DIE REVOLUTION IN AMERIKA begann nicht mit den englischen Kolonisten, sondern mit den Menschen, über die sie herrschten. Lange bevor in Lexington und Concord Schüsse fielen, lange bevor George Washington den Delaware überquerte, lange bevor über die Unabhängigkeit Amerikas nachgedacht wurde, ja bevor sie überhaupt denkbar war, wurde eine revolutionäre Tradition geschmiedet – nicht von den Engländern in Amerika, sondern von Indianern, die Krieg führten, und von Sklaven, die rebellierten. Sie rebellierten wieder und wieder und wieder. Ihre Revolutionen kamen in Wellen und suchten das Land heim. Sie stellten unablässig die immer gleiche Frage: Mit welchem Recht werden wir beherrscht?
Den englischen Kolonisten kam es so vor, als wären diese Rebellionen Teil einer Verschwörung, vor allem, als sie, wie etwa in den Jahren 1675 und 1676, dicht aufeinander folgten, und das ein ganzes Jahrhundert, bevor die Engländer ihren eigenen Kampf um die Unabhängigkeit begannen. Im Juni 1675 versuchte ein Bündnis von Algonquin-Stämmen in Neuengland unter der Führung eines Sachems (Häuptlings) namens Metacom (die Engländer nannten ihn «King Philip»), die Fremden aus ihrem Land zu vertreiben, und die Aufständischen griffen einen Ort nach dem anderen an. Die Indianer hatten sich, wie ein Engländer schrieb, «überall im Land erhoben». Bevor es zu Ende war, waren über die Hälfte der englischen Siedlungen in Neuengland entweder zerstört oder aufgegeben worden. Metacom wurde erschossen, gestreckt, gevierteilt und enthauptet, sein Kopf auf einen Spieß gesteckt und in Plymouth zur Schau gestellt, eine königliche Bestrafung. Sein neunjähriger Sohn wurde als Sklave verkauft und in die Karibik verschifft, wo auf Barbados eben erst ein Sklavenaufstand ausgebrochen war. Die Engländer auf Barbados glaubten, dass die Afrikaner dort «vorhatten, alle Weißen zu ermorden»; ihr «großer Plan war, sich einen König zu erwählen». (In Panik verabschiedete die Legislative der Insel eilends ein Gesetz, das den Ankauf von aus Neuengland herbeigeschafften Indianersklaven untersagte, weil man befürchtete, dass sie den Aufstand nur weiter anfachen würden.) Neuengland und Barbados hatten, wie ein Neuengländer bemerkte, aus «der gleichen Tasse getrunken».
Diese Tasse lief über. Der Krieg in Neuengland war noch nicht beendet, der Aufstand griff gerade auf Barbados über, als auch die Indianer in Maryland und Virginia mit Angriffen auf die englischen Siedlungen begannen, was William Berkeley, den Gouverneur von Virginia, zu der Erklärung veranlasste, «die Infektion der Indianer in Neuengland» habe sich in Richtung Süden ausgebreitet. Berkeleys Weigerung, die Indianer mit Vergeltungsmaßnahmen zu überziehen, führte zu einem Aufstand, der von einem Kolonisten namens Nathaniel Bacon angefacht wurde. Dieser Mann führte einen Trupp von 500 Männern nach Jamestown, das sie niederbrannten. Das Chaos wäre mit Sicherheit noch größer geworden, wenn Berkeley nicht sein Gouverneursamt eingebüßt hätte und Bacon nicht an der Ruhr gestorben wäre.[60]
Kriege und Aufstände und Gerüchte über weitere Unruhen füllten die Seiten von Briefen aus den Kolonien und von Zeitungen. Nachrichten fanden ihren Weg überallhin und hatten unweigerlich zur Folge, dass sich die Konflikte zwischen den Rassen verhärteten. Vor dem King-Philip-Krieg hatten Geistliche in Neuengland noch versucht, die Eingeborenen zum Christentum zu bekehren und ihnen Englisch beizubringen, und sie hatten damit die Vorstellung verbunden, dass diese Menschen eines Tages unter den Engländern leben würden. Nach dem Krieg wurden diese Bemühungen weitgehend aufgegeben. Bacons Rebellion verhärtete die Trennlinien zwischen Weißen und Schwarzen. Arme Engländer hatten in der Zeit vor der Brandschatzung von Jamestown durch Bacon und seine Männer nur sehr wenig politische Macht. Immerhin drei von vier Männern und Frauen englischer Herkunft, die in die Kolonien übersiedelten, waren entweder Schuldner oder Häftlinge oder Schuldknechte und -mägde («indentured servants»); sie waren keine Sklaven, aber sie waren auch nicht frei.[61] Das mit einem Eigentumszensus verbundene Wahlrecht bedeutete, dass längst nicht alle freien weißen Männer auch wählen durften. Die Tatsache, dass Sklaven von ihren Besitzern freigelassen werden konnten, bedeutete zugleich, dass es möglich war, schwarz und frei zu sein, wie auch, dass man weiß und unfrei sein konnte. Aber nach Bacons Rebellion erhielten freie weiße Männer das Wahlrecht, und für schwarze Männer und Frauen wurde es nahezu unmöglich, die Freiheit zu erlangen. 1680 konnte ein zeitgenössischer Beobachter deshalb feststellen, dass «diese beiden Wörter, Neger und Sklave», mittlerweile «gleichbedeutend und austauschbar geworden» waren: Schwarz zu sein bedeutete, Sklave zu sein.[62]
Die Furcht vor Krieg und Rebellion ging in allen englischen Kolonien um, Terrorgebieten, die furchterregend politisch instabil und physisch verwundbar waren. In der Kleinstadt Salem in Massachusetts wurden 1692 neunzehn Frauen und Männer wegen Hexerei verurteilt. Was als Hexerei bezeichnet wurde, mutet jedoch in der Rückschau wie ein Nachspiel der Indianerangriffe an, wie die quälenden Erinnerungen an fürchterliche Leiden. Während der Hexenprozesse, bei denen Mercy Short aussagte, der Teufel habe sie mit glühenden Werkzeugen gefoltert, beschrieb sie ihn als «einen kleinen und schwarzen Mann … mit einer Hautfarbe nicht wie ein Neger, sondern gelbbraun oder wie ein Indianer». Zwei Jahre bevor Satan und seine Hexen in Mercy Short fuhren, war sie von Abenaki-Indianern gefangen genommen worden, die das Haus ihrer Familie in einem Ort in New Hampshire überfielen und ihre Eltern und drei ihrer Brüder und Schwestern töteten. Mercy Short war zu einem Fußmarsch gezwungen worden, der sie bis nach Kanada führte. Auf dem Weg dorthin erlebte sie eine Gräueltat nach der anderen mit: ein fünfjähriger Junge wurde in Stücke gehackt, ein junges Mädchen skalpiert und ein Mitgefangener «barbarisch geopfert», an einen Pfahl gebunden und mit Feuer gequält, wobei ihm die Abenaki das Fleisch Stück für Stück aus dem Leib schnitten. Hexen nennen den Teufel «einen schwarzen Mann», stellte der Bostoner Geistliche Cotton Mather fest, «und im Allgemeinen sagen sie, dass er einem Indianer ähnele». Für Mather hieß das, dass Schwarze und Indianer eine Art Teufel seien, Werkzeuge des Bösen. Aber was Mercy Short heimsuchte, waren nicht die Machenschaften der Hexerei; es waren die Auswirkungen des Grauens.[63]
Selbst in Jahren und an Orten, an denen es nicht zu Angriffen kam, trafen Nachrichten darüber von anderen Orten ein, und die Furcht davor war allgegenwärtig. Überall kam es zu Aufständen, und wo es keine Aufstände gab, da herrschte die Furcht vor ihnen. Einige der Verschwörungen, die von den Siedlern unentwegt vermutet, aufgespürt und unterdrückt wurden, waren real, andere nur eingebildet, aber sie alle hatten eines gemein: Gruppen von Männern, Sklaven oder Indianer, hatten vor, die bestehende Ordnung zu beseitigen und eine eigene zu errichten.
Kriege, Rebellionen und Gerüchte: Die Kolonisten fürchteten sich vor einer Revolution. Auf der von Dänemark beherrschten Insel St. John’s übernahmen 1733 90 afrikanische Sklaven die Kontrolle und hielten sich dort ein halbes Jahr lang. Auf Antigua «erdachte und beschloss» 1736 eine Gruppe schwarzer Männer «die Ausführung einer Verschwörung, bei der alle weißen Bewohner der Insel ermordet und eine aus den Reihen der Sklaven gebildete neue Art von Regierung eingesetzt werden und die Herrschaft über die ganze Insel übernehmen sollte». Ihr Anführer, ein Mann namens Court, hatte «unter seinen Landsleuten … die Rolle eines KÖNIGS übernommen».[64] Manchmal wurden Rebellen vor Gericht gestellt; üblicherweise geschah dies jedoch nicht. Die Engländer neigten bei ihrer Kriegführung gegen die Indianer dazu, alle früher gepflegten Vorstellungen darüber, unter welchen Umständen ein Krieg gerecht sei, fallenzulassen; sie gingen dazu über, erst den Krieg zu führen und ihn dann nachträglich zu rechtfertigen. Und bei der Unterdrückung von Sklavenaufständen und der Bestrafung der Beteiligten ließen sie gleichermaßen ihre Vorstellungen von einem ordentlichen Prozess vor einem Geschworenengericht und der Abschaffung der Folter fallen. Auf Antigua wurden wegen einer Verschwörung angeklagte Männer nach den Bestimmungen eines neuen Gesetzes gefoltert, mit dem groteske Bestrafungen legalisiert wurden. Schwarze Männer wurden gerädert, man ließ sie verhungern, röstete sie über einem kleinen Feuer und hängte sie bei lebendigem Leib auf. Englische Kolonisten auf Nantucket meinten im Jahr 1738, sie hätten eine Verschwörung der auf der Insel lebenden Indianer aufgedeckt, die «alle Engländer vernichten sollte, indem bei Nacht ihre Häuser angezündet und sie selbst dann mit Feuerwaffen angegriffen werden». Die Begründung eines Indianers für diese Verschwörung war, «dass die Engländer zuerst ihren Vorfahren deren Land mit Gewalt weggenommen und seitdem immer in ihrem Besitz behalten haben».[65]
Die Eroberung war immer fragil, die Sklaverei stets instabil. Auf Jamaika, wo die Schwarzen den Weißen in einem Zahlenverhältnis von zwanzig zu eins gegenüberstanden, flohen Afrikaner unter der Führung eines Mannes namens Cudjoe von Plantagen und errichteten in den Bergen im Inneren der Insel feste Siedlungen, die Engländer nannten sie «Maroon»-Dörfer. Der erste Maroon-Krieg endete 1739 mit einem Vertrag, mit dem die Briten fünf Maroon-Dörfer anerkannten und Cudjoe und seinen Anhängern ihre Freiheit zubilligten und mehr als 600 Hektar Land überließen. Es war ein Unabhängigkeitskrieg gewesen.
Die Nachricht von den Aufständen in Antigua und Jamaika erreichte die beiden Carolinas und Georgia innerhalb von Wochen, nach Neuengland gelangte sie nur wenige Tage später. Englische Kolonisten auf dem Festland hatten Familienangehörige auf den Inseln – ebenso wie ihre Sklaven, die wie ihre Besitzer mit der Ankunft eines jeden Schiffes Klatsch und Neuigkeiten austauschten. Mehr als 100 schwarze Männer, die sich bewaffnet hatten, erhoben sich 1739 bei der Rebellion von Stono in South Carolina, einer Kolonie, in der die Schwarzen gegenüber den Weißen im Verhältnis von zwei zu eins in der Mehrheit waren. Sie töteten mehr als 20 Weiße. «Carolina gleicht mehr einem Land von Negern als jedes andere von weißen Menschen besiedelte Land», schrieb ein Besucher.[66] Die Rebellen hofften, bis nach Spanisch-Florida zu gelangen, wo die Spanier allen entflohenen Sklaven die Freiheit versprochen hatten. Auf ihrem Marsch riefen sie: «Liberty!» Ihr Anführer war ein in Angola geborener Mann namens Jemmy. Er sprach Kikongo, Englisch und Portugiesisch und konnte, wie es sehr oft auch auf andere Anführer von Sklavenaufständen zutraf, lesen und schreiben.[67]
Welche Gesetze mochten diese Aufstände zum Verstummen bringen, welche Strafen diese Revolutionen abwenden? Das war die Frage, die in den kolonialen gesetzgebenden Versammlungen diskutiert wurde, in den Meetinghouses, die aus Ziegel- und anderen Steinen und Holz errichtet worden waren, noch während Indianer und Afrikaner diese Meetinghouses niederzureißen drohten. Die gesetzgebende Versammlung von South Carolina verabschiedete 1740, im Nachklang der Rebellion von Stono, «An Act for the Better Ordering and Governing Negroes», eine neue Reihe von Bestimmungen für das Verhältnis zwischen Herrschern und Beherrschten. Dieses Gesetzeswerk schränkte die Bewegungsfreiheit der Sklaven ein, legte Standards für ihre Behandlung fest, formulierte Strafen für ihre Verbrechen, erklärte das Verfahren für die Strafverfolgung und kodifizierte die Beweisregeln für ihre Prozesse; bei Kapitalverbrechen musste die Anklage vor zwei Richtern und einer aus mindestens drei Männern bestehenden Geschworenenjury vorgetragen werden. Das Gesetz erklärte außerdem jede Art von Schreibunterricht für Sklaven zu einem strafwürdigen Vergehen, in der Hoffnung, damit den nächsten Jemmy, der las und von der Freiheit predigte, verhindern zu können.[68] Die Engländer erfreuten sich im Umgang mit den Menschen, über die sie herrschten, des «Vorteils der Schriftlichkeit», wie Samuel Purchas festgestellt hatte, und sie hatten die Absicht, diesen Vorteil zu wahren.
Nachrichten von Aufruhr fanden in den Kolonien auch deshalb so rasche Verbreitung, weil die Lese- und Schreibfähigkeit, die bei den Sklaven unterdrückt wurde, unter den Kolonisten zunahm. Sie hatten mit dem Druck eigener Pamphlete und Bücher und, besonders wichtig, ihrer eigenen Zeitungen begonnen. Die erste in die britischen Kolonien exportierte Druckerpresse kam 1639 in Boston an, die erste Zeitung in Britisch-Amerika, Publick Occurrences, erschien ebendort im Jahr 1690. Von diesem zensierten Blatt kam nur eine einzige Ausgabe heraus, aber eine zweite Zeitung, der Boston News-Letter, nahm 1704 die Arbeit auf und hielt sich. Die Druckerei lag in einer schmalen, beengten Straße in der schmalen, beengten Stadt Boston, nicht weit vom Common, wo Schafe weideten und man zu jeder vollen Stunde hören konnte, wie die Kühe das Läuten der Kirchenglocken mit ihrem endlosen Muhen unterlegten.[69]
Die Drucker in den Kolonien boten zunächst vor allem Nachrichten aus Europa an, aber nach und nach begannen sie mit einer eigenständigen Berichterstattung über die aktuellen Geschehnisse in benachbarten Kolonien. Sie stellten dabei auch die Staatsmacht infrage, legten Wert auf ihre Freiheit und ganz besonders auf eine freie Presse. Als deren energischster Befürworter sollte sich der 1706 in Boston geborene Benjamin Franklin erweisen, Sohn eines puritanischen Kerzenmachers und Seifensieders.
Benjamin Franklin war der jüngste von zehn Söhnen seines Vaters; seine 1712 geborene Schwester Jane war die jüngste von sieben Töchtern des Vaters. Benjamin Franklin brachte sich das Lesen und Schreiben selbst bei, anschließend unterrichtete er seine Schwester, und das in einer Zeit, in der Mädchen, ebenso wie Sklaven, kaum jemals im Schreiben unterrichtet wurden (man brachte ihnen allerdings das Lesen bei, damit sie die Bibel lesen konnten). Benjamin wollte Schriftsteller werden. Sein Vater konnte es sich nur zwei Jahre lang leisten, ihn in die Schule zu schicken (Jane erhielt überhaupt keinen Schulunterricht). Ein Bruder der beiden, James, wurde Drucker und Benjamin im Alter von 16 Jahren sein Lehrling, gerade zu dem Zeitpunkt, als James Franklin mit der Herstellung einer respektlosen Zeitung namens New-England Courant begann.[70]
Der New-England Courant duldete keinen Zensor: Er war die erste «nicht lizenzierte» Zeitung in den Kolonien, was bedeutete, dass die Kolonialregierung dem Blatt keine Lizenz erteilt hatte und den Inhalt vor der Veröffentlichung nicht überprüfte. James Franklin beschloss, mit Hilfe seiner Zeitung sowohl die Regierung als auch den Klerus zu kritisieren, und das zu einer Zeit, in der man beide Institutionen im Wesentlichen nicht voneinander trennen konnte und Massachusetts eine Theokratie war. «Der einfache Zweck Ihrer Zeitung ist es, die Diener Gottes zu verspotten und zu beleidigen», schäumte Cotton Mather gegen den Herausgeber. 1722 wurde James Franklin wegen Volksverhetzung inhaftiert. Während seiner Haftzeit übernahm sein kleiner Bruder und hart arbeitender Lehrling die Herstellung des Courant, und dort tauchte im Impressum erstmals im Druck der Name BENJAMIN FRANKLIN auf.[71]
Während seine kleine Schwester zu Hause blieb, Kerzen zog und Seife siedete, beschloss der junge Benjamin Franklin, der Regierung eine lange Nase zu drehen, indem er Auszüge aus Cato’s Letters druckte, einem von zwei radikalen Oppositionellen, dem Engländer John Trenchard und dem Schotten Thomas Gordon, verfassten Werk. Die Cato-Briefe bestehen aus 144 Essays über das Wesen der Freiheit, einschließlich der Rede- und Pressefreiheit. «Ohne die Freiheit zu denken», schrieben Trenchard und Gordon, «kann kein solches Ding in der Welt sein, welches man Weisheit nennt; und ohne die Freiheit im Reden ist kein solches Ding möglich, welches man Freiheit des Staates nennt. Die Freiheit im Reden ist ein Recht, dessen Ausübung jedem Menschen zusteht.»[72] Auch Jane Franklin las diese Essays, und möglicherweise machte sie, die in einer Familie von Rebellen aufgewachsen und unterrichtet worden war, sich auch Gedanken über die Rechte der Frau.
James Franklin setzte sich gegen seine Strafverfolgung zur Wehr, wurde schließlich freigelassen und arbeitete wieder als Drucker, aber der junge Benjamin Franklin drehte 1723 auch seinem Bruder eine lange Nase und lief aus der Lehre weg, womit er zugleich auch seine Schwester Jane im Stich ließ. Nur wenig später, im Alter von 15 Jahren, war sie verheiratet. Benjamin Franklin begann seinen «Rags-to-Riches»-Aufstieg vom armen Schlucker zum wohlhabenden Mann, und diese Redewendung war zur damaligen Zeit sowohl im übertragenen Sinn wie auch wörtlich zu verstehen: Papier wird aus Lumpen («rags») hergestellt, und Franklin, der erste amerikanische Drucker, der Papiergeld herstellte, machte Lumpen zu Geld. Jane, die zwölf Kinder zur Welt bringen und elf von ihnen beerdigen sollte, lebte das sehr viel einfachere Leben eines in armen Verhältnissen aufgewachsenen Menschen, zumal einer Frau, im Amerika des 18. Jahrhunderts: Lumpen blieben Lumpen.
Benjamin Franklin fand schließlich eine neue Heimat im gepflegten Quäkerstädtchen Philadelphia und begann dort 1729 mit der Herstellung seiner eigenen Zeitung, der Philadelphia Gazette. Mit diesem Blatt kämpfte er für die Pressefreiheit. In einer 1731 im Geiste Miltons verfassten «Apology for Printers» stellte er fest, dass «die Ansichten der Menschen beinahe so verschieden sind wie ihre Gesichter», aber dass «Drucker in dem Glauben erzogen werden, dass, wenn die Menschen verschiedener Meinung sind, beide Seiten auf gleichberechtigte Art und Weise den Vorteil genießen sollten, von der Öffentlichkeit gehört zu werden; und wenn Wahrheit und Irrtum eine gerechte Auseinandersetzung führen, wird die Erstere dem Letzteren immer überlegen sein.»[73]
Die Kultur der Fakten – die Vorstellung des Empirismus, die sich vom Rechtswesen auf die Regierungskunst ausgeweitet hatte – war noch nicht bei den Zeitungen angekommen, die immer noch voller Schiffsmeldungen und Anzeigen zu entflohenen Sklaven waren, denen sich Berichte zu Sklavenaufständen und Indianerkriegen und zur aktuellen Sitzung des Parlaments hinzugesellten. Die Zeitungen waren an der Wahrheit interessiert, aber sie versuchten sie herzustellen, wie Franklin erläuterte, indem sie alle Seiten zu Wort kommen und ihre Auseinandersetzungen offen austragen ließen. Die Drucker hielten es nicht für ihre Pflicht, nur Fakten ins Blatt zu rücken; ihre Aufgabe war es, die «Ansichten der Menschen» zu drucken, wie Franklin es formulierte, und den besten Mann siegen zu lassen: Die Wahrheit wird ans Licht kommen.
Doch während die Kultur der Fakten noch nicht bei den Zeitungen angekommen war, hatte sie bereits Einzug in die Geschichtsschreibung gehalten. Thomas Hobbes hatte im Leviathan geschrieben: «Die Aufzeichnung des Faktenwissens nennt man Geschichte.»[74] Eine Lehre, die die Amerikaner aus den Tatsachen ihrer eigenen Geschichte ziehen sollten, hatte mit der Pressefreiheit zu tun, und das war ein Faktum, an dem sie festhielten, und eine Freiheit, zu deren Verteidigung sie entschlossen waren.
Nach James Franklins juristischen Auseinandersetzungen mit dem Arm des Gesetzes in Boston fand der nächste Kampf um die Freiheit in New York statt, dem wichtigsten Hafen auf dem Festland. Hier hatten afrikanische Sklaven der Niederländer einst am Stadtrand eine Mauer errichtet, die von englischen Sklaven später wieder abgerissen wurde, so dass die Wall Street ihren ursprünglichen Bezug verlor. Im Jahr 1732 kam ein neuer Gouverneur nach New York, um im dortigen Rathaus seine Amtsgeschäfte aufzunehmen, einem Gebäude, das Afrikaner aus Steinen errichtet hatten, die nach dem Abriss der Stadtmauer hier eine neue Verwendung fanden.
William Cosby war ein Dandy und ein Rüpel. Wie die meisten Gouverneure der Kolonien auf dem Festland – es gab nur vier Ausnahmen – war er vom König ernannt worden. Er besaß weder irgendwelche Qualifikationen für dieses Amt, noch hatte er irgendwelche Bindungen an die Menschen, über die er herrschen sollte. Er war habgierig und korrupt. Um diesen Mann zu stürzen, engagierte der New Yorker Rechtsanwalt James Alexander, ein Freund von Benjamin Franklin, einen deutschen Einwanderer namens John Peter Zenger, der für ihn eine neue Zeitung drucken sollte, das New-York Weekly Journal. Die erste Ausgabe erschien 1733. Ein großer Teil der Zeitung bestand aus Exzerpten von Cato’s Letters und Essays im gleichen Geist, Texten, die Alexander anonym verfasste. «Keine Nation in alter oder heutiger Zeit verlor jemals die Freiheit, ihre Ansichten ungehindert vortragen, schreiben oder veröffentlichen zu können, ohne unverzüglich auch die allgemeine Freiheit zu verlieren und zu Sklaven zu werden», schrieb Alexander. Mit «Sklaven» meinte er dasselbe wie Locke: ein Volk, das der Tyrannei absoluter und willkürlich ausgeübter Herrschaft unterworfen ist. Er meinte ausdrücklich nicht die Afrikaner, die in seinem eigenen Haus lebten und arbeiteten. Jeder fünfte New Yorker war ein Sklave. Sklaven erbauten die Stadt, ihre klotzigen Steinhäuser ebenso wie die gezimmerten Kaianlagen. Sie bauten die Straßen und hoben auf dem Negroes Burying Ground ihre eigenen Gräber aus. Sie trugen das Wasser fürs Teekochen und das Feuerholz herbei. Sie be- und entluden die Schiffe, die nur wenige Schritte vom Sklavenmarkt entfernt vor Anker lagen. Aber ein Recht, in der Öffentlichkeit frei zu reden, zu schreiben und zu veröffentlichen, besaßen sie nicht.[75]
Cosby, ein aufbrausender und rücksichtsloser Mann, konnte, wie so viele herrische und dünnhäutige Machthaber nach ihm, keinerlei Kritik ertragen. Er ordnete die Verbrennung sämtlicher Exemplare von Zengers Blatt an und ließ Zenger, einen armen Handwerker, der auf Anweisung eines anderen handelte, wegen aufrührerischer Verleumdung einsperren.
In einer Zeit, in der politische Parteien nahezu allseits als schädlich für die politische Ordnung verachtet wurden – «Eine Partei ist der Irrsinn vieler zum Nutzen weniger», merkte der Dichter Alexander Pope 1727 an –, bildeten sich im turbulenten Geschehen der Stadt New York dennoch zwei politische Gruppierungen heraus: die Court Party, die Cosby unterstützte, und die Country Party, die sich gegen ihn wandte. «Wir sind vom Lodern der Parteien umgeben», klagte Daniel Horsmanden, ein unbedeutender, engstirniger Pöstcheninhaber, der von Cosby an den Obersten Gerichtshof berufen worden war. Aber die New Yorker, die fast fünftausend Kilometer und wochenlange Schiffsreisen von jeder Art von Abhilfe gegen die Willkürakte eines tyrannischen Gouverneurs entfernt waren, gelangten allmählich zu der Überzeugung, dass Parteien «nicht nur für eine freie Regierung notwendig, sondern für die Öffentlichkeit auch von großem Nutzen» sein könnten. Ein New Yorker schrieb 1734: «Parteien sind ein Mittel gegenseitiger Kontrolle, und sie dienen, indem sie den jeweiligen Ehrgeiz in Grenzen halten, der Wahrung der öffentlichen Freiheit.»[76]
Zenger wurde im darauffolgenden Jahr im steinernen Rathausgebäude vor das Oberste Gericht der Kolonie gestellt. Alexander, dessen Autorschaft bei diesen Essays noch unbekannt war, trat als Zengers Rechtsanwalt auf, bis ihm der höchste Richter des Hauses, ein von Cosby ernannter Amtsträger, die Zulassung entzog. Zenger wurde anschließend von Andrew Hamilton vertreten, einem außerordentlich klugen Rechtsanwalt aus Philadelphia. Hamilton bestritt nicht, dass Zenger Artikel abgedruckt hatte, in denen der Gouverneur kritisiert worden war. Stattdessen brachte er vor, dass alles, was Zenger zum Druck befördert hatte, wahr sei – Cosby sei wirklich ein fürchterlich schlechter Gouverneur –, und forderte die Jury auf, ihm zu widersprechen. In seinem Schlussplädoyer bezog er sich auf Cato’s Letters und erhob die Kontroverse in New York mit einem rhetorischen Kunstgriff, der in den 1760er Jahren, in denen weitere Kolonien gegen die englische Herrschaft rebellierten, zum Allgemeingut werden sollte, in epische Größenordnungen. Der strittige Punkt, verkündete Hamilton der Jury, «ist nicht die Sache eines armen Druckers oder von New-York allein». Nein. «Es ist die beste Sache. Es ist die Sache der Freiheit.»[77]
Die Jury befand Zenger für nicht schuldig. Cosby starb im darauffolgenden Jahr. Aber der New Yorker Parteieneifer ließ nicht nach. Eine Zeitlang war sogar die Rede von einem bevorstehenden Bürgerkrieg. Die Country Party stellte jetzt die Autorität von Gouverneur George Clarke infrage, Cosbys geplagtem Nachfolger. Dieser berichtete verblüfft nach London, die New Yorker seien der Ansicht, dass sie «einen Gouverneur, wenn er sein Amt schlecht ausübt, absetzen und einen neuen ernennen dürfen».[78]
Und dennoch war der Gedanke, dass ein Volk einen Tyrannen absetzen und durch einen Machthaber aus den eigenen Reihen ersetzen könnte, natürlich keineswegs eine so erstaunliche Vorstellung: Er lag auch jedem Sklavenaufstand zugrunde. In den Jahren nach dem Zenger-Prozess waren die Sklavenbesitzer regelrecht von der Furcht besessen, dass Pläne zu einem solchen Aufstand in den Köpfen der städtischen Sklaven herumspukten. Als 1741 in der ganzen Stadt Feuer ausbrachen und Clarkes eigene Villa – der Amtssitz des Gouverneurs – vollständig niederbrannte, waren viele New Yorker überzeugt, die Feuer seien von Sklaven gelegt worden. Diese würden eine Rebellion planen, ähnlich den Aufständen in den 1730er Jahren auf Antigua, Barbados, Jamaika und in South Carolina – und diese Rebellion werde, wenn auch gewalttätiger, so doch nicht völlig anders ausfallen als die der Country Party gegen Cosby. Waren das nicht noch furchterregendere Parteienflammen?
«Die Neger erheben sich!», riefen die New Yorker an den Straßenecken. Viele Sklaven waren aus der Karibik in die Stadt gekommen; nicht wenige von ihnen stammten von Inseln, die für ihre Aufsässigkeit bekannt waren. Caesar, ein Mann im Besitz eines niederländischen Bäckers, konnte lesen und schreiben, ebenso wie Jemmy, der Anführer der Stono-Rebellion in South Carolina. Caesar hatte auch mit einer weißen Frau ein Kind gezeugt – eine weitere Überschreitung der Rassenschranken. Er war einer der ersten Männer, die in New York verhaftet wurden. Es folgten getuschelte Gerüchte und durch Folter erzwungene Geständnisse. Daniel Horsmanden kam zu dem Schluss, dass «die meisten Neger in der Stadt moralisch verderbt seien» und die Ermordung aller Weißen und die Wahl Caesars zu ihrem Gouverneur im Schilde führten.
Das Geschehen in New York in den 1730er und 1740er Jahren wirkte stilbildend für die amerikanische Politik. Auf Horsmandens Drängen hin wurden mehr als 150 schwarze Männer in der Stadt verhaftet, ins Gefängnis geworfen und verhört. Viele von ihnen wurden vor Gericht gestellt. Die Ergebnisse der Prozesse gegen Zenger und Männer wie Caesar hätten wohl kaum unterschiedlicher ausfallen können. Weiße New Yorker hatten beschlossen, dass sie das Lodern der Parteienflammen ertragen konnten: Abweichende politische Meinungen in Form einer Zeitung und einer politischen Partei, die sich gegen den vom König eingesetzten Gouverneur wandten, das konnten sie tolerieren. Aber für Widerspruch in Gestalt eines Sklavenaufstands galt das nicht. Derselbe Gerichtshof, der Zenger freigesprochen hatte, klagte dreißig schwarze Männer an und verurteilte sie alle. Dreizehn Urteile lauteten auf Tod auf dem Scheiterhaufen, siebzehn weitere auf Tod durch Erhängen, zusammen mit vier Weißen. Ein Kolonist bezeichnete die Hinrichtungen von 1741 als «Freudenfeuer der Neger». Aber auch diese Feuer bestanden aus Parteienflammen. Die meisten der anderen verhafteten schwarzen Männer wurden von ihren Familien getrennt und in die Karibik verkauft – ein Schicksal, das viele von ihnen schlimmer fanden als den Tod. Caesar, der auch unter dem Galgen ein Schuldeingeständnis verweigerte, wurde in Ketten gehängt und sein Leichnam monatelang zur Schau gestellt. Sein «Beispiel und seine Bestrafung» sollten «den Rest brechen und einige von ihnen dazu bewegen, dieses Rätsel der Niederträchtigkeit zu enthüllen».[79] Aber das Rätsel der Niederträchtigkeit war nicht die Verschwörung; es war die Sklaverei selbst.
Wellen der Rebellion peitschten mehr als ein Jahrhundert lang die englischen Atlantikküsten, von Boston bis Barbados, von New York bis Jamaika, von North und South Carolina bis zurück nach London. «Rule, Britannia, rule the waves;/Britons never will be slaves» («Herrsche, Britannia, herrsche über die Meere;/Briten werden niemals Sklaven sein»), hieß es in einem 1740 in England entstandenen Gedicht, das zur Hymne des Empires und zugleich auch zur Hymne Amerikas wurde. Es entging niemandem, dass die lautesten Rufe nach Freiheit in der frühen modernen Welt aus einem Teil dieser Welt kamen, der vollständig von der Sklaverei abhängig war.
Sklaverei existiert nicht außerhalb der Politik. Sie ist eine Erscheinungsform der Politik, und ein Sklavenaufstand ist eine Form des gewaltsamen politischen Widerspruchs. Der Zenger-Prozess und die New Yorker Sklavenverschwörung waren sehr viel mehr als ein Disput über die Pressefreiheit und ein vereitelter Sklavenaufstand: Sie waren Elemente einer Debatte über das Wesen der politischen Opposition, und gemeinsam legten sie deren Grenzen fest. Cosbys Gegner wie auch Caesars Anhänger verschworen sich angeblich jeweils zur Absetzung des Gouverneurs. Die eine Art des Aufstands wurde gefeiert, die andere unterdrückt – eine Trennlinie, die Bestand haben sollte. Die Beziehung zwischen Freiheit und Sklaverei ist in der amerikanischen Geschichte tief und düster: Die Bedrohung durch einen Aufstand der Schwarzen eröffnete der politischen Opposition von Weißen einen Spielraum. Die amerikanische politische Tradition wurde von Philosophen und Staatsmännern geschaffen, von Druckern und Autoren, und sie wurde auch von Sklaven geschaffen.
AM 9. MAI 1754 druckte Benjamin Franklin, ein vielseitig begabter Mann, in der Pennsylvania Gazette einen Holzschnitt. Er war mit «JOIN, or DIE» («Schließt euch zusammen oder sterbt») betitelt und zeigte eine in acht Teile zerschnittene Schlange, deren Stücke, vom Kopf bis zum Schwanz, durch ihre Initialen gekennzeichnet waren: Neuengland, New York, New Jersey, Pennsylvania, Maryland, Virginia, North Carolina und South Carolina.
Die Könige und Königinnen Europas hatten jahrhundertelang um die Aufteilung Nordamerikas gekämpft, als ob diese Landmasse ein Kuchen sei, den es zu zerschneiden galt. Sie meldeten ihre Besitzansprüche vor Ort an, benannten Städte und führten Kriege, und sie untermauerten ihre Ansprüche durch Karten, auf denen Grenzlinien und farblich markierte Gebiete zu sehen waren. Eine 1681 angefertigte handkolorierte Landkarte mit dem Titel «North America Divided into its Principall Parts where are distinguished the several States which belong to the English, Spanish, and French» wurde in einen in London gedruckten Atlas aufgenommen. Auf dieser Karte waren die indigenen Bewohner des Kontinents nur beiläufig vermerkt, auf die «Apache» wurde in der Nähe New Mexicos vage hingewiesen. Wie viele andere Karten veraltete auch diese schnell. England und Schottland vereinigten sich 1707 in einer Realunion zum Königreich Großbritannien und führten einen immer wieder aufflammenden Krieg mit Frankreich und Spanien, der auch auf den nordamerikanischen Kontinent übergriff, wo sich Großbritannien wie auch Frankreich mit Indianern verbündeten. Die Kolonisten benannten diese Kriege nach den Königen oder Königinnen, in deren Regierungszeit sie fielen: King William’s War (1689–1697), Queen Anne’s War (1702–1713) und King George’s War (1744–1748). Nordamerika wurde in seine Hauptgebiete aufgeteilt, und dann wurde es wieder und wieder geteilt.
Franklins «JOIN, or DIE»-Holzschnitt illustrierte einen von Franklin selbst verfassten Artikel, in dem dieser sich für eine gemeinsame Verteidigung der Kolonien einsetzte – gegen Frankreich und Spanien wie auch gegen kriegerische Indianer und aufständische Sklaven. Der 48-jährige Franklin, inzwischen ein begüterter und angesehener Mann, kleidete sich eine Spur eleganter als seine Quäkermitbürger und sprach mit Wärme und Nachdruck. Der Gouverneur von Pennsylvania hatte ihn im April 1754 zum Bevollmächtigten für eine für den Juni in Albany, New York, anberaumte Versammlung ernannt. Dort sollten Delegierte aus den Kolonien über einen Vertrag mit einem Bund von Irokesen verhandeln, den sogenannten Six Nations: den Mohawk, Oneida, Onondaga, Cayuga, Seneca und Tuscarora. «Unsere Feinde haben den sehr großen Vorteil, unter einer Leitung zu stehen, mit einem Ratsgremium und einem Budget», schrieb Franklin und legte damit den Gedanken nahe, dass es den britischen Kolonien auf dem amerikanischen Festland an einer Einheit dieser Art ermangelte.[80]
Franklin hatte, seit er 1723 aus seiner Lehre in Boston weggelaufen war, viele bürgerschaftlich orientierte Unternehmungen für die nordamerikanischen Kolonien geleitet, während diese nach Westen expandierten, weiter weg von der Küste, weiter weg von den Inseln, weiter weg von London und weiter weg voneinander. Viele dieser Vorhaben hatten auch zum Ziel, die Entfernung zwischen den Kolonien rascher zu überbrücken, und das in erster Linie durch die Verbesserung der Kommunikation zwischen ihnen.
Franklin, der große Wortführer der Pressefreiheit, förderte auf jede nur erdenkliche Art die Verbreitung von Wissen. Er gründete 1731 die erste Leihbibliothek in Amerika, die Library Company of Philadelphia. 1732 begann er mit dem Druck des Poor Richard’s Almanack, der überall in den Kolonien Verbreitung fand und den Amerikanern einen gemeinsamen Vorrat von Sprichwörtern und Redensarten verschaffte, ja sogar eine gemeinsame politische Geschichte, zum Beispiel, als Franklin, auf dem Blatt für den Monat Juni jenes Jahres, folgende Notiz hinzufügte: «Am 15. dieses Monats, anno 1215, wurde die Magna Carta von König Johann unterzeichnet, zur Bekanntgabe und Einführung der englischen Freiheit.» Franklin wurde 1736 zum Schriftführer der Pennsylvania Provincial Assembly ernannt. Im Jahr darauf folgte seine Ernennung zum Postmeister von Philadelphia, die er für Maßnahmen zur Verbesserung des Postdienstes nutzte. «Die erste Schinderei bei der Einrichtung neuer Kolonien, bei der die Aufmerksamkeit der Menschen auf bloße Lebensnotwendigkeiten eingeschränkt wird, ist jetzt so gut wie vorbei», schrieb er 1743 in einem Pamphlet mit dem Titel A Proposal for Promoting Useful Knowledge among the British Plantations in America. Überall in Amerika gab es mittlerweile «Men of Speculation», die Experimente durchführten, Beobachtungen festhielten, Entdeckungen machten. «Aber aufgrund der Ausmaße des Landes sind solche Personen weit voneinander entfernt und können sich nur selten sehen, Gespräche führen oder sich miteinander bekannt machen, so dass viele nützliche Einzelheiten nicht mitgeteilt werden, mit ihren Entdeckern sterben und der Menschheit verlorengehen.» Also gründete Franklin die American Philosophical Society, die erste Vereinigung von Gelehrten in den Kolonien.[81]
Franklin widmete sich seiner Aufgabe als Postmeister mit der gleichen Hingabe, die ihn zuvor zur Gründung einer Leihbibliothek und einer Philosophical Society veranlasst hatte: Er wollte, dass Ideen zirkulierten, Blut in den Adern der Kolonien. Bei einer Inspektionstour durch die Kolonien prüfte er die Poststraßen. Er berechnete die Entfernungen und die Zeit, die man benötigte, um von Farm zu Farm, von einer Stadt zur nächsten zu gelangen. Dabei nahm er auch eine Art Zensus vor, zählte die Menschen und maß die Abstände zwischen ihren Wohnorten.
Um 1750 lebten vier Fünftel der Bewohner Britisch-Amerikas in einer der dreizehn Kolonien auf dem Festland, obwohl die überwältigende Mehrheit von ihnen zunächst die Karibik zum Ziel gehabt hatte. Dieses Zahlenverhältnis war eine Folge der unterschiedlichen Sterblichkeitsraten in den verschiedenen Teilen der britischen Besitzungen in Amerika. Einwanderer, die in der Karibik gelandet waren, starben scharenweise. Englische Siedler in Neuengland erfreuten sich hingegen einer sehr hohen Lebenserwartung. Die südlichen Kolonien hatten mehr mit den Karibik-Inseln gemeinsam: eine schwarze Bevölkerungsmehrheit und eine hohe Sterblichkeitsrate. Die mittleren Kolonien waren eine bunte Mischung von Schotten, Iren, Engländern, Niederländern, Deutschen und Afrikanern, eine Bevölkerung, die im Querschnitt gesünder war als die Bewohner der Karibikinseln, aber nicht so sehr wie die Menschen in Neuengland. Doch bei allen Unterschieden glichen sich die Lebensverhältnisse in den Kolonien auf dem Festland bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts durch eine Reihe von Maßnahmen stärker aneinander an: «In den unterschiedlichen Provinzen, die ich bereiste, stellte ich bei den Gewohnheiten und beim Charakter der Menschen, denen ich begegnete, nur geringe Unterschiede fest», schrieb der schottische Arzt Alexander Hamilton 1744 nach einer Reise zu Pferde, die ihn und seinen afrikanischen Sklaven Dromo von Maryland nach Maine geführt hatte.[82]
Ein Punkt, in dem die Festlandskolonien einander ähnlicher wurden, war eine religiöse Erweckung, eine Hinwendung zu einer expressiveren Ausübung der Religion, die weniger von Ehrfurcht vor den Geistlichen als von der Macht des Geistes und der Gleichheit aller Seelen unter dem Himmelszelt ergriffen war. George Whitefield, ein leidenschaftlicher Evangelikaler aus England, zog eine Zuhörerschaft an, die nach Tausenden zählte. Ein ebenso eifernder wie anspruchsvoller Mann, war Whitefield von kränklicher Natur und schielte – hartherzige Zeitgenossen nannten ihn «Dr. Schielauge». Der von einem verwitweten Gastwirt aufgezogene Mann kam aus äußerst einfachen Verhältnissen, aber in den Kolonien zog er, von einem Ort zum nächsten wandernd, Zuhörerscharen aus allen gesellschaftlichen Schichten an, die er als «Schwärme von Zeugen» bezeichnete. Er erzählte seinen Anhängern, dass sie wiedergeboren werden könnten, und zwar im Leib Christi, und appellierte an sie, die Lehren der eher beschränkten Geistlichen zu verwerfen. «Ich bin dazu bereit, für euch ins Gefängnis und in den Tod zu gehen», sagte er. «Aber ich bin nicht dazu bereit, ohne euch in den Himmel aufzufahren.»[83]
Auch das stand für eine Art Revolution: Whitefield hob das göttliche Wesen der einfachen Menschen hervor, und das auf Kosten der Autorität ihrer Geistlichen. Eine Versammlung der konservativ gesinnten Geistlichkeit hatte 1739 beschlossen, dass alle Geistlichen ein abgeschlossenes Studium in Harvard, in Yale oder an einer britischen oder anderen europäischen Universität vorweisen mussten. Whitefield hingegen war ein Prediger des Volkes, der zu Farmern und Handwerkern, Seeleuten und Dienstboten sprach.[84]
Franklin hatte seine Zweifel an der Person Whitefield, aber in Sachen Religion übte er sich, wie bei vielen anderen Dingen auch, in Zurückhaltung. Er formulierte es so: «Wer etwas gegen die Religion sagt, lässt einen Tiger von der Kette.» Zu anderen Themen hatte er sehr viel mehr zu sagen. Nachdem er die Kolonien bereist, vermessen und ihre Bevölkerung gezählt hatte, soweit ihm das möglich war, schrieb er 1751 einen Essay über die Bevölkerungsgröße und gab ihm den Titel «Observations concerning the Increase of Mankind, Peopling of Countries, &c».
Franklin wollte wissen: Was wäre wohl das Schicksal von Kolonisten, falls die Kolonien eines Tages größer werden sollten als der Ort, von dem sie kamen? Land war billig in den Kolonien, «so billig, dass ein arbeitender Mann, der etwas von Landwirtschaft und gutem Haushalten versteht, innerhalb kurzer Zeit genug Geld sparen kann, um weiteres Land zu kaufen, das groß genug für eine Plantage ist». Und wenn dieser Mann heirate und Kinder habe, könnten er und seine Frau darauf vertrauen, dass es auch für ihre Kinder noch reichlich Land geben würde. Franklin schätzte die Bevölkerung der Festlandskolonien auf etwa «eine Million englische Seelen», und bei seinen Berechnungen ging er davon aus, dass sich diese Zahl alle 25 Jahre verdoppeln werde. Bei einer solchen Wachstumsrate würde in nur einem Jahrhundert «die größte Zahl von Engländern auf dieser Seite des Ozeans leben».
Franklins Zahlen waren unzutreffend. Seine Schätzungen waren nicht zu hoch, sie waren zu niedrig. Zu diesem Zeitpunkt lebten in Großbritanniens 13 Festlandskolonien mehr als 1,5 Millionen Menschen. Sie waren viel dichter besiedelt als Neufrankreich oder Neuspanien. Nur 60.000 französische Siedler lebten in Kanada, 10.000 weitere in Louisiana. Neuspanien war sogar noch dünner besiedelt. Außerdem war es in Neuspanien und Neufrankreich schwieriger – unmöglich –, die Siedler von der indigenen Bevölkerung zu unterscheiden, weil dort so viele gemeinsam Familien gegründet hatten. In Großbritanniens nordamerikanischen Kolonien wurden solche Verbindungen seltener anerkannt, die meisten wurden aktiv verheimlicht.
Franklin verlor, wie so viele Amerikaner nach ihm, seinen charakteristischen Gleichmut, wenn es um die Frage der Hautfarbe ging. In Spanisch-Amerika, einem Land der Mestizen, ließen Sklavenhalter ihre Sklaven üblicherweise per testamentarischer Verfügung frei; im Jahr 1775 übertraf dort die Zahl der freien Schwarzen die der schwarzen Sklaven. Zu einer ähnlichen Entwicklung kam es in Neufrankreich, wo man die gemeinsamen Familien von französischen Händlern und Indianern Métis nannte. Dort wie auch in Neuspanien heirateten Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt und zogen über Generationen hinweg Kinder groß. Die Hautfarbe markierte auf viele Weisen den gesellschaftlichen Status, aber sie war keine Trennlinie zwischen Freiheit und Sklaverei. Farbe bedeutete nichts als Farbe: Rot- und Braun-, Rosa- und Gelbtöne. Großbritanniens Festlandskolonien errichteten eine ganz andere und brutalere Form von Rassenherrschaft, eine Form, die nur zwei Farben kannte, schwarz und weiß, und zwei Arten von Rechtsstellung, Sklave und Freier. Gesetze untersagten gemischtrassige Ehen, sie verfügten, dass auch die Kinder einer Sklavenmutter Sklaven blieben, und sie rieten von Freilassungen ab oder untersagten sie gleich ganz. Die Besitzer von Sklaven hatten sehr oft Kinder mit ihren Sklavinnen, aber sie erzogen sie nicht als ihre eigenen Kinder, ließen sie auch nicht frei, ja sie erkannten sie nicht einmal als ihre Kinder an; stattdessen betrachteten sie sie als Sklaven und bezeichneten sie als «schwarz». Franklin, dem diese Rassentrennung keine Ruhe ließ, fügte seinem Essay über die Bevölkerungsfrage eine weitere Beobachtung hinzu; er schrieb über eine neue Rasse, ein Volk, das «weiß» war.
«Die Zahl rein weißer Völker in der Welt ist verhältnismäßig sehr klein», setzte Franklin ein. Seiner Ansicht nach waren Afrikaner «schwarz»; Asiaten und indigene Amerikaner waren «gelbbraun»; Spanier, Italiener, Franzosen, Russen, Schweden und Deutsche waren «dunkelhäutig». Nach dieser Einteilung blieben nur sehr wenige Völker weltweit, und vor allen anderen die Engländer, als die einzigen «weißen Völker» übrig. «Ich würde mir wünschen, dass ihre Zahl größer wäre», schrieb Franklin und fügte erstaunt hinzu: «Aber vielleicht bin ich voreingenommen für die Gesichtsfarbe meines Landes, denn eine solche Art der Voreingenommenheit ist der Menschheit von Natur aus eigen.»[85]
Franklin stolperte über seine Voreingenommenheit für Menschen mit seiner eigenen «Gesichtsfarbe». War sie wirklich «natürlich»? Vielleicht. Offensichtlich beunruhigte ihn dieser Gedanke. Aber mit der für ihn typischen Emsigkeit schrieb er all dies auf und wandte sich dann einem anderen Thema zu, den Bindungen, die Menschen zusammenhalten: Schließt euch zusammen oder sterbt.
Auf dem Kongress von Albany legte Franklin 1754 einen «Plan of Union» vor, einen Plan zur Vereinigung aller Kolonien unter einer Regierung, die «durch einen von der Krone ernannten und unterhaltenen Generalpräsidenten» und einen «Großen Rat von Vertretern der Bevölkerung der einzelnen Kolonien in ihren betreffenden Provinzialversammlungen» ausgeübt wurde. Diese Vereinigung sollte die sieben in seiner Schlange einzeln gekennzeichneten Kolonien – New York, New Jersey, Pennsylvania, Maryland, Virginia, North Carolina und South Carolina – und außerdem die vier dort summarisch als «Neuengland» bezeichneten Kolonien – Massachusetts, Rhode Island, Connecticut, New Hampshire – umfassen.
Franklins Plan wies jeder der elf Kolonien in der Union eine bestimmte Zahl von Abgeordneten zu, die der Bevölkerungszahl entsprach (jeweils zwei für das dünn besiedelte New Hampshire und das winzige Rhode Island und jeweils sieben für die bevölkerungsreichen Länder Virginia und Massachusetts). Die Regierung, die in Philadelphia zusammentreten sollte, sollte befugt sein, Gesetze zu verabschieden, Verträge abzuschließen, Gelder einzutreiben und Soldaten einzuberufen, «zur Verteidigung einer jeden Kolonie», und für den Küstenschutz sorgen. Die Delegierten des Kongresses von Albany hießen den «Plan of Union» gut und legten ihn den Ratsversammlungen in den einzelnen Kolonien vor, die ihn aber aus Furcht vor dem Verlust eigener Prärogativen ablehnten. Auch die britische Regierung missbilligte den Plan, wie Franklin schrieb, denn «in England erachtete man ihn für allzu demokratisch».[86]
Franklins «Plan of Union» scheiterte. Es blieb der Holzschnitt, der viel mit Powhatans anderthalb Jahrhunderte zuvor zusammengenähtem Hirschledermantel gemeinsam hatte. «JOIN, or DIE» ist, neben anderem, was er auch ist, eine Landkarte, allerdings eine sehr besondere Landkarte, die als «dissected map» («zerlegbare Karte») bekannt ist. Karten dieser Art waren zugleich die allerersten Puzzles, von Kartografen auf Papier gezeichnet und auf Holzstücke aufgeklebt. Eine der ersten zerlegbaren Karten trug den Titel «Europa, aufgeteilt in seine Königreiche» und wurde in den 1760er Jahren in London von einem Kartografen hergestellt, der sein Handwerk beim Hofgeografen des Königs gelernt hatte. Diese Karte war ein für Kinderhände bestimmtes Spielzeug, das als Hilfsmittel im Geografieunterricht dienen sollte. Man lehrte Kinder damit auch, das Wesen von Königreichen und von Herrschaft zu verstehen.
Auch Franklins «JOIN, or DIE» diente pädagogischen Zwecken: Es enthielt eine Lehre über die Herrscher und die Beherrschten und über die Natur politischer Gemeinwesen. Es stellte eine Behauptung über die Kolonien auf: Sie waren Teile eines Ganzen.