Eine Familie in Hood River, Oregon, versammelt sich 1925 vor dem Radio.
«UNSER GESAMTES WIRTSCHAFTSSYSTEM WÜRDE innerhalb eines einzigen Tages zusammenbrechen, wenn es in unserer Geschäftswelt kein hoch entwickeltes Gefühl für moralische Verantwortung gäbe», sagte der 53-jährige Herbert Hoover mit seinem Bulldoggengesicht bei einem Wahlkampfauftritt 1928. Hoover hatte sich einen Namen als Retter gemacht und den Beinamen «Meister der Notfälle» erworben, was auch der Titel seines Wahlkampffilms war, eines Films, der eine Chronik seiner Rettungstätigkeit in Europa während des Krieges und in Mississippi bei der Überschwemmungskatastrophe von 1927 war und so bewegendes Bildmaterial enthielt – aschfahle, hohlwangige Kinder, die endlich wieder etwas zu essen bekamen –, dass das Kinopublikum bei den Vorführungen in Tränen ausbrach. Hoover, einer der engagiertesten und begabtesten Amerikaner, die sich jemals um den Einzug ins Weiße Haus bewarben, glaubte, dass die Philosophie des moralischen Fortschritts, die die Politik wie auch den Protest in Amerika seit der Gründung der Nation beseelt hatte, inzwischen am besten von den führenden Persönlichkeiten amerikanischer Unternehmen vertreten wurde, von Privatpersonen, die seiner Ansicht nach über eine engagierte Haltung zum öffentlichen Interesse verfügten, unerschütterlich wie seine eigene.[1] Nichts verdeutlichte seine Vorstellung von einer Partnerschaft zwischen der Regierung und der Welt der Wirtschaft so gut wie das Radio, eine experimentelle Technologie, mit der Hoover, ein ausgezeichneter Ingenieur, die Hoffnung der amerikanischen Demokratie verband.
Als Handelsminister, der sich um alles kümmerte, hatte Hoover in der Zeit von 1922 bis 1925 eine Reihe von jährlichen Radiokonferenzen einberufen, bei denen er Regierungsbehörden, Medienunternehmen und Hersteller an einen Tisch brachte, einschließlich der noch ganz jungen Radio Corporation of America. Zum damaligen Zeitpunkt gab es in den Vereinigten Staaten 220 Radiosender und 2,5 Millionen Empfangsgeräte. Telegrafen- und Telefonleitungen verbanden die Republik durch viele Meilen von Kabeln, die so zahlreich waren wie Weihnachtslichterketten; Radiosendungen, die sich über elektromagnetische Wellen ausbreiteten, konnten überall hingelangen. Frühe Radioempfänger funktionierten allerdings wie Telegrafen und Telefone und wurden für die Kommunikation von einem Punkt zum anderen genutzt, oft über Seefunk. Hoover erkannte, dass die Zukunft des Radios im «broadcasting» lag (das Wort wurde erstmals 1921 in dieser Bedeutung verwendet), im «Rundfunk» bei dem eine Nachricht an Empfänger übermittelt wird, die über große Entfernungen verstreut sind, wie bei einer Aussaat, bei der das Saatgut über ein Feld verteilt wird – «to broadcast» heißt auch «(breitwürfig) aussäen». Er nahm zutreffend vorweg, dass das Radio, das nächste technische Großexperiment der Nation, die Art und Weise der politischen Kommunikation radikal verändern werde: Kandidaten für politische Ämter wie auch den Amtsinhabern werde es ermöglichen, zur Wählerschaft zu sprechen, ohne die Mühen und Kosten einer direkten Begegnung auf sich nehmen zu müssen, und es werde auch die Regierungsarbeit zu einer vertrauten Angelegenheit machen. NBC Radio nahm 1926 den Sendebetrieb auf, CBS im Jahr 1928. Am Ende des Jahrzehnts sollte fast jeder Haushalt ein Empfangsgerät besitzen, in vielen Fällen ein selbst gebautes. Hoover versprach, dass der Rundfunk die Amerikaner «buchstäblich zu einem Volk» machen werde.[2]
Hoover wollte diese Entwicklung weder dem Zufall noch dem politischen Verantwortungsbewusstsein von Geschäftsleuten überlassen. Das Chaos des frühen Radiobetriebs überzeugte ihn davon, dass die Regierung bei der Regulierung der Sendetätigkeit eine Rolle spielen musste, indem sie Lizenzen für bestimmte Frequenzen vergab und darauf bestand, dass sich die Sender am öffentlichen Interesse orientierten. «Der Äther ist ein allgemeines Medium, und seine Benutzung muss dem Allgemeinwohl dienen», betonte Hoover.[3] Er drängte auf die Verabschiedung des Federal Radio Act, der zuweilen auch als «Constitution of the Air» bezeichnet wurde. Das 1927 verabschiedete Gesetz erwies sich als eines der folgenreichsten der Progressive Era.
Nach den Bestimmungen des Radio Act führte die Federal Radio Commission (später: die Federal Communications Commission) eine Politik der gleich langen Sendezeiten ein, und Debatten zwischen Kandidaten für politische Ämter gehörten zu den beliebtesten Sendungen der frühen Radiozeit. Hoover sollte sich später große Sorgen um die Welt machen, die das Radio geschaffen hatte. «Das Radio ist … für Zwecke der Propaganda viel leichter einzuspannen als die Presse», stellte er in seinen Memoiren fest. Aber sein technologischer Utopismus der früheren Tage wurde von vielen Menschen geteilt: War das Radio letztlich nicht die Antwort auf die Zweifel in Sachen Massendemokratie, die von Leuten wie Walter Lippmann geäußert wurden? «Wenn die Zukunft unserer Demokratie von der Intelligenz und Kooperation ihrer Bürger abhängt, kann das Radio mehr zu ihrem Erfolg beitragen als jeder andere Einflussfaktor», schrieb 1929 der RCA-Präsident James G. Harbord.[4]
Gegen Ende der 1920er Jahre schien im ganzen Land ein grenzenloser Optimismus zu herrschen, nicht nur in Sachen Radio. «Wir in Amerika sind dem Endsieg über die Armut näher, als dies jemals in der Geschichte irgendeines Landes der Fall war», sagte Hoover im Sommer 1928, als er die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner annahm. «Mit Gottes Hilfe werden wir bald den Tag vor uns aufsteigen sehen, an dem die Armut aus dieser Nation verbannt ist.» Die amerikanische Volkswirtschaft schien unaufhaltsam zu wachsen. «Alle Zeichen deuten darauf hin, dass die Wirtschaft weitere Fortschritte macht, mit einer Produktion, die einen neuen Höchststand erreicht», berichtete das Wall Street Journal im Juli 1928. «Und nichts scheint in Sichtweite zu sein, was den Aufwärtstrend bremsen könnte.» Die Aktienkurse zogen weiter an, und das zu einem Zeitpunkt, als Aktien nicht mehr ausschließlich an Wohlhabende verkauft wurden. «Jedermann sollte reich sein», wurde ein Investor in einem Zeitschriftenartikel zitiert, in dem er vorschlug, dass Amerikaner, die über keine Ersparnisse verfügten, Aktien mit Hilfe eines Ratenzahlungsplans erwerben sollten. Im Jahr 1929 besaß bereits ein Viertel der US-Haushalte Aktien, noch eine Generation zuvor war es weniger als ein Prozent gewesen. Als Hoover im November 1928 zum Präsidenten gewählt wurde, stieg der Aktienkurs auf ein Rekordhoch; der Durchschnittskurs bei Börsenschluss war dreimal so hoch wie 1918 und doppelt so hoch wie 1924.[5]
Hoover fuhr zu seiner Amtseinführung an einem regnerischen Montag im März in einem Pierce-Arrow-Automobil, das so protzig aussah wie sein Zylinderhut. Sein Amtsantritt schien für den endgültigen Triumph der Kampagne für Rationalisierung und Wohlstand zu stehen, für eine Massendemokratie, die von Geschäftsleuten und Rationalisierungsingenieuren mit Bürgersinn in geordnete Bahnen gelenkt zu werden schien. «Zum ersten Mal stand der moderne technische Sachverstand an der Spitze der Regierung», schrieb Anne O’Hare McCormick, Reporterin der New York Times und selbst eine Pionierin in ihrem Beruf. «Wir warteten fast mit der Haltung, dass das Genie seine Chance bekommen soll, auf den Beginn der Vorstellung.» Aber im privaten Rahmen sorgte sich Hoover, dass ihn das amerikanische Volk für «eine Art Superman» hielt.[6]
Hoover machte sich mit der von ihm gewohnten Tatenfreude des Geschäftsmanns an die Arbeit. Er ließ sich ein Telefon auf seinen Schreibtisch im Oval Office stellen. Er plante seine Termine in Achtminutenintervallen. Er machte sich an die Reorganisation der Bundesbehörden. «Zurück ins Bergwerk», sagte er nach einer 15-minütigen Pause fürs Mittagessen. Er machte sich Sorgen wegen des überhitzten Aktienmarktes, sah sich aber nicht imstande, die Stampede der Börsenbullen aufzuhalten. Der Dow-Jones-Kurs war 1928 auf 240 Punkte emporgeschnellt; im Sommer 1929 ließ er die 380-Punkte-Marke hinter sich.[7]
Am 21. Oktober 1929 trafen sich Hoover und 500 prominente Gäste, darunter die Inhaber der mächtigsten Unternehmen Amerikas, in Henry Fords Edison Institute in Dearborn, Michigan, um den 50. Jahrestag der Erfindung der Glühbirne zu feiern. Das «Light’s Golden Jubilee» war eine Idee von Edward Bernays, zu dessen vorbereitender Publicitykampagne für dieses Ereignis auch der Versand von Glühbirnen an alle Zeitungsredaktionen des Landes zählte. Am Abend der Galaveranstaltung schalteten die Energieunternehmen im ganzen Land zu Ehren von Thomas Edison eine Minute lang den Strom ab. Der 82 Jahre alte Edison stellte dann den Augenblick nach, in dem er zum ersten Mal eine Glühbirne zum Leuchten brachte, und auf NBC berichtete ein atemloser Sprecher: «Mr. Edison hält die beiden Drähte in der Hand. Jetzt hebt er die Arme zur alten Lampe empor; jetzt stellt er die Verbindung her. Sie leuchtet!»[8]
An jenem Abend kam über das Radio die Nachricht, dass die Aktienkurse an der New Yorker Börse begonnen hatten zu fallen. Es fühlte sich an, als sei eine Lampe, eine zu hell leuchtende, zerborsten.