnenmast in Battery Park eine Flagge mit 13 Sternen und Streifen gehisst worden war. Nur wenige Stunden zuvor hatte dort noch die britische Flagge geweht. Die letzten britischen Soldaten hatten die seit 1776 besetzte Stadt verlassen, das letzte britische Schiff war noch nicht ganz außer Sichtweite. In der Stadt brandete lauter Jubel auf, als Washington und seine Soldaten auf dem Broadway paradierten. Washington begab sich an jenem Abend zu einem öffentlichen Dinner in ein Gasthaus, wo er sein Weinglas hob und dreizehn Trinksprüche ausbrachte: auf die neue Nation, auf die Freiheit, auf Amerikas Verbündete und so weiter. «Im Gedenken an die Helden, die für unsere Freiheit gefallen sind!» Und: «Möge Amerika eine sichere Zuflucht für die Verfolgten der Erde sein!» Und schließlich: «Möge die Erinnerung an diesen Tag den Prinzen eine Lehre sein.»[100]
England sollte keine Sklaven haben. Und Amerika sollte keinen König haben.